Mit Jesus am Puls der Zeit -  Peter Trummer

Mit Jesus am Puls der Zeit (eBook)

Ermutigung zum Christsein
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
200 Seiten
Verlag Herder GmbH
978-3-451-83790-6 (ISBN)
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Die Kirchenkrise ist nicht nur besorgniserregend, sie bietet auch die Chance einer Neubesinnung auf das Christliche, grundlegend Jesuanische. Denn am Prüfstand steht die Deutung des Kreuzes als Sühneopfer, welche den Glauben Jesu verdunkelt, während seine Symposien und Gastmähler mit den Outsidern die bedingungslose, opferfreie Liebe Gottes für alle bezeugen. Deswegen wird in der frühen Kirche das 'Brotbrechen' (und nicht das Abendmahl) zur sich selbst erklärenden, authentisch-jesuanischen Geste, an der sein Geist und seine Gegenwart erkannt werden (Lk 24,35). Die dazu ermutigenden 16 Essays führen 'Den Herzschlag Jesu erspüren. Seinen Glauben leben' (Freiburg 2021) weiter; sind ursprünglich im Zeitungsformat konzipiert, können aber auch als Buch kreuz und quer gelesen werden. So ernst die Sache ist: Der Ton macht die Musik, auch im Glauben. Ihn wollte der Autor möglichst wortgetreu am biblischen Original liebevoll und freimütig zur Sprache bringen .

 geb. 1941, lehrte Neues Testament an der Universität Graz. Seine grenzüberschreitende Theologie möchte die Gestalt und Botschaft Jesu den Menschen von heute heilsam nahebringen.

1 Éffata – öffne dich! Ein jesuanisches Lebensprogramm


Es ist eines der seltenen aramäischen Worte im Neuen Testament (Mk 7,34): Da wird ein Tauber und mühsam Redender zur Handauflegung zu Jesus gebracht, doch dieser separiert ihn von der Menge, sucht einen intimen Ort, „‚warf‘ ihm seine Finger in die Ohren, und berührte spuckend seine Zunge, schaute zum Himmel auf, seufzte und sagt ihm: Éffata“. Die archaische Szene spielt an der Ostseite des Sees Gennesaret, wo kaum aramäisch gesprochen oder verstanden wird, und dasselbe gilt für die Adressatinnen und Adressaten des Evangeliums. Also fügt es die griechische Erklärung des fremden Wortes an und deutet es als: „öffne dich“, eigentlich genauer: öffne dich durch und durch bzw. lass dich öffnen, und zwar nach oben hin (di-an-oíchthēti). Es geht nicht nur um ein aktives Tun, sondern um ein Geschehen, das die gesamte Kommunikation betrifft: Nicht nur „seine Ohren (eigentlich: „Hörfähigkeiten“) öffneten sich ganz, auch die Fessel seiner Zunge wurde gelöst und er redete richtig“ (Mk 7,35).

Der Mund (hebräisch: peh) ist in der Bibel die (Körper-)Öffnung schlechthin: Aus ihm ertönt die Sprache, und soll eine Rede bedeutungsvoll sein, beginnt sie feierlich: „er öffnete seinen Mund, lehrte sie und sprach“ (Mt 5,2). Diese offene Rede (griechisch: parrhēsía, die eigentlich „jedes Wort“ meint) ist Kennzeichen der jesuanischen Verkündigung, nicht nur der Bergpredigt. Sie ist wirkmächtig, weil authentisch („aus dem Sein heraus“: ex-ousía), bedarf nicht unbedingt einer Schriftgelehrsamkeit oder besonderen „göttlichen“ Vollmacht (wie die Einheitsübersetzung bis zur Revision 2016 zu Mt 7,29 meinte), und sie macht frei.

Diese Sprache kennt keine Tabus: „Alles, was durch den Mund eingeht und im Leib Raum findet, wird in den Abort ‚hinausgeworfen‘“ (Mt 15,17). Dass alles funktioniert, ist nicht selbstverständlich. Deswegen dankt das jüdische Morgengebet für die vielen Öffnungen und Körperhöhlungen und bedenkt, „wenn eine von ihnen offen oder eine von ihnen verschlossen bliebe“, wäre es mit dem Leben vorbei: „Gelobt seist du, Ewiger, der alles Fleisch heilt und wunderbar wirkt“.

