Grundkurs Philosophie. Band 9: Philosophie der Religion (eBook)

Detel, Wolfgang - Religionsphilosophie; Erläuterungen - 14413 - Originalausgabe
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
280 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-962205-7 (ISBN)

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Grundkurs Philosophie. Band 9: Philosophie der Religion -  Wolfgang Detel
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Das Phänomen Religion wird gegenwärtig von vielen verschiedenen Wissenschaften untersucht. Der neunte Band der erfolgreichen Reihe »Grundkurs Philosophie« konzentriert sich auf die philosophische Diskussion der wichtigsten theologischen Positionen »Theismus«, »Atheismus« und »Agnostizismus«., Hierbei interessieren insbesondere die unterschiedlichen Gottesbegriffe und Gottesbeweise im Theismus und ihre Kritik im Rahmen des Atheismus und Agnostizismus.  Auch dieser Grundkurs beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den gegenwärtigen Debatten und bietet sich auf diese Weise in bewährter Manier für Universität und Selbststudium an.

Wolfgang Detel, geb. 1942, emeritierter Inhaber des Lehrstuhls für Antike Philosophie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt a. M.

Wolfgang Detel, geb. 1942, emeritierter Inhaber des Lehrstuhls für Antike Philosophie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt a. M.

1.1 Gottesbegriffe


Lange bevor rationale Theologie betrieben wurde, wurden in vielen Kulturen Schöpfungsmythen artikuliert, in denen beschrieben wurde, wie das Universum mit Hilfe göttlicher Kräfte entstanden ist und sich seither entwickelt hat. Die Schöpfung, also die Entstehung des Universums, ist gegenwärtig nicht nur in der Astrophysik, sondern auch im Theismus und Atheismus von erheblichem Interesse. Aus diesem Grunde lohnt sich ein kurzer Blick auf einige exemplarische Schöpfungsmythen.

Schöpfungsmythen


Die meisten Mythen beschreiben die Entstehung der Welt und ihrer grundlegenden Bestandteile und Naturkräfte, die ihrerseits oft in Begriffen bestimmter Götter gefasst werden. Mythen repräsentieren damit auch klassifikatorisches und kausales Wissen über die Welt und sind frühe theistische Versuche, die Prozesse und Dinge in der Welt unter Rückgriff auf Götter zu erklären.

[39]Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag. Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern, und die sei ein Unterschied zwischen den Wassern. Da machte Gott die Feste und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste. Und es geschah also. Und Gott nannte die Feste Himmel.

Diese ersten Verse des Alten Testaments stellen einen Schöpfungsmythos dar. Gott schuf die Welt, doch zu Beginn schwebt er über den Wassern. Er war, genauer übersetzt, so etwas wie ein Sturm im Wasser. Das Wasser selbst wird diesem Mythos zufolge nicht geschaffen und ist nicht entstanden. Die Ureinheit ist dem christlichen Schöpfungsmythos zufolge also das undifferenzierte Wasser mit einer energetischen, kreativen Eigenschaft, die Gott genannt wird. Die erste Binnendifferenzierung betrifft die Trennung von Himmel und Erde, wobei die Erde als ungeordnete Leere, Finsternis und Tiefe gekennzeichnet wird. Es folgen die Differenzierung zwischen Licht und Finsternis sowie die Trennung zwischen dem Wasser über und unter der Erde. Gott produziert die Komponenten der Welt teils durch konkrete Handlungen, teils durch das Wort. Schöpfung durch das Wort scheint auf den ersten Blick abstrakter und entwickelter zu sein, doch handelt es sich um einen Aspekt eines archaischen, magischen Verständnisses von Relationen in der Welt: Genau das, was genannt wird oder genannt werden kann, ist auch real. Diese magische Sicht wird auch zu Beginn des babylonischen Schöpfungsmythos Enuma Elis (ca. 1100 v. Chr.) deutlich:

[40]Als oben der Himmel noch nicht genannt war und unten die Erde noch keinen Namen trug, und auch nicht Apsu, der Erste, ihr Erzeuger, und das Chaos, Tiamat, die sie alle gebar – sie hatten ihre Wasser miteinander vermischt – und als noch kein Weideland zustande gekommen war und kein Röhricht zu sehen war, als noch keiner der Götter in die Existenz gerufen worden war und keiner von ihnen einen Namen trug – da wurden dann die Götter erzeugt …

