Dein Herz, mein Herz (eBook)

Spiegel-Bestseller
Wie mir eine Organspende ein zweites Leben schenkte
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
224 Seiten
Mosaik bei Goldmann (Verlag)
978-3-641-31226-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Dein Herz, mein Herz -  Tamara Schwab
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Dein Herz hat mein Leben gerettet - der emotionale SPIEGEL-Bestseller
Tamara Schwab steht mitten im Leben, als sie zwei plötzliche Herztode herausreißen. Es beginnt eine Odyssee der Arztbesuche, Operationen, Rückschläge und vor allem der Ungewissheit, bis sie erst fünf Jahre später erfährt, was die Ursache für ihre Herzstillstände war. Tamara Schwab hat einen Gendefekt, der ihr Herz immer schwächer werden lässt. Der einzige Ausweg ist eine Transplantation und das Warten auf ein Spenderherz. Als die passende Spende möglich wird, beginnt ein zweites Leben für Tamara Schwab. Sie kämpft sich Stück für Stück zurück, erlebt Dankbarkeit und Lebensfreude und teilt diese nun in ihrem Buch.

Wie fassen wir neuen Mut in scheinbar ausweglosen Situationen? Wie gehe ich mit sichtbaren und unsichtbaren Narben um? Lässt sich Resilienz wirklich erlernen?

Diese und viele weitere Fragen beantwortet Tamara Schwab, eingewoben in ihre ganz persönliche Geschichte mit ihrem Spenderherz.

Tamara Schwab, geboren 1993, ist Personalentwicklerin in einer großen Bank, als sie 2016 an einer vermeintlichen Herzmuskelentzündung erkrankt. Zwei plötzliche Herztode überlebt sie nur knapp, es folgen Krankenhausaufenthalte, Operationen und dennoch immer wieder Herzrhythmusstörungen. Aber Tamara gibt nicht auf: 2021 bekommt sie einen Gendefekt diagnostiziert, nachdem sie jahrelang falsch behandelt wurde. Am ersten August desselben Jahres wird ihr endlich das rettende Spenderherz transplantiert. Heute hält Tamara inspirierende Vorträge, engagiert sich zum Thema Organspende und arbeitet als Resilienztrainerin.

2. KAPITEL
ARRHYTHMOGENE WHAT THE FUCK?


In meinem Kopf sah es wie in meinem früheren Kinderzimmer aus. Als hätte eine Bombe eingeschlagen. Jedes Gedankenschloss, was ich mir in den vergangenen Jahren aufgebaut hatte, lag zertrümmert und in seinen Einzelteilen in meinem Kopf verstreut. Jeder Glauben an meine bisherigen Ärzte war von jetzt auf gleich kaputt wie mein altes Tamagotchi. Alle Hoffnungstürme auf Besserung, die ich so fleißig gestapelt hatte, stürzten ein. Und mindestens genauso fassungslos wie bei der Aufdeckung der Lügen über die Zahnfee und den Nikolaus, saß ich nun auch vor meiner neuen Herzwahrheit. Meine Welt war von einer Sekunde auf die nächste ein komplettes Chaos.

Denn Fakt war: Ich bin jahrelang einem Irrglauben hinterhergelaufen. Bin überzeugt davon gewesen, dass ich eine Herzmuskelentzündung habe, die ich mir mit meinem zu ehrgeizigen Verhalten selbst eingehandelt hatte, und unter der ich nun leiden musste. Und jetzt sollte plötzlich alles anders sein? Ich hatte keine Schuld daran, dass ich krank bin? Aber mir musste bewusst sein, dass das eine unheilbare Krankheit ist, weil sie genbedingt ist?

Gar nicht so einfach. Doch was blieb mir in solch einer Situation? Mich aufregen, rumheulen, Panik kriegen oder ins Depriloch fallen, weil ich eine genetische Erkrankung hatte? Machte es das erträglicher? Wohl kaum … Also versuchte ich stattdessen, die neue Situation zu akzeptieren und den Fokus erst mal darauf zu legen, dass ich plötzlich nicht mehr selbst schuld war an meinem miesen Schicksal. Adieu liebes schlechtes Gewissen, zum Abschied würde ich dir gerne eine ordentliche Backpfeife verpassen, dafür dass du mich umsonst jahrelang gequält hast. Ja, dieser Abschied war eine große Erleichterung.

