Achtsam sprechen - kraftvoll schweigen -  Anselm Grün

Achtsam sprechen - kraftvoll schweigen (eBook)

Für eine neue Gesprächskultur

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
190 Seiten
Vier-Türme-Verlag
978-3-7365-0598-8 (ISBN)
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Wir sagen viel - aber reden wir wirklich miteinander? Kommen unsere Worte noch aus dem Herzen? Dem allgemein beklagten Verfall der Gesprächskultur setzt Anselm Grün in diesem Buch biblisch und psychologisch fundierte Überlegungen zum Thema Gespräch und Sprache entgegen. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Achtsamkeit für Sprache und eine hohe Sensibilität für die Macht und Wirkung von Worten. Daraus entwickelt er einen neuen Ansatz, um zum echten Gespräch zurückzukehren.

P. Dr. theol. Anselm Grün OSB | ist der wohl bekannteste Mönch Deutschlands. Seine Bücher begleiten Menschen unabhängig ihrer Konfession durch das Leben. In Kursen sucht Anselm Grün immer den Kontakt zu seinen Lesern und findet so Inspiration für neue Bücher.

Die Sprache im
Lukasevangelium

Der Evangelist Lukas war in griechischer Philosophie und Rhetorik ausgebildet. Das merkt man seiner gebildeten und schönen Sprache an. Er gilt in der Tradition als Arzt und Maler. Beide Bilder sagen etwas über seine Sprache aus.

Lukas spricht eine heilende Sprache. Lukas moralisiert nicht, er stellt auch keine dogmatischen Thesen auf. Er erzählt. Erzählung war die erste Form der Therapie. Indem ich eine Erzählung lese oder höre, werde ich verwandelt, es kommt etwas in mir in Bewegung, es geschieht in mir ein Prozess der Umkehr, ohne dass ich dazu moralisierend gedrängt werde. In der Erzählung finde ich mich selbst wieder.

Mit dieser heilenden Wirkung der Sprache steht Lukas in der Tradition der griechischen Philosophen. Plutarch berichtet etwa von Antiphon, dem Heiler: »Während er sich noch mit Poetik befasste, erfand er eine Kunst der Befreiung von Schmerz, ähnlich wie für jene, die krank sind, eine ärztliche Behandlung besteht. In Korinth wurde ihm ein Haus neben der Agora zugewiesen, auf dem er ein Schild anbrachte, wonach er Kranke durch Worte heilen konnte« (zit. n. Watzlawick 12).

Lukas hat mit seinem Evangelium ein Buch geschrieben, das Menschen lesen können, die an inneren und äußeren Krankheiten leiden, um so die heilende und tröstende Kraft der Worte an sich selbst zu erfahren. Lukas schreibt so von Jesus, dass die Leser und Leserinnen seine Wirkung als Arzt und Heiland an sich spüren. Das ist eine meisterliche Fähigkeit. Lukas hat sie von Platon gelernt, der »als der Vater der Katharsis, also der Seelenläuterung und Überzeugung durch Sprache« (Watzlawick 13) gilt.

Und die Sprache des Lukas ist eine malende Sprache. Lukas malt im Schreiben seines Evangeliums ein Bild von Jesus. Und er malt so, dass die Leser durch sein Gemälde verwandelt werden.

Der Würzburger evangelische Theologe Klaas Huizing meint, bei einer Erzählung des Lukasevangeliums gehe es einem wie Rilke beim Anblick des archaischen Torsos Apollos: »Da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern.« In den Bildern, die Lukas in seinem Evangelium und in der Apostelgeschichte malt, sehen wir uns selbst. Und die Bilder schauen auf uns. Das verwandelt uns. Lukas moralisiert nicht und fordert mich nicht auf, mein Leben zu ändern. Aber indem er faszinierende Geschichten erzählt, geschieht Verwandlung und eine Veränderung meines Lebens und meiner Lebenseinstellung.

Diese Bilder, die Lukas malt, kann man immer wieder anschauen, um ihre verwandelnde Wirkung zu erfahren. Dabei setzt Lukas wie die Griechen auf die Schönheit. Für die Griechen ist alles, was ist, schön. Und die Sprache hat die Aufgabe, der Schönheit der Dinge gerecht zu werden und die Menschen durch die Schönheit mit ihrer eigenen inneren Schönheit – mit dem göttlichen Glanz in sich – in Berührung zu bringen.

