Zucker, Vagus, Bulimie -  Inke Jochims

Zucker, Vagus, Bulimie (eBook)

Teil 2: Belohnung statt Heißhunger: Attacke, Trauma, Sucht.

(Autor)

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2024 | 2. Auflage
196 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-3892-2 (ISBN)
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Im Bereich der Essstörungen stellen Bulimie und Binge Eating eine komplexe Herausforderung dar. In diesem Buch, dem zweiten Band der vierbändigen Reihe, zeigt die Autorin, warum Bulimie und Binge Eating Disorder als Sucht und nicht als Hungerkrankheit betrachtet werden sollten. Es handelt sich um eine Sucht nach bestimmten Nahrungsmitteln, den so genannten hochverarbeiteten Lebensmitteln (HVL). Es wird erklärt, warum gerade diese Nahrungsmittel als Droge für Essanfälle verwendet werden. Auf der Grundlage der Polyvagaltheorie interpretiert die Autorin die sogenannten Heißhungerattacken als Versuch, eine traumatisch bedingte Überreaktion des Sympathikus durch Essen zu dämpfen. Es handelt sich also nicht um Hunger, sondern um Selbstmedikation. Ausführlich wird erklärt, wie Sucht im Belohnungszentrum des Gehirns entsteht und was dies für die Heilung bedeutet. Der Kerngedanke aller vier Bände lautet: Bulimie und Binge Eating Disorder sind Suchterkrankungen, keine Hungerkrankheiten. Das macht sie behandelbar. Weitere Informationen finden Sie unter: https://www.jochims-buecher.de https://www.frei-von-essattacken.de

Inke Jochims, Jg. 1963, lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Berlin. Sie hat viele Jahre als Coach und Therapeutin gearbeitet und gibt nun ihr Wissen in Form von Online-Kursen und Büchern weiter. Zudem ist sie auf YouTube mit ihrem Kanal: Jochims-Methode aktiv @JochimsMethode

SUCHT UND EMOTIONALES ESSEN


Die meisten Programme zur Behandlung von Esssucht und/oder Bulimie fordern von den Betroffenen ein sogenanntes maßvolles und kontrolliertes Verhalten. Dies ähnelt der Behandlung eines Alkoholikers, der sagt: „Ich will nicht aufhören zu trinken, also werde ich in ein Programm für kontrollierten Alkoholkonsum gehen“, anstatt sich einem 12-Schritte-Programm anzuschließen. Suchtmediziner sind sich der mangelnden Wirksamkeit dieses Ansatzes bewusst.

Im Wesentlichen bedeutet dies, dass im Bereich der Esssucht - in welcher Form auch immer - angenommen wird, dass es sich bei den Anfällen ausschließlich um emotionales Essen handelt, das zu übermäßigem Konsum führt, oder dass man sich „überisst“. Es ist zweifellos richtig, dass emotionales Essen eine zentrale Rolle bei Bulimie und Binge Eating spielt. Jedoch ist nicht jede Form des Essens während der Attacken als emotionales Essen zu betrachten. Es gibt auch süchtiges Essen im Sinne der 12-Schritte-Programme, das anders behandelt werden muss als emotionales Essen.

Der Unterschied ist der zwischen dem Essen in Maßen und dem völligen Verzicht auf bestimmte Lebensmittel.

Der derzeitige Behandlungsstandard ist jedoch das Erlernen einer maßvollen Ernährung. Für Menschen, die an Bulimie und Binge-Eating leiden und dazu verurteilt sind, maßvoll zu essen, ist diese Einschränkung oft so, als würde man einem Alkoholiker sagen, er dürfe nur alle drei Tage trinken - das soll genügen, um seine Sucht zu bekämpfen.

Diese Analogie halte ich für unangemessen. Wenn man sich selbst als essgestört identifiziert oder andere so beschreibt, folgt man einem Suchtmodell, das besagt, dass bestimmte Substanzen gemieden werden müssen oder bestimmte Essgewohnheiten zu meiden sind. Doch diese Denkweise wird bisher bei der Behandlung von Bulimie und Binge-Eating nicht akzeptiert.

