Am Ende das Nichts? -  Gerhard Lohfink

Am Ende das Nichts? (eBook)

Über Auferstehung und Ewiges Leben
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
328 Seiten
Verlag Herder GmbH
978-3-451-84104-0 (ISBN)
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Gerhard Lohfink stellt sich in diesem Buch dem Thema Tod und Auferstehung. Er argumentiert vor dem Hintergrund heutiger Vorstellungen und Erwartungen. Seine Antworten kommen aus der Heiligen Schrift, der christlichen Tradition und der Vernunft. Mit seiner charakteristischen Sprache - weder frömmelnd noch anbiedernd - lässt er die Kraft christlicher Auferstehung aufscheinen. Er zeigt: Es geht nicht um Ereignisse, die in ferner Zukunft liegen, sondern die uns unfasslich nahe sind. Sie haben längst begonnen und erreichen uns voll im eigenen Tod.

Gerhard Lohfink (1934-2024), bis 1986 Professor für Neues Testament an der Universität Tübingen. Veröffentlichte zahlreiche Bücher, die meisten davon bei Herder (zuletzt: Warum ich an Gott glaube, 2024); viele Übersetzungen in andere Sprachen.

1. Die Frage aller Fragen

Was kommt nach dem Tod? Als unsere tierischen Vorfahren über riesige Zeiträume hinweg langsam zu Menschen wurden, konnten sie möglicherweise zwischen dem Lebendigsein der Lebenden und dem Totsein der Toten noch gar nicht unterscheiden. Es gibt Hinweise dafür, dass im Frühstadium der Menschheit noch keine Einsicht in die Endgültigkeit des Todes vorhanden war2. Aber irgendwann geriet diese Endgültigkeit dann unerbittlich in den Blick. Und damit war die Frage in der Welt, was denn mit dem Menschen nach seinem Tod geschehe. Wie elementar sie war, zeigt sich in einer verwirrenden Vielfalt von Ritualen für die Verstorbenen. Die ältesten Gräber, die wir kennen, stammen aus dem Paläolithikum, der Altsteinzeit. Die Knochenfunde in diesen Gräbern verraten: Die Toten waren sorgfältig beigesetzt worden. Zum Teil lagen sie in Schlafstellung. Zum Teil hockten sie aber auch in Embryonalhaltungen. Rechnete man damit, dass sie neu geboren würden? Oft waren sie ausgerüstet wie für eine lange Reise: Waffen waren ihnen beigegeben worden, Steinwerkzeuge, Fleischstücke als Wegzehrung.

Ebenfalls sehr alt war der Brauch, die Bestatteten mit rotem Ocker zu bestäuben. Offenbar galt rot getönter Ocker als ritueller Blutersatz und damit als wirkmächtiges Symbol dafür, dass der Tote weiterlebte3. Die Behandlung mit rötlichen Erdfarben war dann später erstaunlich weit verbreitet: Entsprechende Gräber wurden in Europa, in Afrika und in Amerika gefunden. Oft wurden die Toten auch so gelagert, dass sie nach Osten blickten, der aufgehenden Sonne entgegen. Oder die Toten wurden mumifiziert, um den Körper zu erhalten und ihm so ein Fortleben im Jenseits zu sichern.

Sehr früh muss man begonnen haben, Mähler an den Gräbern der Verstorbenen zu feiern – mit Sicherheit nicht nur zum Trost für die Hinterbliebenen. Es ging vielmehr darum, sich der unverbrüchlichen Gemeinschaft mit den Verstorbenen zu versichern. Ein festliches Mahl war ja ein Miteinander, schuf bleibende Verbundenheit, schenkte Leben.

