Forensisches Therapieprogramm für angemessenes Sexualverhalten -  Leonardo Vertone,  Marcel Aebi,  Daniela Imbach,  Thomas Best,  Cornelia Bessler

Forensisches Therapieprogramm für angemessenes Sexualverhalten (eBook)

Das ThePaS-Manual
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
173 Seiten
Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG
978-3-8444-3141-4 (ISBN)
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Das Therapieprogramm für angemessenes Sexualverhalten (ThePaS) richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene, die grenzverletzendes Sexualverhalten gezeigt haben. Das primäre Ziel ist es, eine Verhaltensänderung bei den Teilnehmenden zu erreichen und so weiteren Delikten vorzubeugen. Das wissenschaftlich evaluierte Programm kombiniert kompetenz- und ressourcenorientierte Inhalte mit einem deliktfokussierten Vorgehen. Durch den modularen Aufbau ist es möglich, die Inhalte auf die jeweiligen Bedürfnisse der Jugendlichen abzustimmen. Kernstück des Programms bilden die 12 deliktfokussierten Pflichtmodule, die eine vertiefte Auseinandersetzung mit den verübten Grenzverletzungen ermöglichen. Je nach Bedarf können flexible Module hinzugezogen werden, die auf Wissenserwerb (Sexualaufklärung, Recht und Gesetze) oder auf das Erlernen sozialer und emotionaler Fertigkeiten (z.B. Umgang mit Gefühlen, mit schwierigen Situationen sowie Konflikten, Beziehungsaufbau) fokussieren. Das therapeutische Vorgehen orientiert sich dabei an kognitiv-verhaltenstherapeutischen Prinzipien und wird ausführlich für jedes Modul beschrieben. Zahlreiche Arbeitsmaterialien unterstützen die Durchführung und können nach erfolgter Registrierung von der Hogrefe Website heruntergeladen werden. Das Programm eignet sich für das Gruppensetting ebenso wie für das Einzelsetting und lässt sich sowohl im ambulanten als auch im stationären Rahmen durchführen. Das ThePaS schließt somit eine Versorgungslücke im deliktpräventiven Umgang mit jungen Personen mit grenzverletzendem Sexualverhalten.

|19|Kapitel 1
Sexuell grenzverletzendes Verhalten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen1


1.1  Sexuelle Entwicklung bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen


1.1.1  Sexualität als Entwicklungsprozess über die Lebensspanne

Die sexuelle Entwicklung eines Menschen beginnt bereits während der Schwangerschaft und dauert an bis zum Tod. Die Sexualität selbst wandelt sich in ihren Ausdrucks- und Erscheinungsformen aber über die Lebensspanne hinweg. Bereits Säuglinge explorieren ihre Sinneswahrnehmungen, Kleinkinder haben Interesse an ihrem eigenen Körper und schon vor dem Schulalter untersuchen Kinder den Körper ihrer Spielkameraden. Forschungsergebnisse zeigen auf, dass 40 bis 85 % der Kinder vor dem 13. Lebensjahr sexuelles Verhalten zeigen oder in sexuelle Spiele mit anderen Kindern involviert sind (DeGraaf, Mouthaan & van der Doef, 2014; Fortenberry, 2013). Die sexuellen Spiele und Erfahrungen werden meist positiv erinnert, insbesondere, wenn diese ausgeglichen und im gegenseitigen Einverständnis geschahen.

Die Adoleszenz ist allerdings eine spezifische Lebensphase, die durch eine neue, intensiv aufkeimende Sexualität geprägt wird. Neben den anatomischen, hormonellen und physiologischen Veränderungen rücken die Bewusstwerdung sexueller Erregung und die Entwicklung und Ausgestaltung von sexuellen Wünschen in den Vordergrund. Die meisten Jugendlichen experimentieren mit ihren für sie neuen sexuellen Gefühlen und Empfindungen. Sie sammeln zuerst Erfahrungen mit ihrem eigenen sich wandelnden Körper, bis sie es dann wagen, sich einem Partner zuzuwenden und intime Beziehungen auszuprobieren. Dabei testen sie Neuland und emotionale sowie körperliche Grenzen aus und erleben sich im Beziehungsaufbau und in der intimen Interaktion mit einem Gegenüber selbst wieder neu.

