Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht -  Karlfried Kannenberg

Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht (eBook)

Predigten
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
210 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-9404-1 (ISBN)
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Mit diesem Band legt Karlfried Kannenberg einen Querschnitt durch seine Arbeit als Prediger mit einer großen stilistischen Bandbreite vor. Auf spannend zu lesende Erzählungen folgen tiefsinnige, teils ungewöhnliche Bibelauslegungen. Wichtig ist es ihm, Lebensfragen mit ihrem sozialen Kontext vor einem religiösen Horizont zu deuten und in ihrer spirituellen Dimension zu verstehen. Immer wieder scheint eine ehrliche und persönliche Auseinandersetzung mit dem Rassismus durch, der ihn in seiner Jugend im Südafrika der 1960er Jahre geprägt hat und zu dessen Überwindung er beitragen will. Mit ihrer aufrichtenden Botschaft lassen sich viele Predigten auch wie ein persönliches Trostbüchlein lesen.

Karlfried Kannenberg, geboren 1955, war evangelisch-lutherischer Gemeindepastor von 1983 - 1987 in Hohen¬lockstedt (West-Holstein) und von 1988 - 2012 in Ost¬steinbek (bei Hamburg). Von 2012 - 2021 war er Alten¬heimseelsorger in Hamburg-Harburg.

Erzählpredigt: Johannes 13,1–17 zur Agape 17.4 2003 (Verleugnung des Petrus)

Ich erinnere mich noch sehr genau an den Abend damals. Es war der letzte gemeinsame Abend mit Jesus. Wir wollten miteinander das Passahfest feiern. Als wir uns gerade zu Tisch niedergelassen hatten, band sich Jesus die Schürze eines Dieners um und kam mit einer Wasserschüssel wieder. Er fing an, uns die Füße zu waschen wie ein Hausdiener. Ich war völlig perplex. Ich konnte diesen peinlichen Anblick kaum ertragen. Dieser Jesus, von dem ich glaubte, dass er der Gesalbte aus dem Königshaus Davids war! Er konnte so glänzende und ermutigende Reden halten. Er konnte einen richtig in seinen Bann ziehen. Er sollte uns im Kampf gegen die Römer anführen. Unsere Schlachtreihen sollte er ordnen und uns endlich von der Ausbeutung befreien und in die Freiheit führen. Ich war von ihm begeistert. Ja, ich himmelte ihn an. Und jetzt ließ er sich herab zu dieser erniedrigenden Arbeit. Das ging mir völlig gegen den Strich. Er gehörte doch ans Kopfende der Tafel und nicht zu unseren Füßen. Als er zu mir kam, weigerte ich mich: „Du willst mir die Füße waschen? Niemals!“ rief ich entrüstet. „Eher umgekehrt: ich dir!“ Aber Jesus blieb beharrlich. Er sagte: „Wenn ich nicht deine Füße wasche, dann gehörst du nicht zu mir.“ Ich fasste mich an den Kopf. Ich verstand die Welt nicht mehr. Wie wollte er sich denn auf diese Art durchsetzen? So verlor er doch den ganzen Respekt seiner Anhänger. Während ich noch kopfschüttelnd da saß, sagte Jesus: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben als Lösegeld für viele.“ Das verstehe, wer will.

