Wieder ich selbst -  Birgit Abele

Wieder ich selbst (eBook)

Mein Weg aus dem Gefängnis spirituellen Missbrauchs

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
240 Seiten
Verlag Herder GmbH
978-3-451-84854-4 (ISBN)
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Nach dem Abitur tritt Birgit Abele, erfüllt von jugendlicher Begeisterung, in eine katholische Gemeinschaft ein und wähnt sich dabei zunächst wie im Himmel. Unter dem Einfluss eines »Seelenführers« lernt sie, den eigenen Willen auszuschalten und vermeintlichen christlichen Idealen zu folgen. Das führt sie zunehmend in ein inneres Gefängnis. Erst nach dem völligen Zusammenbruch wird ihr bewusst, dass mit der Spiritualität der Gemeinschaft etwas Grundlegendes nicht stimmt. Es beginnt ein langer Weg der Befreiung. Auf eindrückliche Weise schildert die Autorin die massive spirituelle Manipulation, der sie ausgesetzt war, und zeigt, wie es ihr Schritt für Schritt gelang, wieder zu sich selbst zu finden und ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen. Ihr Zeugnis ist eine Ermutigung für alle Betroffenen und ein nachdrücklicher Appell an alle in der geistlichen Begleitung Tätigen, sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein.

Birgit Abele, geb. 1972, ist Sozialpädagogin und Heilpraktikerin für Psychotherapie. Von 1992-2016 war sie Mitglied einer geistlichen Gemeinschaft, in der sie spirituellen missbraucht wurde. In ihrer eigenen Praxis begleitet sie heute Betroffene von geistlichem Missbrauch.

1
Wie ich meine Berufung fand


Frühe Kindheit

1972 wurde ich als Jüngste von drei Geschwistern in eine gutbürgerliche Mittelstandsfamilie aus dem süddeutschen ländlichen Raum hineingeboren. Der katholische Glaube wurde mir sozusagen in die Wiege gelegt: Die Taufe, später dann die Erstkommunion und Firmung waren genauso selbstverständlich wie der sonntägliche Kirchgang und das Tischgebet vor dem Mittagessen.

Die ersten drei Jahre meines Lebens verbrachte ich mit meiner Familie in einer winzigen Dachgeschosswohnung in der Stadt, mehr ließ das finanzielle Budget meiner Eltern damals nicht zu. Diese Zeit wurde von mehreren schweren Erkrankungen meiner Mutter überschattet. Lange Krankenhausaufenthalte und eine Operation führten dazu, dass meine zwei Brüder und ich immer wieder in Familien der Verwandtschaft aufgeteilt werden mussten, damit unsere Versorgung sichergestellt war. Familienhelferinnen gab es damals wohl noch nicht. Die Lage spitzte sich zu, als meine Mutter zum zweiten Mal Tuberkulose bekam und die Medikamente nicht vertrug. Die Ärzte zeigten sich ratlos. In ihrer großen Not wandte sich meine Mutter damals im Gebet an P. Josef Kentenich, den einige Jahre zuvor verstorbenen Gründer der Schönstattbewegung, den sie in ihrer Jugend kennengelernt hatte. Tatsächlich verschwanden auf seine Fürsprache hin alle Krankheitssymptome, und meine Mutter war gesund! Aus medizinischer Sicht gab es dafür keine Erklärung. Gleich darauf erhielten meine Eltern die Baugenehmigung für unser Eigenheim, das nun im Heimatdorf meiner Eltern entstehen sollte.

Als ich vier Jahre alt war, zogen wir in unser neu errichtetes Haus um, das in der letzten Häuserreihe am Rand des Dorfes entstanden war. Wir wohnten nun zusammen mit vielen anderen Familien, die ebenfalls kleine Kinder hatten, in einem Neubaugebiet. An Spielgefährten mangelte es uns nicht. Bald freundeten wir Geschwister uns mit den Nachbarkindern an und verbrachten viel Zeit draußen. Etwas älter, gründeten wir Kinderbanden, veranstalteten Schnitzeljagden oder spielten auf der Wiese hinter unserem Haus Fußball.

