Einführung in die Mehrsprachigkeitsforschung (eBook)

Deutsch - Französisch - Italienisch - Spanisch
eBook Download: EPUB
2023 | 4. Auflage
353 Seiten
Narr Francke Attempto (Verlag)
978-3-8233-0498-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Einführung in die Mehrsprachigkeitsforschung -  Natascha Müller,  Tanja Kupisch,  Katrin Schmitz,  Katja F. Cantone,  Laia Arnaus Gil
Systemvoraussetzungen
21,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Immer mehr Kinder in Deutschland wachsen mit mehreren Sprachen gleichzeitig auf. Diese Situation birgt viele Chancen, wenngleich oft eine Herausforderung darin gesehen wird. Ziel der Mehrsprachigkeitsforschung ist es, Besonderheiten im Erwerb genau zu identifizieren, damit Kinder erfolgreich mehrsprachig in die Schulzeit starten können. Das Arbeitsbuch hat zwei Hauptanliegen: Es führt erstens in die aktuelle Mehrsprachigkeitsforschung ein und zeigt somit Studierenden Spracherwerbstheorien, die Entwicklung der beiden Sprachen sowie Phänomene des mehrsprachigen Erwerbs auf. Zweitens wird die Arbeit mit Korpusdaten vorgestellt. Der Schwerpunkt liegt auf der Mehrsprachigkeit, die im Kindesalter im familiären Kontext einsetzt. Diese bildet die Grundlage für den Spracherwerb, der entweder sukzessiv zu den Erstsprachen in der Schule oder außerhalb der Institution in natürlicher Umgebung stattfindet.

Prof. Dr. Natascha Müller ist Inhaberin des Lehrstuhls für Romanische Sprachwissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal. Prof. Dr. Katja F. Cantone ist Professorin für Mehrsprachigkeit und Deutsch als Zweitsprache an der Universität Duisburg-Essen. Dr. Laia Arnaus Gil ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Romanische Sprachwissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal. Prof. Dr. Katrin Schmitz ist außerplanmäßige Professorin mit Affiliation an der Bergischen Universität Wuppertal. Prof. Dr. Tanja Kupisch ist Professorin am Fachbereich Linguistik an der Universität Konstanz und assoziierte Professorin an der arktischen Universität Tromsø (UiT Tromsø).

Prof. Dr. Natascha Müller ist Inhaberin des Lehrstuhls für Romanische Sprachwissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal. Prof. Dr. Katja F. Cantone ist Professorin für Mehrsprachigkeit und Deutsch als Zweitsprache an der Universität Duisburg-Essen. Dr. Laia Arnaus Gil ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Romanische Sprachwissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal. Prof. Dr. Katrin Schmitz ist außerplanmäßige Professorin mit Affiliation an der Bergischen Universität Wuppertal. Prof. Dr. Tanja Kupisch ist Professorin am Fachbereich Linguistik an der Universität Konstanz und assoziierte Professorin an der arktischen Universität Tromsø (UiT Tromsø).

1. Einleitung
2. Mehrsprachigkeit: Definitionen
3. Frühkindliche simultane Mehrsprachigkeit: Formen und Forschungsmethoden
4. (Un)balancierte Mehrsprachige
5. Die Entwicklung von zwei Sprachen: Sprachentrennung, Spracheneinfluss und Sprachmischungen im bilingualen Kind
6. Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss
7. Spracheneinfluss als Verzögerung
8. Spracheneinfluss: Beschleunigung
9. Ausblick
10. Aufgaben
11. Literatur
12. Glossar
13. Index

2.1 Simultan – sukzessiv / natürlich – gesteuert / kindlich – erwachsen


Im Zentrum der vorliegenden Einführung steht die simultane Mehrsprachigkeit, bei zwei Sprachen auch Bilingualismus genannt. Unter Bilingualismus verstehen wir das Sprachvermögen eines Individuums, das aus dem natürlichen Erwerb (d. h. ohne formalen Unterricht) zweier Sprachen als Erstsprachen (L1) im Kleinkindalter resultiert (vgl. Lambeck 1984). Manche Forscher fordern, dass der Erwerb beider Sprachen simultan, also gleichzeitig und nicht zeitversetzt, erfolgen muss, um vom bilingualen Individuum sprechen zu dürfen (z. B. de Houwer 1990). Andere erweitern den Zeitraum auf das Alter vor zirka vier Jahren (vgl. Meisel 2009), während dessen dem Kind die zweite Sprache „angeboten“ werden muss. In unserer Einführung wollen wir den Erwerb von zwei Erstsprachen betrachten, der simultan erfolgt. Dabei liegt der Fokus auf dem mehrsprachigen Individuum und nicht auf mehrsprachigen Gesellschaften (zum Sprachkontakt innerhalb und außerhalb von Sprachgemeinschaften vgl. Riehl 20143).

