Burnout mit 25? (eBook)
210 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-043597-1 (ISBN)
Dr. phil. Beate Wilken ist Psychologische Psychotherapeutin und Supervisorin und arbeitet nach Tätigkeiten in Forschung und Lehre seit vielen Jahren in eigener Praxis.
Dr. phil. Beate Wilken ist Psychologische Psychotherapeutin und Supervisorin und arbeitet nach Tätigkeiten in Forschung und Lehre seit vielen Jahren in eigener Praxis.
1 Warum dieses Buch?
»Ich ›funktioniere‹ zwar, hab gerade meinen Bachelor gemacht, aber dann kommt sofort die nächste Herausforderung, nie hab ich wirklich Ruhe ... Immer vergleiche ich mich mit anderen und denke, die kriegen ihr Leben besser hin als ich, ich bin einfach nur nicht gut genug dafür das hinzukriegen. Ich reiche irgendwie nicht aus. Ich lächle zwar in meine Smartphonekamera, aber innerlich bin ich ein emotionales Wrack. ... Und ich hab nur noch Angst. Angst, nicht mithalten zu können und mein Leben nicht zu schaffen, Angst auch nicht genug Geld zu verdienen, um mir mal eine gute Wohnung leisten zu können. Und dann die Klimakrise. Ich fühle mich so ohnmächtig, weil so wenig getan wird. Der Krieg, all das was so schiefläuft in unserer Gesellschaft lässt mich erstarren und nimmt mir die Hoffnung für meine Zukunft.« (E., 24 J.)
Es geht mir in diesem Buch um Menschen wie E. – um junge Erwachsene zwischen ca. 20 und 30 Jahren, die sich in unserer Gesellschaft aktuell hohen Anforderungen gegenübergestellt sehen, gleichzeitig aber einer Zukunft entgegengehen, die unsicherer ist als je zuvor. Von der Gesellschaft und von der Politik wurden sie bisher wenig beachtet und in den letzten Jahren bei vielen Entscheidungen (z. B. in der Coronakrise) sogar sträflich übergangen. Ihr Kampf um eine für sie lebenswerte Zukunft fühlt sich für viele von ihnen an wie ein Kampf »gegen Windmühlen«. Im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs werden sie gerne etikettiert als »zu verwöhnt«, »nicht belastbar«, »nicht arbeitswillig«. Ich hoffe, dass den Leser*innen am Ende dieses Buches deutlich geworden sein wird, dass solche pauschalen Urteile mitnichten gerechtfertigt sind.
Die Idee zu diesem Buch entstand zunächst aus meinem Praxisalltag als ambulant tätige Psychologische Psychotherapeutin. Immer häufiger begegneten mir dort in den letzten Jahren (und auch schon vor Beginn der Coronakrise) junge Menschen zwischen ca. 20 und 30 Jahren mit Erschöpfungszuständen – schweren Erschöpfungszuständen, wie ich sie in meiner langjährigen Tätigkeit als Psychotherapeutin so zuvor nur bei Menschen ab 50 Jahren aufwärts gesehen hatte (z. B. nach jahrelangen Überlastungszuständen im Beruf oder in der Familie). Oft waren diese Erschöpfungszustände verbunden mit starken Selbstzweifeln und Zukunftsängsten, bei vielen Betroffenen auch mit Depressionen und anderen psychischen oder psychosomatischen Störungen. Dabei handelte es sich bei diesen jungen Patient*innen in der Regel um gut ausgebildete, in relativem Wohlstand aufgewachsene, von ihren Eltern geförderte und politisch informierte, verantwortungsvolle junge Menschen. Die meisten von ihnen waren Studierende oder standen in den ersten Jahren ihrer Berufstätigkeit.
Die Statistiken, u. a. auch die jährlichen Berichte der großen Krankenkassen zu ihren Versicherten, bestätigten meinen subjektiven Eindruck: Die Zahl junger Menschen mit psychischen Störungen und psychischen Problemen steigt seit Jahren an, und dies nicht erst seit der Coronakrise, die die Situation noch einmal verschlimmert hat.
So benennt z. B. die Techniker Krankenkasse eine diesbezügliche Studie der Columbia-Universität von 2018: In dieser Studie unter Studienanfängern in acht Ländern, darunter auch Deutschland, gaben 35 % der Studierenden an, dass sie schon einmal von psychischen Störungen wie z. B. Angststörungen oder Depressionen betroffen gewesen seien.1 Im Arztreport der Barmer von 2018 wird berichtet, dass 2016 25,8 % der 18- bis 25-Jährigen von einer psychischen Erkrankung (wie Depressionen und Angststörungen) betroffen gewesen seien. Speziell die Zahl junger Erwachsener mit einer depressiven Erkrankung sei zwischen 2005 und 2016 um 76 % gestiegen.2 Bei einer Befragung des Portals Linkedin von 2018 gaben 67 % der deutschen Arbeitnehmer*innen an, vor ihrem 30. Lebensjahr schon einmal eine schwere Krise gehabt zu haben.3 Laut einer Befragung der Techniker Krankenkasse vom Januar 2023 sind aktuell 37 % (!) der Studierenden stark emotional erschöpft und daher von einem Burnout bedroht. Auch die Verordnung von Psychopharmaka habe in dieser Altersgruppe deutlich zugenommen.4 Und auch eine Online-Umfrage der AXA-Versicherung von 2023 ergab eine Zunahme von psychischen Beschwerden und Erkrankungen bei jungen Erwachsenen.5
Daher drängte sich mir immer mehr die Frage auf: Wie ist diese Entwicklung zu erklären? Was verbindet diese jungen Leute? Was sind – über individuelle Aspekte hinaus – die Belastungen, die diese jungen Menschen zu tragen haben? Was sind die Themen, die sie beschäftigen? Was sind die Aspekte unserer Gesellschaft und ihrer Lebenswelt, die dazu beitragen, dass viele von ihnen sich schon im Alter von 25 oder 30 Jahren als erschöpft und »ausgebrannt« erleben und nur wenig Freude und Zuversicht für ihr Leben entwickeln können?
