Briefwechsel (eBook)
866 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-97986-3 (ISBN)
Hannah Arendt, am 14. Oktober 1906 im heutigen Hannover geboren und am 4. Dezember 1975 in New York gestorben, studierte unter anderem Philosophie bei Martin Heidegger und Karl Jaspers, bei dem sie 1928 promovierte. 1933 emigrierte Arendt nach Paris, 1941 nach New York. Von 1946 bis 1948 arbeitete sie als Lektorin, danach als freie Autorin. Sie war Gastprofessorin in Princeton und Professorin an der University of Chicago. Ab 1967 lehrte sie an der New School for Social Research in New York.
Hannah Arendt, am 14. Oktober 1906 im heutigen Hannover geboren und am 4. Dezember 1975 in New York gestorben, studierte unter anderem Philosophie bei Martin Heidegger und Karl Jaspers, bei dem sie 1928 promovierte. 1933 emigrierte Arendt nach Paris, 1941 nach New York. Von 1946 bis 1948 arbeitete sie als Lektorin, danach als freie Autorin. Sie war Gastprofessorin in Princeton und Professorin an der University of Chicago. Ab 1967 lehrte sie an der New School for Social Research in New York. Karl Jaspers, am 23. Februar 1883 in Oldenburg geboren und am 26. Februar 1969 in Basel gestorben, studierte Jura, Medizin und Psychologie. Ab 1916 Professor für Psychologie, ab 1921 für Philosophie an der Universität Heidelberg. 1937 wurde er bis zu seiner Wiedereinsetzung 1945 seines Amtes enthoben. Er war von 1948 bis 1961 Professor für Philosophie in Basel.
Vorwort
Die Korrespondenz zwischen Hannah Arendt und Karl Jaspers ist in der Geschichte des Denkens der erste umfangreiche Briefwechsel zwischen einer Philosophin und einem Philosophen, der vollständig veröffentlicht wird. Sie setzt 1926 ein, als die Zwanzigjährige bei Jaspers in Heidelberg Philosophie studiert, wird durch die äußere Emigration von Hannah Arendt und die innere von Jaspers unterbrochen und im Herbst 1945 erneut aufgenommen, als Angehörige der amerikanischen Besatzungsarmee helfen, die Verbindung zwischen beiden wiederherzustellen. In der folgenden Zeit bis zu Jaspers’ Tod (1969) entwickelt sich aus der anfänglichen Lehrer-Schülerin-Beziehung eine enge Freundschaft, in die früh Gertrud Jaspers und dann zunehmend auch Heinrich Blücher, Hannah Arendts Mann, miteingeschlossen werden. Seit dem ersten gemeinsamen Besuch von Hannah Arendt und Heinrich Blücher 1961 in Basel gehen alle vier in der Anrede zum vertrauten »Du« über.
Von einigen wenigen Briefen vor 1933 abgesehen, liegt die Bedeutung des Briefwechsels in der Nachkriegszeit. Er spiegelt sowohl die Lebens-, Denk- und Arbeitswege beider Partner als auch die Art und Weise, wie sie die Nachkriegsgeschichte erlebt haben. Da beide vermutlich niemals an eine Publikation ihrer Korrespondenz gedacht und einander uneingeschränkt vertraut haben, gibt es in diesen Briefen kaum eine Selbstzensur. Beide Partner zeigen sich in ihnen persönlicher, spontaner, wärmer und zugleich rücksichtsloser als in ihren Werken. Für Hannah Arendt ist diese Korrespondenz überhaupt das erste veröffentlichte Eigendokument aus ihrem Privatleben, für Jaspers zumindest ein ungewöhnliches: der »norddeutsche Eisklotz« (159), wie er sich selber einmal nennt, findet darin Töne der Ironie, der Zartheit und der Herzlichkeit, die manche auch in seinen autobiographischen Schriften vermissen mögen.
