Liebe kann nicht scheitern (eBook)

Welche Sexualmoral braucht das 21. Jahrhundert?
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
192 Seiten
Verlag Herder GmbH
978-3-451-83985-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Liebe kann nicht scheitern -  Daniel Bogner
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Kaum jemand sucht Beziehungstipps für Liebe, Sexualität und Trennungssituationen mehr bei der Kirche. Und das aus gutem Grund, so der Moraltheologe Daniel Bogner. Dennoch sollten die Ressourcen des christlichen Glaubens für das Liebesleben nicht in Vergessenheit geraten. Bogner hilft sie zu bergen und in ein neues Beziehungsethos zu überführen, das an den Gabelungen des (Beziehungs-)Lebens Kraft gibt. Ein Buch, das mit dem Scherbenhaufen christlicher Sexualmoral aufräumt und die Vielfalt menschlicher Lebens- und Liebessituationen würdigt, damit aus Sprachlosigkeit neue Begegnungsfähigkeit wird.

Daniel Bogner, geb. 1972, ist  Professor für Moraltheologie und Ethik an der Universität Fribourg. Zuvor war er Menschenrechtsreferent im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. 

Daniel Bogner, geb. 1972, ist  Professor für Moraltheologie und Ethik an der Universität Fribourg. Zuvor war er Menschenrechtsreferent im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. 

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen …


Diese Zeilen schreibe ich, während um mich herum die Welt auseinanderfällt. Gerade ist die Corona-Pandemie überwunden, da macht sich mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine mitten in Europa ein gewissenloser Imperialismus breit. Der Terrorismus der Hamas und ihr Vernichtungswille über Israel lösen Wellen eines nicht mehr vermuteten Antisemitismus aus. In der Gesellschaft findet immer weniger wirklicher Dialog statt und die Politik verschanzt sich in unversöhnlichen Lagern. Und über allem: die Klimakrise, die wir doch eigentlich mit vereinten Kräften angehen müssten, dieses allein ist Herausforderung genug …

Mein Eindruck ist: Viele Menschen empfinden die Gegenwart als eine Situation äußerster Zerrissenheit, die ihnen alles abverlangt. Zunächst einmal nach außen – man ist besorgt um die Stabilität der eigenen Existenz oder die der eigenen Kinder. Deren Zukunftsaussichten sind durchwachsen, wenn man auf Jobsicherheit und wirtschaftliche Aussichten blickt, aber auch weil die natürlichen Lebensgrundlagen derart kaputtgewirtschaftet worden sind, wie langsam den meisten deutlich wird. Und auch nach innen. Viele Menschen sind existenziell verunsichert: Wie lässt es sich eigentlich leben mit dem Gefühl, dass um uns herum so viel auseinandertreibt und das verloren zu gehen droht, was blumig als »gesellschaftlicher Zusammenhalt« bezeichnet und beschworen wird? In einer solchen Situation macht sich eine Sehnsucht des Menschen bemerkbar, die es immer schon gibt.

Es ist die Sehnsucht nach Zugehörigkeit, Nähe, Getragen-Sein und Solidarität. Eine Sehnsucht, die auch ein Bedürfnis ausdrückt, das den Menschen ausmacht: Wir sind Beziehungswesen und könnten auf uns alleine gestellt nicht überleben. Unsere gegenwärtige Welt, die momentan derart in Umbrüchen zu stehen scheint, lässt diese Sehnsucht besonders stark werden. »Liebe« ist ein Wort für diese Sehnsucht nach Zugehörigkeit, Nähe und Getragen-Sein. Es ist aber mehr als das. Liebe ist auch eine Vision dafür, wie die Antwort auf diese Sehnsucht aussehen könnte: dass wir in der Lage wären, Verbindungen zu knüpfen, die tragen und die bleiben. Und darüber hinaus: dass das Verbindungen sind, die uns im Innersten unserer selbst berühren und abholen. Verbindungen, die uns spüren lassen: Ich bin gemeint, nicht nur eine Seite von mir oder etwas, das ich kann oder leiste. »Liebe«, so die Hoffnung, schafft dann ein Verbunden-Sein, das stärker ist als die Kräfte, welche unseren Wunsch eines gelingenden Lebens bedrohen. Liebe ist die einzige Kraft, die dem Tod entgegentreten kann, so beschwören es Literaturgeschichte und Weltreligionen – und genau das ist die Erfahrung vieler Menschen. Liebe hält im Sein. Wo und wann könnte man dies dringender gebrauchen als in unserer auseinanderberstenden Gegenwart?