1.1.2  Befunde zum sexuellen Verhalten im Jugendalter

Im Rahmen einer umfassenden Umfrage in der Schweiz, an welcher sich 29350 Teilnehmende mit einer Alterspanne von 18 bis 54 Jahren beteiligten, wurde festgestellt, dass das angegebene Durchschnittsalter beim ersten Geschlechtsverkehr bei Frauen bei 17 Jahren und bei Männern bei 18 Jahren liegt (Hermann, Nowak, Bosshardt & Milic, 2016). 62 % der weiblichen und 48 % der männlichen Teilnehmenden gaben an, dass sie ihren ersten Geschlechtsverkehr vor dem 18. Lebensjahr und 23 % der weiblichen und 19 % der männlichen vor dem 16. Lebensjahr hatten. Fast alle Befragten gaben an, ihren ersten Geschlechtsverkehr vor dem 25. Lebensjahr gehabt zu haben.

In einer repräsentativen Studie aus Deutschland (Bode & Hessling, 2015) wurde festgestellt, dass ca. 95 % der Teilnehmenden mit 18 Jahren in irgendeiner Form sexuell aktiv waren. Dabei wurde Küssen |20|als erstaufgenommene sexuelle Aktivität benannt (ca. 75 % der 14- bis 17-Jährigen und über 95 % der 18- bis 25-Jährigen berichteten über Erfahrungen mit Küssen). Auch Petting wurde als frühe Form sexuellen Verhaltens benannt (40 bis 50 % der 14- bis 17-Jährigen und 70 bis 90 % der 18- bis 25-jährigen Teilnehmenden berichteten über solche Aktivitäten). 7 bis 12 % der teilnehmenden Mädchen und 4 bis 6 % der teilnehmenden Jungen berichteten zudem, während des letzten Jahres Kontakte mit gleichgeschlechtlichen Partner:innen gepflegt zu haben. Insgesamt bezeichneten sich 34 % der weiblichen Jugendlichen und 28 % der männlichen Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren als derzeitig sexuell aktiv.

Eine repräsentative Studie aus den USA analysierte Selbstangaben von über 15.000 Schüler:innen der 9. bis 12. Klasse (Kann et al., 2016). Insgesamt berichteten 41 % der Teilnehmenden (39 % der Mädchen und 43 % der Jungen) über sexuelle Aktivitäten (definiert als mindestens einmaliger Geschlechtsverkehr in den letzten drei Monaten). Im Vergleich zu den Vorjahren fiel aber eine Abnahme der Raten auf. 2013 gaben 47 % der Schüler:innen der 9. bis 12. Klasse sexuelle Aktivitäten an, 1991 waren es noch 54 %. Auch die Rate der 13-Jährigen, die bereits einmal Geschlechtsverkehr hatten, hatte abgenommen. 1991 waren dies 10 %, 2013 6 % und 2015 noch 4 %. Auch die Rate der Jugendlichen mit derzeitiger sexueller Aktivität scheint geringer geworden zu sein. 1991 berichteten noch 38 %, 2013 noch 34 % und 2015 noch 30 % darüber, aktuell sexuell aktiv zu sein.

