Johannes Duns Scotus

(Autor)

Buch | Softcover
135 Seiten
2006
Aschendorff (Verlag)
978-3-402-04632-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Johannes Duns Scotus - Mary B Ingham
9,80 inkl. MwSt
Johannes Duns Scotus (1265/66-1308) gehört zu den großen Philosophen und Theologen des lateinischen Mittelalters. Das Interesse der gegenwärtigen Philosophie an seinem Denken verdankt sich nicht zuletzt der Aktualität der von ihm behandelten Themen. Hierzu gehören u.a. die Fragen nach der sittlichen Selbstbestimmung und der menschlichen Freiheit. Aber auch seine modalmetaphysischen Ansätze zur Bestimmung des Verhältnisses von Möglichkeit und Notwendigkeit werden derzeit verstärkt rezipiert. Was die Beschäftigung mit diesem Denken nicht nur für den Anfänger indes erschwert, ist seine höchst komplexe nuancenreiche Argumentationsweise. Die vorliegende Einführung will kompetente Hilfestellungen zum Verstehen der scotischen Philosophie anbieten.

1. Historischer Kontext 1.1 Die Philosophie des späten 13. Jahrhunderts Johannes Duns Scotus lebte und lehrte im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts. Um seine philosophischen und theologischen Positionen verstehen zu können, muss man sich vor Augen halten, dass dieses Jahrhundert im lateinischen Westen Europas sowohl mit der Rezeption der aristotelischen Texte aus der griechischen und arabischen Kultur als auch mit der Entstehung und Entwicklung der Universität verbunden ist. Lateinische Gelehrte hatten während des 13. Jahrhunderts die Möglichkeit, zum ersten Mal bis dahin unbekannte oder kaum bekannte wissenschaftliche Werke ausgiebig zu studieren. Dieser neu gewonnene Textreichtum prägte die Disziplinen Philosophie und Theologie nachhaltig. Noch bis ins 12. Jahrhundert hatte die Philosophie nur den Stellenwert einer propädeutischen Disziplin, d.h. sie wurde als Vorbereitung für ein nachfolgendes Studium der Jurisprudenz, der Medizin oder der Theologie verstanden. Philosophie wurde in Gestalt der sieben freien Künste (septem artes liberales) studiert. Schon seit dem 6. Jahrhundert war das Organon des Aristoteles, d.h. seine logischen Schriften, fester Bestandteil der frühmittelalterlichen Kultur und prägte innerhalb der artes liberales das trivium, das Studium der Grammatik, Dialektik und Rhetorik.1 Das quadrivium, bestehend aus Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik, vervollständigte die Ausbildung in den artes, die jedem Spezialstudium vorangehen musste. All dies erfuhr jedoch eine drastische Veränderung, als im 13. Jahrhundert das vollständige Korpus der aristotelischen Schriften zugänglich wurde. Die Entwicklung der Universitäten, die zur gleichen Zeit in Europa stattfand, wurde durch die Aufnahme der philosophischen Schriften unterstützt, die der arabischen und der griechischen Tradition entstammten. Darunter befanden sich auch Werke arabischer Denker, die bis ins 10. Jahrhundert zurückreichten und sich mit der Philosophie des Aristoteles befassten. Sie wurden von Übersetzern der 1 Die logischen Schriften des Aristoteles wurden von Boethius übersetzt. Schule von Toledo ins Lateinische übertragen, ebenso wie Texte, die schon aus dem Griechischen ins Arabische übersetzt worden waren. Die aufeinanderfolgenden Übersetzungen derselben Texte von einer Sprache in eine andere führten zu unzähligen Interpretationsvarianten der Originale, die in vielen Fällen noch von anspruchsvollen Kommentierungen begleitet waren. Die Kommentierungen interpretierten jedoch oft die aristotelischen Positionen im Sinne