Vom simultanen Erwerb mehrerer Erstsprachen ist die sukzessive Form des Lernens mehrerer Sprachen abzugrenzen, wie er in Deutschland zumindest für das Englische für die meisten Kinder mittlerweile mit dem Eintritt in die Grundschule (1. oder spätestens 3. Klasse) stattfindet. Während der simultane Erwerb mehrerer Sprachen immer natürlich erfolgt, müssen für den sukzessiven Erwerb zwei Formen unterschieden werden: der natürliche Erwerb zweier oder mehrerer Sprachen, wie er in der Regel bei jedem Kleinkind erfolgt, und der gesteuerte Erwerb mit formalem Unterricht (oft auch als Fremdsprachenerwerb bezeichnet). Wählt eine einsprachige Familie einen Wohnsitz in einem Land mit einer anderen Umgebungssprache als die Erstsprache der Eltern, so werden die Kleinkinder der Familie die Umgebungssprache auch auf natürlichem Wege erwerben können (vgl. Kap. 3). In Deutschland kommen Kinder aus mehrsprachigen Familien oft zunächst nur in Kontakt mit der Familiensprache (die Erstsprache(n) der Eltern, auch Herkunftssprache(n) genannt, vgl. Kap. 3). Erst im Kindergarten (in manchen Fällen sogar erst zu Schulbeginn) haben sie regelmäßigen Kontakt mit dem Deutschen. Da diese Kinder wegen der deutschsprachigen Umgebung, wenn auch nur zu geringen Anteilen, Deutsch hören, ist die Frage berechtigt, inwieweit sie tatsächlich sukzessiv bilingual sind (vgl. Tracy 2008, Chilla, Rothweiler und Babur 2010, Cantone 2016). Auch das wachsende Interesse am Einsatz von Fremdsprachen in der frühkindlichen Bildung in der Kita (beispielsweise early English oder Chinesisch für Kinder) muss hier erwähnt werden. Die genannten Beispiele zeigen, dass in Studien über mehrsprachige Kinder immer die Verhältnisse der Sprachen im kindlichen Umfeld mit betrachtet werden müssen.

Zu den Dichotomien simultan – sukzessiv und natürlich – gesteuert gesellt sich das Alter bei Erwerbsbeginn, was häufig mit kindlich – erwachsen umschrieben wird. In unserer Einführung wollen wir den simultanen, natürlichen und kindlichen Erwerb zweier Sprachen genauer betrachten; alle anderen Erwerbsformen werden am Rande behandelt. Sie dient gleichzeitig als Ausgangspunkt für die Frage, ob der sukzessiv ab dem Kindesalter einsetzende Erwerb einer weiteren Sprache noch qualitativ (und quantitativ) wie der simultane doppelte Erstspracherwerb verläuft, oder ob die kindliche sukzessive Mehrsprachigkeit eher dem Zweitspracherwerb (L2-Erwerb) im Erwachsenenalter ähnelt; Meisel (2009) zeigt beispielsweise deutliche Unterschiede zwischen dem kindlichen und dem erwachsenen natürlichen Zweitspracherwerb. Hinter dieser Forschungsfrage verbergen sich jedoch viele Annahmen, die selbst noch einer Prüfung standhalten müssen, wie die, dass der erwachsene Zweitspracherwerb nicht so effizient verläuft wie der simultane doppelte Erstspracherwerb. Der vermutete Unterschied zwischen dem simultanen und dem sukzessiven Erwerb mehrerer Sprachen basiert beispielsweise auf der Annahme, dass wir bei der simultanen Form einen zügigen Erwerbsverlauf ohne größere Spracheneinflüsse erwarten, hingegen beim sukzessiven Erwerb – verstärkt mit dem fortschreitenden Alter des spracherwerbenden Individuums – einen langwierigen und mit Spracheneinflüssen durchsetzten Erwerbsverlauf vermuten. Unsere Einführung nimmt die Perspektive des simultan bilingualen Individuums ein und wird zeigen, dass auch dort weniger zügige Erwerbsverläufe existieren und es häufig zum Spracheneinfluss kommt. Die Sichtweise, dass der sukzessive Erwerb „ganz anders“ vonstatten geht (bezogen auf die Qualität und die Quantität), ist also vermutlich zu pauschal formuliert (vgl. Kupisch, Akpinar und Stör 2013 für die akkurate Genuskongruenz im Französischen unabhängig vom Erwerbsbeginn vs. Kupisch, Barton, Hailer, Klaschnik, Stangen, Lein und van de Weijer 2014 für den sog. „foreign accent“ abhängig von Erwerbsbeginn und Input-Menge; vgl. auch White 1989, 2003). Forschungen in diesem Bereich konnten beispielsweise zeigen, dass der sukzessive Erwerb mit gleicher Qualität und genauso schnell erfolgt wie der simultane, gemessen an bestimmten grammatischen Phänomenen (vgl. Tsimpli 2014). Kürzlich haben Arnaus Gil, Stahnke und Müller (2021) einen bei simultan aufwachsenden mehrsprachigen Kindern nachgewiesenen beschleunigten Erwerbsverlauf gegenüber monolingualen Kindern auch für sukzessive mehrsprachige Kinder beobachtet. Wir werden in unserer Einführung, mit Ausnahme dieses Kapitels, den sukzessiven Erwerb mehrerer Sprachen aus Platzgründen vollständig ausblenden.