Zuhause führten wir ein ziemlich normales Familienleben mit allen Höhen und Tiefen. Der Glaube war ein ganz selbstverständlicher Teil unseres Lebens. Als Kind ging ich ab und zu donnerstagabends mit meiner Mutter in die Kirche. Unser Ortspfarrer, ein Schönstattpriester, hatte eine lebensgroße Statue der Gottesmutter von Fatima für unsere barocke Pfarrkirche besorgt. Diese stand an der rechten Seite am Übergang zum Altarraum und schaute mit ihrem milden und liebevollen Blick auf die Pfarrkinder herab. Dieser Blick beeindruckte mich, er strahlte etwas sehr Warmherziges aus. Ich kann mich an einen solchen Donnerstagabend erinnern, an dem ich nach der Abendmesse noch eine Kerze am Kerzenständer entzündete. Dabei überkam mich das Gefühl, in der Kirche zuhause zu sein. Ich fühlte mich so wohl, dass ich mir vorkam wie bei uns im Wohnzimmer. Am liebsten wäre ich dortgeblieben. Dieser Eindruck begleitete mich lange Zeit.

In den ersten zwei Jahren der Grundschule unterrichtete uns eine Schönstatt-Schwester in Religion. Diese konnte auf faszinierende Weise Geschichten aus der Bibel erzählen, sodass wir wie gebannt ihren Worten lauschten. Die Schwester war sehr lieb zu uns Kindern. Ihr Unterricht prägte sich tief in mein Herz ein.

Mit dem Beten hatte ich es allerdings nicht so. Den Rosenkranz fand ich langweilig, und wenn wir in der Fastenzeit oder im Advent manchmal im Rahmen einer Familienandacht zuhause ein Gesätzchen davon beteten, schien mir dieses endlos lange zu sein. Ich wartete ungeduldig, bis es endlich vorbei war. Eine persönliche Beziehung zu Gott hatte ich damals noch nicht.

Schon bald nahte die Erstkommunion. Unser schon etwas betagter Ortspfarrer übernahm jeweils den Religionsunterricht der dritten Grundschulklasse und bereitete uns auf dieses große Ereignis vor. Außerdem fanden einige Vorbereitungstreffen statt, welche Frauen aus dem Dorf gestalteten. Sie gaben uns Zettel mit einer Liste von guten Werken und den verbleibenden Tagen bis zum Fest. Für jedes durchgeführte gute Werk sollten wir einen Strich beim jeweiligen Tag machen. Da stand zum Beispiel: den Eltern gehorchen, Geschirr abtrocknen, ein Gebet sprechen usw. Weil ich mich bestmöglich auf die heilige Erstkommunion vorbereiten wollte, vollbrachte ich täglich mehrere gute Werke, sodass meine Strichliste am Ende ganz voll war. Als schließlich die Beichte vor dem großen Fest anstand, konnte ich beim Lesen des Beichtspiegels nichts finden, was ich nicht erfüllt oder Schlechtes getan hätte. Ich hatte mich wirklich sehr bemüht. Also wusste ich nicht, was ich beichten sollte. Meine Mutter versuchte mich zu überreden, trotzdem zur heiligen Beichte zu gehen, aber sie konnte mich nicht dazu bewegen, da ich nicht gewusst hätte, was ich dem Pfarrer sagen soll. So kam es, dass ich vor diesem großen Fest nicht beichtete. Heute denke ich, es hätte sich sicher etwas für den Beichtzettel finden lassen, denn heilig war ich ganz gewiss nicht. Aber als Kind verstand ich es eben nicht besser.

Auch außerhalb des Unterrichts lagen unserem Pfarrer die Kinder des Dorfes am Herzen. Er organisierte öfters Filmnachmittage für uns. Dann versammelten sich viele Kinder im großen Saal des Gemeindehauses, und ein Mann mit einer riesigen Filmrolle zeigte lustige und auch nachdenkliche Filme. Ich erinnere mich besonders an einen Film über Fatima, den wir ansahen. Erst wurde die Geschichte der Marienerscheinungen gezeigt mit dem Sonnenwunder, alles in Schwarz-Weiß. Das war sehr eindrücklich. Am Ende des Filmes ertönte ein dringlicher Appell des Filmsprechers, den Rosenkranz für die Bekehrung Russlands zu beten. Den ganzen Nachhauseweg dachte ich erschüttert über die Worte der Gottesmutter nach: „Betet den Rosenkranz, und Russland wird sich bekehren.“

