Historische Wurzeln moderner Probleme (eBook)

Vorlesung an der ETH Zürich 1985
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
600 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-77787-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Historische Wurzeln moderner Probleme -  Paul Feyerabend
Systemvoraussetzungen
34,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Im Sommersemester 1985 hält Paul Feyerabend eine Vorlesung an der ETH Zürich, in der er die These vertritt, dass wir viele Probleme der modernen Welt besser verstehen, wenn wir sie auf historische Wurzeln in der Geisteswelt der griechischen Antike zurückführen. Das überwiegend naturwissenschaftliche Publikum wird nicht enttäuscht. In gezielt antiprofessoraler Performance, gespickt mit brillanten Provokationen und anekdotischen Abschweifungen, die sein profundes Wissen offenbaren, schärft das enfant terrible der Wissenschaftsphilosophie seine berühmte Kritik am abendländischen Rationalismus.

Besonders die Monopolstellung der wissenschaftlich-technischen Vernunft mit ihren Vorstellungen von Fortschritt, Wahrheit oder Objektivität nimmt er dabei ins Visier, als mitverantwortlich für die Schieflage der Welt. Dagegen empfiehlt Feyerabend einen erkenntnistheoretischen und politischen Pluralismus, um den »modernen Problemen« seiner Zeit beizukommen: der atomaren Bedrohung, der Zerstörung außereuropäischer Zivilisationen, den sozialen Verwerfungen und der sich anbahnenden ökologischen Katastrophe. Und heute? Eine furiose Reise in die 1980er Jahre, die unter anderem zeigt, dass nicht wenige Probleme von gestern noch immer auf der Agenda stehen.



Paul Feyerabend (1924-1994), Physiker und Philosoph, lehrte unter anderem in Berkeley, Kalifornien, und an der ETH Zürich. Er gehört zu den einflussreichsten Denkern des 20. Jahrhunderts und hat den Slogan des methodologischen Relativismus geprägt: »Anything goes«.

7Editorisches Vorwort


Im Sommersemester 1985 hielt Paul Feyerabend an der ETH Zürich die Vorlesung Historische Wurzeln moderner Probleme. Die Veranstaltung fand jeweils mittwochs von 13 bis 15 Uhr in einem 250 Plätze umfassenden Hörsaal (HIL E1) statt, der sich nicht im Zentrum der Stadt, sondern auf dem etwas außerhalb gelegenen zweiten Campus der Hochschule auf dem Hönggerberg befindet. Feyerabend lehrte seit 1980 auf einer halben Professur Philosophie der Wissenschaften an der ETH, wobei er das Sommersemester üblicherweise in Zürich, das Wintersemester in Berkeley verbrachte.

Die vorliegende Edition der Vorlesung basiert auf Tonbandmitschnitten, die von Feyerabends damaligem Assistenten Christian Thomas angefertigt worden sind. Diese Bänder befinden sich in der Paul-Feyerabend-Sammlung des Philosophischen Archivs der Universität Konstanz unter der Archivsignatur PAKN, PF 20. Zusätzlich zu den Tonaufnahmen haben wir ein ebenfalls im Nachlass befindliches, aus 261 Blättern bestehendes Typoskript (PAKN, PF 4-16) benutzt, das Feyerabend auf der ersten Seite mit Gegenwartsprobleme überschrieben hat. Das Konvolut enthält handschriftliche Notizen für die Vorlesung, daneben einige mit Schreibmaschine geschriebene Seiten, Zeitungsausschnitte, Fotokopien von gedruckten Texten und auch Briefentwürfe, die nichts mit der Vorlesung zu tun haben, deren unbeschriebene Rückseiten Feyerabend allerdings für Stichworte, Zitate und Literaturangaben benutzte.