Wenn der Mensch mit seiner ursprünglichen Schönheit in Berührung kommt, dann wird er heil und ganz, gut und schön. Das Schöne ist für Platon immer auch »das Rechte, Geziemende, Gute, dem Wesen Angemessene, das, worin es seine Integrität, seine Gesundheit, sein Heilsein besitzt.« Lukas hat seine Heilungsgeschichten auch so geschrieben, dass die Menschen in ihre ursprüngliche Schönheit hineingehoben werden. Durch seine schöne Sprache wird das, was Jesus an den Kranken tut, für den Leser erfahrbar. Der Leser kommt mit seiner eigenen Schönheit, mit seinem ursprünglichen Glanz in Berührung.

Und die Sprache des Lukas ist eine emotionale Sprache. Er benennt nicht die Gefühle, sondern er drückt mit seiner Sprache die Gefühle aus. Man spürt an seiner Sprache, dass er sich in die Menschen hineinfühlt, von denen er schreibt, und dass er sich mit seiner Sprache dem jeweiligen Geschehen anpasst. Zugleich spürt man, dass er die Menschen liebt und mit Respekt von ihnen erzählt. Auch das ist ein Wesen von guter Sprache.

Die Sprache spricht zu jemandem und über jemanden. Und an der Art und Weise, wie ich spreche, wird deutlich, ob ich Menschen liebe oder verachte, ob ich den Menschen gute Worte sagen möchte – oder schlechte. Gute Worte sagen heißt segnen (im Lateinischen: benedicere). Schlechte Worte sagen heißt fluchen (im Lateinischen: maledicere). Indem Lukas gute Worte schreibt, weil er gut vom Leser denkt und ihn liebt, werden seine Worte zum Segen für seine Leser und Leserinnen.

Die Sprache des Lukas ist eine herzliche Sprache, die die Herzen der Leser berührt. Das wird deutlich in seiner Erzählung der Kindheitsgeschichte Jesu oder in den wunderbaren Erzählungen vom verlorenen Sohn oder von den Emmausjüngern. Wer je diese Texte aufmerksam gelesen hat, der kann sie nicht mehr vergessen. Diese Geschichten haben seit Jahrhunderten die Menschen berührt. Und auch Nichtchristen lesen diese Geschichten gerne, weil sie die Herzlichkeit darin spüren. Dichter haben diese Geschichten immer wieder zitiert, weil sie keine besseren Beispiele fanden, wie man herzlich über den Menschen und sein Schicksal, über seine Enttäuschung und Entfremdung, aber zugleich auch über die Freude des Wiederfindens und einer guten Begegnung schreiben kann.

Die Sprache des Lukas ist eine dialogische Sprache. Lukas hat immer den Leser oder Hörer im Blick. Und er liebt auch die Anrede. Er beginnt sein Evangelium schon mit einer persönlichen Anrede. Er widmet sein Evangelium einem vornehmen und reichen Mann: Theophilus. Diesem Theophilus möchte er die Geschichte Jesu so erzählen, dass dieser sich von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen kann (vgl. Lukas 1,4).

Die dialogische Sprache des Lukas wird nochmals bei den Seligpreisungen deutlich. Matthäus hat die acht Seligpreisungen als Weisheitsworte in der dritten Person geschrieben. Bei Lukas wendet sich Jesus konkret an die Menschen und spricht sie in der Du-Form an. Er führt einen Dialog mit den Zuhörern. Und dieser Dia­log soll zu einer Entscheidung führen. Daher kennt Lukas in seiner Fassung vier Seligpreisungen und vier Weherufe. Jesus ruft den Menschen zur Entscheidung auf, indem er ihm verschiedene Möglichkeiten aufzeigt.

