Wandelzeiten (eBook)
392 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-12494-4 (ISBN)
Thomas Reger, Jahrgang 1964, hat in München Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Danach führte ihn sein Weg zu einem Spezialchemiehersteller im oberbayerischen Raum. Internationale Kontakte zu Kollegen anderer Kulturkreise und Traditionen öffnete in ihm, dem gebürtigen Jungen aus Oberbayern, die Tür zu einem offenen Welt- und Menschenbild. Privat unterstützte er während der Flüchtlingskrise Menschen verschiedenster Nationalitäten an seinem Heimatort. Schreiben wurde in den vergangenen Jahren zu einer seiner Leidenschaften. Das Buch 'Essigsaurer Zucker' ist eine fiktive und faktenreiche Kriminalgeschichte, die unter anderem auf eigene Erfahrungen während der Zeit als Flüchtlingshelfer zurückgreift. Sein zweites Buch 'Wandelzeiten': Von Berufswegen den Blick auf die weite Welt gerichtet, verstärkte sich gleichzeitig das Interesse an seiner Heimat und deren Geschichte. Einer Zeitreise gleich und 100 Jahre zurück, greift er im Buch 'Wandelzeiten' ein einschneidendes Ereignis in seiner Heimat auf. Was Ihn dabei interessiert: Lebensumstände damals wie heute entstehen nicht einfach aus sich selbst heraus. Sie sind die Folge von Begebenheiten in Politik, Gesellschaft und den Handlungen einzelner Individuen. Welche gesellschaftlichen Mechanismen von Ursache und Wirkung gab es zu jener Zeit? Wie mag die Bevölkerung gefühlt, gedacht und gehandelt haben? Mit 'Wandelzeiten' macht er sich auf die Suche nach Antworten in der heimatlichen Provinz der 1920er Jahre. Frei nach dem Motto: 'So könnte es gewesen sein!' und für den Leser entlang der geschichtlichen Ereignisse in Szene gesetzt.
Thomas Reger, Jahrgang 1964, hat in München Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Danach führte ihn sein Weg zu einem Spezialchemiehersteller im oberbayerischen Raum. Internationale Kontakte zu Kollegen anderer Kulturkreise und Traditionen öffnete in ihm, dem gebürtigen Jungen aus Oberbayern, die Tür zu einem offenen Welt- und Menschenbild. Privat unterstützte er während der Flüchtlingskrise Menschen verschiedenster Nationalitäten an seinem Heimatort. Schreiben wurde in den vergangenen Jahren zu einer seiner Leidenschaften. Das Buch "Essigsaurer Zucker" ist eine fiktive und faktenreiche Kriminalgeschichte, die unter anderem auf eigene Erfahrungen während der Zeit als Flüchtlingshelfer zurückgreift. Sein zweites Buch "Wandelzeiten": Von Berufswegen den Blick auf die weite Welt gerichtet, verstärkte sich gleichzeitig das Interesse an seiner Heimat und deren Geschichte. Einer Zeitreise gleich und 100 Jahre zurück, greift er im Buch "Wandelzeiten" ein einschneidendes Ereignis in seiner Heimat auf. Was Ihn dabei interessiert: Lebensumstände damals wie heute entstehen nicht einfach aus sich selbst heraus. Sie sind die Folge von Begebenheiten in Politik, Gesellschaft und den Handlungen einzelner Individuen. Welche gesellschaftlichen Mechanismen von Ursache und Wirkung gab es zu jener Zeit? Wie mag die Bevölkerung gefühlt, gedacht und gehandelt haben? Mit 'Wandelzeiten' macht er sich auf die Suche nach Antworten in der heimatlichen Provinz der 1920er Jahre. Frei nach dem Motto: "So könnte es gewesen sein!" und für den Leser entlang der geschichtlichen Ereignisse in Szene gesetzt.
Der Brief aus München
3. Mai 1919
Langsam schlurfte Nepomuk Langkofler, Pfarrer von Moosen6, in seinen Filzpantoffeln über die knarzenden Holzdielen der Küche des Pfarrhauses. Er war auf dem Weg zum Schüsselkorb an der Wand, um sich einen Keramikbecher für eine Tasse heißes Wasser zu holen. Nur er, wenn er sich bewegte, oder die im Küchenherd eingelegten glühend schnalzenden Holzscheite durchbrachen die Stille im Raum. Mit dem linken Oberschenkel lehnte er an der Reling des Herdes und goss sich mit einer Schöpfkelle heißes Wasser in die steingraue Tasse. Er holte seinen Gehstock zu sich, um zurück zum Esstisch zu hinken, wo er sich an seinen angestammten Platz auf ein Kissen setzte. Seine Pfarrersköchin, Therese Angermayr, war nur tageweise bei ihm im Pfarrhaus und kümmerte sich um sein Wohlbefinden. Und so war es lediglich der gekreuzigte Jesus Christus, umrahmt von Palmkätzchen, der aus dem Herrgottswinkel warmherzig, so gut es halt ging als Gekreuzigter, auf ihn hernieder blickte.