Platons. Im Gegensatz dazu ermöglichte die griechische Tradition eine direkte Übersetzung aus der Originalsprache ins Lateinische. Die Übertragungen begannen Mitte des 13. Jahrhunderts und waren im letzten Viertel des Jahrhunderts abgeschlossen. Von diesem Zeitpunkt an verfügten die Gelehrten der artes-Fakultät (vergleichbar mit der heutigen philosophischen Fakultät) über ein eigenes, umfassendes Textkorpus und konnten auf der Grundlage der Übersetzungen Lehrveranstaltungen anbieten. Zu diesem Korpus gehörten u.a. folgende Schriften des Aristoteles: Physik, Metaphysik, Nikomachische Ethik, De anima und Politik.2 Da die gesamte Universitätsausbildung auf Textkommentierungen und Textanalysen basierte, ermöglichten die neu gewonnenen aristotelischen Übersetzungen den Gelehrten, philosophische Fragen unabhängig von jeder theologischen (oder biblischen) Perspektive zu behandeln. Den lateinischen Gelehrten lag jedoch weder ein Werk des Aristoteles als ganzes vor, d.h. als einzelner, vollständiger philosophischer Text, noch waren reine, unkommentierte Texte vorhanden. Wie bereits erwähnt, umfasste die Textüberlieferung nicht nur die aristotelischen Primärtexte, sondern auch deren Erläuterungen von so wichtigen arabischen Philosophen wie Ibn Sina (Avicenna) und Ibn Rushd (Averroes) und von neuplatonischen Kommentatoren wie z.B. Eustratius. Obwohl die lateinischen Gelehrten wussten, dass ihnen mit den Originaltexten auch Kommentare vorlagen, war ihnen überhaupt nicht klar, was zur ursprünglichen Absicht des Ari- 2 Zur Aristoteles-Rezeption vgl. B.G. Dod, Aristoteles latinus, in: A. Kenny, N. Kretzmann, J. Pinborg (Hg.), The Cambridge History of Later Medieval Philosophy, Cambridge, 1982, 45-79; zum Einfluss der aristotelischen Ethik vgl. G. Wieland, Ethica – Scientia practica. Die Anfänge der philosophischen Ethik im 13. Jahrhundert, Münster 1981. stoteles gehörte und was durch die Interpretation eines Kommentators verändert worden war.3 Außerdem gab es Texte, die fälschlicherweise Aristoteles zugeschrieben wurden. Der Liber de Causis ist das berühmteste Beispiel für einen einflussreichen, aber unechten Text, der maßgeblich das Aristoteles-Verständnis der Zeit prägte. Die Gelehrten nahmen die Übersetzungen der aristotelischen Texte, als sie aus Spanien kamen, begierig auf. Das Sichten, Verarbeiten und Verstehen der Implikationen dieser neuen wissenschaftlichen Deutung von Welt wirkte während des gesamten Jahrhunderts anregend. Als das akademische Bildungssystem von seinen monastischen Ursprüngen über kirchliche Schulen hin zu den Universitäten verlagert wurde, wurde das neue Ideengut in den großen Wissenschaftszentren, vor allem in Paris und Oxford, aufgrund der einflussreichen Verbindung zwischen Kirche und entstehenden Universitäten zum Stein des Anstoßes für die kirchlichen Autoritäten. Bereits 1231 stellte Papst Gregor IX. eine Kommission zusammen, welche die aristotelischen Texte von Irrtümern reinigen sollte. Während bis zur Mitte des Jahrhunderts Gelehrte wie Albert der Große den Zeigenossen die aristotelischen Texte vor allem zugänglich machen wollten, fanden sich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts Persönlichkeiten wie Bonaventura, Heinrich von Gent und Etienne Tempier, die im Lichte von Glaubenswahrheiten eine Reihe aristotelischer Positionen kritisierten und verurteilten. Um 1270 deutete man drei Lehren, die Aristoteles zugeschrieben wurden, in der Weise, dass sie traditionelle Positionen in Frage stellten und auf eine säkulare, rationalistische und