Und nachdem ich das schlechte Gewissen nach Timbuktu geschickt hatte, versuchte ich als Erstes, in meinem Kopf aufzuräumen und für Ordnung zu sorgen. Doch wie macht man das, wenn gerade kein Arzt greifbar ist, um einem bis ins Detail zu erklären, was da eigentlich im Körper falsch läuft? Genau, man wirft seine guten Vorsätze ganz schnell über Bord und zieht den Ratgeber in der Not namens Google zu Rate. Ich weiß, eigentlich bin ich ja immer die Erste, die allen predigt, dass das absolut bescheuert ist und man das eben nicht tun sollte. Weil man spätestens angesichts der möglichen Diagnosen und deren Folgen instinktiv den nächsten Brückenpfeiler sucht. Aber ich denke, wenn man schon eine eindeutige Diagnose und nicht nur Symptome hat, dann könnte der digitale Freund und Helfer auch die ein oder andere hilfreiche Erkenntnis parat haben.

Also, Dr. Google, was können Sie mir zu diesem verkorksten DSP-Gen und der Krankheit ARVC alles verraten?

Was ist ARVC?

ARVC heißt ausgeschrieben Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie und ist eine genetische Erkrankung. Wer diese Genveränderung hat, vererbt sie unabhängig vom Geschlecht mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % an seine Nachkommen.

Ich klatschte meinem Schicksal innerlich Beifall. Ich hatte es geschafft, Murphys Gesetz zu bestätigen und damit mal wieder den schwarzen Peter zu ziehen. Nach einer Weile las ich weiter.

In gesunden Herzen werden Muskelzellen durch Proteine zusammengehalten. Bei ARVC-Patienten werden letztere durch den genetischen Defekt aber nicht richtig entwickelt. Die Verbindungen zwischen den Muskelzellen lockern sich, besonders wenn das Herz unter verstärkter mechanischer Beanspruchung steht. Dies ist beispielsweise bei ausgeprägten sportlichen Aktivitäten der Fall. Neben dem Lockern von Verbindungen können auch Herzmuskelzellen beschädigt werden oder absterben.

An dieser Stelle macht der Körper dann den großen Fehler! Er kommt auf die grandiose Idee, die kaputten Herzmuskelzellen in Bindegewebe umzuwandeln, wodurch Narben entstehen. Und um das noch lebende aber beschädigte Gewebe zu reparieren, bildet der Körper Fett.

Super, dachte ich mir. Ich hatte zwar kein Fett an den Hüften, dafür im Herz …

Doch warum ist das alles eine ziemlich dumme Aktion, die da der Körper startet? Durch das eingelagerte Bindegewebe und Fett verliert das Herz an Pumpleistung und es wird schwächer und schwächer. Richtig mies wird es besonders, wenn die Defekte an den Stellen liegen, die für die elektrische Erregungsleitung des Herzens zuständig sind. Denn dann sind die Erregungsleitungen für einen geregelten Herzschlag verändert oder unterbrochen. Die Folge können plötzliche lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen und sogar der plötzliche Herztod sein. In Italien wird diese Kardiomyopathie sogar als häufigste Ursache für den plötzlichen Herztod bei jungen Sportlerinnen und Sportlern vermutet. Meist tritt die Erkrankung erstmalig im Kindes- oder jungen Erwachsenenalter auf. Männer erkranken dabei häufiger als Frauen.

ARVC ist jedoch nur eine von mehreren Erscheinungsformen der übergeordneten Krankheit ACM (Arrhythmogene Kardiomyopathie). Denn mittlerweile weiß man, dass diese Erkrankung nicht nur rechtsventrikulär auftritt, also besonders den rechten Ventrikel des Herzens belastet. Seltene Genveränderungen können auch eine linksventrikuläre arrhythmogene Kardiomyopathie hervorrufen (ALVC). Zu diesen Bösewichten zählt unter anderem das DSP-Gen.2

Ich lehnte mich zurück und schüttelte den Kopf. Fünfzig Prozent Wahrscheinlichkeit einer Vererbung, Frauen erkranken seltener als Männer und die deutlich seltenere Form dieser Erkrankung verursacht das DSP-Gen.

Wow, da hatte ich wirklich wieder alle Wahrscheinlichkeiten gebrochen und den Sechser mit Superzahl im Lebenslotto gezogen. Langsam hatte ich das Gefühl, dass Stochastik sich durch mein gesamtes Leben zieht und ich in Bezug auf meine Gesundheit wirklich jede Wahrscheinlichkeit breche. Dieses Phänomen sollte mir mal mein ehemaliger Mathelehrer erklären.

