Und das soll man glauben? (eBook)
192 Seiten
Gütersloher Verlagshaus
978-3-641-31173-5 (ISBN)
Die einen nehmen jedes ihrer Worte wörtlich, für andere bieten ihre Geschichten nur krudes Zeug aus alter Zeit - und beide Gruppen verstehen die Bibel falsch. Andreas Malessa zeigt hier, wie man das Buch der Bücher als aufgeklärter Mensch des 21. Jahrhunderts wertschätzen kann, ohne seine Vernunft an der Garderobe abgeben zu müssen. Folgt man dem ebenso unterhaltsamen wie kundigen Essay des Autors, wird einem die Bibel schnell zu einem Leitfaden für moderne ethische Gewissensfragen. Gerade weil man sie »kritisch«, d.h. unterscheidend, lesen lernt. Sie ist ein Klassiker des Lebenswissens, der auch heute noch zu einer Welthaltung anleitet, die dem Glück im Dasein und in der Gemeinschaft dient. Malessas Sachbuch nimmt den Frommen die Angst vor den eigenen Zweifeln und öffnet Skeptikern einen neuen Blick auf einen Klassiker der Weltliteratur, ohne den es die Geschichte, die Kunst und die Kultur der westlichen Welt nie gegeben hätte.
Andreas Malessa, ist Hörfunkjournalist bei ARD-Sendern, ev. Theologe, Buchautor von Sachbüchern, Biografien und satirischen Kurzgeschichten. Seine TV-Talkformate, Dokumentarfilme, Hörbücher, Vorträge und die Musicals »Amazing Grace« und »Martin Luther King« aus seiner Feder stehen für Kompetenz und Humor, wenn es um die Interpretation biblischer Texte geht.
KAPITEL 3
Ist das Kultur oder kann das weg?
… fragten sich vermutlich Millionen Menschen, die den Corona-Lockdown 2020 dafür nutzten, ihre Dachböden, Keller und Bücherregale auszumisten. Möglicherweise hielt dabei die eine oder der andere eine Bibel in der Hand.
Meine Güte: Ledereinband, Goldschnitt, jeder Anfangsbuchstabe ein kalligraphisches Kunstwerk. Gelesen hat man die doch nie, diese Bibel. Solche Schinken werden ja auch nicht gelesen, sondern verschenkt. Zu denselben Anlässen, zu denen man auch in die Kirche geht: Taufe, Konfirmation, Hochzeit. Und nach der Beerdigung wird sie vererbt. Ungelesen weitervererbt. Bis zur nächsten Taufe, Konfirmation, Hochzeit und Beerdigung. Viermal im Leben geht der durchschnittsreligiöse Deutsche zur Kirche. Zweimal davon wird er getragen.
Dabei werden weltweit jedes Jahr etwa 40 Millionen Bibeln verkauft! Es ist der Mega-Bestseller, den die Hit-Listen der Nachrichtenmagazine wöchentlich ignorieren. Übersetzt in rund 1600 Sprachen, allein auf Deutsch sind rund 35 verschiedene Übersetzungen erhältlich. Von den hunderterlei Ausstattungsvarianten ganz zu schweigen. Die teuerste Bibel wurde bei Sothebys für 13 Millionen Euro versteigert, ihre ältesten Textfragmente sind unbezahlbar.
Schön und gut, aber – was wüssten Karl-Heinz und Karla, falls sie mal nach Inhalten gefragt würden? In Quizshows wird doch alles Mögliche gefragt! Wenig. Eigentlich nichts. Ein paar Figuren, ja. »Adam und Eva. Oder Noah, der mit der Arche. Und dass Jesus übers Wasser ging. Also gegangen sein soll, man weiß es ja nicht« …
Schade. Viele Leute meinen zu wissen, nicht glauben zu können, wovon sie nichts wissen. Obwohl sie es könnten, das Glauben. Denn lange vor der Frage, »ob man das glauben soll«, werden selbst überzeugte Nichtreligiöse zustimmen, dass man ohne die Bibel unsere gesamte europäische, »abendländische« Kultur nicht wirklich erfasst. Weil sie von der Bibel durchdrungen ist wie von keinem anderen Buch. Und dass man – auch ohne gläubiges Einverständnis – von, mit und in der Bibel viel lernen kann. Bildungsförderliche Kulturtechniken zum Beispiel:
Lernen lernen
Ich wuchs in einer frommen Familie auf, in der – zumindest in den Jahren, die ich erinnere – nach dem Mittagessen ein Kapitel aus der Bibel laut vorgelesen wurde. Was wir drei Kinder vermutlich nur deshalb stillsitzend ertrugen, weil es den Nachtisch erst nach der Rezitation gab. »Dessert? Erst hinterher!« Wie eine Art Belohnung. Erklärt wurde wenig, infrage gestellt wurde nix. Wirklich verstanden wahrscheinlich das Wenigste.