Der Bereich der Jenseitssicherung reichte aber noch viel weiter: In vielen Kulturen gab es kultische Opfer für die Toten. Oft wurden die Verstorbenen durch Trankopfer mit reinem Wasser versorgt. Auf diese Weise sollten sie vor dem schlechten Wasser der Unterwelt bewahrt werden. Weit verbreitet waren auch Zaubersprüche. Sie hatten den Sinn, den Verstorbenen bei ihrer gefährlichen Reise in das Land jenseits des Todes den Weg zu bahnen. Im altägyptischen „Totenbuch“, einer Art Reiseführer ins Jenseits, bekommt der noch Lebende Formeln an die Hand, mit denen er nach seinem Tod das Gericht bestehen kann4. Er wird mithilfe dieser Formeln den 42 Totenrichtern sagen, welche Freveltaten er nicht begangen hat5. Er wird dann – neben vielen anderen Unschuldserklärungen – die folgenden Formeln sprechen:

Ich habe nicht Gott gelästert.

Ich habe mich nicht an einem Armen vergriffen.

Ich habe [andere] nicht [durch Zauber] krank gemacht.

Ich habe [andere] nicht zum Weinen gebracht.

Ich habe nicht gemordet.

Ich habe nicht zu morden befohlen.

Ich habe niemandem Leid zugefügt.

Ich habe den Toten keine Opferbrote geraubt.

Ich habe keinen Ehebruch begangen.

Das Ganze ist zunächst einmal magisches Geschehen. Kann der Tote diese und andere Unschuldserklärungen korrekt aussprechen, werden ihn die Gerichtsgötter passieren lassen, und er gelangt in die Gefilde ewigen Lebens. Aber es liegt auf der Hand, dass der Glaube an solche Prüfungen im Jenseits auch schon das Leben im Diesseits verändert. Der noch Lebende, der die Formeln lernt und verinnerlicht, weiß genau: Anlügen kann er die göttlichen Richter nach seinem Tod keinesfalls.

Doch nicht nur in solcher Art Todesbewältigung haben sich die Völker mit dem Sterben auseinandergesetzt. Sie taten es auch in der Anstrengung philosophischen Denkens. Der griechische Philosoph Platon (428/27–348/47) erzählt in einer seiner tiefgründigsten Schriften, nämlich in dem Dialog „Phaidon“, von Gesprächen, die Sokrates mit seinen Freunden am Tag seiner Hinrichtung führt. Es geht dabei um das Fortleben der Seele.

Das Leben des gerechten, des weisen, des philosophischen Menschen, sagt Platon durch den Mund des Sokrates, ist ein allmähliches Sterben. Denn der wahrhaft Weise strebt zeitlebens nach Einsicht und Besonnenheit. Er sucht das wahre Sein, die wahre Wirklichkeit. Deshalb ordnet er sein Leben ganz auf die Seele hin. Er verschließt sich den ständigen Wünschen des Leibes und bringt sein Innerstes auf diese Weise schon mitten im Leben auf Distanz zum Leib. Reine Erkenntnis könne es nämlich nicht geben, solange die Seele unter der drückenden Last des Leibes stöhne. Reine Erkenntnis setze die Loslösung vom Leib voraus.

Endgültig geschehe das schon im Leben geübte Absterben dann im Tod. Im Tod trenne sich die Seele vom Leib. Im Tod sterbe das Sterbliche im Menschen. Das Unsterbliche aber entziehe sich dem Tod heil und unzerstört. Im Tod, sagt Platon, geht die Seele des Weisen und Gerechten ein in den Bereich des immer Seienden, des Ewigen, des Unzerstörbaren und Unveränderlichen. Und dann erhält sie, geschieden von der Unvernunft und den Fesseln des Leibes, zusammen mit den Vielen, die gleich ihr die wahre Erkenntnis gesucht haben, Anteil am ewigen Sein: an der vollkommenen Welt der Wahrheit und des Schönen.