Er rückte sich am Platz zurecht und holte aus der Innentasche seiner Joppe einen Brief hervor. München, Mariahilfplatz 13, Pfarrer Zeno Fischbacher stand außen auf dem Briefumschlag. Er wusste natürlich, dass er von seinem Studienkollegen und Freund Zeno war, trotzdem hatte er ihn schon den ganzen Tag mit sich herumgetragen und hielt nun für ein paar Sekunden inne, bevor er bereit war, den Brieföffner anzusetzen. Bei funzlig flackerndem Licht einer Petroleumlampe las er.
Mein lieber christlicher Bruder im Glauben, mein lieber Nepomuk!
Wie soll ich beginnen? Es sind meine verwirrten und schmerzenden Gedanken, die es mir nicht leicht machen, die rechten Worte zu finden. Es ist ein heilloses Durcheinander hier in München und wohl überhaupt im ganzen Land. Überall in den Straßen trifft man auf herumlungernde Matrosen, junge Soldaten und Kriegsversehrte. Hungernde und bettelnde Menschen, ob alt oder jung. Sie sind allerorts zu sehen. Es wird gehamstert und erschlichen, wo es geht.
Über alledem regiert das politische Chaos dieser Tage. Eine Revolution löst die andere ab, aber das weißt Du sicherlich auch aus der Zeitung und den vielen Nachrichten aus der Stadt. Den vorläufigen Höhepunkt hatten wir von Ende April bis jetzt zum 1. Mai 1919 erlebt. Marodierende Einheiten der Roten Garden, dem militaristischen Arm der roten Räterepublik, stießen auf die Weißen Garden der reichsdeutschen Befreiungsarmee des Generals von Owen, im Gefolge ein Freikorps des Ritters von Epp, einst königlich-bayerischer Kommandeur der Leibregiments7.
Während draußen Maschinengewehrsalven herüber von der Lindwurmstraße und der Au ratterten, verharrten der Mesner und ich samt einer Gruppe bis ins Mark verängstigter Menschen jeden Alters in unser Kirche bei demütigen Gebeten. Als dann plötzlich Rotgardisten das Tor zum Kirchenportal aufrissen,
war es mit der friedlichen Andacht und dem Beten vorbei. Mit gezückten Gewehren und Pistolen im Anschlag bedrohten sie unsere ehrfürchtige Gemeinschaft, diese jungen ehemaligen Soldaten. Nur mit Mühen konnte ich sie abhalten, schlimmeres Unheil anzurichten, indem ich mich den Eindringlingen entgegenstellte, um Leibesvisitationen und mehr an den Anwesenden zu verhindern. Vehement forderte dieser gewaltbereite Mob die Herausgabe eines flüchtenden Widersachers, den sie offensichtlich angeschossen hatten und in der Kirche vermuteten. Bei meinem Leben hatte ich geschworen, dass dieser Mann nicht im Raume sei. Nur aufgrund meines forschen Auftretens als ehemaliger Feldpfarrer im Königlich-Bayerischen Infanterie-Regiment unter Hinweis auf den kommandierenden Oberst Anton von Langlois8 und meiner offenkundigen Kriegsverletzung links am Hals sowie meinem verbrannten linken Ohrstummel konnte ich dem Anführer dieser blutrünstigen Meute Einhalt gebieten. Und in der Tat, nach dem Abzug der ungebetenen Gesellschaft fanden wir nahe dem Eingang zur Sakristei einen stark blutenden jungen Mann, dem Tode näher als dem Leben.
Lieber Nepomuk, Du merkst, wie sehr mich diese Ereignisse aufwühlen. Gleichzeitig muss ich Dir leider als Kern und Ursprung meiner Einlassungen an dich mitteilen, dass unser gemeinsamer Freund und Kollegiat am Freisinger Priesterseminar, Ignatz Gutsmoser, seinen Kriegsverletzungen im Alter von 31 Jahren erlegen ist. Alle drei waren wir in diesen heroischen vaterlandsgetreuen Krieg gezogen und keiner hatte sich mehr dem allgemeinen Sog entgegengestellt als Ignatz es als Friedensstifter und Versöhner zuvor getan hatte. Er hätte nie, wie viele andere, sinngemäß gesagt: „Der Kriegsdienst ist unser heiliges Recht und … ist ein schönes Zeichen für die gesunde, vaterländisch-männliche Kraft des Geistlichen Standes, dass er nicht müßig am Markte stehen … will, sondern nach christlichem Grundsatz auch da dienen möchte, wo es den höchsten Einsatz gilt zu geben: im Heere, in der Mitte der Blüte und der Kraft unseres Volkes …“9. Ja, das waren die Worte und die Gesinnung, die uns antrieb und vermeintlich über unseren Gott stellte. Welch eine menschliche Arroganz? Wie blind und taub waren wir für Ignatzens Wort des Friedens und der Versöhnung?
