Gegen den Strom - Aber wie? -

Gegen den Strom - Aber wie? (eBook)

Grundlagen und Modelle einer Jägerstätter-Pädagogik
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
198 Seiten
StudienVerlag
978-3-7065-6413-7 (ISBN)
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Was können wir heute aus Franz Jägerstätters Geschichte lernen? Diese zentrale Frage steht im Mittelpunkt des vorliegenden Bandes, der dazu einlädt, sich mit den pädagogischen Potenzialen sowie den Herausforderungen bei der Auseinandersetzung mit den Lebensgeschichten von Franz und Franziska Jägerstätter zu Beschäftigen. Auf drei Ebenen - Konzepte, Diskurse und Umsetzungen - wird dieser Fragestellung nachgespürt. Neben der Ausarbeitung einer Jägerstätter-Pädagogik liefern vertiefende Fachbeiträge aus existenzanalytischer, geschlechtergeschichtlicher, religionspädagogischer und moraltheologischer Perspektive neue Impulse für die schulische und außerschulische Bildung. Eine praxisnahe Didaktik verknüpft die theoretischen Überlegungen mit konkreten Vermittlungsvorschlägen und Lerninhalten.

Dr.in Maria Ecker-Angerer, Historikerin und Psychotherapeutin (Existenzanalyse). Promotion zum Thema Tales of Edification and Redemption? Oral/Audiovisual Testimonies and American Public Memory, 1945-2005. Langjährige Mitarbeiterin von erinnern:at, hier an der Erstellung zahlreicher Unterrichtsmaterialien beteiligt sowie für das Zeitzeug*innenprogramm verantwortlich. Schwerpunkt auf die didaktische Aufbereitung von Zeitzeug*innen-Erzählungen. 2014 Beginn der Ausbildung zur Psychotherapeutin, seit 2020 in freier Praxis tätig. Dr.in Verena Lorber, Historikerin, Promotion zum Thema Arbeitsmigration in Österreich in den 1960/70er Jahren. 2015 bis 2018 Senior Scientist am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg (Schwerpunkt: historische Migrationsforschung), 2016 bis 2018 wissenschaftliche Projektmitarbeiterin an der Universität Graz ('Diversitat im Museum') und seit Oktober 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Franz und Franziska Jagerstätter Institut an der Katholischen Privat-Universität Linz. Forschungsschwerpunkte: Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Biografieforschung, Frauen- und Geschlechtergeschichte, Regionalgeschichte, historische Migrationsforschung. Prof. Dr. Thomas Schlager-Weidinger, Theologe und Historiker, Dissertation über 'Jägerstätter und sein Gewissen. Begriff - Bildung und Bewährung'; Erstellung zahlreicher Publikationen und Unterrichtsmaterialien zu Franz Jägerstatter und Dr. Johann ('Papa') Gruber; Organisation und Durchführung von vier Schüler*innenwettbewerben und Workshops zu Jagerstätter; Professur (Gedenkpädagogik und Interreligiöses Lernen) an der Privaten Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz. Auch als Schriftsteller (Mitglied bei PEN Austria und der IG Autor*innen) setzt er sich mit Jagerstätter auseinander. Dr. Andreas Schmoller, Studium der Geschichte, Theologie (Religionspädagogik), Romanistik (Französisch); 2001 bis 2010 Gedenkstättenpädagoge im Zeitgeschichte Museum und der KZ-Gedenkstätte Ebensee; 2009 bis 2018 Forschungsprojekte und Lehrveranstaltungen an der Universität Salzburg zu NS-Zeit, Erinnerungskultur, Genozidforschung und religiösen Minderheiten im Nahen Osten. Seit 2018 Leiter des Franz und Franziska Jägerstatter Instituts an der Katholischen Privat-Universität Linz.

1.   „Besonders auf unseren freien Willen kommt es an“ – Der junge Jägerstätter aus existenzanalytischer Sicht


Maria Ecker-Angerer

1.1. Einleitung


Der folgende Beitrag wirft einen biografischen Blick auf Franz Jägerstätter als Jugendlichen und jungen Erwachsenen und gibt diesem erstmals einen existenzanalytischen Rahmen. Dabei zeigen sich Aspekte, die insbesondere für die Bildungsarbeit von Interesse sein können. Der junge Jägerstätter war ein Suchender und Reifender und kann damit für Jugendliche und junge Erwachsene heute wertvolle Impulse in ihren eigenen Findungsprozessen bieten. Für diesen Beitrag werden die Jahre von Jägerstätters Geburt 1907 bis zu seiner Hochzeit mit Franziska im Jahr 1936 etwas näher betrachtet. Wie war der junge Jägerstätter? Was hat ihn geprägt? Welche Themen haben ihn beschäftigt?

