Wo ich zu Hause bin -  Anselm Grün

Wo ich zu Hause bin (eBook)

Von der Sehnsucht nach Heimat

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
160 Seiten
Vier-Türme-Verlag
978-3-7365-0594-0 (ISBN)
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In einer scheinbar grenzenlosen Welt sehnen sich viele Menschen nach Heimat. Anselm Grün geht dieser Sehnsucht nach und zeigt, dass ein Zuhause nicht nur ein Ort ist, sondern ebenfalls unsere Sprache, Musik, die uns vertraut ist, Kontakte - auch in den sozialen Netzwerken - oder der Glaube, in dem wir aufgewachsen sind. Anselm Grün inspiriert in diesem Buch dazu, sich selbst auf die Suche zu machen, was für uns Heimat bedeutet und uns Sicherheit und Geborgenheit schenkt.

P. Dr. theol. Anselm Grün OSB | ist der wohl bekannteste Mönch Deutschlands. Seine Bücher begleiten Menschen unabhängig ihrer Konfession durch das Leben. In Kursen sucht Anselm Grün immer den Kontakt zu seinen Lesern und findet so Inspiration für neue Bücher.

Heimat verstehen wir gewöhnlich als den Herkunftsort, in dem wir geboren und aufgewachsen sind. Wir haben eine besondere Beziehung aufgebaut zu diesem Ort. Er ist uns lieb und teuer geworden. Wir können oft gar nicht genau sagen, was uns das Gefühl gibt, heimzukommen, wenn wir an den Ort unserer Herkunft kommen. Wir fühlen uns daheim, geborgen. Alles ist uns vertraut. Alles erinnert uns an die eigenen Wurzeln. Heimat schenkt Wurzeln. Wir haben das Gefühl, dass wir aus der Kraft dieses Ortes leben und aus der Kraft der Menschen, die hier gelebt haben. Sie alle geben uns Anteil an ihren Wurzeln. Offensichtlich sind die ersten Tage, Wochen und Monate eines Kindes für sein Werden entscheidend. Es nimmt mit offenen Augen und Ohren alles auf, was sich ihm darbietet. Und so, wie die Welt sich ihm darbietet, wird sie ihm vertraut.

Ich bin im Januar 1945 in Junkershausen, einem kleinen Dorf in der Rhön mit nur 100 Einwohnern, geboren. Mein Vater war im Krieg und hatte über seinen Bruder, der Mönch in Münsterschwarzach war, eine Möglichkeit gefunden, seine Frau und seine Schwägerin mit insgesamt sieben Kindern dort bei Bauern unterzubringen. Im August 1945 fuhren wir mit einem Holzvergaser-Lastwagen zurück nach Lochham, wo meine Eltern und Geschwister schon vorher wohnten. Obwohl ich also keine bewusste Erinnerung an Junkershausen habe, erlebe ich an diesem Ort doch etwas, das mir vertraut ist. Das gilt nicht nur für die Sprache, sondern auch für die Gerüche und für die Ausstrahlung, die von diesem kleinen Ort ausgehen.

Viele Menschen haben mir ähnliche Erfahrungen erzählt. Die ersten Eindrücke prägen sich tief in unsere Seele ein. Und wir können gar nicht mehr genau erklären, was sie in uns hervorrufen. Aber da ist offensichtlich etwas von dem, was Bloch mit dem »Hineinscheinen in die Kindheit« meint.

Carl Jacob Burckhardt, ein Schweizer Diplomat, Essayist und Historiker, definiert die Heimat als »den Ort des tiefsten Vertrauens, der tiefsten Ruhe, den Ort, der die Ruhe des Vertrauens schenkt« (Otto Kimminich, Heimat, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Band 4, Freiburg 1995, 1364). In der Heimat ist einem alles vertraut. Da hat man als Kind Vertrauen ins Leben gelernt. Das Vertraute des Ortes, der Verhaltensweisen seiner Bewohner, die vertraute Sprache, die vertrauten Rituale der Dorfgemeinschaft, aber auch der Kirche, die vertrauten Feste, all das hat das Vertrauen ins Leben gestärkt. All das wirkt in uns nach, wenn wir an die Heimat denken. Heimat ist der Raum des Vertrauens, in dem wir zu dem geworden sind, der wir heute sind. Wenn wir an die Heimat denken, denken wir immer auch an die Ruhe, die die Heimat ausgestrahlt hat. Da war noch nicht die Hektik von heute. Da hatte man noch Ruhe, um zu spielen, miteinander zu sprechen und die gewohnten Feste zu feiern.

