Wirksamer werden (Leben Lernen, Bd. 347) -  Tanja Dörner

Wirksamer werden (Leben Lernen, Bd. 347) (eBook)

Impulse und Interventionen für den Therapiealltag
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
280 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12283-1 (ISBN)
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Das ganze Potenzial von Psychotherapie nutzen - Konkrete Empfehlungen und Tools für eine wirksamere Psychotherapie - Auf Basis von Erkenntnissen aus der Psychotherapieforschung - Mit sofort einsetzbaren Arbeitshilfen zum Download Psychotherapie wirkt, das ist mittlerweile unumstritten. Aber was und wie wirkt sie genau? Und vor allem, was bedeutet das für die tägliche Arbeit von Psychotherapeut:innen? Auf diese Fragen gibt das vorliegende Buch Antworten und nähert sich ihnen aus zwei Richtungen: Aus der Breite der Psychotherapieforschung und der praktischen Erfahrung der Autorin. Was macht besonders fähige Therapeut:innen aus? Wie wird Veränderung möglich und was sind Prinzipien gelungener Interaktion? Die Antworten auf viele dieser Fragen stehen zwar schon seit Jahren fest, haben den Sprung in die Praxisräume aber noch nicht geschafft. Dieses Buch übersetzt die Erkenntnisse in konkrete therapeutische Fragen, Statements und Interventionen. Daraus ergeben sich wichtige Impulse, um das ganze Potenzial von Psychotherapie zu nutzen und im Therapiealltag mehr Wirksamkeit zu entfalten.

Tanja Dörner, Psychologische Psychotherapeutin, arbeitet als Psychotherapeutin im Ambulanzzentrum des Universitätsklinikums Eppendorf - Fachbereich Psychotherapie und Psychoonkologie. Sie ist Dozentin der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie mit dem Schwerpunkt Schmerzpsychotherapie und Schlafstörungen.

Tanja Dörner, Psychologische Psychotherapeutin, arbeitet als Psychotherapeutin im Ambulanzzentrum des Universitätsklinikums Eppendorf – Fachbereich Psychotherapie und Psychoonkologie. Sie ist Dozentin der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie mit dem Schwerpunkt Schmerzpsychotherapie und Schlafstörungen.

Taschensupervisor: Reflexion über Empathie und Wertschätzung


Was bedeutet Empathie für mich?

Was habe ich bisher in persönlichen Beziehungen über Empathie und Wertschätzung gelernt?

Wie äußere ich Empathie und Wertschätzung?

Welchen Patienten gegenüber fällt es mir in der Regel leicht, Empathie zu empfinden und/oder auszudrücken?

Welchen Patienten gegenüber fällt es mir in der Regel schwer, Empathie zu empfinden und/oder auszudrücken?

Woran erkenne ich mangelnden Zugang zu Empathie in Therapiesitzungen? (z. B. Anspannung, Müdigkeit, innerer Widerstand bei Validierungen, Validierungen fühlen sich nicht stimmig an, habe Schwierigkeiten die richtigen Worte zu finden)

Wie empathisch kann ich heute sein (1 – 10)?