Beim Abhören der in digitalisierter Form vorliegenden Dateien, die die zwölf Vorlesungen enthalten, wurde schnell deut8lich, dass Feyerabend an nicht wenigen Stellen schwer oder auch gar nicht zu verstehen ist. Für die Transkription, die von Frank Lachmann besorgt wurde, hat das erhebliche Schwierigkeiten zur Folge gehabt, wobei zwischen zwei Arten von Problemen zu unterscheiden ist. Erstens weisen die bald 40 Jahre alten Aufnahmen technische und akustische Probleme auf. So sind bei der Vorlesung vom 8. ‌5. ‌1985 die letzten 25 Minuten, bei der vom 12. ‌6. ‌1985 die letzte Viertelstunde wegen Korrumpierung der Audiodatei gänzlich unverständlich. Auch beim Wechsel der Kassetten sind einzelne Sätze verloren gegangen. Dass die medientechnische Situation damals das Geschehen nicht vollständig determiniert hat, zeigt sich daran, dass Feyerabend sich des Öfteren zu weit vom Mikrofon des Aufnahmegeräts entfernt hat, insbesondere wenn er auf Fragen aus dem Publikum geantwortet oder an die Tafel geschrieben hat. Er machte immer wieder eher schlecht zu verstehende Verweise auf die Tafel, die wir aber meist durch die Vorlesungsnotizen oder andere Publikationen von Feyerabend rekonstruieren konnten. Das bezieht sich vor allem auf das Tafelbild zur Ordnung der Vorlesung und auf einige an die Tafel gezeichnete Skizzen, die sich an Abbildungen aus seinem 1984 publizierten Buch Wissenschaft als Kunst orientierten. Die größten Verständnisprobleme stellten sich bei den Publikumsfragen, die mitunter kaum zu verstehen sind. Das ist umso bedauerlicher, als die Vorlesung interaktiv angelegt war: Diskussionen haben einen großen Raum eingenommen. Die beiden Veranstaltungen vom 19. ‌6. und 10. ‌7. ‌1985 bestehen sogar ausschließlich aus Diskussionen mit dem Auditorium, doch die Fragen, Anmerkungen und kritischen Einwände gegen Feyerabends Ausführungen finden sich in dieser Edition aus dem genannten Grund nur in unvollständiger Form wieder.

9Zweitens stellten die in freier Rede gehaltenen Vorlesungen uns immer wieder vor Verständnisprobleme. In seiner Autobiografie Zeitverschwendung erwähnt Feyerabend, dass er den Wiener Dialekt hasse und »ein neutrales Deutsch oder Bühnendeutsch mit preußischem Akzent« spreche.[1]  Zumindest für die vorliegende Vorlesung trifft das nicht zu. Die Wiener Herkunft ist unverkennbar, was sowohl am Dialekt als auch an besonderen Redewendungen und Austriazismen deutlich wird. Man kann Feyerabend beim lauten Denken zuhören, hat aber mit dem akustischen Dokument bisweilen auch Schwierigkeiten, dem Gedanken zu folgen. Mal verschluckt er einzelne Wörter oder Satzteile, mal bricht er Sätze ab, um an einem neuen gedanklichen Punkt anzusetzen. Die Originalität freier Rede zehrt bekanntlich vom Verfertigen der Gedanken beim Reden, doch in diesem Fall kam nach Auskunft von Christian Thomas hinzu, dass Feyerabend aufgrund seiner schweren Kriegsverletzung immer wieder an heftigen Schmerzen litt, die er mit starken Schmerzmitteln bekämpfte, doch wegen deren sedierender Wirkung wurde er so müde, dass er sich gleichzeitig mit stimulierenden Medikamenten aufputschte. Im Hörsaal hat diese Beeinträchtigung offenbar kein Problem dargestellt, denn Feyerabends Vorlesungen lebten von seinem Charisma und seiner Unkonventionalität. Er unterhielt das Publikum mit Esprit, Wortwitz, Polemik, überraschenden Assoziationen und rhetorischen Zuspitzungen, die der gelernte Opernsänger virtuos abrufen konnte. Diese Atmosphäre konnten wir in die Edition nicht hinüberretten. Daher haben wir – mit einer einzigen Ausnahme – auch darauf verzichtet, die zahlreichen Stellen, an denen das Publikum mit Gelächter reagierte, zu markieren, zumal sich die Komik 10nicht selten auch aus seiner Gestik und Mimik ergab, die uns nicht überliefert sind.