Wenn ich im Urlaub die Wege durch den Wald nach Maria Eich gehe, die ich mit meinem Vater öfter gegangen bin, dann ist es nicht nur der schöne Wald, sondern es tauchen all die Erinnerungen an die Menschen auf, die mich hier geprägt haben, von denen ich Liebe und Zuwendung erfahren habe. Inzwischen ist mir Lochham, der Ort an dem ich groß geworden bin, nicht mehr der eigentliche Heimatort. Inzwischen bin ich seit mehr als fünf Jahrzehnten in Münsterschwarzach, zuerst war ich im Internat und dann im Kloster. Wenn ich in unserer Bachallee spazieren gehe, dann fallen mir all die Mitbrüder ein, mit denen ich hier gewandert bin, aber auch diejenigen, die die Abtei geprägt haben. Dieser klösterliche Wanderweg, der nur uns Mönchen vorbehalten ist, erinnert mich an die Wurzeln meines klösterlichen Lebens und an all die Menschen, die für mich in den letzten Jahrzehnten wichtig waren. Das waren nicht nur Mitbrüder, sondern auch Gäste und Freunde, die mich hier in der Abtei besucht haben und mit denen mich eine tiefe Freundschaft verband oder verbindet.

Heimat ist also nie nur ein äußerer Ort, sondern der Ort, der mich an die Menschen erinnert, die mich geprägt und genährt haben und aus deren Verbundenheit ich heute lebe. Dann erinnert mich alles an diese Menschen: der Geruch von Heu, das Singen der Vögel, das Rauschen des Windes, das Licht, das durch die Bäume einfällt und den Bach erglänzen lässt. Mit allen Sinnen nehme ich etwas wahr, was ich letztlich nicht genau beschreiben kann. Am besten ist es wohl mit dem Wort Herkunft zu benennen. Von diesem Ort her kommt etwas auf mich zu: Liebe, Geborgenheit, Herausforderung, Erfahrungen, die mich geprägt haben. Dort, wo ich herkomme, war ich auch angekommen bei mir selbst, dort war ich willkommen. Dort bekam ich alles, was ich nötig hatte, dort hatte ich das nötige Einkommen.

Schon vor dem Zweiten Weltkrieg, als viele Deutsche aus ihrer Heimat vertrieben wurden, beschäftigte sich die katholische Theologie mit dem Begriff der Heimat. Der Jesuit Alfred Delp, der 1945 von den Nazis hingerichtet wurde, hat im Jahre 1940 in den »Stimmen der Zeit« einen Aufsatz über Heimat geschrieben. Er vertritt darin die Meinung, durch den Krieg seien viele Menschen heimatlos geworden. So sei der Begriff der Heimat neu ins Bewusstsein gerückt. Heimat ist für ihn nicht einfach nur der Ort, an dem wir aufgewachsen sind, wo wir hingehören. Vielmehr meine Heimat immer schon eine innige Beziehung zu dem Ort, an dem wir lange Zeit gelebt haben. Delp schreibt, im Begriff Heimat liege »die ursprüngliche Beziehung des Menschen zu dem Land, in dem er geboren, zu dem Eigentum, in das er hineingeboren wurde, zu den Menschen, mit denen er über Land und Eigentum verbunden ist, und es liegt darin eine Zuständlichkeit des Menschen selbst, die so tief in sein Leben und dessen rechte Ordnung eingreift, dass der Heimatlose als der Mensch des Elends und des Unglücks bezeichnet wird« (Alfred Delp, Heimat, in: Stimmen der Zeit 137, München 1940, 278). Heimat sei mehr »als ein Hüten und Bewahren alten Brauchtums« (Delp 277). Zur Heimat gehöre nicht nur der Ort, sondern auch die Zeit. Es brauche eine dauernde Beziehung zu dem Ort, ein Anteilnehmen an der Geschichte dieses Ortes. »Die Geschichte bindet tief und verpflichtend an die Heimat, und sie bewahrt die Heimat vor der Entartung in das kleinbürgerliche Idyll« (Delp 280).