Unmittelbar über dem Mund sitzen die Nasenlöcher und eröffnen einen ganzen Kosmos an Düften und Gefühlen. Es macht viel aus, ob wir jemand „riechen“ können oder nicht. Woraus auch der Glaube entstand, dass man den vermeintlichen Zorn der Götter, der in ihren Nasen sitzt, durch Rauch- und Brandopfer besänftigen könne. Es war ein falscher Riecher: Gott hat keine Opfer nötig. Wir müssen nicht seine Nase kitzeln, um ihn aufzuheitern oder bei Laune zu halten.

Keine typische Heilungsgeschichte, sondern eher spätere Legendenbildung ist die Schwertattacke bei der Verhaftung Jesu, wonach Petrus (Joh 18,10f) bzw. ein unbekannter Jünger (Lk 22,50f) einem Knecht des Hohepriesters (bei Johannes heißt er Malchus, eigentlich „König“) das rechte Ohr abschlägt. Was Jesus entschieden zurückweist und das Ohr nach Lukas durch eine Berührung heilt. Für Johannes, der dem treulosen Petrus nachträglich wohl noch etwas Tapferkeit bescheinigen möchte, ist dies kein erzählenswertes „Zeichen“ Jesu (wovon er sieben auswählt). Heilungswunder gehen anders, besonders bei Johannes. Sein Jesus schlägt sich auch nicht mit Dämonen herum.

Das eingangs erwähnte Éffata begleitet die Heilgeste der ins Ohr gelegten Finger und weist so dem Hören eine neue Richtung. Ansonsten gleichen die synoptischen Heilungen von Tauben eher Dämonenaustreibungen (Mt 9,32f; 12,22; Mk 9,25f; Lk 11,14), ein Hinweis, dass es sich mehr um Geisteshaltungen als um körperliche Behinderungen handelt. Häufig findet sich die Mahnung: „Wer Ohren hat, höre“ (Mt 11,15 u. a.) bzw. bringt ein Prophetenzitat Jesu Frustration zum Ausdruck, dass er nicht verstanden wird, weil das Herz der Hörerinnen und Hörer wohlgenährt/undurchlässig ist und folgedessen schwer hört (Jes 6,9f/Mt 13,14f).

Die Augen stehen nicht nur im Körper, sondern auch im Wirken Jesu ganz zuoberst. Das Sehen ist unser am weitesten reichender Sinn, aber auch seine Fehleinschätzungen sind äußerst weitläufig und nachhaltig, denn sie gehen in beide Richtungen: Im Hebräischen bedeutet das Auge auch die Quelle (’áyin, neuhebräisch en), ist also nicht bloß Rezeptor des Außen, sondern Projektor der Innenwelt, während wir eher an der Objektivität dessen festhalten wollen, was wir „mit eigenen Augen“ gesehen haben.

Womit wir uns dem zentralen Motiv des „Augen-Öffnens“ nähern. Doch in der Bibel ist „blind“ nicht gleich blind, sondern meint Menschen ohne wirkliche Erkenntnis und Einsicht. Schon der Prophet Jesaja nennt das Volk blind, spricht von „Augen, die wie blind sind, und von Tauben, die Ohren haben“ (Jes 43,8 griechisch) oder: „Unwissend sind sie und ohne Verstand; / denn ihre Augen sind verklebt, / sie sehen nichts / und ihr Herz hat keine Einsicht“ (Jes 44,18 EÜ 2016). Auch Jesus bezieht sich auf solch geistige Blindheit (Jes 6,10; Jer 5,21; Mt 13,14f; Mk 8,18; Joh 9,41). Außerdem würde ein Semite organisch Blinde nie als solche ansprechen, sondern eher blumig als besonders scharf- oder einsichtig umschreiben. Mit gutem Grund. Denn Menschen, die durch die Augenlust oder den Augenschein nicht mehr verführbar sind, müssen sich tiefere Erkenntnisquellen erschließen. Zudem ist Blindheit im Neuen Testament kein gelegentliches Einzelschicksal, sondern eher ein kollektives, gesellschaftliches Phänomen. Der Blindgeborene (Joh 9) ist kein „Mann“ (EÜ), sondern der Mensch (ánthrōpos) schlechthin (richtig: Luther): Alle, die auf (in) die Welt kommen, sind mehr oder weniger blind, bis sie dem „Licht der Welt“ begegnen, das sie erleuchtet (Joh 1,9; 8,12).