Die Beziehung bekam für beide noch ein anderes Gewicht durch die 13 Besuche von Hannah Arendt in Basel seit 1949. Es waren Tage und oft Wochen der intensiven Gespräche. Man darf sich diese nicht zu idyllisch vorstellen. Beide liebten den Streit und gerieten sich gelegentlich in die Haare wie Studenten. Daß man sich aber spontan alles sagen durfte, ungefiltert und ungeschminkt, und bei allen Differenzen in Einzelheiten doch immer die Verwandtschaft der Denkungsart spürte, wurde das tragende Fundament des Vertrauens. Es gibt für diese Gespräche keine weiteren Zeugnisse; aber ihr geistiges Klima wird durch die Spontaneität der Briefe spürbar.
Als man sich 1945 wiederfand, lebten beide in der Stimmung, soeben die Sintflut überstanden zu haben. Hannah Arendt führte noch immer (bis 1951) »die unendlich komplizierte Papierexistenz« (34) einer Staatenlosen. Obwohl sie als Schriftstellerin einen gewissen Namen hatte, war sie doch »in keiner Weise respectable geworden« (34). Aus der Perspektive »vielfacher Emigration und Ausgesetztheit« (104) verweigerte sie sich jeder Vereinnahmung durch die sogenannte gute Gesellschaft: »Bin mehr denn je der Meinung, daß man eine menschenwürdige Existenz nur am Rande der Gesellschaft sich heute ermöglichen kann« (34). Am Rande gab es dennoch eine Mitte: »Monsieur«, ihren Mann: »Wir sind einfach die einzigen, die uns etwas sagen können« (43). Außerhalb prägten die Gefühle von Fremdheit, Bodenlosigkeit und Einsamkeit ihre »nicht bürgerliche Existenz« (34). – Eben diese Gefühle teilte Jaspers voll und ganz, und er sah in ihnen, wie übrigens auch Hannah Arendt, die Chance zum Neuanfang. Er war zwar, nach den Jahren des offiziellen Verfemtseins, schlagartig wieder »respectable« geworden: fast ein Aushängeschild der Nation. Aber er mißtraute diesem »schalen Ruhm« (32), der ihm »ein Leben in Fiktionen« (35) und in moderner Hast einbrachte, zutiefst. Auch für ihn gab es nur einen Ort, wo er rückhaltlos vertraute: seine Frau, die als Jüdin an der unmittelbaren Vergangenheit unsäglich litt. Im übrigen blieb »die Hölle offen« (35), und es galt, im Bewußtsein zu leben, daß die Sintflut »Maßstab bleiben« (60) muß und daß »alles, was unsere Welt ist, … in einem Monat weggewischt sein« (107) kann.
Deshalb wurde beiden zur Frage, und sie durchzieht unterschwellig als Grundthematik die ganze Korrespondenz, worauf in der Zeit der überstandenen, aber immer neu drohenden Sintflut noch Verlaß sei: auf welche Nationen, welche Gedanken und welche Menschen. Es sind die Fragen nach der Politik, der Philosophie und der Tragkraft des Menschlichen. Wir gehen in dieser Reihenfolge auf sie ein.
Von drei Nationen ist in diesem Briefwechsel mehr die Rede, als von allen andern: von Deutschland, Israel und den USA. Hannah Arendt hatte zu keiner in keiner Zeit ein ungebrochenes Verhältnis. Jaspers war größeren Schwankungen unterworfen. Er mystifizierte Deutschland vor der Naziherrschaft im »deutschen Wesen«, aber brach dann radikal damit; er heiligte Israel in den fünfziger Jahren nahezu, aber dann wurden die Zweifel sehr groß; er idealisierte nach der Befreiung die USA und gab dies, allen Zweifeln zum Trotz, nie ganz auf. An allen Wandlungen waren Hannah Arendt und Heinrich Blücher maßgeblich beteiligt. Sie brachten die Fakten für eine andere, konkretere Sicht, wo er gerne in die großen Dimensionen hinausträumte.