Menschen fühlen sich beheimatet in einer gemeinsamen Geschichte. Das erlebe ich oft bei Mitbrüdern, die in der Rekreation von den alten, längst verstorbenen Mitbrüdern erzählen. Die Geschichte, die sie miteinander erlebt haben, ist für sie Heimat, nicht nur der Ort Münsterschwarzach. Dabei sind es vor allem die leidvollen Erinnerungen, die die Menschen zusammenbinden und so etwas wie Heimat schaffen.

Heimat meint aber vor allem die Gemeinschaft, die mich trägt. Sie kann unabhängig vom Ort entstehen. So ist für viele Ordensleute die Ordensgemeinschaft Heimat, auch wenn sie an viele Orte zerstreut ist. Alfred Delp spricht von einer »metaphysischen Heimatbedürftigkeit des Menschen«. Der Mensch ist von seinem Wesen her auf Heimat angewiesen: »Der Mensch ist aus seiner letzten Wirklichkeit her ein gebundenes Wesen, er ist auf Ordnungen und letzte Heimgründe angewiesen«. Das Leben »ist ein Suchen nach Heimgründen, in denen es sich verfestigen und aus denen es eine letzte Sicherheit gewinnen könnte« (Delp 282). Delp spricht schon 1940 vom innerlich heimatlos gewordenen Menschen. Die äußere Mobilität hat ihn auch innerlich zum Nomaden gemacht. Und Delp weist auf die Gefahr hin, dass solche Nomaden dann anfällig sind für ein Kollektiv, das »in einer Art magisch-mystischer Benommenheit« (Delp 283) das, was Heimat ursprünglich war, ersetzt. Heimat steht für Delp »in einer tiefen und ursprünglichen Beziehung zu Religion. Sie enthüllte sich uns als die Summe der Bindungen und Ordnungen, in denen der Mensch verwurzelt und zu Hause ist und in deren Bejahung und Pflege er erst ganz Mensch wird ... Die Rückbindung (religio) des Menschen auf die tragenden Gründe findet ihre letzte Tiefe aber erst eben in der Religio, in der der Mensch tatsächlich heimfindet zu einer letzten Geborgenheit und Sicherheit« (Delp 284).

Alfred Delp hat seinen Artikel über die Heimat bewusst als Gegenentwurf gegenüber der Heimatideologie des Dritten Reiches geschrieben. Im Dritten Reich wurde der Begriff Heimat in den Mittelpunkt einer Blut-und-Boden-Ideologie gesetzt. Es entstanden kitschige Heimatromane. Vor dem Dritten Reich verherrlichten die Heimatromane die Idylle des Dorflebens gegenüber dem Stadtleben. Im Dritten Reich war Heimat das kostbare Gut, das man verteidigen musste. Den Soldaten sang man das Lied vor: »Heimat, deine Sterne«. Heimat wurde auf die arische Rasse verkürzt. Daher rebellierten die Dichter und deckten die Hohlheit dieses Heimatbegriffes auf.

Ab den 1980er-Jahren machten sich Dichter und Soziologen wieder neu Gedanken über die Heimat. Oft waren es Heimatvertriebene, die über das Thema Heimat nachdachten. Christian Graf von Krockow, der mit 17 Jahren 1944 aus Hinterpommern in den Westen floh, hat 1989 ein Buch geschrieben mit dem Titel »Heimat. Erfahrungen mit einem deutschen Thema«. Darin wehrt er sich, die Heimat zu einer Idylle zu stilisieren. Das Leben in der Heimat darf nicht in goldenen Farben geschildert werden. Oft genug war es hart und karg. Doch er macht die Erfahrung, dass die ersten Jahre, die man an einem Ort lebt, den Menschen mehr prägen als alles andere: »In der Kindheit also und nirgendwo sonst ist das angelegt, was wir Heimat nennen. Wie aus dem Anbeginn der Schöpfung, mit allen seinen Sinnen nimmt ein Kind die Umgebung in sich auf, und neben Auge und Ohr, nahe am Ertasten, am Greifen und Begreifen mit seinen Händen, ist sogar die Nase wichtig, die Vielfalt, die Eindringlichkeit der Gerüche. Ja, Heimat riecht: für den Jungen aus Hinterpommern zum Beispiel nach dem...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
ISBN-10 3-7365-0594-9 / 3736505949
ISBN-13 978-3-7365-0594-0 / 9783736505940
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