Einssein - Buddhistische Gebote als Ausdruck der Liebe (eBook)

Leitfaden für Zen-Praxis und Selbsterforschung
eBook Download: EPUB
2024
258 Seiten
Arkana (Verlag)
978-3-641-37039-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Einssein - Buddhistische Gebote als Ausdruck der Liebe - Nancy Mujo Baker
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'Höre auf zu versuchen, 'besser' zu werden, indem du Anteile deiner selbst unterdrückst oder versteckst, und nimm diesen leicht zugänglichen Leitfaden zu den zentralen ethischen Lehren des Zen-Buddhismus, um zu lernen, was es bedeutet, ganz Mensch zu sein.' Mit dieser Kernbotschaft stellt die Zen-Lehrerin Nancy Baker hier einen detaillierten Übungsweg für Zen-Praktizierende vor, die die buddhistischen Gebote empfangen wollen, und für alle, ob Buddhist*innen oder nicht, die ihr Verständnis davon vertiefen wollen, was es heißt, ein ethisches, liebevolles Leben zu führen. Sie zeigt, wie man sich diesen Geboten - beispielsweise mithilfe von Meditation - annähern und sie einzeln oder in Gruppen praktizieren kann. 'Dies ist der Leitfaden schlechthin, der den Weg zum Einssein aufzeigt.' Joan Halifax

Nancy Mujo Baker ist Zen-Lehrerin der White Plum Sangha, leitet online das No Traces Zendo und bietet Zen-Retreats an. Als eine Dharma-Nachfolgerin von Bernie Glassman Roshi ist sie anerkannte Lehrerin in der Soto-Zen-Tradition. Außerdem ist sie (inzwischen emeritierte) Professorin der Philosophie am Sarah Lawrence College, wo sie mehr als vierzig Jahre lehrte. Die Autorin lebt in New York City.

Einleitung


Mit den Geboten arbeiten, indem wir den Mörder in uns anerkennen

Es scheint ein Gesetz der menschlichen Natur zu sein, dass die Verdrängung verschiedener Neigungen und Ängste in uns selbst oft zur Unterdrückung anderer führt. Rassismus, Sexismus und Homophobie sind offensichtliche Beispiele dafür. Aber wir müssen gar nicht so weit gehen, um zu sehen, dass wir alles, was wir in uns selbst ablehnen, auch in anderen ablehnen. Diese zwei Formen der Ablehnung führen zu zwei Arten der Trennung. Vor anderen zu verbergen, was ich an mir selbst nicht mag – oder jede Art von defensivem Selbstschutz, selbst verbale Korrekturen der Wahrnehmung anderer von uns – bedeutet automatisch Trennung. Deshalb ist es so gut, mit anderen zu arbeiten. Sich selbst als Mörder, Lügner, Dieb usw. zu entlarven ist sehr befreiend. Es ist interessant, was passiert, wenn wir stattdessen mit Selbstschutz oder Selbstdarstellung beschäftigt sind, indem wir den Dieb oder Lügner in uns zurückweisen. Wir isolieren uns tatsächlich. Wir verschließen uns und schneiden uns von der gesamten Wirklichkeit ab. Wir verlieren eine Art mitfühlender Offenheit und Unbeschwertheit in Bezug auf unsere eigene Situation und damit auch auf die der anderen. Wir fühlen und verhalten uns, als ob wir die große Verbundenheit, in der wir unser Leben führen, verloren hätten.

Wie bereits erwähnt, heißt es im Buddhismus, dass wir, um uns von unseren Verblendungen und Konditionierungen zu befreien, durch sie hindurchgehen müssen und sie nicht unterdrücken, leugnen oder irgendwie umgehen dürfen. Andernfalls werden wir niemals wahre Freiheit und Mitgefühl erfahren. Und dies wird, wie schon gesagt, in der Zen-Tradition unter anderem folgendermaßen ausgedrückt:

Wenn du wegen des Bodens hinfällst,

musst du den Boden benutzen, um wieder aufzustehen.