Welche Ironie der göttlichen Fügung, dass Ignatz durch eine vermeintliche Blindgänger-Gasgranate am 21. Oktober 1918 ostwärts von Vouziers auf der Linie Landèves – Chamiot10 dem Sterben hingegeben ward und der Herr ihn nun am 13.Mai 1919 bei sich aufgenommen hat. Er, der nur Gott und den Menschen dienen wollte und eben nicht dem verblendeten Kriegsgeschrei und Unfrieden anheimfiel. Er, der bis zu den letzten Tagen des Krieges unversehrt geblieben war und doch von uns genommen wurde. Stunden haben wir gemeinsam darüber philosophiert, bis das Kriegsgeschrei lauter und lauter wurde. Es waren wenige, die aus dem „Bismarck’schen Kriegsgebrüll“11 ausscherten, auch wir beide nicht sonderlich laut, und das friedliche Miteinander aller Menschen predigten. Aber er gehörte zu den Lauten. Und trotzdem ging er ins Feld zu denen, die es besonders hart treffen würde. Er wollte da sein für sie und ist nun gestorben für sie. Was waren wir in Freising für alberne und blödelnde Kerle gewesen und gleichsam tief beseelt von der Kraft Gottes in fester Absicht, den Menschen die Schönheit und Mystik des Glaubens darzubringen? Und jetzt, wo stehen wir Lebenden?
Er hatte recht, zu sagen: ‚Groß fängt der Krieg an, sehr klein wird alles enden‘. Oh Nepomuk, wo sind meine Zuversicht und mein Glaube geblieben? Mehr als vier Jahre des Heldentums. Wir haben die Vielen sterben sehen. Die Frucht ihres jungen Lebens ward mit ihrem Blute zerronnen auf den Äckern und Fluren des grausamen Leidens. Immer und immer wieder haben wir ihnen die letzte Hoffnung erteilt, ihnen die Augen geschlossen auf dem Weg in die ewige Gewissheit. Wie konnten wir die innere Stimme Gottes so katastrophal überhören? Wir hatten geglaubt, berufen zu sein, ein besonderes Gehör für ihn zu haben und doch ließen wir zu, dass wir dem verbalen Götzenbild des verletzten menschlichen und nationalen Stolzes erlegen sind. Es ist eine traurige Zeit und fern von Gewissheit für die irdische Zukunft. Es scheint, als wäre eine reißende Flut über uns hereingebrochen und schwemmte uns hinweg. Dem Ertrinken nahe sind wir hinweg gerissen von einer Odyssee der irdischen Gewalten und fern von rettenden Ufern. Mir sei gewiss, dass die einige und heilige Dreifaltigkeit alle Kraft braucht, uns alle zu erretten von der großen Sünde, die wir begangen haben.
Lieber Nepomuk, nur Dir will ich meiner Seele Tiefen und manch düsteren Grund offenbaren und auf dass ich stark im Glauben und Leben für meine hart getroffene Gemeinde sein kann. Und gleichermaßen erfüllen mich mit Freude und Zuversicht deine Gedanken und Worte, wie ich sie zuletzt in deinem Brief habe lesen dürfen. Lass mich enden mit den Worten und dem Gebet unseres so sehr geschätzten Paters Rupert Mayer, dessen Mut und Frömmigkeit in den Tagen unseres Dienstes für Gott und die Menschen immer ein großes Vorbild sein wird. Er warf seinen schützenden Körper auf einen verwundeten Kameraden, uneigennützig und im Bewusstsein seiner eigenen körperlichen Verletzlichkeit. Sein Gebet erflehe für uns den gleichen Schutz jetzt und für unser aller Zukunft:
„Herr, wie Du willst, so will ich geh’n, und wie Du willst, soll mir gescheh’n.
Hilf Deinen Willen nur versteh’n.
Herr, wann Du willst, dann ist es Zeit, und wann Du willst, bin ich bereit.
Heut und in alle Ewigkeit.
Herr, was Du willst, das nehm’ ich hin, und was Du willst, ist mir Gewinn.
Genug, dass ich Dein Eigen bin.
Herr, weil Du‘s willst, drum ist es gut, und weil Du‘s willst, drum hab’ ich Mut.
Mein Herz in Deinen Händen ruht.“
Hochachtungsvoll und in verbundener christlicher Bruderschaft
Zeno Fischbacher
Nepomuk legte den Brief zur Seite und murmelte einem inneren Antrieb folgend ein Vater Unser. Noch das „… denn Dein ist das Reich...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2024 |
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Mitarbeit |
Cover Design: Bodo Gsedl |
Verlagsort | Ahrensburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte |
Schlagworte | Aufkeimender Antisemitismus und Nationalismus • Das Streben nach Gleichheit als Wurzel der gesellschaftlichen Weiterentwicklung • Der Widerstand gegen die Obrigkeit • Heimatgeschichte anhand wahrer Begebenheiten • Historische Katastrophen und Krisen im Vergleich zu Heute • Historischer Roman • Spannungen und Probleme örtlicher Gemeinden |
ISBN-10 | 3-384-12494-4 / 3384124944 |
ISBN-13 | 978-3-384-12494-4 / 9783384124944 |
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