Radikal emotional (eBook)
288 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44777-2 (ISBN)
Maren Urner ist Neurowissenschaftlerin und seit September 2024 Professorin für Nachhaltige Transformation an der FH Münster und Studiengangsleiterin des neuen Masterstudiengangs Nachhaltige Transformationsgestaltung. Sie studierte Kognitions- und Neurowissenschaften, u. a. an der McGill University in Montreal, und wurde am University College London in Neurowissenschaften promoviert. 2016 gründete sie das erste werbefreie Online-Magazin Perspective Daily für Konstruktiven Journalismus mit. Sie leitete die Redaktion bis März 2019 als Chefredakteurin und war Geschäftsführerin. Nach ihrer Zeit bei Perspective Daily lehrte sie bis August 2024 als Professorin für Medienpsychologie an der Media University of Applied Sciences in Köln (ehemals HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft). Seit September 2020 ist sie Kolumnistin bei der Frankfurter Rundschau. Ihre drei Bücher Schluss mit dem täglichen Weltuntergang (Droemer 2019), Raus aus der ewigen Dauerkrise (Droemer 2021) und Radikal emotional: Wie Gefühle Politik machen (Droemer 2024) sind SPIEGEL-Bestseller. Sie ist Preisträgerin des B.A.U.M. Umwelt- und Nachhaltigkeitspreises 2023 in der Kategorie Wissenschaft.
Maren Urner ist Neurowissenschaftlerin und seit September 2024 Professorin für Nachhaltige Transformation an der FH Münster und Studiengangsleiterin des neuen Masterstudiengangs Nachhaltige Transformationsgestaltung. Sie studierte Kognitions- und Neurowissenschaften, u. a. an der McGill University in Montreal, und wurde am University College London in Neurowissenschaften promoviert. 2016 gründete sie das erste werbefreie Online-Magazin Perspective Daily für Konstruktiven Journalismus mit. Sie leitete die Redaktion bis März 2019 als Chefredakteurin und war Geschäftsführerin. Nach ihrer Zeit bei Perspective Daily lehrte sie bis August 2024 als Professorin für Medienpsychologie an der Media University of Applied Sciences in Köln (ehemals HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft). Seit September 2020 ist sie Kolumnistin bei der Frankfurter Rundschau. Ihre drei Bücher Schluss mit dem täglichen Weltuntergang (Droemer 2019), Raus aus der ewigen Dauerkrise (Droemer 2021) und Radikal emotional: Wie Gefühle Politik machen (Droemer 2024) sind SPIEGEL-Bestseller. Sie ist Preisträgerin des B.A.U.M. Umwelt- und Nachhaltigkeitspreises 2023 in der Kategorie Wissenschaft.
Einleitung
Es ist vielleicht die persönlichste und unpersönlichste Frage zugleich. Vielleicht ist es auch gleichermaßen die einfachste und schwierigste Frage. Vielleicht ist es sogar die am häufigsten gestellte Frage der Welt. Die Frage, die wir in der ersten Lektion einer jeden Fremdsprache lernen. Eine Frage, die uns schnell über die Lippen – oder die Tasten – geht. Obwohl sie so vermeintlich einfach daherkommt, kann sie vielleicht niemand wirklich vollumfänglich beantworten. Selbst wenn wir wollten und alle Kraft in die Beantwortung investieren würden. Wenn wir keine Kosten und Mühen scheuen würden, um der richtigen Antwort auf die Schliche zu kommen. Es ist die Frage, die ich schon ungezählte Male meinen Gegenübern gestellt habe und mindestens genauso häufig selbst gefragt wurde. Und nun weiß ich nicht mehr, ob ich sie mag oder sie mir gewaltig auf die Nerven geht. Weil diese Frage so unscheinbar daherkommt, aber eigentlich eine Tiefe der Auseinandersetzung verlangt, für die wir doch längst alle keine Zeit mehr haben. Mal abgesehen davon, dass es mir schwerfällt, einzuschätzen, ob meine Antwort eigentlich irgendjemanden ernsthaft interessiert. Selbst wenn das der Fall sein sollte, frage ich mich, ob die Fragenden die Antwort aushalten würden. Ob sie es aushalten würden, wenn ich ihnen so richtig ehrlich antworten würde. Ungeschönt und ungebremst, mal laut, dann ganz leise. Lachen, Tränen und Schluchzen. Alles wäre dabei. Aus vollem Hirn und mit voller Wucht. Wörter, Gesten und Mimik. Und bei all diesen Äußerungen wüsste ich trotzdem nicht, ob ich der Frage aller Fragen gerecht werden würde. Selbst wenn ich mich in diesen Zeiten der großen Verunsicherungen aufrichtig mit ihr auseinandersetzen könnte. Und ob es überhaupt möglich ist, eine wirklich ehrliche Antwort auf sie zu geben. Denn es ist schwierig bis unmöglich, eine Frage zu beantworten, wenn ich selbst gefühlt nur begrenzten Zugriff auf die Antwort habe.