Der Streit über das »deutsche Wesen« begann schon in der Zeit vor dem Nationalsozialismus und wurde nach dem Krieg einige Jahre weitergezogen. Jaspers veröffentlichte 1932 bei Stalling, einem nationalistischen Verlag in seiner Heimatstadt, eine Schrift über Max Weber, der er den Untertitel gab: »Deutsches Wesen im politischen Denken, im Forschen und Philosophieren.« Die Schrift war, wie er schon damals sagte, »der vielleicht hoffnungslose Versuch, das Wort »deutsch« durch Max Webers Gestalt ethisch zu erfüllen« (23). Ein Belegexemplar schickte er Hannah Arendt. Sie bedankte sich außergewöhnlich lange nicht. Aber dann in souveränem Freimut. Sie machte ihm den Vorwurf, daß er in Max Weber das »deutsche Wesen« mit »Vernünftigkeit und Menschlichkeit aus dem Ursprung der Leidenschaft«« (22) identifiziere. Sie könne als Jüdin weder Ja noch Nein dazu sagen. »Für mich ist Deutschland die Muttersprache, die Philosophie und die Dichtung« (22). Damit war Jaspers teilweise einverstanden; aber es war ihm zu wenig konkret, zu wenig geschichtlich. »Sie brauchen«, so schrieb er zurück, »nur das geschichtlich-politische Schicksal hinzuzufügen, und es ist gar keine Differenz mehr« (23). Aber er stieß auf Granit: Sie könne »das geschichtlich-politische Schicksal nicht einfach hinzufügen ..., weil ich an mir selbst sozusagen nicht die Bezeugung »deutschen Wesens« habe« (24). »Deutschland im alten Glanze ist Ihre Vergangenheit« (24). Auf andere, etwas bedenklichere Torheiten ging sie gar nicht ein. Sie war, durch ihre Kenntnis des Antisemitismus, politisch hellhöriger. Als Jaspers in der Unruhe, »was es heiße, daß ich ein Deutscher bin« (60), nach der Katastrophe die Frage, ob sie Jüdin oder Deutsche sei, wieder stellte, antwortete sie ziemlich salopp: »Ehrlich gesagt, es ist mir persönlich und individuell gesehen ganz egal« (50). Politisch aber werde sie »immer nur im Namen der Juden sprechen, sofern ich durch die Umstände gezwungen bin, meine Nationalität anzugeben« (50). Und das hieß natürlich: niemals als Deutsche. Jaspers stimmte ihr zwar nun zu, daß vom Deutschen »nur die Sprache« bleibt (52), daß die Nation gleichgültig und der Nationalismus ein Unglück geworden ist, aber die Hoffnung, »eines Tages einen Deutschland-Traum« (107) zu publizieren, blieb.
Bis er kam, vergingen noch anderthalb Jahrzehnte, eine Zeit der Eskalation der Enttäuschung. In Heidelberg hoffte Jaspers noch »naiv« (383) auf die politische Umkehr. Als die Bundesrepublik gegründet wurde, setzte er auf Adenauer, dessen Außenpolitik er lange Zeit bewunderte. Er haßte den »Spiegel« als »korrupte« (316) und »nihilistische« (319) Zeitung, begrüßte die Hallstein-Doktrin und wollte für die Rettung Berlins alles wagen. Aber noch während er so dachte, trennte er sich innerlich von der Bundesrepublik fast vollständig. Schon 1949 schreibt er, daß er »zu diesen Deutschen« (83) nicht gehöre, und 1952 heißt es, daß er im politischen Sinn »kein Deutscher« sei – »wohl dem Paß nach, aber ohne Freude« (138). Später dann kämpft er entschieden gegen »die Heuchelei der Freiheit« (300), gegen den Wahn der Wiedervereinigung – und 1961 gesteht er: »Ich würde SPD wählen, aber ich darf nicht …« (296). Adenauer wird nun zu einer...
Erscheint lt. Verlag | 22.12.2023 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Geschichte der Philosophie |
Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Philosophie der Neuzeit | |
Schlagworte | Briefe • Zeitdokument |
ISBN-10 | 3-492-97986-6 / 3492979866 |
ISBN-13 | 978-3-492-97986-3 / 9783492979863 |
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