naturalistische Wirklichkeitsdeutung abzielten. In ihnen wird die These von der Ewigkeit der Welt vertreten, ferner die Positionen eines Monopsychismus und eines astralen Determinismus. Der Monopsychismus (demzufolge es für die gesamte Menschheit nur einen Intellekt gibt) 3 Avicennas Metaphysik ist ein wichtiges Beispiel dafür, wie ein arabischer Denker das westliche Verständnis schwieriger aristotelischer Texte ermöglichte. Avicenna legte jedoch seiner Aristoteles-Interpretation eine an Platon orientierte Betrachtungsweise zugrunde und gab so dem aristotelischen Text einen neuen Rahmen. Vgl. E. Gilson, Avicenne et le point de départ de Duns Scot, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Age 2 (1927), 89-150. und der astrale Determinismus (wonach die Gestirne das Verhalten der Menschen bestimmen) deuten die menschliche Lebensführung in der Weise, dass sie der moralischen Verantwortung wenig bis gar keine Relevanz zusprechen. Die Theorie einer ewigen Welt hebt die Notwendigkeit eines schöpferischen Gottes auf und stellt damit die Gültigkeit der Heiligen Schrift in Frage. In seiner Vorlesungsreihe Collationes in Hexaëmeron (1273) kritisierte Bonaventura die aristotelische Philosophie als schwerwiegenden Irrtum. Er bevorzugte die dem christlichen Glauben näherstehende platonische Sicht mit ihrer Welt der Ideen, dem Schöpfungsmythos des Timaios und der These vom individuellen Wissen als Wiedererkennung. In der Tat hatte Augustins philosophischer Weg in den Confessiones gezeigt, dass das platonische Denken eine Vorform christlicher Glaubensüberzeugungen war. Die offenkundige Brisanz der neuen Texte hatte Aristoteles- Verbote zur Folge, die das akademische Leben an den Universitäten von Paris und Oxford, den renommiertesten in Europa, deutlich erschwerten. Da dies aber nur bedeutete, dass die Texte nicht öffentlich gelesen und unterrichtet werden durften, wurden sie privat studiert. Die Neigung zu Verboten, die sich schon 1215 bemerkbar gemacht hatte, erreichte einen ersten Höhepunkt 1270, dann nochmals 1277, als 219 Lehrsätze zusammengestellt wurden, die als häretisch galten. Im letzten Viertel des Jahrhunderts zeichneten aristotelisch inspirierte Positionen ein Portrait menschlicher Vortrefflichkeit, das diese an der Intellektualität orientierte.4 Folgt man diesen Positionen, so bedarf der Mensch zu seiner Vollendung nur der Meditation oder Betrachtung der ewigen, getrennten, d.h. immateriellen Wesenheiten. Diese Denkrichtung bot den Intellektuellen alle Vorteile einer Religion ohne Gott oder zumindest ohne die Notwendigkeit eines persönlichen Gottes. Zugleich wurde die Bibel oder jeder geoffenbarte Text überflüssig. Erlösung war durch philosophische 4 Vgl. A. de Libéra, Penser au Moyen Age, Paris 1991; L. Bianchi, E. Randi, Vérités Dissonantes. Aristote à la fin du Moyen Age, Fribourg 1993 und F. van Steenberghen, La philosophie à la veille de l’entrée en scène de Jean Duns Scot, in: C. Bérubé (Hg.), De Doctrina I. Duns Scoti I, Rom 1968, 65-74.

Reihe/Serie Zugänge zum Denken des Mittelalters ; 3
Sprache deutsch
Maße 125 x 187 mm
Gewicht 144 g
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Allgemeines / Lexika
Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie des Mittelalters
Religion / Theologie Christentum Kirchengeschichte
Schlagworte Duns Scotus, Johannes • Johannes Duns Scotus • Mittelalter • Philosophie
ISBN-10 3-402-04632-6 / 3402046326
ISBN-13 978-3-402-04632-6 / 9783402046326
Zustand Neuware
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