Diese Frage ließ mich nicht mehr los. Ich begann nicht nur mit meinen Patient*innen in der Praxis, sondern auch mit weiteren jungen Menschen aus meinem privaten und beruflichen Umfeld über dieses Thema zu sprechen, und ich begann, in der psychologischen und soziologischen Literatur nach möglichen Erklärungen zu suchen. Ich führte Interviews mit einzelnen Betroffenen durch und startete eine Internetumfrage mit Hilfe eines Umfrageportals, in dem die Teilnehmer*innen mir – völlig anonym – Fragen zu den o. g. Aspekten beantworten konnten.6
Das wichtigste Ergebnis dieser Gespräche und Recherchen vorab: Die Ursachen für die geschilderten Erschöpfungszustände bzw. Empfindungen sind keinesfalls allein in den individuellen Begebenheiten der Betroffenen zu suchen. Es wäre schlichtweg falsch, sie als persönliches »Versagen« oder »Schwäche« der Einzelnen abzutun! Auch eine Psychotherapie, die allein auf die Stärkung von Stressbewältigungsstrategien und Resilienz auf individueller Ebene abzielt, greift meines Erachtens hier zu kurz. Vielmehr wurde mir im Laufe meiner Beschäftigung mit dem Thema zunehmend deutlich, wie sehr die aktuellen Lebensbedingungen in unserer an Wachstum und ständiger Effizienzsteigerung orientierten Gesellschaft und die durch diese Bedingungen geprägten Normen und Automatismen gerade junge Menschen in diesem Alter belasten und bei ihnen zu massiven Erschöpfungsreaktionen und zu einer mangelnden Zuversicht für das eigene Leben beitragen können. In der deutschsprachigen Soziologie werden diese Bedingungen seit Jahren in ihren Auswirkungen auf die Gesamtbevölkerung diskutiert; Veröffentlichungen zahlreicher renommierter Soziologen wie Alain Ehrenberg (»Das erschöpfte Selbst«), Byung-Chul Han (»Die Müdigkeitsgesellschaft«), Hartmut Rosa (»Beschleunigung und Entfremdung.«) oder Armin Nassehi (»Unbehagen. Theorie der überforderten Gesellschaft.«) verweisen darauf. Wie sich diese Bedingungen speziell auf das Leben junger Menschen auswirken können, wurde bisher jedoch nur wenig untersucht.
Wichtige Stichpunkte sind in diesem Zusammenhang für mich:
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der Zwang zur Optimierung in nahezu allen Lebensbereichen,
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eine »beschleunigte« Gesellschaft und durchgetaktete Lebensabläufe,
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die Belastung durch soziale Vergleiche (gefördert durch Social Media),
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die Vermarktung des Selbst,
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Konkurrenz statt Solidarität,
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Häufig erforderliche Wohnort- und Arbeitsplatzwechsel,
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die Überforderung durch eine Vielfalt von Optionen in Entscheidungssituationen,
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der Verlust von Halt und Sicherheit in stabilen Beziehungsstrukturen,
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finanzielle Sorgen und
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Mangel an bezahlbarem Wohnraum.
Dazu kommen aktuell weltweite Bedrohungsszenarien, mit denen die vorhergehenden Generationen in dieser Form nicht konfrontiert waren: die zunehmend spürbare Bedrohung sämtlicher zukünftiger Lebensgrundlagen durch den Klimawandel und andere damit verwobene ökologische Krisen, die Bedrohung der Gesundheit durch eine Pandemie, die Bedrohung unserer demokratischen Gesellschaftssysteme durch zunehmenden Rechtsradikalismus und Autoritarismus und aktuelle Kriege, deren Folgen langfristig noch gar nicht absehbar sind.
All diese Themen »erdrücken« und »bedrücken« die heutigen Mittzwanziger*innen (zusätzlich zu möglicherweise vorhandenen sonstigen individuellen Problemen und Schwierigkeiten) und machen für manche die eigene Zukunft zunehmend »unplanbar«.
So sagt z. B. R., 27 J., zum Thema Optimierungsdruck: »Ich war noch nie wirklich glücklich und zufrieden mit mir, noch nie richtig unbeschwert. Immer trage ich das Gefühl in mir, nicht gut genug zu sein, in dieser Gesellschaft nicht mithalten zu können, egal in welchem Lebensbereich.«
Und N., 26 J., schreibt zum Thema...
Erscheint lt. Verlag | 13.3.2024 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Angst / Depression / Zwang |
Schlagworte | Burnout • Erschöpfung • Klimawandel • Krise |
ISBN-10 | 3-17-043597-3 / 3170435973 |
ISBN-13 | 978-3-17-043597-1 / 9783170435971 |
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