Eine der Freiheiten, die uns die Betrachtung des Geschehens als Sucht ermöglicht, ist die Möglichkeit, uns von dem Gedanken zu befreien, dass die Betroffenen bestimmte Substanzen (hier HVL) meiden können, ohne angeblich den gefürchteten Rückfall- oder Rebound-Effekt des vermeintlichen Hungers, die sogenannte „“, zu .

Für mich ist der Auslöser der Anfalle keineswegs der im letzten Buch beschriebene Rebound-Effekt. Was von den Betroffenen als „Anfälle“ oder „Attacken“ bezeichnet wird, ist vielmehr das Verlangen, die Gier, die wir auch von anderen Suchterkrankungen kennen. Es ist das körperliche Verlangen nach einer bestimmten psychotropen Substanz, das durch den Konsum oder den Entzug dieser Substanz hervorgerufen wird. Dieses Verlangen entsteht nicht durch den Versuch, die Substanz zu kontrollieren; es handelt sich also nicht um einen Rebound-Effekt, der auf den Kontrollversuch zurückzufuhren ist.

Warum ist es von Bedeutung, wie wir die Anfälle benennen? Warum spielt der Unterschied zwischen emotionalem Essen und Sucht eine so entscheidende Rolle?

Es ist von Bedeutung, weil die Diagnose die Art der Behandlung beeinflusst. Wenn wir diagnostizieren, dass es sich um eine Suchterkrankung handelt, werden wir versuchen, eine Behandlung zu finden, die dieser entspricht. Bisher fehlt es jedoch an einer solchen spezifischen Behandlung. Dies gilt übrigens auch für Adipositas, auch wenn dieses Thema nicht Bestandteil dieses Buches ist.

Hier sei vorweggenommen, was noch ausführlicher dargestellt wird: Der Versuch, die Suchtmechanismen durch Willenskraft zu bekämpfen, erweist sich nicht nur als ineffektiv, sondern führt auch zum ständigen Scheitern dieses Einsatzes des sogenannten „Willens“. Dieses ständige Scheitern und die damit verbundene intensive Scham und Selbstabwertung, löst letztlich das Selbstkonzept der Betroffenen auf und treibt sie in Verzweiflung sowie sinnlose Heilungsversuche. Die gängigen Willensanstrengungen, wie sie derzeit praktiziert werden, reichen bei Suchterkrankungen nicht aus.

Viele Betroffene werden irgendwann als „Borderliner“ bezeichnet oder diagnostiziert. Es könnte jedoch sein, dass die Verhaltensweisen, die die therapeutische Gemeinschaft zu dieser Diagnose fuhren, das Ergebnis unzureichender Heilungsversuche sind.

Diese Versuche könnten von Anfang an zum Scheitern verurteilt sein, doch die Betroffenen neigen dazu, diese als individuelles Versagen anzusehen und sich dafür zu schämen. Dies führt zu einer Erosion des Selbstwertgefühls und zu ausgeprägter emotionaler Instabilität sowie zu sozialem Rückzug oder Push-Pull-Verhalten. Die Erkrankung könnte jedoch nicht die Ursache sondern die Folge falscher Behandlungsansätze sein und daher keinesfalls so unheilbar, wie häufig dargestellt.

Auch wenn das kognitive Verständnis des Suchtgeschehens viel helfen kann, genügt es allein nicht. Die Vorstellung, einfach von einem Tag auf den anderen auf Attacken und die dort konsumierten Lebensmittel zu verzichten, ohne Vorbereitung und Unterstützung, überfordert den Willen vieler, so wie Roy Baumeister erforscht hat. Das bedeutet nicht, dass Willensanstrengungen überflüssig oder gar unmöglich sind, im Gegenteil, aber sie müssen gehirngerecht eingesetzt werden.

Die Kernaussage aller aktuellen Behandlungsansätze bei Bulimie und Binge Eating ist also nach wie vor: „Du musst wieder alles in Maßen essen können, dann bist du geheilt“.

Die Vorannahmen, auf denen diese Behauptung im Zusammenhang mit emotionalem Essen vs. süchtigem Essen beruht, werden in diesem Kapitel analysiert. Die Kernfrage lautet: Warum macht eine Substanz eigentlich süchtig? Warum macht Alkohol süchtig, Früchtetee aber nicht?