Im Kontrast zur festgestellten Abnahme der konkreten physischen sexuellen Aktivitäten Jugendlicher weisen neuere Studien hingegen auf ein sexuelles Verhalten Adoleszenter im Internet hin, was das Herstellen, das Konsumieren und den Austausch von explizit sexuellen Bildern und/oder Videos sowie auch die sexuell motivierte Unterhaltung betrifft (Ashurst & McAlinden, 2015; Mohler-Kuo et al., 2014; Wolak & Finkelhor, 2011). In der JAMES-Studie (Bernath et al., 2020), einer regelmäßigen und repräsentativen Befragung von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz zu Aktivitäten und Mediennutzung, ergab sich, dass ca. 10 % der 12- bis 13-jährigen Kinder angaben, pornografische Inhalte angeschaut zu haben, während bei den 18- bis 19-Jährigen ca. die Hälfte Erfahrungen mit pornografischen Inhalten hatte. Jungen hatten häufiger Pornofilme auf dem Handy oder Computer angeschaut als Mädchen (57 % vs. 27 %). Demgegenüber erhielten Mädchen häufiger erotische oder aufreizende Fotos bzw. Videos von anderen als Jungen (44 % vs. 28 %) und Mädchen hatten solche Fotos bzw. Videos auch häufiger von sich selbst erstellt im Vergleich zu Jungen (14 % vs. 7 %). Dass sich Kinder und Jugendliche durch das Erstellen und Verschicken von sexuell expliziten Inhalten strafbar machen können, scheint dabei den meisten von ihnen nicht bewusst zu sein (Aebi, Plattner, Ernest, Kaszynski & Bessler, 2014; Boonmann, Grudzinskas Jr. & Aebi, 2014). Hill (2011) weist zudem darauf hin, dass der Pornografiekonsum im Jugendalter ungünstige Auswirkungen hat und das Auftreten von sexuell auffälligem und übergriffigem Verhalten begünstigen kann. Die Ergebnisse seiner Längsschnittstudie implizieren, dass durch den Konsum von Pornografie die individuellen sexuellen Skripte und Verhaltensweisen beeinflusst werden und dass dies Sensation-Seeking, sexuelle Permissivität und sexuelle Aggressionsbereitschaft erhöht.

1.2  Sexuelle Übergriffe im Jugendalter


1.2.1  Jugendalter als Risikophase

Es ist eine der prominenten Entwicklungsaufgaben der heranwachsenden Jugendlichen, dass sie sich mit ihren neu auftauchenden sexuellen Empfindungen und Impulsen auseinandersetzen, mit ihnen umgehen lernen und diese in ihre Persönlichkeit integrieren müssen. Sie müssen in dieser Phase ein neues Verhältnis zu ihrem Körper, ihren Gefühlen und ihren neu auftauchenden Gedanken finden. Sie erleben ihr soziales Umfeld in einer neuen Art und Weise und lösen auch andere Reaktionen aus. Die Jugendlichen befinden sich in dieser Lebensphase in einem tiefgreifenden biopsychosozialen Umbruch. Die heranwachsenden jungen Menschen müssen vor dem Hintergrund dieses Entwicklungsprozesses den Kompromiss zwischen dem, was sie sich wünschen, dem, was ein Gegenüber sich wünscht, und dem, was zugelassen ist, neu definieren. Die dafür nötige Selbstsicherheit und das nötige Selbstvertrauen fehlen aber vielen jungen Menschen. Die Jugendlichen verfügen noch über kein gefestigtes sexuelles Selbstkonzept. Die Integration der neu aufgetauchten sexuellen Wünsche in sozial adäquate Umgangsformen und in die Rahmenstrukturen, welches Verhalten als legal gilt und welches unter Strafe steht, können gerade für selbstunsichere Jugendliche mit Defiziten in ihren sexuellen und sozialen Kompetenzen eine Überforderung darstellen (Bessler, 2017). Schließlich orientieren sich Jugendliche in ihrem Verhalten stark an gleichaltrigen Peers. Sexuelle Übergriffe werden teilweise auch von mehre|21|ren Jugendlichen gemeinsam begangen und sind häufig auch durch eine ungünstige Gruppendynamik mitbedingt (Bijleveld & Hendriks, 2003; gegenseitiges Anstiften, Wunsch, von den anderen Jugendlichen bewundert zu werden). Die Adoleszenz stellt daher gesamthaft eine...

Erscheint lt. Verlag 22.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
ISBN-10 3-8444-3141-1 / 3844431411
ISBN-13 978-3-8444-3141-4 / 9783844431414
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