Aber: Schon in der Grundschule stellten die Lehrkräfte bei mir ein »ungewöhnliches Faible für Sprache«, »lange Aufmerksamkeitspannen« und »interessierte Offenheit« fest. Zuhören können, mitdenken, literarische Figuren bewundern oder fürchten, sich mit ihnen identifizieren oder sie ablehnen; nicht nur Kampfszenen, auch Gespräche oder Mimik spannend finden; sich Merksätze tatsächlich merken – all diese »soft skills« eines Schulkindes verdanke ich der Bibel. (Was desaströse Noten in Mathe und Betragen nicht ausschloss.) Genauer: Ich verdankte meine Lernlust der Selbstverständlichkeit, mit der unsere Eltern die Bibel lasen, vorlasen oder zitierten.
Das hätte bei nicht so arg evangelischen Bildungsbürgern vielleicht auch mit Grimms Märchen, den Buddenbrooks oder Goethes Faust funktioniert. Mag ja sein. Aber der Unterschied von Nils Holgersson, Tom Sawyer, Pipi Langstrumpf, Winnetou und Kara Ben Nemsi – die ich dann selber las – zu den Dramen um Lea und Rebekka, den Abenteuern des Joseph, des Mose, des David und Jonathan, der Königin Isebel gegen Elia, der Maria Magdalena oder zu den Worten und Taten des Jesus von Nazareth – dieser Unterschied war irgendwie immer klar. Weil die Akteure einer Geschichte in direkter Anrede »angesprochen« wurden! Von Gott, der ja in der Bibel wie ein Live-Kommentator im Fußballstadion dauernd mitteilt, wie er dieses oder jenes findet, was sich lohnt und was sich rächt.
Auch ohne moralischen Zeigefinger von irgendwem war mir kindlich klar: Du kannst nicht mit den Wildgänsen nach Lappland fliegen und nicht mit den Apachen Büffel jagen. Aber denk’ in der Turnhalle während der Sportstunde, am Schwebebalken und am Reck – Inbegriff der Angst, der Scham und der Demütigungen – doch an den Joseph, der erst im Brunnenloch, dann unschuldig im Knast, aber zum Schluss im Palast des Pharaos sitzt. Und der souverän großzügig seinen Arschlochbrüdern vergeben hat! Du kannst nicht fliegen wie Karlsson vom Dach. Aber auf dem Heimweg von der Schule kannst du den Prüglern ausweichen, wie David dem Saul und wie die Weisen aus dem Morgenland dem König Herodes.
Sprechen hören
Und dann, Schuljahr für Schuljahr, erst recht in den »Roaring Twenties« des Lebens, beim Um-die-Häuser-Ziehen, im Kino, in Clubs, bei Theaterstücken und auf Konzerten, staunte ich darüber, wo überall Bibel drinsteckt. Unüberhörbar natürlich schon in der Umgangssprache, mit der wir uns verständlich machen: Wenn jemand stundenlang ein edles Menü zubereitet hat für Gäste, die nur Fertigpizza und Pommes rotweiß zu schätzen wissen – dann hat er »Perlen vor die Säue geworfen«. Wenn eine ihren Ärger lieber ausspricht als runterschluckt, dann will sie »aus dem Herzen keine Mördergrube machen«. Als Helmut Kohl am Ende seiner Kanzlerschaft log und die Verfassung brach, beteuerte er: »Ich wasche meine Hände in Unschuld.« Alles »geflügelte Worte«, denen die Bibel eben diese verliehen hat. Willy Brandt trat 1987 vom Parteivorsitz der SPD zurück, weil »einige mir die Rolle des Sündenbocks zugedacht haben«.