Das Großartige am „Phaidon“ ist, dass dies alles nicht einfach als unbestreitbare Wahrheit dekretiert wird. Wie in den meisten Dialogen Platons ringt Sokrates mit seinen Freunden in immer neuen Schritten um Erkenntnis. Am Ende des langen Tages – kurz vor seinem Tod durch den Giftbecher – sagt Sokrates6:

Nun freilich starren Sinnes zu behaupten, dass alles, was ich gesprochen habe, auch unbedingte Wahrheit sei, schickt sich nicht für einen, der zu denken pflegt. Doch dass es um das Schicksal unserer Seelen und ihr Wohnen [in der göttlichen Welt der Wahrheit] so oder so ähnlich steht – das darf man, da die Seele ja unsterblich ist, mit Festigkeit vertreten, und es ist wert, dass man den Glauben daran wage. Es ist ein wunderbares Wagnis.

Sokrates geht dann gelassen, fast heiter in den Tod, zu dem ihn die athenischen Richter verurteilt haben. Er trinkt vor den Augen seiner Freunde den Schierlingsbecher. So jedenfalls schildert es Platon. Sein „Phaidon“ hat in der Geschichte des Abendlandes eine außerordentliche Wirkungsgeschichte gehabt. Immer wieder wurden seine Gedanken abgelehnt oder aufgegriffen, belächelt oder bewundert.

Die Frage, was nach dem Tod kommt, ist bis heute nicht verstummt. Man braucht sich nur die Todesanzeigen einer beliebigen Zeitung etwas genauer anzusehen. Da wimmelt es von christlichen und nichtchristlichen, philosophischen und schöngeistigen Bekenntnissen zum Sinn des Todes. Die Frage, was nach dem Tod kommt, durchweht jede Gesellschaft, auch die aufgeklärteste. Sie bricht ständig neu auf, selbst wenn sie verdrängt wird und zur Verschleierung der Realität des Todes eigene Verdrängungsrituale erfunden werden. Die Frage ist unausrottbar.

Aber ist es eine sinnvolle Frage? Kann es auf derartiges Fragen überhaupt eine Antwort geben? Ist Platon hier nicht viel zu selbstgewiss? Sind wir in diesem Fall nicht eher in der Situation jenes jüdischen Witzes, bei dem zwei Juden beieinander sitzen, von denen der eine seit seiner Geburt blind ist?

„Willst du ein Glas Milch?“ fragt der, der sehen kann.

„Beschreib mir doch einmal die Milch!“ sagt der Blinde.

„Milch – das ist eine weiße Flüssigkeit.“

„Schön. Und was ist weiß?“

„Nu – weiß ist zum Beispiel ein Schwan.“

„Aha. Und was ist ein Schwan?“

„Ein Schwan? Das ist ein Vogel mit einem langen krummen Hals.“

„Gut. Aber was ist krumm?“

„Krumm? Ich werde jetzt meinen Arm biegen, und du wirst ihn betasten. Dann wirst du wissen, was krumm ist.“

Der Blinde betastet sorgfältig den aufwärts gebogenen Arm des anderen und sagt dann: „Wunderbar! Jetzt weiß ich endlich, was Milch ist.“

Der Witz ist absurd. Zugleich ist er so hintergründig wie viele jüdische Witze. Weshalb fragt der Blinde überhaupt? Warum trinkt er nicht einfach? Dann wüsste er doch schon ziemlich viel über Milch. Dann hätte er sie geschmeckt. Stattdessen diese zwar intelligenten und doch auch wieder leicht irren Versuche, Milch zu erklären!

Aber machen wir es nicht ähnlich? Wir wollen das menschliche Leben erklären, wollen wissen, was es eigentlich ist, gehen dabei über das Leben selbst hinaus, reden über ein Leben nach dem Leben, glauben, wir müssten das Leben durch ein Jenseits erklären, und machen dabei die verrücktesten Umwege – statt einfach zu leben. Warum trinken wir nicht einfach die Milch unseres Lebens?

Wäre es nicht besser, alle Kräfte auf...

Erscheint lt. Verlag 10.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
ISBN-10 3-451-84104-5 / 3451841045
ISBN-13 978-3-451-84104-0 / 9783451841040
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