Natürliche Ziele

Geschichte und Wiederentdeckung des teleologischen Denkens
Buch | Softcover
308 Seiten
2005 | 1. Aufl. 2005
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-94121-0 (ISBN)

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Natürliche Ziele - Robert Spaemann, Reinhard Löw
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Die Sicht, daß die Natur zielgerichtet ist, gehört zur Menschlichkeit des Menschen, und hat eine lange philosophische Geschichte. Die Kenntnis dieser Geschichte ist geeignet, szientistische Vorurteile zu zerstören und der natürlichen Naturbetrachtung ihr Gewissen zurückzugeben.


Die neuzeitliche Naturwissenschaft beginnt mit dem Verzicht auf die Frage nach der Zielgerichtetheit natürlicher Prozesse. Diese Frage ist nach einem Wort von Francis Bacon »wie eine gottgeweihte Jungfrau, die nichts gebiert«. Naturbeherrschung ist Eingreifen in natürliche Prozesse auf Grund der Einsicht in kausalgesetzliche Bedingungszusammenhänge. Um Naturbeherrschung aber geht es dem neuzeitlichen Typus von Wissenschaft. »Eine Sache kennen, heißt wissen, was man mit ihr machen kann, wenn man sie hat«, schreibt Thomas Hobbes. Es gibt aber eine andere Weise des Kennens, für welche die Natur nicht primär Herrschaftsobjekt ist, sondern unser Zuhause; natürliche Lebewesen, nicht nur Verwertungsmaterial, sondern Mitgeschöpfe, unverwandt und zeitlebens selbst auf etwas aus.

Robert Spaemann, geboren am 5. Mai 1927 in Berlin, studierte Philosophie, Romanistik und Theologie in Münster, München und Fribourg. Von 1962 bis 1992 lehrte er Philosophie an den Universitäten in Stuttgart, Heidelberg und München, wo er 1992 emeritiert wurde. Robert Spaemann hatte zahlreiche Gastprofessuren inne, erhielt mehrere Ehrendoktorwürden und war 2001 der Träger des Karl-Jaspers-Preises der Stadt und der Universität Heidelberg. Robert Spaemann, einer der führenden konservativen Philosophen im deutschsprachigen Raum, starb am 10. Dezember 2018.



Vorwort

Einführung
Die Frage »Warum?«
Die Antworttypen auf die Warum-Frage
Die Warum-Frage im Bereich des Lebendigen

I. Platons Konzept der Teleologie
1. Teleologie und platonische Ideenlehre
2. Platons Lehre von der Bewegung
3. Teleologie und platonische Eros-Lehre
4. Teleologie und politische Philosophie

II. Aristoteles
1. Dynamis und ousia als Konstituentien der aristotelischen Theorie der Bewegung
2. Die aristotelische Lehre von der Bewegung
3. Immanente und transzendente Teleologie

III. Die Ausweitung der Teleologie in der Spätantike und ihre ontotheologische Fundierung in der Scholastik
1. Die Universalteleologie im stoischen Denken
2. Die Vollendung der teleologischen Weltsicht: Thomas von Aquino (1225-1274)
3. Höhepunkt und Peripetie des teleologischen Denkens

IV. Krise und Entmachtung des teleologischen Denkens bis zur Frühneuzeit
1. Die Krise der Naturteleologie im Hochmittelalter und der Frühneuzeit.
Argumente und Motive bei Buridan, Bacon, Descartes
2. Die Inversion des teleologischen Denkens
3. Nietzsches Angriff auf die invertierte Teleologie (Vorgriff)

V. Vermittlungsversuche zwischen Teleologie und Universalmechanik bei Leibniz, Wolff und Kant
1. Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716)
2. Christian Friedrich Wolff (1679-1754)
3. Immanuel Kant (1724-1804)
4. Die verschiedenen Formen der Zweckmäßigkeit bei Kant
5. Das Verhältnis von kausalmechanischer und teleologischer Naturinterpretation
6. Die ontologische Dimension des Teleologieproblems
7. Die praktisch-philosophische Dimension des Teleologieproblems
8. Das Teleologieproblem im Werk des späten Kant (nach 1796)

VI. Teleologie im Deutschen Idealismus: Fichte, Schelling, Hegel
1. Johann Gottlieb Fichte (1762-1814)
2. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1175-1854)
3. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831)

VII. Die Radikalisierung und Zerstörung der Erhaltungsteleologie im 19. Jahrhundert
1. Arthur Schopenhauer (1778-1859)
2. Friedrich Nietzsche (1844-1900)

VIII. Die Vollstreckung des Antiteleologismus durch die Naturwissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts
1. Grundlagen des biologischen Darwinismus
2. Evolutionstheorie und Teleologie
3. Die Ausweitung der Evolutionstheorie auf das gesamte Gebiet der Wissenschaft
4. Die entteleologisierte Wirklichkeit

IX. Kritik am Antiteleologismus
1. Gegenkritik an der Evolutionstheorie
2. Gegenkritik an der wissenschaftstheoretischen Analyse des Teleologieproblems

X. Die wiederentdeckte Teleologie
1. Zum symbolischen Charakter der Sprache
2. Das Mißlingen der »Entanthropomorphisierung«
3. Der neue Status der Evolutionstheorie
4. Zur »Notwendigkeit« teleologischen Denkens
5. Teleologisches Denken und Beweislast
6. Teleologie und Interesse
7. Der ontologische Status der Teleologie

XI. Teleologie und Teleonomie

Anmerkungen
Verzeichnis der verwendeten Literatur (Auswahl)
Register



Einführung

»Die Betrachtung natürlicher Prozesse unter dem Aspekt ihrer Zielgerichtetheit ist steril, und wie eine gottgeweihte Jungfrau gebiert sie nichts«, hat Francis Bacon geschrieben, einer der Herolde jener »tapferen neuen Welt«, in der gottgeweihte Jungfrauen keinen Platz haben. (1) Die Frage, ob auf Dauer für Menschen darin Platz bleiben werde, wäre Bacon wohl ganz unverständlich gewesen. Nutzenmaximierung durch wissenschaftliche Naturbeherrschung schien ihm ein eindeutiges Ziel und wichtiger als der unbedingte Respekt vor den Wesen, um deren Nutzen allein es gehen kann. Dem Anwalt der Krone waren peinliches Verhör, Folter und Rechtsbeugung im Dienste des entstehenden Absolutismus ebenso legitim wie die Reduktion des Umgangs mit der Natur auf das peinliche Verhör. (2) Die Frage, wozu etwas gut sein muß, um gut zu sein, ist nicht nützlich. Aber wie wollen wir wissen, was nützlich ist, wenn wir diese Frage unbeantwortet lassen?

Daß etwas geschieht, weil es zu etwas gut ist, das ist offensichtlich dann der Fall, wenn wir selbst etwas aus diesem Grunde tun. Es ist die heute noch herrschende Ansicht, es sei nur dann der Fall. Die teleologische Betrachtung anderer Prozesse als menschlicher Handlungen sei aus naturwissenschaftlichen, logischen und sprachanalytischen Gründen unzulässig, weil prinzipiell teleologische in nicht-teleologische Theorien, teleologische in nicht-teleologische Sprechweisen überführbar seien. Dieser Ansicht soll im folgenden widersprochen werden. Schon prima facie kommen dem, der die einschlägige Literatur liest, Zweifel. Der Zweifel richtet sich erstens auf die niemals diskutierte Beweislastverteilung. Gesetzt den Fall, es sei wahr, daß teleologische Rede sich prinzipiell in nicht-teleologische übersetzen ließe, so würde auch das Umgekehrte gelten. Es gibt jedoch ein stillschweigendes Einverständnis, daß die eine Sprache vor der anderen den Vorrang habe und daß nicht etwa die nicht-teleologische, sondern die teleologische Sprache im Falle ihrer Übersetzbarkeit eliminiert werden oder doch auf den Status einer uneigentlichen Rede herabgesetzt werden müsse. Dabei wird unterstellt, daß der »Teleologe« etwas Sonderbares und Unwahrscheinliches behauptet, wenn er von einer prinzipiellen Ähnlichkeit menschlicher Handlungen mit anderen Arten des Geschehens ausgeht. Wo für diese Ähnlichkeit der Beweis nicht erbracht werden könne, müsse vielmehr die Unähnlichkeit als das »Normale« für bewiesen gelten. Wenn wir bedenken, daß Aristoteles den Anaxagoras als ersten »Nüchternen unter irre Redenden« bezeichnete, weil er gegenüber den ionischen Naturphilosophen finale Deutungen in die Natur eingeführt habe, dann hatte er offenbar einen anderen Begriff von Normalität und von dem, was im Zweifelsfalle der Begründung bedürftig sei und was nicht. Ohne über das »Interesse der Vernunft bei diesem ihrem Widerstreite« (Kant) zu sprechen, d. h. hinter diese Paradigmendifferenz zu schauen, ist das Teleologieproblem gar nicht entscheidbar. Es sei denn, es ist durch eine definitorische Immunisierungsstrategie im vorhinein entschieden. Daß dies häufig geschieht, ist der zweite Prima-facie-Grund dafür, an der angeblich definitiven Erledigung des Teleologieproblems zu zweifeln. Daß Zwecke »gesetzt« werden, daß solche Setzung nur durch einen bewußten Willen geschehen kann, daß als solcher zwecksetzender Wille nur der menschliche Wille in Frage komme, all das wird in der Regel erst einmal als selbstverständlich vorausgesetzt, um dann in umständlichen Verfahren zu zeigen, daß so verstandene Zwecke in der außermenschlichen Natur nicht »vorkommen«. (3) Eine andere Immunisierungsstrategie besteht darin, daß man einen Begriff von Erklärung einführt - z. B. das sogenannte Hempel-Oppenheim-Schema -, der auf eine deterministische Abhängigkeit bestimmter Ereignisse von Antecedensbedingungen abhebt. Natürlich folgt daraus, daß der Begriff einer »teleologischen Erklärung« aus em

Erscheint lt. Verlag 24.8.2005
Sprache deutsch
Maße 155 x 228 mm
Gewicht 535 g
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte Eingriff in die Natur(prozesse) • Entwicklung der Naturwissenschaft • Ethik • Kausalität und Kausalgesetz • Moderne und neuzeitliche Naturwissenschaft • Natur als anthropologische Heimat vs. Natur als Herrschaftsobjekt • Naturbeherrschung • Ökologie • Ökologisches Naturverständnis • Philosophie • Rehabilitierung der Teleologie • Teleologie
ISBN-10 3-608-94121-5 / 3608941215
ISBN-13 978-3-608-94121-0 / 9783608941210
Zustand Neuware
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