Es geht um eine radikal ehrliche Antwort auf die Frage: Wie geht es dir?
Vielleicht hat sich die Frage beim Lesen schon ertappen lassen. Vielleicht hast du ein wenig genickt, als du sie erkannt hattest, und alle nachfolgenden Sätze bereits auf sie angewendet. Vielleicht hat sie auch einen kleinen Widerstand ausgelöst, weil du es unverschämt oder unangemessen findest, dass ich in diesem Buch einfach so duze. Schließlich kennen wir uns sehr wahrscheinlich gar nicht. Bevor du deine Lektüre jetzt also möglicherweise vorschnell beendest, bitte ich dich, mir einen kleinen Vertrauensvorschuss zu geben und dich mit mir auf ein paar Gedanken einzulassen und mitzudenken. Wenn du dann genug hast, darfst du das Buch guten Gewissens beiseitelegen und da weitermachen, wo ich dich abgeholt oder gar unterbrochen habe. Vielleicht hat deine Hand eben schon Richtung Smartphone gezuckt, vielleicht hast du dich auf deinen Feierabend mit dem Videostreaming-Angebot deines Vertrauens gefreut. Vielleicht fühlst du dich auch so erschöpft, dass du lieber direkt schlafen gehen könntest.
Aber vielleicht – und das hoffe ich natürlich – hast du dieses Buch auch zur Hand genommen, weil du Lust hast, dich näher damit zu beschäftigen, wie Gefühle und Politik zusammenhängen. Vielleicht hat dich der Untertitel dieses Buches neugierig gemacht: »Wie Gefühle Politik machen«. Immerhin widerspricht das der weitverbreiteten Vorstellung, Gefühle hätten in der Politik nichts zu suchen. Wie also komme ich darauf?
Meine These lautet: »Wie geht es dir?« ist nicht nur die persönlichste Frage, die ich einem anderen Menschen stellen kann, sondern auch die politischste. Diesen einfachen und gleichzeitig sehr komplexen Zusammenhang wollte ich selbst lange nicht wahrhaben und habe mich regelrecht dagegen gesträubt. Schließlich hat doch mein privates Befinden nichts mit Politik zu tun, geschweige denn etwas darin zu suchen. In der Politik geht es um Dinge wie Gesetzesentwürfe, internationale Zusammenhänge und Haushaltsbudgets, aber nicht um meinen oder irgendeinen emotionalen Zustand! Und wenn doch, dann ist es schlechte Politik, irgendwo kurz vor oder hinter Populismus. Nickst du gerade?
Dann halt kurz inne und folge mir gedanklich weiter.
Als Neurowissenschaftlerin hätte ich nie gedacht, dass ich mal ein politisches Buch schreiben würde – schließlich ist das gar nicht mein Feld. Dachte ich. Bis ich verstanden habe, dass meine Bücher schon immer in gewisser Weise politisch waren und sein werden. Warum? Weil fast jede Informationsweitergabe, die wir als Menschen tätigen, politisch ist. Weil fast jede noch so kleine Form der Kommunikation etwas über meine Überzeugungen und Werte aussagt. Etwas darüber aussagt, was ich als Senderin für »richtig« und was für »falsch« halte. Was ich für »angemessen« und was für »unangemessen« halte. Was ich »zeitgemäß« und was »veraltet« finde. Was ich »glaube«, wem ich vertraue und wem ich misstraue. Das alles ist immer politisch. Aus dem einfachen Grund, weil all das unser Zusammenleben betrifft. Nichts anderes ist Politik in ihrem ursprünglichen Sinne.