1.3.2 Supershrinks


Lassen Sie uns darüber sprechen, was die bisher zu den Wirkfaktoren berichteten nackten Zahlen für den Einzelnen bedeuten können. Insbesondere bei Berufsanfängern können der begrenzte Einfluss von Interventionen, der therapeutischen Rolle und des Therapieverfahrens zu persönlicher Erfahrung von Hilflosigkeit und Überforderung führen. Zumindest bei mir war das der Fall. Während meines praktischen Jahres in einer Tagesklinik für ältere Menschen – ich kam direkt aus dem Hörsaal und hatte keine nennenswerte Erfahrung mit Patienten – saß ich zusammen mit der Stationspsychologin und dem leitenden Arzt Woche für Woche in einer offenen Gruppentherapiesitzung mit zehn Patienten im obligatorischen Stuhlkreis. Es gab kein vorgegebenes Thema, keinen festgelegten Ablauf. Die Gruppe wartete, bis einer der Teilnehmer ein persönliches Thema einbrachte. Ich nahm mir jedes Mal vor, mich einzubringen. Ich saß auf einem dieser stoffbezogenen Holzstühle, die Zeit schien stehen zu bleiben und in meinem Kopf herrschte einfach nur gähnende Leere. Alle zwei Wochen versammelten sich alle Psychologen im Praktikum im Haupthaus beim Chefarzt zur Supervision. Die Supervision bestand darin, eine Verhaltensanalyse zu einem unserer Patienten zu erstellen und daraus Interventionen abzuleiten. Doch uns fiel von Woche zu Woche kaum etwas ein. Ortswechsel, etwa drei Jahre später. Ich war inzwischen in einer Tagesklinik für Menschen mit anhaltenden Schmerzen angestellt und absolvierte parallel meine ambulanten Stunden in einem Ausbildungsinstitut. In der Tagesklinik war ich zuständig für eine von mehreren parallellaufenden Gruppen. Während meiner Urlaube wurde ich von einer erfahrenen Kollegin vertreten. Doch nach meiner Rückkehr kam es immer wieder vor, dass Patienten ihre Einzelgespräche auch weiterhin lieber mit meiner Kollegin als mit mir führen wollten. Oder ich hörte von Kollegen, dass sie Patienten aus der Gruppe auf deren Wunsch nach Abschluss der teilstationären Behandlung ambulant weiterführten, was bei mir selbst nie der Fall war. Der Gipfel dieser entmutigenden Erfahrung war aber, dass eine Gruppe von Bachelor-Studierenden der Gesundheitswissenschaften unser teilstationäres Konzept im Rahmen ihrer Abschlussarbeit evaluierten und ihre Ergebnisse vor dem gesamten Team präsentierten. Die Zufriedenheitswerte mit den psychologischen Einheiten waren im Vergleich zu den Einheiten bei den Physiotherapeuten und den Ärzten am niedrigsten und von den psychologischen Einheiten schnitten meine am schlechtesten ab. Ich rutschte immer tiefer in meinen Stuhl und begann mich zu fragen, warum unsere Patienten die Einheiten der Physiotherapeuten und Ärzte besser bewerteten und was meine psychologischen Kollegen anders machten als ich. Die psychologischen Gruppeneinheiten sind standardisiert, das heißt, wir führten durch die gleichen Inhalte. Entscheidend konnte also nicht der Inhalt, sondern musste die Form sein. Diese Beobachtung scheint sich durch Studien im Rahmen der Therapieforschung zu bestätigen: Wer die Behandlung durchführt, hat mehr Gewicht als das angewendete Verfahren (Miller et al., 2007). Das Wie schlägt das Was.