Zu versuchen, ohne den Boden aufzustehen,

macht keinen Sinn.1

Wenn ich wegen meiner Lügen zu Boden falle, muss ich meine Lügen nutzen, um wieder aufzustehen. Vielleicht können wir das Aufstehen als eine Form der Sühne betrachten. Ich kann nicht von der Lüge frei werden, indem ich sie ignoriere oder verstecke. Wie das englische Wort für „Sühne“ – atonement – andeutet, muss ich mit ihr „eins“ werden – to be „at one“. Dogen drückt dies folgendermaßen aus:

Wenn ein Dämon ein Buddha wird, nimmt er seine Dämonengestalt an, bricht sie und verwirklicht Buddhaschaft. Wenn ein Buddha ein Buddha wird, übt er/sie seine/ihre Buddhaschaft aus, strebt nach ihr und verwirklicht Buddhaschaft. Wenn ein Mensch ein Buddha wird, übt er/sie seine/ihre menschliche Natur aus, bildet sie aus und verwirklicht Buddhaschaft. Ihr solltet die Wahrheit gründlich verstehen, dass die Möglichkeiten [zur Verwirklichung der Buddhaschaft] genau in der Art und Weise liegen, wie [verschiedene Wesen] ihre jeweilige Natur ausleben.2

Wir könnten sagen, dass wir unsere Natur – zum Beispiel den Lügner in uns – durchbrechen und ein Buddha werden, indem wir eben dies ausleben. Ich werde im zweiten Teil darauf zurückkommen, was es bedeutet, eine bestimmte Veranlagung zu „brechen“ und ein Buddha zu werden.

Zeugnis ablegen – Wie man mit Partner*in oder in einer Gruppe arbeitet


Der Zen-Peacemaker-Orden nennt in seinem Leitbild und seiner Verpflichtung zur Praxis drei Grundsätze, die ursprünglich vom Gründer der Gruppe, Bernie Glassman, formuliert wurden: Nicht-Wissen, Zeugnis ablegen und liebevolles Handeln.3 Sich dem Einssein mit den Zen-Geboten zu öffnen erfordert, Zeugnis abzulegen, was nur in einem Zustand des Nicht-Wissens möglich ist. Aber was bedeutet es, Zeugnis abzulegen oder sich in einem Zustand des Nicht-Wissens zu befinden? Eine Möglichkeit, dies zu verstehen, ist, frei von Projektion zu sein. Nehmen wir die schlimmste Form der Projektion – Bigotterie. Bigotterie, die sich gegen eine Person oder eine Gruppe richtet, wird oft als Intoleranz gegenüber anderen definiert. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Verallgemeinerung, die auf bestimmte Menschen oder Gruppen projiziert wird. Wir haben auch unsere individuellen, familiären psychischen Muster und Überzeugungen, die wir verallgemeinern und auf andere und uns selbst projizieren. Das stellt uns in wichtigen Beziehungen manchmal vor große Herausforderungen. So etwas kann am Arbeitsplatz, mit Freunden oder sogar im Bus oder auf der Straße passieren. Die Beurteilung anderer und unser selbst sind eine andere Variante. Berücksichtigen wir aber auch das Zuhören und beachten wir die Zuschreibungen, Urteile, Meinungen und Deutungen, die in der Regel beim Zuhören auftauchen, während unsere Gedanken zwischen Vergangenheit und Zukunft hin- und hergehen. Können wir einfach zuhören, einfach präsent sein für das, was ein anderer sagt, in einem Zustand des Nicht-Wissens? Kann unser Geist ruhig und offen sein? Das ist es, was beim Arbeiten mit anderen an den Geboten erforderlich ist. Je mehr wir auf diese Weise praktizieren, desto mehr sind wir in der Lage, es zu tun.

In einem Zustand des Nicht-Wissens lernen wir, nicht nur anderen, sondern auch uns selbst gegenüber Zeugnis abzulegen. Das bedeutet, nicht zu urteilen, keinen Selbstschutz und keine Selbst-Vermarktung zu betreiben. Es bedeutet, dass wir lernen, alles, was in uns auftaucht, zuzulassen, ja sogar zu begrüßen. Wie ich Hameed Ali (A. H. Almaas) habe sagen hören: „Bring deine Erfahrung nicht durcheinander.“ Wenn unser Verstand still ist und offen für unsere Erfahrung, anstatt sie durch Analysen, Urteile, Entschuldigungen usw. zu stören, können wir Dinge über uns selbst entdecken. Aber noch wichtiger ist, dass diese Stille und Offenheit es unserer Erfahrung ermöglichen, sich zu entfalten und sich als etwas anderes zu offenbaren, als wir dachten, dass es sei.

