Klarheit durch die Wahrheit -  Ralph Weimann

Klarheit durch die Wahrheit (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
160 Seiten
Media Maria Verlag
978-3-947931-88-0 (ISBN)
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Es ist unstrittig: Kirche und Gesellschaft befinden sich in einer tiefen Wahrheitskrise. Wer von der Wahrheit spricht, hat es nicht leicht. Und doch ist die Wahrheit alternativlos, zum einen weil die Lüge - die der Wahrheit entgegengesetzt ist - nicht trägt, zum anderen weil ohne Wahrheit jene Klarheit fehlt, die für das Leben notwendig ist. Das Gesagte gilt für die Gesellschaft im Allgemeinen und für den Glauben im Besonderen, zumal sich Jesus Christus als die Wahrheit (Joh 14,6) geoffenbart hat. Im vorliegenden Buch wird die befreiende Kraft der Wahrheit für den Glauben und für das persönliche Leben in den Mittelpunkt gestellt. Daraus ergeben sich wertvolle Impulse für die Erneuerung des Glaubens und der Kirche. Der Verzicht auf Wahrheit weist auf einen Mangel an Demut hin und führt, wie es Kardinal Ratzinger einmal ausgedrückt hat, zum 'Verzicht auf die Würde des Menschen'. Umgekehrt ist die Wahrheit Gottes das Licht des Geistes, durch das der Mensch den Weg zu Gott und zu sich selbst findet. Wer ihr folgt, wird Erfüllung und Frieden finden, und dazu ist Klarheit durch die Wahrheit nötig.

Ralph Weimann, geb. 1976, studierte Philosophie und Theologie in den USA, in Italien und Deutschland. Nach seiner Priesterweihe im Jahr 2007 promovierte er mit einer Arbeit zum Thema 'Dogma und Fortschritt bei Joseph Ratzinger'. Daran schloss sich eine zweite Promotion im Bereich der Bioethik zum Thema 'Bioethik in einer säkularisierten Gesellschaft' an. Seit 2013 lehrt er an verschiedenen Hochschulen und Universitäten, vor allem an der Päpstlichen Universität Heiliger Thomas von Aquin (Angelicum) in Rom. Neben seiner Lehrtätigkeit ist er Autor zahlreicher Schriften. Zuletzt ist der Titel 'Wegweisung für das Ewige Leben' erschienen.

II. Neuerungen – gefährliche Zäsur


Neuerungen werden in der öffentlichen Wahrnehmung gewöhnlich als positiv gewertet. In Wirklichkeit führt jedoch nicht jede Neuerung zu einer positiven Entwicklung. Wie viel Leid, Zerstörung und Unheil ist über die Welt gekommen unter Berufung auf Fortschritt und Neuerung? Vor allem wenn diese von Ethik und Moral entkoppelt sind, können sie eine destruktive Kraft entfalten. Elon Musk hat beispielsweise im April 2023 darauf hingewiesen, dass die künstliche Intelligenz für die Menschheit zur bedrohlichen Gefährdung werde.1 Zusammen mit anderen Experten hatte er davor gewarnt, dies könne zum Untergang der Menschheit führen.

Schon Romano Guardini hat in seinen weitsichtigen Analysen darauf hingewiesen, dass in der Moderne der Fortschritts-Optimismus in den Rang eines Dogmas erhoben werde.2 Doch wie kann ein rechter Umgang mit den Möglichkeiten technischen Fortschritts gefunden werden, wenn die Frage nach der Wahrheit nicht mehr gestellt wird? Oder anders gefragt: Wenn sich der Mensch nicht mehr verantwortlich weiß vor Gott, wie lassen sich dann moralisch-ethische Normen begründen? Läuft dann nicht der Mensch oder die Wissenschaft Gefahr, sich absolut zu setzen? Was vermag den Fortschritt zu regulieren, damit er die Menschheit nicht in die oben beschriebene Gefahr führt?

Es lohnt sich, einen Blick auf die Entwicklung hin zum Fortschritts-Dogma zu richten, um die gegenwärtigen Herausforderungen besser verstehen zu können. Dabei erweisen sich die Ausführungen von Joseph Ratzinger als besonders hilfreich.