Ich bin Theologe. Oh je, werden manche vielleicht sagen. Gibt’s nicht bessere Perspektiven und Hintergründe, um über die Liebe zu schreiben? Hat nicht das Christentum ein ziemlich belastetes Verhältnis zu allem, was Liebe, Sex und Beziehung anbelangt? Es gut zu meinen, das wird man der Religion eventuell zugestehen, aber dann kam ja oftmals doch nichts Gutes dabei heraus – so denken viele, wenn es um das Verhältnis von Religion und Liebesleben geht. Und es ist ja richtig: Der Katholizismus hat nur zu oft ein obsessives Verhältnis zum Sex an den Tag gelegt, er wollte ihn mit allerlei Instrumenten regulieren, reglementieren, in Schach halten. Dass sich Menschen entweder abwenden oder jedenfalls nicht viel vom Christentum erwarten, wenn es um ein für sie sehr bedeutsames Lebensthema geht, liegt auf der Hand.

Dass in den vergangenen Jahren bekannt wurde, in welch unermesslichem Ausmaß Menschen ausgerechnet im Raum der Kirche zu Opfern sexueller Gewalt wurden, ist bodenlos. Es entzieht einer Religionsgemeinschaft, der es um die Würde des Menschen und seine je individuelle Wertschätzung geht, ihre Glaubwürdigkeit. An der theologischen Fakultät im schweizerischen Fribourg, wo ich seit vielen Jahren mit Freude tätig bin, stößt man auf ein ganz besonders perfides Beispiel solchen Missbrauchs. Über lange Zeit war dort ein Ordenspater als Professor tätig, der später eine der sogenannten »Neuen Geistlichen Gemeinschaften« gründete und in dieser Rolle systematisch Frauen sexuell missbrauchte. Er konstruierte eine »Theologie der körperlichen Liebe« und schrieb sich als Priester damit den Auftrag zu, die Liebe Jesu Christi zu vermitteln, indem er Frauen, die er angeblich geistlich begleitete, sexuell ausnutzte. Es ist die Kernschmelze des Christentums. Die Botschaft von der Liebe wird instrumentalisiert, um die Menschenwürde anderer mit den Füßen zu treten.

Solche Verbrechen sind der paradoxe Reflex einer langen Tradition der Verdrängung und einer verengten Sichtweise des Christentums auf Liebe und Sexualität. Nicht von den Möglichkeiten und Ressourcen her dachte man, sondern von den Gefahren und Risiken, der Sorge, die an sich wertzuschätzenden »Güter der Schöpfung« könnten missbraucht werden. Es fand eine Fixierung auf sogenannte »irreguläre Situationen« statt, in die Menschen geraten, wenn sie die Liebe nicht nach den engen Kirchenregeln leben. Natürlich kann man die Lebenskraft der Sexualität und die Verantwortung einer liebenden Beziehung missbrauchen, und dafür sollte jede und jeder sensibel sein. Aber bei so einer einseitigen Betrachtung gerät aus dem Blick, was eigentlich viel wichtiger ist – dass Liebe, Begehren und Sexualität eine Quelle sein können, aus der Menschen schöpfen, um ein erfülltes Leben zu führen.

Mein eigener Ansatzpunkt für dieses Buch ist deswegen nicht der Blick auf mögliche Defizite und vermeintliche Irrwege. Für mich ist eine Neugier leitend – danach, wie sich in Liebe und liebendem Begehren Spuren eines geglückten Menschseins finden lassen; eine Neugier danach, wie wir besser damit umgehen können, dass das Lieben oft so schwierig ist und wir den Eindruck haben, damit zu scheitern. Mein Ausgangspunkt ist die Überzeugung, dass wir nicht zu schnell vom »Scheitern« des Liebens sprechen sollten. Besser wäre es zu sehen, dass Menschen immer an Grenzen stoßen, weil das eben zum Menschsein gehört. Und dass es ehrlich ist zu sagen: Liebe ist ein kühnes Projekt, der Versuch, den Himmel zu greifen, der Wunsch, das Unmögliche möglich zu machen. Aber ehrlich ist es auch zu akzeptieren: Liebe kann nicht alles.