Lukas nennt die christliche Lehre »logos«. Logos ist das Wort, das Gott in Jesus Christus zu den Menschen gesprochen hat. Logos umfasst aber auch das, was die anderen Evangelisten »euangelion«, »gute Botschaft« nennen. Lukas nennt sein Evangelium nie so, sondern er spricht von einer Erzählung. In dieser Erzählung zählt er nicht einfach Fakten auf, sondern er hat beim Schreiben eine übergreifende Idee: Er möchte erzählend das Heil und die Heilung darstellen, die in Jesus Christus damals geschehen ist und die heute an uns wirksam werden will.

Lukas ist der erste Vertreter der »narrativen Theologie«, einer »Theologie durch Erzählung«. In seiner einfühlsamen Erzählung möchte Lukas Menschen für Christus gewinnen. Seine Erzählung ist zugleich Werbeschrift und die erste frühchristliche Literatur, die es mit der Literatur seiner Zeit aufnehmen kann.

Lukas spricht von Erzählung (im Griechischen: diegesis), wenn er an sein Evangelium denkt, und von »logos«, wenn er die Botschaft vor Augen hat, die von Gott ausgegangen ist und die Jesus den Menschen verkündet hat. Aber diesen »logos« nennt er einen »logos parakleseos«, ein Wort des Trostes, ein Wort der Ermutigung (vgl. Apostelgeschichte 13,15). Das Wesen unseres Sprechens von Gott soll demnach das Trösten, Stärken, Ermutigen sein.

Und Lukas nennt das Wort Gottes »logos tes soterias«, das heißt: Wort des Heils, Wort der Rettung, der Heilung. Wir reden deshalb von Gott nur richtig, wenn unsere Worte heilende Worte sind. Aber in diesem Ausdruck steckt noch mehr. »Soteria« kann auch Bewahrung und Erhaltung des inneren Wesens bedeuten. Das Wort, das Lukas im Auftrag Jesu verkündet, ist ein Wort, das unser inneres Wesen schützt und dieses vor Verfälschung bewahrt. Es ist ein Wort, das rettet, indem es Erkenntnis schenkt. Das Wort reißt uns aus dem Zustand des Schlafes und des Unbewusstseins heraus.

Wenn wir dieses Wort Gottes auf uns hin auslegen, dann bedeutet dies: Indem wir Worte sprechen, die den Geist Jesu widerspiegeln, schützen wir den Menschen vor verfälschenden Worten und Auslegungen, die er in seiner Umgebung hört. Wir bewahren sein wahres Wesen. Das Wort Gottes entspricht seinem innersten Sein. Unsere Sprache will das Geheimnis des Menschen und seiner Seele schützen und behüten.

Lukas gebraucht neben dem Begriff »logos« häufig das griechische Wort »rema«. »Rema« ist zugleich Wort und Ereignis. Es ist ein Wort, das geschieht, das Wirklichkeit wird. Heinrich Schlier meint, »rema« bezeichne das Geschehen, »freilich im Blick darauf, dass es als Ereignis den Menschen anspricht« (Schlier 857). »Rema« hat immer dialogischen Charakter. Gott spricht uns im Wort und im Ereignis an. Die Hirten ziehen nach der Geburt Jesu nach Bethlehem mit den Worten: »Wir wollen also nach Bethlehem gehen und dieses geschehene Wort sehen, das der Herr uns kundgemacht hat« (Lukas 2,15, Übersetzung Grundmann).

»Rema« ist ein Wort, das Ereignis wird. Das deutsche Wort Ereignis kommt von »Eräugnis«. Es ist ein Wort, das sichtbar geworden ist und das man nun sehen kann. Das kann man geschichtlich verstehen: Das Wort, das der Engel den Hirten verkündet hat, ist Wirklichkeit geworden. Es ist ein geschichtliches Ereignis geworden.

Aber man kann dieses Wort auch psychologisch verstehen. Ein Wort bewirkt etwas im Menschen. Wenn ich jemanden kritisiere oder verletze, läuft er rot an. Wenn ich ihn ermutige, strahlt sein Gesicht. Wenn ich ihn mit Worten niedermache, wird er blass. Das jeweilige Wort wird sichtbar in der Reaktion des anderen.

Von Maria sagt...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
ISBN-10 3-7365-0598-1 / 3736505981
ISBN-13 978-3-7365-0598-8 / 9783736505988
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