Der Artikel beginnt mit einer kurzen Darstellung über die hier relevanten Elemente der Existenzanalyse und Logotherapie, betrachtet dann den jungen Jägerstätter genauer und versucht schließlich zusammenfassend die dabei entstehenden Schlussfolgerungen nochmals zu bündeln und zur Diskussion zu stellen.

Abb. 1: Franz Jägerstätter 1939 © Digitalisat FFJI

Ein weiteres Ziel ist es, der „Ikone“ Jägerstätter ein zusätzliches Bild hinzuzufügen, das in der breiten Wahrnehmung noch recht wenig beachtet wird. Während in der Öffentlichkeit das Bild des im Glauben gefestigten und im Widerstand gegen den Nationalsozialismus konsequenten Jägerstätter dominiert, offenbart ein Blick auf den jungen Jägerstätter stärker das eines Menschen mit Brüchen, Ecken und Kanten. Beinahe idealtypisch sind die hier abgebildeten zwei Fotografien, die die Unterschiedlichkeiten und Ambivalenzen besonders gut zum Ausdruck bringen. Sie sollen hier einleitend kurz vorgestellt werden, weil sie die Leser*innen mitten in das Kernthema dieses Beitrages bringen – und den Menschen sichtbar machen, um den es geht.

Abb. 2: Familie Jägerstätter ca. 1932 © Digitalisat FFJI

Die eine weitaus bekanntere und vermutlich überhaupt am meisten verwendete Fotografie stammt aus dem Jahr 1939, als Jägerstätters Persönlichkeit, Glaube und seine überzeugte Gegnerschaft zum Nationalsozialismus bereits gefestigt war. (Abbildung 1)

Das zweite Foto ist auf das Jahr 1932 datiert und zeigt die Familie Jägerstätter mit Franz auf dem Motorrad posierend. (Abbildung 2)

Die Bilder wecken Assoziationen über recht unterschiedliche „Jägerstätters“. Der feste, ernste, entschlossene Blick eines Mannes im Anzug des ersten Bildes, das offensichtlich in einem Fotostudio entstanden ist. Der Kontrast zum fast schnappschussartigen Charakter des zweiten Fotos ist offensichtlich, aber auch, was Jägerstätter hier ausstrahlt: etwas Junges, wenn man so will, „Wildes“. Abenteuerlust und Mobilität (im Sinn von: „ich bin noch unterwegs zu ‚meinem‘ Platz im Leben“) sind weitere Assoziationen, die beim Betrachten entstehen.

1.2. Über die Existenzanalyse


Die Existenzanalyse und Logotherapie1 wurde von Viktor Frankl, dem berühmten Wiener Seelenforscher und Zeitgenossen Jägerstätters, begründet. Er zentrierte seine Lehren um den Begriff des Sinns und der Sinnsuche. Die moderne Existenzanalyse, allen voran von Alfried Längle weiterentwickelt, ergänzte diese Frage nach dem „Wozu soll es gut sein?“ mit drei weiteren Grundfragen („Grundmotivationen“), die den Menschen bewegen:

1.   Die Frage nach dem Leben-Können und dem Umgang mit Situationen, die wir als (existenziell) bedrohlich empfinden: Was braucht es, um solche Situationen annehmen und aushalten zu können? Was gibt uns dann Halt, was bringt Gelassenheit, auch im Sinne von, dass wir etwas Sein-Lassen können? (1. Grundmotivation)

2.    Die Frage nach dem Leben-Mögen: Wie mag ich leben, wann ist es für mich wert- und damit sinnvoll? Wann fühlt es sich vital, lebendig an? Wie ist mein Umgang mit Gefühlen, mein Zugang zu Beziehungen? (2. Grundmotivation)

3.    Die Frage nach dem Eigenen: Wer bin ich? Und darf ich so sein, wie ich bin? Wie komme ich zu meinen „eigenen“ Stellungnahmen, zu Entscheidungen, die ich mit gutem Gewissen treffe? Was braucht es für die Ausbildung eines guten Selbstwertes? Habe ich in meinem Leben genug Beachtung und Wertschätzung erfahren? Werden andere mir gerecht? (3. Grundmotivation)

4.    Die 4. Grundmotivation schließlich bezieht sich auf die schon von Frankl gestellte Frage: Wozu soll „es“ gut sein, die Arbeit, die Ausbildung, die herausfordernden Lebensereignisse, das Leben überhaupt?2

Jede dieser vier Grundmotivationen kann man sich wie ein Tischbein vorstellen. Je stabiler diese Beine, desto stabiler ist der Tisch als Ganzes und desto besser sind die Voraussetzungen für ein erfülltes Leben. Je wackeliger ein bzw. mehrere Tischbeine sind, desto mehr steht auch unser Leben auf wackeligen Beinen. Die Stabilität der Tischbeine kann allerdings im Lauf des Lebens verbessert werden, etwa durch stärkende Erfahrungen oder auch therapeutische Begleitung.