Der »Sündenbock, der in die Wüste geschickt wird«, stammt aus der Bibel und meint das unschuldige, aber stellvertretend bestrafte Opfertier. Jemandem »die Leviten lesen« kommt nicht von Levi Strauss, dem Erfinder strapazierfähiger blauer Hosen aus Zeltstoff mit Kupfernieten, sondern die Redewendung kommt von den »Leviten«, den Helfern im Jerusalemer Tempel. Die bewahrten nämlich die Vorschriften auf, das Buch »Leviticus«. »Die Zähne zusammenbeißen«, weil man »im Dunkeln tappen« muss, »keine Mätzchen machen« sollte, aber auch nicht »als Lückenbüßer herhalten« möchte, weil ein »Wolf im Schafspelz« womöglich »ausposaunen« könnte, dass man »sein Haus auf Sand gebaut« hat, obwohl doch alle »ein Herz und eine Seele« sind – alles Bibel, alles Luther.
Unser sogenanntes Hochdeutsch, flächendeckend von Garmisch bis Greifswald, gibt es erst, seit Martin Luther das Neue Testament aus dem Griechischen übersetzte. Zwischen Dezember 1521 und Februar 1522 (in nur elf Wochen!) auf der Wartburg bei Eisenach. In den Jahrhunderten davor sprachen die Leute ihren jeweiligen Regionaldialekt, nord- und niederdeutsch »auf Platt«. Wer sich als Politiker oder Handelsunternehmer europaweit verständlich machen musste, benutzte Latein, die Geschäftssprache der Gebildeten, erst recht, wenn man offizielle Briefe und Verträge schrieb oder schreiben ließ.
Das ist für uns heute das Englische. Mindestens ebenso biblisch geprägt. Wenn Wall-Street-Analysten warnen, die Aktionäre müssten »the writing on the wall« beachten, dann meinen sie Daniel 5, Verse 25 bis 28.
Martin Luther selbst sprach »thüringisch-sächsisches Kanzleideutsch«, erfand aber neben den 64 sprichwörtlich gewordenen Redewendungen auch neue Substantive: Feuertaufe, Selbstverleugnung, Machtwort, Schandfleck, Lockvogel, Lästermaul und viele mehr. Kurz: Aus der »heiligen« Schrift wurde alltägliches Sprechen. Und »weltliches« Schreiben.
Lesen können
O. k., aber »Das also ist des Pudels Kern!« aus Goethes »Faust« oder »Denk’ ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht« aus Heinrich Heines »Wintermärchen« sind doch auch sprichwörtlich geworden und sind nicht aus der Bibel! Stimmt.
Aber Heine z. B. hat in seinem Gesamtwerk rund 400 mal Bibelverse und biblische Szenen zitiert oder literarisch bearbeitet, mehr als jeder andere deutsche Dichter. 1797 jüdisch geboren, 1844 evangelisch getauft, 1856 katholisch begraben, wurde er in der DDR und wird von Atheisten bis heute gern zitiert mit der sozialrevolutionären Hoffnung auf ein irdisches, ein diesseitiges Paradies-auf-Erden: »Ja, Zuckererbsen für jedermann / bis dass die Schoten platzen! / Den Himmel überlassen wir / den Pfaffen und den Spatzen.«
Als ihn aber mit Anfang 50 eine qualvolle Rückenmarkserkrankung acht Jahre lang an die »Matratzengruft« in Paris fesselte, schrieb er: »Ja, ich bin zurückgekehrt zu Gott wie der verlorene Sohn. Nachdem ich lange bei Hegel die Schweine gehütet habe. Das himmlische Heimweh überfiel mich und trieb mich zurück über die schwindligen Bergpfade der Dialektik.«1 1848 bereits schwerkrank, muss er starke Schmerzmittel nehmen. Als ihn sein Freund Karl Marx besucht, sagt Heine sarkastisch: »Wenn so ein bisschen grauer Staub in meinen fürchterlich schmerzenden Wunden dieselbe beruhigende Kraft hat wie die Religion, dann ist Opium auch eine Religion.« Karl Marx macht später daraus den Satz »Religion ist das Opium des Volkes«. Womit man der Religion, dem Opium und dem Dichter Heine unrecht tut.
Ich überlasse es jetzt mal den Schülerinnen im Deutsch-Leistungskurs oder den Germanistik-Studierenden, die lange Liste jener Literaturklassiker anzufertigen, die ohne Bibel und Bibelbezüge nie entstanden wären. Von Fjodor Dostojewskis Christus-Metapher »Der Idiot« bis zu Thomas Manns »Joseph und seine Brüder« oder seinem...
Erscheint lt. Verlag | 14.2.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie ► Christentum |
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ISBN-10 | 3-641-31173-X / 364131173X |
ISBN-13 | 978-3-641-31173-5 / 9783641311735 |
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