Bei den sprachlichen Eigenheiten muss ein weiterer Aspekt berücksichtigt werden. Nach Jahrzehnten Leben und Arbeiten in England und in den USA redete, schrieb und dachte Feyerabend auf Englisch, wie er in Zeitverschwendung auch anmerkt.[2]  Deutsch war für ihn gewiss keine Fremdsprache, aber die Reichhaltigkeit der Sprache und das Vokabular standen ihm unter besagten erschwerten medizinischen Bedingungen vielleicht nicht immer mit der zu erwartenden Selbstverständlichkeit zur Verfügung. So finden sich häufig unkonkrete Begriffe wie Sachen, Dinge und Leute, selbst wenn Feyerabend etwas ganz Konkretes meinte. Mag sein, dass diese mangelnde Spezifizierung zum Teil auch in seinem bewussten Verzicht auf Fachwörter begründet ist, doch allgemein gilt: die gesprochene Sprache, die für das Ohr verständlich und akzeptabel ist, ist es für das lesende Auge nicht.

Beim Transfer der gesprochenen Vorlesung in einen Text stellte sich angesichts dieser Hürden die Frage, welche Gestalt die Edition annehmen sollte. Es kam für uns von vornherein nicht in Betracht, eine historisch-kritische Ausgabe mit einem umfangreichen Apparat vorzulegen. Das hätte nicht nur unsere Kräfte überfordert, wir sind auch der Ansicht, dass für eine solche Edition das gedruckte Buch nicht mehr das richtige Medium darstellen würde. Unser Ziel bestand vielmehr darin, sowohl der Forschung als auch einem breiteren Publikum eine Leseausgabe zu präsentieren, die den Stil und den Sound der freien Rede beibehält, gleichzeitig jedoch einen lesbaren und lesenswerten Text hinzubekommen, der Feyerabends Gedankengängen ebenso Rechnung trägt wie seinen zahlreichen 11Aus- und Abschweifungen, Assoziationen und Witzen. Um dorthin zu gelangen, war es nicht zu vermeiden, an vielen Stellen Umstellungen, Kürzungen und Streichungen vorzunehmen, fehlende Wörter einzufügen und irrtümlich falsch verwendete Begriffe zu korrigieren. Bisweilen haben wir ganze Sätze, die nicht oder nur unvollständig zu verstehen waren, weggelassen oder in der Hoffnung umformuliert, dass sie im entsprechenden Kontext den von Feyerabend intendierten Sinn treffen. Für manche Ergänzungen waren die Vorlesungsnotizen da besonders hilfreich. Bei dieser zweifellos massiven, die sprachliche Konstruktion des gesprochenen Worts verändernden Praxis haben wir gleichwohl sorgfältig darauf geachtet, erstens den Inhalt nicht anzutasten und zweitens bei der Reformulierung der Sätze nur solche Wörter zu benutzen, die bei Feyerabend selbst vorkommen.

Offensichtliche Fehler haben wir, wie üblich, stillschweigend korrigiert, ebenso haben wir Füllwörter wie ja, natürlich, nicht wahr, und so weiter, die Feyerabend gerne und häufig benutzt hat, an vielen Stellen (wenn auch nicht immer) weggelassen. Darüber hinaus haben wir zwar die Streichung längerer Passagen mit einer Fußnote vermerkt, doch die angesprochenen Eingriffe in den Text nicht durch Anmerkungen, Auslassungspunkte in eckigen Klammern oder Ähnliches markiert. Hätten wir das konsequent getan, wäre jede einzelne...

Erscheint lt. Verlag 11.12.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie
Schlagworte aktuelles Buch • Anarchismus • Bücher Neuererscheinung • bücher neuerscheinungen • Empirismus • Neuererscheinung • Neuerscheinungen • neues Buch • Philosophie • Rationalismus • Relativismus • Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa 2008 • Wissenschaftstheorie
ISBN-10 3-518-77787-4 / 3518777874
ISBN-13 978-3-518-77787-9 / 9783518777879
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,3 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich