Lebendige Seelsorge 6/2023 (eBook)

Kirche in Ostmitteleuropa
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
60 Seiten
Echter Verlag
978-3-429-06618-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lebendige Seelsorge 6/2023 -
Systemvoraussetzungen
5,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Die katholische Kirche versteht sich als Weltkirche und lebt auch als Weltkirche. Diese globale Dimension ist sicher einer ihrer größten Reichtümer und fasziniert auch viele nicht-religiös gebundene Menschen. Allerdings: Weltkirche zu sein und als Weltkirche zu agieren, gehört auch zu den anstrengendsten Prozessen. Dies hat die Weltbischofssynode vom Herbst gezeigt. Und dies zeigen immer wieder die großen Unterschiede im Verständnis von katholischem Glauben und Welt zwischen Nationen und Kontinenten. In vielerlei Hinsicht scheinen sich die westeuropäische und die mittel- und osteuropäische katholische Kirche besonders fremd zu sein. Gerade die Synodalen Prozesse der einzelnen Länder haben deutliche Unterschiede der kirchlichen Praxis, der theologischen Deutung und der Ansprüche an Kirchenreform an den Tag gebracht. Manchmal scheint es gar, als gäbe es zwei europäische Lager, die sich wechselseitig in ihrer jeweiligen Eigenart stabilisieren. Schaut man näher hin, herrscht große Unkenntnis und wenig Kontakt zwischen West und Mittelost. Hier setzt dieses Themenheft der Lebendigen Seelsorge an. Es will sehr schlicht farbige Einblicke in das kirchliche Leben der sogenannten post-kommunistischen Länder geben. Ich freue mich, dass Sie mit diesem Heft sehr viele der Länder in Ostmitteleuropa zumindest streifen können: Ungarn, Polen, das Baltikum, aber auch Serbien, Albanien, den Balkan, Kosovo und andere mehr. Wie sieht hier pastoraler Alltag aus? Wie stark wirken postkommunistische Transformationsprozesse auf die Gesellschaften und Kirchen ein? Wo liegen auch Unterschiede der Ortskirchen untereinander? Welche Partner- und Förderbeziehungen bestehen innereuropäisch? Und wie sieht der Blick aus, wenn man von hier nach Westeuropa schaut? Ich wünsche Ihnen und uns, dass aus mehr Kenntnis voneinander auch ein Abbau der Fremdheit erwächst.

Ute Leimgruber, Dr. theol., Professorin für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Regensburg.

Ute Leimgruber, Dr. theol., Professorin für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Regensburg.

Papst Franziskus und das theologische Denken in Ostmitteleuropa

Die offizielle Lehre der Kirche war für die katholische Kirche in Ostmitteleuropa eine sehr wichtige Quelle der theologischen Reflexion. Diese Reflexion erreichte in der ostmitteleuropäischen Theologie und insbesondere in der polnischen Theologie während des Pontifikats von Johannes Paul II. einen Höhepunkt, vor allem im Hinblick auf die Rezeption der päpstlichen Lehre im Leben der Kirche. Wo steht die polnische Theologie heute? Wie sieht ihre Zukunft aus? Ist sie von den Gedanken von Papst Franziskus inspiriert? Mieczyslaw Polak

Die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Lehre von Papst Franziskus und dem theologischen Denken in Mittel- und Osteuropa ist ein weites Feld. Die Vielfalt der kulturellen, sozialen und religiösen Kontexte in den verschiedenen Regionen bzw. Ländern Mittel- und Osteuropas führt auch zu einer Vielfalt der theologischen Kontexte. Es scheint daher notwendig, einige Einschränkungen vorzunehmen. Hier wird versucht, das Thema im Kontext der Theologie in Polen darzustellen.

ERBE DER GESCHICHTE


Das erste Element, das die heutige Gestalt der Theologie in Polen beeinflusst, ist das historische Erbe. Während der nationalsozialistischen Besatzung (1939–1945) wurden alle polnischen Universitäten, einschließlich der Theologischen Fakultäten und Priesterseminare, geschlossen. Viele Geistliche, darunter auch Theologieprofessoren, verloren in dieser Zeit ihr Leben (vgl. Bolewski/Pierzchała 1992). Nach Kriegsende verboten die kommunistischen Machthaber das Theologiestudium außerhalb zweier Zentren: der Katholischen Universität in Lublin und der Katholisch-Theologischen Akademie in Warschau. Diese verfügten nur über sehr eingeschränkte Personal- und Rekrutierungsmöglichkeiten. Die theologischen Studien wurden daher in den Priesterseminaren durchgeführt, mit dem Ziel, Priesteramtskandidaten auszubilden. Die neuen Doktor:innen und Professor:innen der Theologie wurden damals an den beiden Forschungsstätten in Polen und an ausländischen Universitäten, vor allem in Rom, ausgebildet. Ihr weiterer akademischer Weg wurde jedoch durch die kommunistischen Machthaber erheblich erschwert. Die Abschaffung des Religionsunterrichts hatte zur Folge, dass die Arbeitsmöglichkeiten für Laientheolog:innen stark eingeschränkt wurden.

Eine neue Situation für die Theologie in Polen entstand mit der Möglichkeit, Päpstliche Theologische Fakultäten und Theologische Akademien zu gründen. Solche Fakultäten wurden in Breslau (1968), Posen (1974), Krakau (1981) und Warschau (1988) gegründet. Diese kirchlichen Einrichtungen waren jedoch lange Zeit den staatlichen Universitäten nicht gleichgestellt und wurden ausschließlich von der Kirche finanziert. Viele Professor:innen und Dozent:innen wurden für ihre Arbeit nicht bezahlt. Sie bestritten ihren Lebensunterhalt vor allem durch seelsorgerische Tätigkeiten. Ihre Forschung mussten sie weitgehend selbst finanzieren. Die Anerkennung der an diesen kirchlichen Hochschulen erworbenen Diplome und Titel erfolgte erst in den 1980er-Jahren. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus der obigen historisch-strukturellen Skizze für die Beschreibung der Theologie in Polen ziehen? Theologische Forschung und Studium waren in Polen in den letzten Jahrzehnten eher mit der Kirche als mit der Universität verbunden. Die Unmöglichkeit, Theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten zu gründen, und das Fehlen beruflicher Perspektiven nach dem Theologiestudium außerhalb kirchlicher Institutionen führten zu einer sehr starken Einbindung der Theologie in das Innenleben und die Strukturen der Kirche. Didaktik und Forschung dienten lange Zeit in erster Linie der Ausbildung von Priesteramtskandidaten. Daher waren sowohl die Studiengänge als auch die Forschungsthemen stark von der kirchlichen Hierarchie geprägt. Die zahlreichen Schwierigkeiten, unter dem Kommunismus theologische Forschung zu betreiben, führten jedoch zu einer Öffnung der polnischen Theologie gegenüber den Errungenschaften der europäischen Theologie. Polnische Theolog:innen bedienten sich ausgiebig bei ihren westlichen Kolleg:innen. Deutlich seltener wurden eigene Beiträge in ausländischen Fachzeitschriften veröffentlicht. Die Tatsache, dass die theologische Forschung außerhalb der Universitäten stattfand, hatte auch zur Folge, dass keine spezifischen ‚theologischen Schulen‘ entstanden. Die Forscher:innen waren über viele kleine theologische Zentren verstreut, erfüllten zusätzliche pastorale Aufgaben und konzentrierten sich mehr auf die Ausbildung künftiger Geistlicher als auf wissenschaftliche Arbeit (vgl. Starowieyski 2000).

Mieczyslaw Polak

Dr. theol. habil., Prof. für Pastoraltheologie und Katechetik und Forschungsdekan an der Universität Poznań (Polen).

Die Unmöglichkeit, Theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten zu gründen, und das Fehlen beruflicher Perspektiven nach dem Theologiestudium außerhalb kirchlicher Institutionen führten zu einer sehr starken Einbindung der Theologie in das Innenleben und die Strukturen der Kirche.

ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN


Nach der Wende von 1989 eröffneten sich in Polen neue Perspektiven für die Entwicklung der Theologie. Es entstand die Möglichkeit, theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten zu gründen. Die Rückkehr der Theologie an die Universitäten war jedoch mit vielen Schwierigkeiten und Vorbehalten verbunden, nicht nur seitens der Universitäten, sondern auch seitens der Kirche in Polen (vgl. Przybecki 2009, 168–169). Die Grundlage für die Gründung der Theologischen Fakultäten bildeten die bereits bestehenden Päpstlichen Theologischen Fakultäten sowie die theologischen Studien und Forschungen an den Priesterseminaren. Heute gibt es sechs Theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten und zwei an kirchlichen Hochschulen.

Nach fast 50 Jahren hat die Theologie in Polen ihren Platz an den Universitäten gefunden. Sie wurde den anderen wissenschaftlichen Disziplinen gleichgestellt und erhielt den gleichen formalen Status wie diese. Die Theologischen Fakultäten wurden zu Lehr- und Forschungseinheiten der Universitäten und erhielten damit sowohl Forschungsmittel als auch staatliche Stellen für wissenschaftliches, lehrendes und administratives Personal. Andere Theologische Fakultäten an kirchlichen Universitäten und theologische Akademien in kirchlicher Trägerschaft erhielten ebenfalls den Status staatlich anerkannter und teilweise finanzierter akademischer Einrichtungen. Die Theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten wurden zwischen 1994 und 2003 gegründet.

Wie sieht die Zukunft der Theologie in Polen aus? Zunächst muss sie ihren Platz im universitären Kontext finden. Da sie über 50 Jahre nicht mehr an den staatlichen Universitäten vertreten war, muss die theologische Forschung und Lehre so gestaltet werden, dass sie so weit wie möglich akademischen Standards entspricht. Man kann von einer gewissen ‚Entkirchlichung‘ der Theologie sprechen, die aus ihrem engen kirchlichen Kontext heraustreten und sich stärker der Welt und den Menschen von heute öffnen muss. Es geht also um eine Theologie, die sich kreativ mit der Menschheits- und Weltgeschichte auseinandersetzt und auf die Zukunft der Menschheit ausgerichtet ist (vgl. Woźniak 2007, 81–130). Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich die Theologie aus dem Kontext des christlichen Glaubens entfernen sollte.

Seit Ende der 1970er-Jahre wurde die Theologie in Polen stark von der Lehre Johannes Pauls II. geprägt. Die Mehrheit der Theologen betrieb eine Forschung, deren Gegenstand durch die aufeinanderfolgenden Enzykliken und Apostolischen Schreiben bestimmt wurde. Man kann sagen, dass eine der Folgen einer so ausgerichteten Theologie darin bestand, dass die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils fast ausschließlich in der Interpretation von Johannes Paul II. akzeptiert wurde (vgl. Polak 2018). Besonders ausgeprägt war der Einfluss dieser Lehre im Bereich der Ehe- und Familientheologie. Sie hat das Forschungsfeld der Ehe- und Familientheologie deutlich erweitert und ihr eine klare anthropologische Ausrichtung gegeben (vgl. Kwiatkowski 2015). Obwohl das anthropologische Profil der Lehre von Johannes Paul II. die Gestalt des theologischen Denkens in Polen beeinflusste, blieb es meist auf kirchliche Fragen konzentriert. Die Vertiefung der anthropologischen Dimension der Theologie in Polen ist eine der wichtigsten Herausforderungen.

Die Theologie in Polen bedarf zweifellos auch einer stärkeren Internationalisierung der Forschung. Einerseits müssen die wissenschaftlichen Ergebnisse und Erfahrungen der Theologischen Fakultäten aus verschiedenen Teilen der Welt besser bekannt gemacht und genutzt werden, andererseits müssen die Forschungsergebnisse polnischer Theolog:innen im Ausland verbreitet werden. Da die überwiegende Mehrheit der Publikationen polnischer Theolog:innen in polnischer Sprache...

Erscheint lt. Verlag 20.12.2023
Reihe/Serie Lebendige Seelsorge
Verlagsort Würzburg
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte Pastoral • Seelsorge • Spiritualität
ISBN-10 3-429-06618-2 / 3429066182
ISBN-13 978-3-429-06618-5 / 9783429066185
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,1 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich

von Jeffrey Geoghegan; Michael Homan

eBook Download (2020)
Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA
12,99
Ein didaktisch-methodischer Leitfaden für die Planung einer …

von Sarah Delling; Ulrich Riegel

eBook Download (2022)
Kohlhammer Verlag
22,99