Glaube und Vernunft -  Anselm Grün,  Bernd Deininger

Glaube und Vernunft (eBook)

Der sinnstiftende Grund von Religion
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
140 Seiten
Vier-Türme-Verlag
978-3-7365-0604-6 (ISBN)
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Im Zentrum dieses Buches steht eine Figur, die wie keine andere das frühe Christentum geprägt hat: der Apostel Paulus. Zunächst als einer der härtesten Verfolger der neuen Religion bekannt, wird er durch die Begegnung mit dem auferstandenen Christus zu deren größtem Verfechter. Gleichzeitig steht er für eine Mission, die bis heute andauert: die Botschaft Jesu in unsere Zeit hinein zu übersetzen. Schon für ihn bestand die Kunst darin, diese ursprüngliche Botschaft nicht zu verfälschen, aber sie doch in einer Sprache zu verkünden, die den Menschen seiner Zeit verständlich war. Wie aktuell die Deutung ist, die Paulus in seinen Briefen den verschiedenen christlichen Gemeinden immer wieder vor Augen hält, zeigen Anselm Grün und Bernd Deininger eindrücklich und spannend in diesem Buch. Dabei betrachten sie die Texte einmal aus spirituell-mystischer und einmal aus tiefenpsychologischer Sicht - eine Kombination, die den sinnstiftenden Grund von Religion noch einmal ganz neu aufleuchten lässt.

Anselm Grün gilt als der bekannteste Mönch Deutschlands. Seit über 40 Jahren ist er als Autor und Ratgeber erfolgreich. Durch seine Bücher, Seminare und Vorträge ist er einem Millionenpublikum bekannt. Dr. Bernd Deininger war Chefarzt in der Klinik für Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Nürnberg. Ehrenamtlich ist Bernd Deininger Prediger in der evangelischen Kirche.

Anselm Grün
Das Kreuz als Versöhnungsort
RÖMER 3,21–26

Dieser Abschnitt ist einer der zentralen, aber zugleich auch der schwierigsten Texte des Römerbriefs des Paulus. Er ist vielfach übersetzt und damit auch interpretiert worden, auf sehr unterschiedliche, manchmal kontroverse Art und Weise. Es geht vor allem um Vers 25. Die Einheitsübersetzung deutet die Stelle so: »Ihn hat Gott dazu bestimmt, Sühne zu leisten mit seinem Blut, Sühne, wirksam durch Glauben.« Jesus hat nach dieser Übersetzung also am Kreuz unsere Sünden gesühnt. Doch wenn wir den Text genauer anschauen, ist hier nicht vom Sühnetod die Rede. Paulus nutzt das Wort hilasterion. Dieses Wort bezeichnete die Auflage auf der Bundeslade, dem Allerheiligsten im jüdischen Glauben, auf der symmetrisch zwei Keruben angebracht waren. Paulus will damit sagen: Gott hat am Kreuz Christus als öffentlichen Versöhnungsort aufgestellt. Wir brauchen jetzt nicht mehr wie der Hohepriester in das Allerheiligste des Tempels einzutreten, zu dem die einfachen Gläubigen keinen Zutritt hatten. Wenn wir auf Christus am Kreuz schauen, ist er für uns der Ort der Versöhnung. Doch wie sollen wir das verstehen? Für Paulus galt gemäß dem Wort aus dem Buch Deuteronomium jeder als verflucht, »der am Pfahl hängt« (vgl. Galater 3,13 und Deuteronomium 21,23). Nun ist ihm aber vor Damaskus dieser Jesus als Auferstandener begegnet. Das war für Paulus eine umwerfende Erfahrung. Wenn der, der nach außen hin verflucht erscheint, von Gott in der Auferstehung als Herr und Fürsprecher bestätigt worden ist, und wenn Paulus, der gegen diesen Jesus kämpfte, nicht verurteilt wird, sondern von ihm zum Verkünder seiner Botschaft bestellt wurde, dann heißt das für Paulus: In Christus bin ich ganz und gar angenommen, noch bevor ich alles wiedergutmache, was ich falsch gemacht habe. Und mit mir sind alle Menschen, die an Christus glauben, bedingungslos angenommen. So trauen sie sich wieder, vor Gott zu treten. Denn wer sich als verflucht fühlt oder als schuldig erfährt, der schämt sich – wie Adam und Eva –, vor Gott zu treten. Also ist Christus am Kreuz für uns der Ort der Versöhnung, an dem wir uns wieder mit Gott verbunden fühlen, an dem wir erfahren dürfen: Es gibt keine Schuld, die uns von Gott trennt. Denn Gott selbst hat am Kreuz die Menschen mit sich versöhnt.

Die Auflage mit den Keruben – im Hebräischen kapporaet – ist auch der Ort, von dem aus Gott zum Volk gesprochen hat. Das Kreuz ist für uns Christen also der Ort, von dem aus Gott öffentlich zu uns allen spricht. Wir brauchen nicht mehr die Vermittlung eines Priesters. Gott spricht unmittelbar zu uns und er spricht Worte der Versöhnung, der Ermutigung, Worte, die uns verkünden: Du bist geliebt. Christus, der auch für dich gestorben ist, zeigt dir seine Liebe, die stärker ist als der Tod.

Das Sühnemal ist für uns nur zugänglich durch den Glauben. Paulus spricht aber auch vom Blut Jesu. Durch den Glauben und kraft seines Blutes haben wir Zugang zum Versöhnungsort am Kreuz. Blut war für die gläubigen Juden zur Zeit des Paulus immer ein Bild für das Leben, für die Liebe und für die Hingabe. Das Blut Jesu erinnert zudem an das Blut, mit dem der Hohepriester die Auflage über der Bundeslade am Versöhnungstag besprengte. Blut galt also im Judentum immer auch als etwas, was reinwäscht. Das bezieht nun Paulus auf den Tod Jesu. Wir müssen uns jedoch dabei immer daran erinnern, dass Paulus Bilder nutzt und keine Theorie aufstellt. Das Geheimnis der Versöhnung, die am Kreuz geschehen ist, wird durch die Bilder erklärt, die dem Apostel das Alte Testament und die jüdische Auslegungstradition bieten. Daher ist hier das Blut ein Bild für eine Liebe, die so stark ist, dass sie uns von aller Schuld und allen Selbstvorwürfen reinigt.

Der evangelische Professor für Neues Testament Peter Stuhlmacher bezieht sich auf die jüdische Auslegungstradition, wenn er meint, dass Paulus hier »christliche Lehrtradition aufnimmt und sie kommentiert« (Stuhlmacher 55), indem sie auf die Sichtweise des Frühjudentums zurückgreift, das die Folgen des Sündenfalls in Genesis 3 »als Verlust (oder auch Entkleidung von) der dem ursprünglichen Menschenpaar im Paradies eignenden herrlichen Seinsweise der Geschöpfe Gottes in Unschuld und Gerechtigkeit« (Stuhlmacher 55) deutete. Er zitiert eine Stelle aus einer apokryphen Schrift des Alten Testaments, der Moseapokalypse, in der Eva nach dem Sündenfall klagt: »Und zur selbigen Stunde wurden mir die Augen aufgetan, und ich erkannte, dass ich entblößt war von der Gerechtigkeit, mit der ich bekleidet gewesen. Da weinte ich und sprach (zum Versucher in Gestalt der Schlange): Warum hast du mir das angetan, dass ich entfremdet war von der Gerechtigkeit, mit der ich bekleidet war?« (Stuhlmacher 55). Adam beklagt sich in der gleichen Schrift bei Eva: »Was hast du uns da angerichtet? Entfremdet hast du mich von der Herrlichkeit Gottes!« Paulus geht von dieser Vorstellung aus, wenn er schreibt: »Alle haben sie gesündigt, und es fehlt ihnen die Herrlichkeit Gottes« (Römer 3,23). Die »Herrlichkeit Gottes« war in der jüdischen Tradition gleichgesetzt mit Gerechtigkeit (vgl. Stuhlmacher 57). Da dieser Verlust durch menschliches Bemühen nicht auszugleichen ist, hat Gott selbst aus freiem Gnadenentschluss diese Herrlichkeit dem Menschen »umsonst« wieder geschenkt.

Wir verstehen »Gerechtigkeit Gottes« und »Rechtfertigung durch Gott« oft als juristische Begriffe. Dann wirken sie sehr abstrakt. Wenn wir aber das Bild der Moseapokalypse als Hintergrund nehmen, bedeutet Rechtfertigung aus dem Glauben, dass Gottes Gerechtigkeit uns die ursprüngliche Herrlichkeit wieder schenkt, die wir im Paradies hatten. Und weil wir wieder die ursprüngliche Schönheit durch Christus erhalten haben, können wir als die, die sich von Gott entfernt hatten, die sich wie Adam und Eva vor ihm versteckt haben, wieder in seine Nähe kommen. Wer sich schuldig fühlt, traut sich nicht, sich Gott zu zeigen. Doch wenn Gott uns die Sünden vergibt und uns dadurch die ursprüngliche Herrlichkeit wieder schenkt, trauen wir uns, vor ihn zu treten.