Warum macht eine Substanz (hier HVL) eigentlich „süchtig“?


Der entscheidende Punkt ist, dass bei allen chemischen Drogen ein chemischer Prozess im Gehirn des Konsumenten ausgelöst wird, der eine bestimmte, emotional erwünschte Reaktion hervorruft. Es kommt zu einer chemischen Reaktion im Gehirn als Reaktion auf den Konsum einer Chemikalie.

Als Drogen können nur Substanzen fungieren, für die das Gehirn entsprechende Rezeptoren hat. Das sind in der Regel Pflanzenderivate, wie Opiate oder Alkohol.

Nach der chemischen Reaktion fühlt sich die Person kurzfristig besser. Dieses vorübergehende Hochgefühl wirkt belohnend und verstärkt somit das Verhalten, was wiederum dazu führt, dass die Substanz immer wieder konsumiert wird. Das Verhalten festigt sich. Das Belohnungssystem des Gehirns ist für dieses Hochgefühl verantwortlich, und seine Funktionsweise wird im Kapitel „Die Biologie der Sucht ausführlich beschrieben.

Es gibt zwei Kriterien zu berücksichtigen: Intensität und Geschwindigkeit. Geschwindigkeit bezieht sich darauf, wie schnell eine Substanz die Gehirnchemie beeinflusst. Intensität hingegen beschreibt die Stärke des Ausschlags nach oben, also wie viele Belohnungsbotenstoffe ausgeschüttet werden.

Das Gehirn und der Körper eines Menschen reagieren also biochemisch entweder auf eine Substanz oder nicht. Wenn sie reagieren, reagieren sie in unterschiedlichem Maße.

Für hochverarbeitete Lebensmittel (HVL) wurde lange Zeit bestritten, dass die Reaktion des Gehirns intensiv und schnell genug ist, um eine echte Sucht auszulösen, aber zunehmend zeigt sich, dass das nicht stimmt.

Ich kenne vier Frauen, darunter drei Professorinnen, die öffentlich zugeben, süchtig zu sein und sich nicht beherrschen zu können, sobald sie auch nur die kleinste Menge Zucker konsumieren: Vera Tarman, Susan Thompson-Peirce, Florence Christophers und Joan Ifland.1Alle vier bieten Kurse zum Thema „Zucker- bzw. „Esssucht“ an und fordern eindringlich, „Food Addiction“ endlich als das zu bezeichnen, was sie ist: eine Sucht, die manche Menschen betrifft und andere nicht.

Nicht alle Menschen werden alkoholabhängig, nicht alle Menschen rauchen, und nicht alle Menschen entwickeln eine Esssucht. Dies gilt auch nicht im gleichen Kontext oder unter ähnlichen sozialen Bedingungen, selbst wenn diese Substanzen leicht zugänglich sind. Es ist nicht jeder gefährdet, süchtig zu werden, selbst wenn sie viel trinken oder gelegentlich viel essen.

Aber, wie vor allem Thompson-Peirce immer wieder betont, gibt es in dieser Gesellschaft noch kein Verständnis dafür, dass manche Menschen eben nicht „einen Keks“ essen können, sondern nach dem Konsum von einem Keks eine unwiderstehliche Gier nach der ganzen Packung entwickeln.

HVL werden in diesem Zusammenhang zu den Drogen gezählt, weil sie sehr schnell und sehr intensiv die Hirnchemie beeinflussen und sehr schnell ein gewisses Wohlbefinden erreichen können. Ähnliches gilt für die Unterscheidung zwischen Alkohol und Kokain. Kokain macht viel schneller und häufig auch stärker abhängig als Alkohol, weil die stimmungsverändernde Wirkung schneller und intensiver eintritt.

Vulnerabilität (Verletzlichkeit)


Alle Gehirne reagieren also auf bestimmte Substanzen aber nicht alle gleich schnell und gleich intensiv. Wenn ein Gehirn...

Erscheint lt. Verlag 4.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Persönlichkeitsstörungen
ISBN-10 3-7583-3892-1 / 3758338921
ISBN-13 978-3-7583-3892-2 / 9783758338922
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