1.2.1. Das „existenzielle Vakuum“

In den vielfältigen Überlegungen Frankls findet sich auch ein Konzept, das im Hinblick auf den jungen Jägerstätter besonders relevant scheint: das Erleben eines „existenziellen Vakuums“.3

In Österreich war die Suizidrate zwischen 1928 und 1939 auf einem Rekordhoch, verglichen mit den Jahrzehnten davor und seitdem (mit Ausnahme von 1945).4 Frankl war in seiner beruflichen Laufbahn als junger Arzt in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre immer wieder damit konfrontiert, sich dem Thema Suizid unter Jugendlichen anzunehmen. Er organisierte, zunächst in Wien und dann in sechs weiteren Städten sogenannte Jugendberatungsstellen, in denen Jugendlichen in Krisen kostenlos geholfen wurde. Er wollte den jungen Menschen „mit seiner Sinn-Lehre aus ihrer Sinn-Leere helfen“, vermittelte ihnen ehrenamtliche Tätigkeiten, um sie aus ihrer Verzweiflung zu holen und damit auch die Suizidrate zu bekämpfen. Mit Erfolg: 1931 gab es erstmals seit Einführung der Beratungsstellen in Wien zu Schulschluss keinen dokumentierten Suizidversuch von Schüler*innen.5

Besonders in jungen Jahren sei der Mensch gefährdet, eine existenzielle Frustration zu erleben, so Frankl. Dieses Vakuum sei geprägt durch Sinnlosigkeits- und Leeregefühle, die sich in einer höheren Suchtneigung, steigenden aggressiven Handlungen und depressiven Zuständen bis hin zur Suizidalität äußern könne.6 Dennoch war es Frankl stets wichtig zu betonen, dass das Erleben eines existenziellen Vakuums keine Krankheit darstellt bzw. nicht pathologisiert werden sollte: „Das Zweifeln am bzw. das Ringen um einen Daseinssinn, die Sorge um möglichste Sinnerfüllung des menschlichen Daseins ist eben nichts Krankhaftes, sondern etwas schlechthin Menschliches, ja das Allermenschlichste, das man sich vorstellen kann.“7

1.2.2. Die Frankl’schen Wertkategorien

Frankl war der Ansicht, dass es drei Möglichkeiten für den Menschen gäbe, einen Sinn im Leben zu finden, er nannte sie Wertkategorien. Zum einen in den „schöpferischen Werten“, die im Tun und Schaffen liegen. Erfüllend wird dieses Schaffen aber nicht durch bloßes Leisten, nach dem Motto „je mehr und je schneller, desto besser“. Menschen, die viel leisten, führen nicht zwingend ein sinnerfülltes Leben. Menschen, die ihre Aktivitäten aber mit Hingabe und Herzblut ausüben, erleben diese als erfüllend, als sinnvoll. Die moderne Existenzanalyse sieht die schöpferischen Werte dann erfüllt, wenn Menschen in ihrem beruflichen und privaten Tun ihr Eigenes ausleben und darin aufgehen können.

Als zweiten Weg zur Sinnfindung nannte Viktor Frankl die „Erlebniswerte“. Diese können sich im Erleben von „Interessantem, Wertvollem, Schönem, Packendem, Tiefem, Beglückendem und so weiter“ finden lassen. Die Erlebniswerte offenbaren sich vor allem in der Natur, der Kunst, wissenschaftlicher Forschung und im zwischenmenschlichen Miteinander. Ganz „besonders in der Liebe, wo der andere in der Einzigartigkeit seines Wesens erfasst wird“, ist der Lebenssinn zu finden.8

Den dritten Weg zu einem sinnerfüllten Leben sah Frankl schließlich in den „Einstellungswerten“. Bei einer Konfrontation mit einer ausweglosen Situation und persönlichem Leid kann der Mensch laut Frankl zur höchsten Form der Wertverwirklichung kommen – es ist allerdings auch die herausforderndste Form. In solch schwierigen Zeiten geht es vor allem um die Haltung zum Leben, die sich im „Wie“ des Umgangs mit dem Leid zeigt: „In der inneren Haltung, wie etwa Würde im Scheitern, verweist der Leidende über sich hinaus auf den Sinngrund an sich. In dieser dritten Wertkategorie ist der Mensch auf sich selbst zurückgeworfen.“9

Gelingt es einem Menschen, diese drei Wertkategorien gleich gut auszuprägen, dann wird dieser eher in Balance...

Erscheint lt. Verlag 24.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
ISBN-10 3-7065-6413-0 / 3706564130
ISBN-13 978-3-7065-6413-7 / 9783706564137
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