Der Forschungszweig, der die Altersfrage bei der Mehrsprachigkeit genauer unter die Lupe nimmt, gründet seine Vermutungen über den Unterschied zwischen der simultanen und der sukzessiven Mehrsprachigkeit und die Rolle des fortschreitenden Lebensalters auf neurophysiologischen Erkenntnissen über die menschliche Sprachfähigkeit. Lenneberg (1967) hat seinerzeit die Vorlage für diesen Zusammenhang zwischen der menschlichen Sprachfähigkeit und dem Alter geliefert, indem er von einer kritischen Phase für bestimmte Fertigkeiten gesprochen hat. Die Pubertät sah Lenneberg als einen kritischen Punkt, bis zu dem eine Erstsprache erworben sein muss. Nach diesem Zeitpunkt ist ein erfolgreicher Erwerb nicht mehr möglich. Forscher wie McLaughlin (1978) haben den Punkt für den erfolgreichen Erwerb einer Sprache als Erstsprache auf das Alter bis drei Jahre vorverlegt. In der Tat sind alle Altersstufen zwischen drei Jahren und der Pubertät als das Ende der kritischen Phase für den Erstspracherwerb vorgeschlagen worden und man geht heute sogar davon aus, dass für die unterschiedlichen linguistischen Fertigkeiten (Aussprache, Wort- und Satzbau, etc.) unterschiedliche Altersabschnitte „kritisch“ sind. Auch diese Zeitpunkte wurden auf neurophysiologische Veränderungen zurückgeführt; vgl. u. a. Long (1990) sowie Hyltenstam und Abrahamsson (2003). Darüber hinaus haben neurolinguistische Studien zu zeigen versucht, dass Personen, die mit ihrer zweiten Sprache später als bis zum dritten Lebensjahr in Kontakt gekommen sind, diese auch anders im Gehirn ablegen (vgl. z. B. Obler, Zatorre, Galloway und Vaid 1982, Hahne und Friederici 2001). Wenn die Vorstellung richtig ist, dass, rein neurophysiologisch betrachtet, ein Spracherwerbsfenster geschlossen wird und sich von dem Zeitpunkt an ein andersartiger Erwerbsverlauf (sowohl qualitativ als auch quantitativ) einstellt, dann müssen wir wohl davon ausgehen, dass die mit den neurophysiologischen Voraussetzungen verbundene Fähigkeit des Erwerbs einer Erstsprache ebenso unerreichbar wird.

Bis vor einiger Zeit glaubte man, dass Kinder bereits im Mutterleib und ab der Geburt bis zum Alter von zirka drei Jahren die meisten Lernschritte vollziehen, die mit neurophysiologischen Voraussetzungen erklärbar sind. Die Zeitspanne zwischen drei Jahren und der Pubertät ist neurophysiologisch wenig erforscht, eben weil vermutet wurde, dass viele Fertigkeiten im frühen Kindesalter erworben werden, da das Gehirn eines dreijährigen Kindes als fast vollständig entwickelt galt. Diese Annahme wurde im Jahre 2005 von Jay Giedd (Neurophysiologe am National Institute of Mental Health (Bethesda, Maryland)) infrage gestellt. Bei einem...

Erscheint lt. Verlag 27.11.2023
Reihe/Serie narr STUDIENBÜCHER
Verlagsort Tübingen
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Romanistik
Schlagworte Bilingual • Grammatikerwerb • Methodenreflexion • Romanische Sprachen • spracheneinfluss
ISBN-10 3-8233-0498-4 / 3823304984
ISBN-13 978-3-8233-0498-2 / 9783823304982
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 12,0 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Proust und das Jüdische

von Andreas Isenschmid

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
19,99