So definiert die Bundeszentrale für politische Bildung Politik als »jegliche Art der Einflussnahme und Gestaltung sowie die Durchsetzung von Forderungen und Zielen, sei es in privaten oder öffentlichen Bereichen«.1 Im Wörterbuch der Oxford University Press wird zwischen zwei Definitionen unterschieden, die den von mir gemachten Aspekt der eigenen Überzeugungen betonen: Demnach meint Politik »1. alle Maßnahmen, die sich auf die Führung einer Gemeinschaft, eines Staates beziehen« und »2. [die] Methode, Art und Weise, bestimmte eigene Vorstellungen gegen andere Interessen durchzusetzen«.2
Eigene Vorstellungen! Diese beiden Wörter sorgen in meinem Gehirn dafür, dass einige Alarmglocken läuten und die Neurowissenschaftlerin in mir besonders aufhorcht. Wenn ich in den vielen Jahren, in denen ich mich mit dem menschlichen Gehirn und seinen Funktionsweisen bis heute beschäftigen durfte, eines gelernt habe, ist es Folgendes: Meine Welt ist nicht deine Welt. Aus dem einfachen Grund, weil unser Gehirn auf Basis unserer individuellen Biologie,3 unserer bisherigen Erfahrungen bis zum aktuellen Moment und der Interaktion aus beidem die Welt stets auf seine ganz individuelle Art und Weise interpretiert. Unsere »Vorstellungen« sind also stets verschieden. Das führt zwangsläufig auch dazu, dass wir unterschiedliche »Dinge« für »richtig« und »falsch« halten. Und es führt dazu, dass wir infolgedessen sehr wahrscheinlich unterschiedliche Politik unterstützen.4
Hand aufs Hirn: Alles soll irgendwie politisch sein? Das klingt ganz schön anstrengend. Vielleicht zu theoretisch, vielleicht zu komplex. Erschwerend kommt hinzu: Unser Gehirn reagiert auf jeden neuen Reiz von außen – oder alltagstauglicher formuliert: Jede Ablenkung von anstrengenden Gedankengängen und Konzentration nimmt es »dankend« an. Die Folge: Vielleicht zuckt deine Hand bei der Lektüre dieser Einleitung nun schon zum zweiten oder dritten Mal Richtung Smartphone. Lieber eine Folge der aktuellen Lieblingsserie schauen oder ein wenig durch Bilder und Videoclips scrollen, um mal runterzukommen. Angesichts von Dauer-, Poli- oder Multikrise, in der wir uns spätestens seit Corona irgendwie befinden, ist jede Form von unterhaltendem Zeitvertreib willkommen. Aber was, wenn dieser Ablenkungsreflex uns gar nicht hilft, wenn es am Ende gar nicht möglich ist, diesen elementaren Fragen zu entgehen? Denn genau wie ich erkennen musste, dass meine eigenen Bücher schon immer politisch waren, ist auch unser Eskapismus in die Popkultur nie unpolitisch.
Die amerikanische Journalistin Judy Berman hat diese Ironie im Juli 2023 in einem Artikel für TIME treffend auf den Punkt gebracht, wenn sie schreibt: »Egal, wie sehr wir Unterhaltung als etwas betrachten, um den endlosen Problemen in der Welt zu entkommen, keine Form des popkulturellen Geschichtenerzählens kann jemals wirklich unpolitisch sein.«5 In ihrem Artikel beschreibt und bedauert Judy Berman die Entwicklung in aktuellen TV-Serien, sich klaren politischen Positionierungen zunehmend zu entziehen. Sicherlich (auch), um den gerade beschriebenen Wunsch nach Ablenkung zu bedienen. Doch egal wie sehr die Drehbuchautor:innen versuchen, Politik außen vor zu lassen, kann es ihnen nicht gelingen. Denn im Kern einer jeden Handlung steckt auch dort der urmenschliche Wunsch, zu wissen, was »richtig« und was »falsch« ist. Er steckt in jeder sprachlichen Formulierung. Oder hast du nicht gerade auch entweder Zustimmung oder Irritation bis hin zu Abwehr verspürt, als ich zum ersten Mal gegendert habe?
Unser Bedürfnis nach Zuordnung und Identifikation steckt in jeder Geschichte, die wir uns erzählen, und ist zugleich Grundlage der Philosophie und jeder Religion. Und es beeinflusst unsere Vorstellungen von Verantwortung und Macht – im Kleinen und im Großen: Wer hat zu Hause »das Sagen«, und wer hat politische Ämter? Männer oder Frauen – und sollten Kinder auch ein Wörtchen mitreden dürfen? Finden wir es »normal«, wenn sich Menschen unterschiedlicher Hautfarbe küssen? Und wie sieht es mit Menschen gleichen Geschlechts aus? Sind Unabhängigkeits- oder Expansionsbestrebungen bestimmter Staaten gerechtfertigt? Und ist Krieg ein notwendiges Übel, um darauf zu reagieren? Essen wir fast täglich Fleisch, oder ernähren wir uns vegetarisch oder vegan? Setzen wir uns für die Erledigung eines...
Erscheint lt. Verlag | 2.5.2024 |
---|---|
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | Angewandte Neurowissenschaft • Angewandte Psychologie • Bestsellerautorin • bücher politik aktuell • Debattenbuch • Emotionale Einflüsse auf politische Meinungsbildung • Emotionale Intelligenz • Emotionale Politikgestaltung • Emotionalität • Emotionen • Emotionen verstehen • Gefühle in der Politik • gefühle und emotionen • Gehirn und politisches Verhalten • Gesellschaftskritik • Gesellschaftskritische Bücher • Klimaangst • Klimakrise • Maja Göpel • Maren Urner • maren urner bücher • Neurowissenschaft • Neurowissenschaft und Politik • politik bücher • politik und emotionen • politik und gefühle • Politikwissenschaft • Politische Debatte • Politische Entscheidungsfindung • Politische Kommunikation • Politische Neuropsychologie • Politische Psychologie • Psychologie • psychologie und politik • Raus aus der ewigen Dauerkrise • Rutger Bregman • Sachbuch Gesellschaft • Schluss mit dem täglichen Weltuntergang • Seyda Kurt |
ISBN-10 | 3-426-44777-0 / 3426447770 |
ISBN-13 | 978-3-426-44777-2 / 9783426447772 |
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