In unserem Dorf bestand eine Schönstatt-Mädchengruppe, der ich ungefähr neunjährig beitrat. Diese wurde von zwei älteren Mädchen aus dem Dorf geleitet. Das Treffen im Keller des Pfarrgemeindehauses begann immer mit einem kurzen Gebet und der Schönstatt-Marienweihe „O meine Gebieterin, o meine Mutter …“, zu der wir uns vor einem Bild der Gottesmutter versammelten. Ich war allerdings froh, wenn das vorbei war, und freute mich auf den zweiten Teil, wenn wir miteinander bastelten oder Spiele machten. Das machte Spaß.

In der Freizeit ging ich meinen eigenen Interessen nach. Ich lernte Klavier, war im Sportverein, liebte das Spielen mit den Nachbarkindern und las für mein Leben gern Bücher. Ich glaube, irgendwann hatte ich fast alle Bücher der Schulbibliothek gelesen.

Leider kam es in der Grundschule oft vor, dass weniger begabte Schüler/innen von unseren Klassenlehrer/inn/en vor der ganzen Klasse bloßgestellt wurden. Das tat mir sehr weh, und ich litt förmlich mit ihnen mit. Vielleicht lagen mir gerade deshalb die schwächeren Schüler/innen sehr am Herzen. In meiner Freizeit erteilte ich gleich mehreren Klassenkamerad/ inn/en Nachhilfeunterricht, damit sie ihre Leistungen verbessern konnten.

Immer wieder sprach unsere Mutter, die einer SchönstattMüttergruppe angehörte, mit uns Kindern über den Glauben. Diese Gespräche waren interessant, und ich konnte viel davon für mich mitnehmen. Mich beeindruckte, wie geradlinig meine Eltern ihren Weg mit Gott gingen. Heute kann ich sagen, dass sie einen bodenständigen Glauben hatten, der ihnen half, die Schwierigkeiten des Lebens zu bewältigen.

Religiöse Rituale gehörten ganz selbstverständlich zu unserem Alltag. Bevor wir morgens aus dem Haus gingen, versammelte meine Mutter uns Kinder im Hausgang und machte uns mit Weihwasser ein Kreuzchen auf die Stirn. Es folgte noch ein kurzes Gebet zum Schutzengel, das allerdings manchmal ausfallen musste, wenn wir schon spät dran waren. Aber zumindest das Weihwasser war obligatorisch!

Abends, wenn wir uns schon im Bett befanden, kam meist meine Mutter noch zu uns und betete ein kurzes Abendgebet oder sang ein Lied, z. B. „Müde bin ich, geh zur Ruh“. Ganz besonders schätzte ich es, wenn sie sich Zeit nahm, um noch mit uns zu reden.

Am Palmsonntag war es in unserem Dorf Brauch, lange Holzstangen mit buntem Stanniolpapier und Buchszweigen zu schmücken und dann in der Dorfkirche aufzustellen. Dabei bestand ein heimlicher Wettbewerb, wer den längsten sogenannten „Palmen“ hatte. Eines Jahres setzten wir uns als Familie das Ziel, den längsten Palmen zu kreieren. Mein Vater besorgte eine sehr lange Holzstange. Diese legte er in unserem damals noch nicht ausgebauten Dachgeschoss der Länge nach auf Stützen, und schon Wochen vor dem Palmsonntag begannen wir mit dem Schmücken. Es war ein richtiges Familienprojekt. Endlich kam der große Tag. Stolz trugen wir alle zusammen unseren perfekt geschmückten Palmen in die Kirche. Doch als wir ihn aufstellen wollten, kam die böse Überraschung: Er stellte sich als zu hoch heraus und bog sich an der Kirchendecke um! Da half nichts, mein Vater musste die Säge holen und ihn kürzen. Am Ende war er allerdings einige Zentimeter kürzer als ein anderer Palmen, der ganz genau bis zur Kirchendecke reichte. So waren wir also mit unserem Übereifer etwas übers Ziel...

Erscheint lt. Verlag 10.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
ISBN-10 3-451-84854-6 / 3451848546
ISBN-13 978-3-451-84854-4 / 9783451848544
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