Schon 1974 wurde der Begriff des »Supershrinks« das erste Mal von David F. Ricks gebraucht, einem promovierten Psychologen aus den USA und späteren Harvard-Professor. Er hatte in einer Langzeitstudie mit hochbelasteten Jugendlichen herausgefunden, dass eine Untergruppe überdurchschnittlich bis ins Erwachsenenalter hinein profitierte. Diese Untergruppe unterschied sich von den anderen nur in der Person des Therapeuten. Auch in anderen Studien zeigen sich enorme Unterschiede zwischen den Behandlern: Patienten der erfolgreichsten Therapeuten schneiden zum Teil doppelt so gut ab als die der am wenigsten erfolgreichen Kollegen (Wampold & Brown, 2005). Der Effekt des Therapeuten übersteigt sogar den des angewendeten Therapieverfahrens. So erklärt der Therapeut je nach Studie bis zu 7 % der Variabilität im Therapieergebnis, die des Therapieverfahrens jedoch nur 1 % (Wampold et al., 2018). Nach Okiishi (2003) benötigt der effektivste Therapeut für eine erfolgreiche Behandlung im Durchschnitt sieben Sitzungen, der am wenigsten effektivste 94 Sitzungen, um das gleiche Ergebnis zu erreichen. Dieses Phänomen tritt auch bei den ärztlichen Kollegen auf. Auch dort hängt 6,7 % bis 9,1 % der Variabilität des Behandlungsergebnisses von der Person des Psychiaters ab. Der Einfluss der behandelnden Person geht sogar so weit, dass die erfolgreichsten Psychiater mit einem Placebo-Präparat bessere Ergebnisse erzielen als weniger hilfreiche Psychiater mit einem Verum (McKay et al., 2006). Wer kennt genau dieses Phänomen nicht aus eigener Erfahrung, nämlich aus der eigenen Schulzeit? Da gab es diesen einen Lehrer, der begeistern konnte für so etwas dröges wie Ableitungen und Kurvendiskussionen. Dieser Lehrer, wegen dem man gerne zur Schule ging, auch wenn das Fach verhasst und man darin wenig erfolgreich war. Bei mir war das definitiv mein Mathematiklehrer in der Oberstufe. Er schlenderte jeden Morgen in seinen beigen Klamotten (mir war vorher nicht klar, wieviel unterschiedliche Beige-Töne es gibt), die an ihm herumschlotterten, ins Klassenzimmer und warf seine Ledertasche achtlos auf das Pult. Die wenigen Haare strohig, die Haut so staubig wie die Tafelkreide. Er hielt sich und das Fach Mathematik nicht für den Nabel der Welt und tröstete bei einer missglückten Klassenarbeit einen gerne mal damit, dass die Mathenote später »keine alte Sau« mehr interessieren würde. Kreidestummel warf er grundsätzlich aus dem Fenster anstatt in den Mülleimer, ungeachtet der Schüler oder Lehrerkollegen, die da unten gerade herumliefen, und der neuesten technischen Errungenschaft, damals noch der Overheadprojektor, gegenüber war er nicht besonders aufgeschlossen. Die Mysterien der Mathematik konnte er aber so gut erklären wie kein zweiter. Tatsächlich beherrscht die Bildungsforschung genau dieselbe Diskussion wie die Psychotherapieforschung: Was macht guten Unterricht respektive wirksame Therapie aus? Auch jenseits des Lehrerzimmers ist die Studie des australischen Bildungsforschers John Hattie von 2009 bekannt geworden. Hattie wollte herausfinden, was guten Unterricht ausmacht und hat dafür über ein Jahrzehnt 800 Metaanalysen mit mehr als 50 000 Einzeluntersuchungen mit 250 Millionen Schüler ausgewertet. Ein Projekt, dessen Ergebnisse wirklich erstaunliche Parallelen zu Erkenntnissen aus der Psychotherapieforschung aufweisen: Die größten Unterschiede ergeben sich nicht zwischen Schulformen (Therapieverfahren) oder speziellen Lehrmethoden (therapeutische Techniken), sondern zwischen einzelnen Klassen. Auf den Lehrer kommt es also an. Ein guter Lehrer zeichnet sich nach Hattie durch stringente Führung und durch Klarheit aus. Der Schüler muss wissen, was die Ziele der Stunde sind (Therapieziele) und was der Lehrer von ihm möchte. Dabei gibt der Lehrer nicht nur Struktur vor, sondern nimmt auch immer die Perspektive des Schülers ein und handelt mit Respekt und Wertschätzung (therapeutische Beziehung). Der wirksame Lehrer fragt regelmäßig den Lernstand des Schülers ab (direktes Feedback) und lässt ihn über die Qualität des Unterrichts urteilen. Kein anderes Instrument hatte in der Studie einen größere Effektstärke als die systematische Selbsteinschätzung des Schülers. Auf all diese Faktoren komme ich noch zurück. Es ist faszinierend, dass Bildungs- und Psychotherapieforschung zu ähnlichen Ergebnissen kommen, wobei die Erkenntnisse aus der Hattie-Studie nicht nur unter Fachleuten, sondern auch in der Allgemeinheit angekommen sind, in der Psychotherapie-Praxis die aktuellen Ergebnisse aus der Forschung aber meines Erlebens nach eine untergeordnete Rolle spielen.

Frage ich meine Patienten, die nach einer REHA-Maßnahme oder einer stationären Behandlung die Therapie wiederaufnehmen, was für sie in dieser Zeit besonders hilfreich war, dann höre ich immer wieder von dem einen Oberarzt, der gerne Anekdoten aus seinem Privatleben einstreute, von dem Stationspsychologen, der ab und zu seine Ukulele auspackte, oder der Psychotherapeutin, die zu Beginn jeder Therapiesitzung zwar bis aufs Blut provozierte, aber mit der jede Sitzung in gemeinsamem Gelächter endete. Noch häufiger sind es aber die Mitpatienten, durch die erfahren wird, dass man nicht allein in seiner Not ist und unter denen sich ein starker Zusammenhalt und Freundschaften entwickeln. Was im Gedächtnis bleibt und was als hilfreich erlebt wird, sind oftmals Beziehungen, keine Techniken oder Charaktere, keine Interventionen.

Zurück zu den Supershrinks. Was genau unterscheidet diese fähigen Therapeuten von ihren Kollegen? Alle Forschungsbemühungen, die auf die Studie von Ricks folgten, konnten zeigen, dass demographische Faktoren wie Alter, Geschlecht oder ethnischer Hintergrund keinen Einfluss auf das Therapieergebnis haben (Castonguay & Hill,...

Erscheint lt. Verlag 20.4.2024
Reihe/Serie Leben Lernen
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Schlagworte Interventionen • Psychologie • Psychologische Psychotherapie • psychotherapeutische Interventionen • Psychotherapie • Psychotherapieforschung • Supervision • Therapeutische Haltung • Verhaltenstherapie • Wirksamkeit
ISBN-10 3-608-12283-4 / 3608122834
ISBN-13 978-3-608-12283-1 / 9783608122831
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