Diese Erleuchtung wird mit ‚aufschauen‘ (ana-blépō) oder als ‚auföffnen‘ (an-oígō) beschrieben. Ersteres hatte die Einheitsübersetzung zuerst als „wieder sehend werden“ interpretiert, nicht nur innerhalb der Synopse (Mt 20,34; Mk 10,53), sondern versehentlich auch beim Blindgeborenen (Joh 9,11). Die Revision von 2016 hat das „wieder“ überall getilgt, vernachlässigt aber (außer in Mk 8,24) die Vorsilbe aná, welche die Übersetzung „aufschauen“ nahelegt. Es ist mehr als nur „sehend werden“, denn es geht um den Blick nach oben, den auch Jesus selbst teilt (Mk 6,41; 7,34). Also reicht das klassische Verb ‚öffnen‘ (oígō) nicht mehr aus, sondern wird zum „Auf-öffnen“ (an-oígō). Erst dieser Blick nach oben führt zu einem aufrichtenden Gottesbild, macht jenes Auf(er)-stehen möglich, das zum Aufstand wird, der selbst gegen den Tod angeht.

Das meint auch das zweite aramäisch überlieferte Heilungswort Jesu: Talíta kum (Mk 5,41), welches griechisch als: „Mädchen wach auf/richte dich auf“ (égeire) gedeutet wird. Es wird keiner Toten in unserem Sinn gesagt, sondern der 12-jährigen Jaΐrustochter, die (angesichts der religiösen Autorität ihres Vaters?) nicht auf die eigenen Füße kommt, handelt also von Tod und Stillstand mitten im Leben, und nicht von seinem definitiven Ende.

Das Neue Testament beschränkt sich nicht auf die Blindenheilungen von Betsaída (Mk 8,22), Bartimäus (Mk 10,46; bei Mt 9,27; 20,30 jeweils verdoppelt) bzw. den Blindgeborenen (Joh 9), es bietet auch eine reflektierte Erkenntnislehre an. Dabei spricht die Bergpredigt vom „einfachen“ (haploús) bzw. vom „bösen“ (ponērós) Auge (Mt 6,22f). Die Einheitsübersetzung hat daraus unverständlicherweise ein „gesundes“ bzw. „krankes“ Auge gemacht (richtig Luther). Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg spricht dagegen (Mt 20,15): Es ist der von den Orientalen gefürchtete „böse (neidische) Blick“, der nicht nur den ganzen Leib, sondern die Weltsicht verfinstert (mit evidenten Folgen auch für die eigene Gesundheit).

Das einfache Auge ist das Gegenteil des bösen und meint so etwas wie ‚schlicht, geradlinig‘, eine Sichtweise ohne Hintergedanken. Bezeichnenderweise spricht die Bergpredigt vom Auge immer in der Einzahl, wohl darum, weil wir die unterschiedlichen Bilder, welche unsere beiden Augen liefern, zu einem dreidimensionalen Bild zusammenfügen müssen. Auch müssen wir uns von den oft verwirrenden Vorurteilen und Eindrücken immer wieder lösen, um entscheidungs- und handlungsfähig zu werden, was die Hermeneutik die „zweite Naivität“ (erstmals Peter Wust 1925 bzw. Paul Ricoeur [† 2005]) nennt.

Lange vor jeder Tiefenpsychologie hat Jesus die Projektion mit dem Paradox von „Splitter und Balken“ (Mt 7,1–5) auf den Punkt gebracht. Dabei werden die eigenen...

Erscheint lt. Verlag 10.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
ISBN-10 3-451-83790-0 / 3451837900
ISBN-13 978-3-451-83790-6 / 9783451837906
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