Also gut, diese ganzen Beschreibungen passten tatsächlich faszinierend gut zu meinem Krankheitsbild. Aber trafen die Symptome ebenfalls den Nagel auf den Kopf? Ich recherchierte weiter …

Welche Symptome können auftreten?

Viele Patienten haben zunächst gar keine Symptome oder bemerken sie nicht, weil sie sehr unspezifisch sind und nicht richtig eingeordnet werden können. Sie können schleichend entstehen, aber auch akut. Wobei sie häufig durch körperliche Anstrengung oder psychische Belastungen ausgelöst werden. Die ersten Symptome zeigen sich meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Zu diesen zählen unter anderem:

  • Tachykardien (Herzrasen)
  • Arrhythmien (Herzrhythmusstörungen)
  • Palpitationen (Herzklopfen, bewusste und subjektive Wahrnehmung des Herzschlags)
  • Extrasystolen (Herzstolpern, Extraschläge)
  • Atypische Thoraxschmerzen (Brustschmerzen, Druckgefühl auf der Brust)
  • Präsynkope (Schwindel, Benommenheit) und Synkope (vorübergehende Bewusstlosigkeit)
  • Fatigue (Erschöpfung, Müdigkeit, abnehmende Belastbarkeit)
  • Ödeme (Wasseransammlungen in Beinen, Knöcheln oder Bauch)3

Während ich mir die Liste durchlas, setzte ich gedanklich einen Haken nach dem anderen. Sieben von acht Symptomen zählten zu meinen. Und das schon seit 2016. Faszinierend. Besonders in Kombination mit der Tatsache, dass trotz so vieler Übereinstimmungen kein Arzt bisher auf diese Krankheit kam. Nur Ödeme waren mir erspart geblieben. Was lernten eigentlich Ärzte im Kardiologie-Facharztstudium, wenn sogar Google besser über Symptome und Krankheitsbilder Bescheid wusste als sie? Ich schüttelte resigniert den Kopf und las weiter. Gab es vielleicht noch etwas, was mir das Orakel Dr. Google bereits vor Jahren vorhersagen hätte können?

Was sind mögliche Folgen im Extremfall?

Eine Folge der Erkrankung kann der (überlebte) plötzliche Herztod sein, ausgelöst durch

  • Kammerflimmern (unkontrollierter, extrem schneller Herzschlag) oder
  • Asystolie (Herzstillstand)

Der plötzliche Herztod wird häufig durch körperliche Anstrengung ausgelöst und kann nur durch eine erfolgreiche Reanimation überlebt werden. Das Risiko besteht auch, wenn bisher noch keine Symptome aufgetreten sind.4

Langsam, aber sicher bekam ich ein Schleudertrauma vom ständigen Kopfschütteln. Im Prinzip las ich hier gerade meine Vita der vergangenen drei Jahre. Und warum zum Geier ist kein Arzt in all den Jahren auf die Idee gekommen, sich diese Erkrankung mal als potenziellen Störenfried näher anzusehen? Mein Ärger wuchs. Besonders nachdem ich weiterlas und erfuhr, was man hätte tun können, um all den Mist zu verhindern oder zumindest zu verzögern.

Gibt es allgemeine Verhaltensempfehlungen?

Die Diagnose der Erkrankung bedeutet nicht automatisch ein hohes Risiko für einen plötzlichen Herztod. Viele PatientInnen führen ein langes und weitgehend normales Leben ohne bedrohliche Ereignisse. Um das zu gewährleisten, sollte jedoch das Risiko mithilfe einer sorgfältigen Risikoeinschätzung, fundiert ausgewählter Therapien und einer Änderung des Lebensstils (besonders im Hinblick auf Sport) minimiert werden. Grundsätzlich sollte unbedingt auf Wettkampf- und Leistungssport verzichtet, starke körperliche Anstrengung und psychischer Stress vermieden werden. Und von einem übermäßigen Konsum an Alkohol, Kaffee und Energydrinks ist ebenfalls abzuraten. Außerdem empfiehlt...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
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ISBN-10 3-641-31226-4 / 3641312264
ISBN-13 978-3-641-31226-8 / 9783641312268
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