1. Erste einschneidende Zäsur


Eine Zäsur ist ein markanter Einschnitt und bezeichnet eine Grenze zwischen zwei Epochen. Weil die Geschichte im Fluss ist, werden Zäsuren in der Regel im Nachhinein festgelegt und sind damit zum einen konstruiert und zum anderen künstlich. Was eine Zäsur bedeutet, wird im Hinblick auf das Ende des Zweiten Weltkriegs deutlich, der zweifellos eine Zäsur war. Doch selbst am Kriegsende war vieles noch nicht klar – z. B. die Vertreibung von Millionen von Deutschen –, sodass sich hier bestätigt, was zuvor gesagt wurde.

In der Einführung in das Christentum beschreibt Joseph Ratzinger zwei Zäsuren, die er Stadien nennt. Diese sind für die geistesgeschichtliche Entwicklung von großer Bedeutung. Er macht sie an ihrem Verhältnis zur Wirklichkeit fest, denn an der Wirklichkeit misst sich die Wahrheit. Wahr ist demnach, was wirklich ist. Wenn sich das Verhältnis zur Wirklichkeit verändert, wenn Wahrheit ausgehend von einer Teilwirklichkeit oder losgelöst von der Wirklichkeit überhaupt konstruiert wird, dann wird dies zu schwerwiegenden Konsequenzen führen. Und genau derartige Veränderungen wurden in der Moderne vorgenommen.

Folgen wir also den Ausführungen Ratzingers. Demnach wurde in einem ersten Schritt die Wirklichkeit auf das positivistisch Fassbare reduziert. Die Technik entwickelte sich rasant und auch die Geistesgeschichte versuchte mitzuhalten. So setzten sich Verfahren durch, die messbare und mit den Methoden der modernen Wissenschaft erfassbare Dinge als wahr darstellten. Natürlich sind diese Methoden zulässig, aber im Bereich der Geisteswissenschaften würde die rigorose Anwendung derselben zu einer Verkürzung der Wirklichkeit führen. Joseph Ratzinger fasst dieses Stadium in der Gleichung verum quia factum zusammen. »Als wahr erkennbar ist für uns nur das, was wir selbst gemacht haben.« Er fügte hinzu: »Mir will scheinen, dass diese Formel das eigentliche Ende der alten Metaphysik und den Anfang des spezifisch neuzeitlichen Geistes darstellt.«3

Es lohnt sich, diese Aussage im Folgenden zu kommentieren. Die Metaphysik stand und steht dafür, der Wirklichkeit in all ihren Dimensionen Ausdruck zu verleihen: Dazu gehören nicht nur die für die Menschen charakteristischen Geisteskräfte, durch die die großen Leistungen der Menschheit erst möglich wurden, sondern alles, was die reine Physik übersteigt, so auch Gott. Das neuzeitliche Denken hat sich hingegen in eine andere Richtung entwickelt und zu einer Selbstbeschränkung auf das factum geführt. Wirklichkeit ist nur noch das, was von den neuen positivistischen Methoden erfasst wird und gemessen werden kann. So vorteilhaft dies auch im Hinblick auf technischen Fortschritt und Entwicklung sein mag, so schwierig erweist es sich im Hinblick auf die geistigen Dinge. Wenn nämlich die Methode im Hinblick auf den Glauben Anwendung finden würde, dann wäre der Gottesbezug von vornherein ausgeschlossen, weil man Gott nicht unter das Mikroskop legen kann. Der Horizont dieser wissenschaftlichen Methode vermag alles, was jenseits derselben liegt, nicht zu erkennen; auf keinen Fall können so ethisch-moralische Prinzipien erschlossen werden. Wie können Liebe, Treue, Güte, Nächstenliebe und viele andere für das Leben grundlegende Tugenden begründet werden, ohne die das Leben verarmen und verkümmern müsste?