Das war nicht das erste Mal, dass er mich ziemlich durcheinander gebracht hat. Schon früher einmal hatte ich ihm gegenüber die Überzeugung ausgesprochen, dass er der Messias sei, der den Thron Davids wieder aufrichten würde. Das war ein feierlicher Augenblick. Er schaute mir tief in die Augen, sprach mich mit vollem Namen an und sagte: "Simon, Sohn des Jonas, das weißt du nicht aus eigener Erkenntnis, sondern mein Vater im Himmel hat es dir eingegeben." Ich war ziemlich stolz auf mich und ich wollte ihm zeigen, dass er sich auf mich verlassen konnte. Ich hatte mir ein neues Schwert schmieden lassen, dass ich unter meinem Mantel versteckt immer bei mir trug. Das war nicht ganz ungefährlich. Denn die Römer duldeten keine Waffen bei uns aus Angst vor einem Aufstand. Damit hatten sie ja auch nicht ganz Unrecht. Ich war jedenfalls auf die große Schlacht vorbereitet und wollte an vorderster Front mitkämpfen. Doch schon damals wunderte ich mich. Kaum hatten wir uns zu ihm als Messias, als vorbestimmten König bekannt, da fing er an zu lamentieren, dass er wohl als erster sein Leben lassen würde. Ich verstand das nicht. Ob er plötzlich Angst vor der eigenen Courage bekommen hatte? Ich nahm ihn beiseite und versuchte, ihm ins Gewissen zu reden: „Was soll denn das jetzt? Erst sammelst du so eine eindrucksvolle Menge um dich und jetzt machst du alles wieder kaputt. Du als Hoffnungsträger, als göttlicher Feldherr – tot. Allein so ein Gerede demoralisiert doch die ganze Truppe.“ Wisst Ihr, was er mir damals geantwortet hat? Ich spüre den Schmerz in meiner Brust noch heute wie einen Stich ins Herz. „Weiche von mir Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich ist, sondern was menschlich ist.“ Satan sagte er! ... zu mir. Ich wusste gar nicht, was ich nun schon wieder Falsches gesagt hatte.

Am letzten Abend ging es mir nicht viel besser. Jesus hatte wieder einmal Zweifel an unserer Gefolgschaft und unserm Durchhaltevermögen geäußert. Da beteuerte ich ihm meine absolute Loyalität und meine Entschlossenheit zu kämpfen. Ja, ich war bereit, mein Leben zu riskieren und für ihn zu sterben. Wisst Ihr, wie er darauf reagierte? Er sagte mir direkt ins Gesicht, dass ich ihm die Treue versagen würde. Auch ich würde desertieren, und abstreiten, ihn überhaupt zu kennen. Ha! Das sollte mir nicht passieren. Seit dem Augenblick war meine rechte Hand jederzeit bereit, zum Schwert zu greifen. Ich wollte an seiner Seite kämpfen bis zum Tod.

In der Nacht, als die Soldaten der Tempelwache uns in Gethsemane abfingen, da war ich gleich zur Stelle. Ich hatte zwar ein ziemlich mulmiges Gefühl, als wir das Waffengeklirr aus der Ferne hörten. Als ich die gewaltige Überzahl der anderen sah, kriegte ich es richtig mit der Angst zu tun. Aber Jesus würde ja, sobald es losging, die himmlischen Heerscharen zum Einsatz bringen. Also biss ich die Zähne zusammen. Nein, ein Verräter, ein Deserteur war ich nicht. Gleich bei der ersten Feindberührung, noch bevor der Einsatzbefehl gegeben wurde, machte ich den ersten Gegner nieder. In der Aufregung traf ich nicht gleich richtig, sondern schlug ihm nur ein Ohr ab. Aber Jesus blies den Kampf sofort ab und sagte zu mir: „Stecke dein Schwert weg; denn wer zum Schwert greift, der wird durch das Schwert umkommen.“ Das begreife einer! Wieder stand ich Kopf schüttelnd daneben. Jetzt war die Stunde der Bewährung da – und Jesus ließ sich einfach so – kampflos und gewaltfrei – abführen.

Plötzlich stand ich ganz alleine da. Die anderen Jünger waren offensichtlich alle weggelaufen. Jedenfalls war keiner mehr zu sehn. Verwirrt, unschlüssig und zögernd ging ich dem Waffengeklirr nach, das sich die dunkle Pflasterstraße hinab auf den Gerichtshof zu bewegte. Ich wollte zu diesem Jesus von Nazareth stehen. Ich wollte ihn verteidigen. Doch wie sollte ich das anstellen. Was konnte ich vor dem Hohen Rat schon ausrichten. Paragraphenchinesisch ist nicht mein Metier. Ich bin Fischer.