Wenn man das sieht, erkennt man auch den Zusammenhang von Glauben und Lieben. Mit beidem geht man aufs Ganze und damit ins Risiko. Wenn ich zuvor davon gesprochen habe, wie vergiftet und verkrampft die Religion auf Liebe und Sexualität reagiert, so ist das nur die halbe Wahrheit. Denn viele Menschen, die Schmerz, Leid und Verlust erfahren, finden ausgerechnet in ihrem persönlichen Glauben die stärkste Quelle, um für diese Lebensherausforderung Kraft zu schöpfen. Es gibt offenbar einen Zusammenhang, der viel tiefer und bedeutsamer ist, als man auf den ersten Blick vermutet, und der auch von den Irrwegen der religiösen Institutionen nicht gänzlich verschüttet werden konnte. Beides, der religiöse Glaube und das zwischenmenschliche Lieben rühren an etwas Existenzielles, sie aktivieren etwas, worin Menschen sich elementar ausdrücken, mit ihrem Geist, ihrer Seele und ihrem Körper. In Glaube und Liebe begegnen sie anderen – einem Gott, einer geliebten Person – und sie spüren und erfahren dabei auf kaum überbietbare Weise sich selbst. Grund genug, sich nicht so sehr an den Fehlern, Sackgassen und Sklerosen einer verknöcherten Tradition abzuarbeiten, sondern nach vorne zu schauen.

Ich schreibe dieses Buch nicht nur als Theologe und »Wissender«, sondern – viel wichtiger – als Mensch, der auf seinem bisherigen Weg selbst Erfahrungen gemacht hat. Es sind Erfahrungen großen Glücks: erfüllende Liebe, Wege in Vaterschaft und Familienleben, liebendes Beieinandersein in den Herausforderungen des Lebensweges. Es sind auch Erfahrungen des Stolperns, des verzweifelten Suchens nach möglicher Gemeinsamkeit und der Entscheidung zu getrennten Lebenswegen. Erfahrungen des Schmerzes und der Verwundung. Und dann sind es Erfahrungen der Suche danach, wie Neues möglich sein kann und wie sich Verantwortung inmitten sich ändernder Lebenssituationen ausbuchstabiert. Schon länger steht mir immer wieder die Herausforderung vor Augen, als Vater auch meinen Kindern vermitteln zu wollen, dass man liebender, sehnender und ein sich darin entwickelnder Mensch ist und dass diese Dimension unseres Menschseins aktiv gestaltet werden will. Das kann einen ziemlich fordern, wenn das Leben keine geraden Wege nimmt. Aber ich begreife es auch als ganz große Chance, als genau die Aufgabe, vor der Eltern immer schon stehen.

Wenn ich daran zurückdenke, wie ich selbst im Raum von Glaube und Religion mit den Themen Sexualität und Liebe konfrontiert wurde, ist meine Antwort: Ich habe zwar selbst nicht ausdrücklich »toxische« Botschaften über diese Themen mitbekommen. Es war aber etwas anderes, das vielleicht ebenso vergiftet ist, nämlich ein »klingendes Schweigen«, mit dem diese Themen belegt wurden. Dieses Schweigen kann »sprechend« sein und macht sich bemerkbar, etwa wenn es im religiösen Raum überhaupt keine Adresse gibt, die sich irgendwie angesprochen fühlt, in einen kompetenten Dialog treten kann oder auch nur das Signal senden würde: Ja, Liebe, Leib und Begehren, das alles gehört dazu! Oder wenn man durch tausenderlei indirekte Signale beständig mitgeteilt bekommt, wofür Platz auf dem Feld von Religion und Glaube ist und wofür nicht. Fast schon körperlich konnte ich solche Ausblendungen spüren, und sei es an der künstlichen Art und Weise, wenn dann doch hier und da in Religionsunterricht oder pastoralem Angebot über...

Erscheint lt. Verlag 12.2.2024
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte Beziehungsethik • Beziehungsglück • Beziehungsleben • Katholisch • Kirche und Sexualität • Liebe • Moraltheologie • Sexualität
ISBN-10 3-451-83985-7 / 3451839857
ISBN-13 978-3-451-83985-6 / 9783451839856
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