Eine gute Möglichkeit im Zweiergespräch ist, mit zwei sich wiederholenden Fragen oder Aufforderungen zu arbeiten, etwas, das ich in der Beschäftigung mit dem Diamond Approach gelernt habe. Um beim Beispiel des Stehlens zu bleiben, könnten wir die Übung folgendermaßen durchführen: Eine Person fordert für die Dauer von zehn Minuten immer wieder dazu auf: „Erzähle mir von etwas, das du gestohlen hast“, wobei sie die Antworten einfach zur Kenntnis nimmt und vielleicht nach jeder Antwort „Danke“ sagt. Kein Nachdenken, kein Analysieren, keine Gegenrede. Dann wechselt man die Seite und das Gleiche wird noch einmal gemacht. Und so verfährt man auch mit der zweiten Frage oder Aufforderung.

Für jede der zehn Übungen, die den zehn Kapiteln in diesem Teil des Buches folgen, schlage ich eine von zwei Varianten dieser Frageübung vor. Die erste Version könnte darin bestehen, wiederholt auf die Aufforderung „Sag mir, was du stiehlst“ zu antworten. Geld, Aufmerksamkeit, Ansehen oder was immer einem in den Sinn kommt. Nachdem die Seiten gewechselt wurden und beide Partner*innen die erste Frage beantwortet haben, könnte die zweite Frage oder Aufforderung lauten: „Wie stiehlst du?“ Offen, selbstbewusst, schuldbewusst, heimlich oder auf irgendeine andere Art und Weise. Die Antworten sind ganz persönlich. Sie können schnell oder sehr langsam kommen – das spielt keine Rolle. Wenn wir präsent und offen sind für alles, was auftaucht, kann diese Art von Übung uns aus der Bahn werfen und Möglichkeiten aufzeigen, an die wir vorher nicht gedacht haben. Die zweite Variante ist, beide Fragen zusammen zu stellen. Ein Beispiel wäre: „Erzähle mir von etwas, das du stiehlst“, im Wechsel mit „Welchen Mangel behebst du damit?“, und dann die Seiten wieder zu wechseln. Sowohl die erste als auch die zweite Variante werden jeweils fünfzehn Minuten lang durchgeführt. In der Anleitung am Ende jedes Kapitels zu den Geboten heißt es entweder: „Stellen Sie beide Fragen getrennt für jeweils 10 Minuten“ oder „Stellen Sie die Fragen abwechselnd zusammen für 15 Minuten“.

Für jedes Gebot schlage ich auch eine zweite Übung vor – einen Monolog, der in Anwesenheit von einer, zwei oder mehreren Personen gehalten wird. Hier spricht jede Person fünfzehn Minuten lang und erforscht ihre Beziehung – in diesem Fall – zum Stehlen. Die Frage könnte darin bestehen zu erforschen, wie man Unzufriedenheit oder Mangel erlebt, und zu bemerken, wie das Stehlen passiert in der Annahme, dass es den Mangel beheben könnte. Auch hier kann es zu überraschenden Einsichten kommen. Die Zuhörenden hören einfach zu, ohne zu analysieren, zu vergleichen oder zu beurteilen. Diese Übungen stellen sowohl für den/die Sprechende*n als auch für die Zuhörenden eine intensive Praxis dar. Nach den Übungen kann ein Gespräch, d.h. der Austausch untereinander, so lange fortgesetzt werden, wie die Teilnehmenden es wünschen.

Eine dritte Übung, die man zunächst alleine durchführt und dann vielleicht ein oder zwei Tage später mit seinem Partner/seiner Partnerin fortsetzt, ist ein weiterer fünfzehnminütiger Monolog, in dem jede Person erkundet, was ihr an dem betreffenden Gebot auffällt. Die Untersuchung, die ich dabei im Sinn habe, ist nicht intellektuell, sondern wiederum in Form wahren und vollständigen Hinhörens auf das, was da ist, eine völlige Offenheit, Nicht-Wissen und Zeugnisablegen der eigenen Erfahrung und des Sprechens des anderen. In all diesen Fällen kann der dritte Grundsatz, das liebevolle Handeln, als Mitgefühl uns selbst oder anderen gegenüber zum Ausdruck kommen.

In meiner Sangha, der No Traces Sangha, haben wir die Gebote auf diese Weise studiert, indem wir uns mit einem Partner/einer Partnerin zwei oder drei...

Erscheint lt. Verlag 1.7.2024
Vorwort Anna Gamma
Sprache deutsch
Original-Titel Open to Oneness - A Practical and Philosophical Guide to the Zen Precepts
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Östliche Philosophie
Geisteswissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie
Schlagworte 2024 • Buddha • Buddhismus • eBooks • Neuerscheinung • Philosophie
ISBN-10 3-641-37039-6 / 3641370396
ISBN-13 978-3-641-37039-8 / 9783641370398
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