Der Ort, an dem uns die Gerechtigkeit Gottes aufgeht, ist für uns Christen das Kreuz. Hier wird die ursprüngliche Gemeinschaft, die Adam und Eva im Paradies mit Gott erfahren durften, auch für uns wieder erfahrbar. Das Sühneritual, das der Hohepriester jedes Jahr wiederholte, war für die Juden ein Versöhnungsritual. Die Sünde trennt uns von Gott. Es zerstört die Gemeinschaft mit ihm. Daher war das Versöhnungsritual entlastend. Man fühlte sich wieder mit Gott versöhnt und traute sich, ihm im Tempel nahezukommen. Paulus sagt nun: Wir brauchen nur auf das Kreuz zu schauen. Dann dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott uns unsere Sünden erlassen hat und wir uns ihm wieder frei und offen zeigen können.

Stuhlmacher meint nun, diese Neuinterpretation des Versöhnungsrituals würde auf Stephanus und seine Anhänger zurückgehen und sei dann durch die versprengten Christen aus Jerusalem nach Antiochien gelangt. »Dort ist sie Paulus bekanntgeworden und wahrscheinlich auch jenen unbekannten Missionaren, die den christlichen Glauben nach Rom gebracht haben« (Stuhlmacher 56). Der Tod Jesu am Kreuz hat das alttestamentliche Sühneritual vollendet und abgelöst.

Paulus hat vor Damaskus bei seinem Umkehrerlebnis erfahren, dass er von Christus bedingungslos angenommen ist, obwohl er seine Jünger verfolgt hatte. Er erfuhr in diesem Erlebnis die Versöhnung mit Gott, ohne dass er die Gesetze bis ins Letzte erfüllen musste. Er erfuhr die Gnade Gottes, die ihm nicht aufgrund seiner Leistung geschenkt wurde, sondern aufgrund der Liebe Gottes. Er hat sich also nicht aufgrund seines Glaubens als gerechtfertigt erlebt, sondern aus der reinen Gnade und Zuwendung Gottes heraus. Paulus antwortete auf diese Erfahrung mit seinem Glauben. Und er erfüllte die Sendung, die Jesus ihm in diesem Erlebnis aufgetragen hat, mit ganzem Eifer. Er verkündete die Botschaft von der Versöhnung und Rechtfertigung, die er am eigenen Leib erfahren hatte, nun allen Gemeinden. Darin sah er seinen Auftrag. Er verkündete also keine Lehre, sondern eine Erfahrung, die er dann aber in einem Glaubenssatz ausgedrückt hat, sodass alle Menschen an dieser Erfahrung teilhaben können. Durch diese Erfahrung ist Paulus ein neuer Mensch geworden. Daher kann er die Rechtfertigung durch Gott auch einen Schöpfungsakt nennen, durch den wir zu neuen Menschen werden. Die Schuld lastet nicht mehr auf uns, wir sind von ihr befreit und können so aufrecht unseren Weg mit Gott gehen. Dieses neue Sein wird uns in der Taufe zugesprochen.

Wenn ich die Gedanken des Paulus in meine persönliche Wirklichkeit hinein übersetze, bedeuten sie für mich: Ich bin von Gott bedingungslos angenommen. Ich muss mich vor Gott nicht beweisen, ihm keine guten Werke vorweisen, damit ich von ihm geliebt werde. Aber das heißt nicht, dass ich nicht an mir arbeiten soll. Vielmehr soll ich aus dieser Erfahrung des bedingungslosen Angenommenseins jetzt auch andere Menschen bedingungslos annehmen. Ich soll mit meinem Leben meine Dankbarkeit Gott gegenüber ausdrücken und mich vom Geist Jesu leiten lassen. Ein zweiter Gedanke hilft mir dabei: Rechtfertigung bedeutet, dass Gott mich durch Jesus Christus wieder mit der ursprünglichen Herrlichkeit schmückt, die Adam und Eva hatten. Das heißt für mich: Durch Christus komme ich in Berührung mit dem unverfälschten, unberührten, unbefleckten Selbst, das auf dem Grund meiner Seele ist. Wenn ich mit diesem Selbst in Berührung bin, erfahre ich innere Freiheit, Weite, Schönheit und Dankbarkeit. Dann bin ich auch fähig, mich anderen Menschen ohne Vorurteile zu...

Erscheint lt. Verlag 24.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
ISBN-10 3-7365-0604-X / 373650604X
ISBN-13 978-3-7365-0604-6 / 9783736506046
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