Im Vorhof zum Gerichtsgebäude war es feucht und kalt. Zum Glück war es etwas windgeschützt. Das flackernde Licht eines kleinen Feuers zog mich an. Menschen standen darum und wärmten sich. Ich stellte mich in die zweite Reihe dazu. Es waren Hofknechte und Mägde, Gerichtsdiener und ein paar Wachen. Ich merkte sehr schnell, aus welcher Richtung der Wind ideologisch her wehte. Eine einzige Hetze gegen unsere Befreiungsbewegung. Mörderbande wurden wir beschimpft. Jesus gehöre als Terroristenführer ans Kreuz. Ich kriegte vor Beklemmung kaum noch Luft. Es war kaum auszuhalten. Nur nicht auffallen, sonst ist es aus, dachte ich bei mir. Und dann kam da diese Frau – diese dumme Ziege. Ich möchte mal wissen, woher sie mich kannte. Sie rief mir einfach vor versammelter Mannschaft ins Gesicht: „Du bist doch auch einer von diesen galiläischen Terroristen. Man erkennt dich doch schon von weitem an deinem Dialekt.“ Plötzlich stand ich im Mittelpunkt des Geschehens. Alle drehten sich zu mir um und ich fühlte, wie ihre stechenden Blicke mich durchbohrten.

Auf einmal konnte ich meiner Gefühle nicht mehr Herr werden. Ich wurde übermannt von Panik. Das ganze Gerede von Heldenmut und Tapferkeit half nicht mehr. Es war, als wäre ich plötzlich überflutet von Angst, die ich vorher nie spüren durfte... als wäre ein Schutzdeich gebrochen. Die ganzen Parolen meiner Männlichkeitserziehung versagten: „Ein Junge weint doch nicht. Ein Galiläer kennt keinen Schmerz. Beiß die Zähne zusammen. Kopf hoch, Junge.“ Es funktionierte einfach nicht mehr. Es war als hätte ich gar keine Zähne mehr zum Zusammenbeißen... als hätte ich gar keinen Kopf mehr zum Hochhalten. Kopflos stürzte ich davon und rannte und rannte und rannte. Und doch konnte ich meiner eigenen Angst nicht davonlaufen. Ich war am Ende der Tapferkeit angelangt. Ich hatte versagt. Ich hatte es nicht geschafft, bei Jesus auszuhalten. Im Laufen hörte ich noch den Hahn krähen. Aber das war jetzt auch egal.

Ich fand bei Freunden von Simon Zelotes Unterschlupf. Ich warf mich auf mein Nachtlager und heulte. Ich heulte wohl drei Tage und drei Nächte lang. Es strömten die Tränen aus mir heraus, die dreißig Jahre lang nicht strömen durften. Ich fühlte den Schmerz, den ich dreißig Jahre lang nicht fühlen durfte. Ich erlebte meine eigene Schwachheit, die ich dreißig Jahre lang nicht wahr haben wollte.

Und dann veränderte sich etwas. Auf dem tiefsten Punkt der Verlassenheit spürte ich eine geheimnisvolle Nähe. Der Christus, dem ich davon gelaufen war, war mir nachgeeilt. Der Christus, dem ich die Treue nicht halten konnte, war mir treu geblieben. ER WAR DA – und richtete mich auf. Am tiefsten Punkt meiner Schwachheit spürte ich seine Kraft in mir wachsen. Langsam begann ich das Geheimnis von Schwachheit und Niedrigkeit zu begreifen. Ich fing an zu begreifen, warum Jesus nicht auf Stärke setzte. Ich fing an zu begreifen, warum er auf Gewalt verzichtete und Leiden in Kauf nahm. Ich fing an zu begreifen, warum er Erniedrigungen auf sich nahm und Niedrigkeit zu seinem Weg dazu gehörte. Jetzt begriff ich, warum er sich dazu erniedrigt hatte, um mir die Füße zu waschen. Er hatte sich vor mir auf den Boden gesetzt! Doch um das zu begreifen, dazu musste ich selbst erst einmal zu Grunde gehen. Am Boden zerstört, fand ich neuen Boden unter meinen Füßen, auf dem ich wieder gehen konnte... auf neuem Grund, neue Wege, andere Wege. Ach,...

Erscheint lt. Verlag 23.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
ISBN-10 3-7583-9404-X / 375839404X
ISBN-13 978-3-7583-9404-1 / 9783758394041
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