Die Reduktion auf das Gemachte und mit den Mitteln der positivistischen Wissenschaft Nachweisbare hatte außerdem schwerwiegende Auswirkungen auf die Erkenntnis von Wahrheit. Als wahr wird nur noch das anerkannt, was wissenschaftlich – im Sinne des neu definierten Verständnisses – verifizierbar ist. Für den Glauben bedeutet dies, dass er gänzlich in den Bereich des Subjektiven verbannt würde, zumal er – wenn die neuen Kriterien gelten – nicht »objektiv« verifizierbar ist. Es kommt, um es mit Nietzsche zu sagen, zur Umwertung aller Werte. Es folgt die Abwendung vom Dogma, von der objektiven Glaubensnorm, die auf Schrift und Tradition gründet. Weil das factum des Glaubens die Offenbarung ist, die aber durch das Raster der modernen Wissenschaft fällt, wird der Glaube in die Privatsphäre verdrängt. Ein derartiger Ansatz hat die radikale Anthropozentrik begünstigt, von der bereits zuvor die Rede war.

2. Zweite einschneidende Zäsur


An dieser Stelle ist es hilfreich, noch einmal die Analyse aufzugreifen, die Joseph Ratzinger in der Einführung in das Christentum vornimmt. Die Reduktion der Wirklichkeit auf das Faktum konnte auf Dauer nicht genügen. Ein solcher Ansatz musste unbefriedigend bleiben. Wenn nämlich die Dimension des Geistes vernachlässigt wird und nur noch das historische Faktum zählt, dann kann dies das unruhige Herz des Menschen weder stillen noch erfüllen. So war die Entwicklung hin zu einem noch dynamischeren Verständnis von Wirklichkeit vorprogrammiert.

Aus eben diesem Ungenügen heraus entwickelte sich eine zweite Zäsur, die der damalige Professor Ratzinger mit »Wende zum technischen Denken« umschrieb.4 Dieses Stadium ist für die Postmoderne kennzeichnend und hatte sich mit dem marxistischen Leitmotiv verbunden, wonach die Philosophen die Welt bisher nur verschieden interpretiert hätten, es aber jetzt darauf ankäme, die Welt zu verändern. Ein neues Kriterium, oft unter dem Deckmantel des Fortschritts oder eines falsch verstandenen Aggiornamento, verbreitete sich in kürzester Zeit. Der neue Maßstab für die Wahrheit ist nicht mehr die Wirklichkeit oder das Gemachte, sondern das Machbare.

Joseph Ratzinger hatte diese Entwicklung bereits in den 60er-Jahren skizziert und in der folgenden Gleichung zusammengefasst: Verum quia faciendum. Wahr ist demnach das Machbare, die Weltveränderung, vor allem der Fortschritt. Die Wahrheit erhält eine gänzlich neue, gänzlich unbestimmte Bedeutung. Das, was subjektiv ist, wird zum Objektiven erklärt und umgekehrt. Heute zeigt sich diese problematische Entwicklung nicht nur in der ungebremsten Entwicklung der künstlichen Intelligenz, sondern auch in »verschiedenen Formen einer Ideologie, die gemeinhin ›Gender‹ genannt wird«, wie Papst Franziskus ausführt.5

Wenn nun das zu Machende und die Machbarkeit zum neuen Kriterium der Wahrheitsfindung werden, dann verliert die Tradition nicht nur an Bedeutung, sondern wird zur Last, die es so bald wie möglich abzustreifen gilt. »Es kommt zum Primat des Machbaren vor dem Gemachten, denn in der Tat: Was soll der Mensch schon mit dem bloß Gewesenen? Er kann seinen Sinn nicht darin finden, sich zum Museumswärter seiner eigenen Vergangenheit zu machen, wenn er seine Gegenwart bewältigen will.«6

An dieser Stelle tritt bereits die ganze Problematik der Kirche unserer Zeit offen zutage. Wo immer die Prämissen der Postmoderne Anwendung finden, werden die kirchliche Lehre, die Feier der Liturgie und schließlich auch das Leben der Gläubigen dem Kriterium der Machbarkeit ausgeliefert. Der Priester, der recte rite nach den liturgischen Regeln die Heilige Messe feiert, wird zum Gralswächter, ihm wird Rigorismus und Hartherzigkeit vorgeworfen. Das Festhalten an der lebendigen Tradition der Kirche wird als Rückwärtsgewandtheit und Gestrigkeit abgestempelt. Ein Leben, das sich an den Geboten der Kirche orientiert, wird unter den Verdacht des Fundamentalismus gestellt....

Erscheint lt. Verlag 31.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
ISBN-10 3-947931-88-3 / 3947931883
ISBN-13 978-3-947931-88-0 / 9783947931880
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