Keinen Namen zu haben oder nicht genannt zu werden, ist offenbar gleichbedeutend damit, nicht zu existieren. Demnach ist im Enuma Elis das vermischte undifferenzierte Wasser die Ureinheit, die in die erste Differenzierung zwischen Tiamat (weiblich, Süßwasser) und Apsu (männlich, Salzwasser) übergeht. Später taucht der junge Gott, Marduk auf, zerstückelt Tiamat und formt aus den Teilen den Kosmos.

Ein Schöpfungsmythos aus dem alten Ägypten beginnt mit Nun, dem unendlichen undifferenzierten Urwasser in der Dunkelheit. Nun erzeugt mittels seiner Stimme den Gott Atum, der Lichtstrahlen in die Dunkelheit und über das Urwasser schickt. Atum erzeugt dann Shu, den Gott des Windes, sowie Tefnut, die Göttin des Wassers. Und Tefnut soll die Welt erschaffen.

In anderen Mythen bildet die finstere ungeordnete Leere selbst die mythische Ureinheit und ist somit der elementarste Gott. In der Theogonie des altgriechischen Dichters Hesiod (um 700 v. Chr.) ist das »Chaos« der leere unermessliche Raum, doch ebenso auch die verworrene Masse und damit die undifferenzierte Ureinheit, aus der zunächst die Erde, die Unterwelt, der Eros, die Finsternis und die Nacht entstehen, die ihrerseits Licht und Luft, aber auch menschliche Übel hervorbringen, während die Erde viele weitere Götter sowie das Meer, die Berge und den Himmel erzeugt.

[41]In einem afrikanischen Mythos (Benin/Togo) treibt Mawu anfangs in tiefem Schlaf zeitlos durch die Leere und träumt von den Dingen, die irgendwann einmal existieren können, die also möglich sind. Die Zeit beginnt erst, als Mawu den Traum zu Ende geträumt hat, erwacht und zu handeln beginnt.

Der indonesische Stamm der Dajaken lässt seinen Mythos mit einer Dunkelheit beginnen, die sich endlos von Ewigkeit zu Ewigkeit erstreckt, die aber als belebendes Moment eine kleine Spinne enthält, die in der Dunkelheit schwebt und mit ihren gesponnenen Fäden beginnt, Strukturen in der ewigen Dunkelheit zu formieren.

Auch ein taoistischer Schöpfungsmythos aus China beginnt mit einem Nichts und einer Dunkelheit, in der allerdings ein Ei mit Brutenergie treibt, aus dem Pan Ku hervorgeht. Später zerbricht das Ei durch einen Lichtstrahl in zwei Teile. Die obere Hälfte wird zum Himmel, die untere Hälfte die Erde. Pan Ku stellt sich zwischen Himmel und Erde und stützt so beide Hälften. Er wendet dabei all seine Kraft auf, wird alt und stirbt, und sein Tod wird zur Geburt der Welt. Sein rechtes Auge wird zur Sonne, das linke zum Mond, seine weißen Barthaare verwandeln sich in glitzernde Sterne. Der Schädel wird zu Bergen, Zähne zu Fels und Stein, sein Fleisch und seine Knochen werden zu Erdreich. Wälder und Felder entstehen aus seinen Haaren. Aus seinen Adern werden Wege und Straßen. Aus seinem Atem entstehen die Winde, sein Schweiß wird zu Regen und seine Stimme wird zum Donnergrollen. Und die Flöhe, die auf seinem Körper lebten, werden in Menschen und Tiere verwandelt, die daraufhin die Welt bevölkern.

Ein besonders interessanter Mythos stammt aus Polynesien. Diesem Mythos zufolge entsteht die Welt durch Musik. Am Anfang existiert Taaora, welcher das gesamte Universum ausfüllt. Er fühlt sich jedoch so einsam, dass er seine Stimme in die Einsamkeit und Leere hineinruft und aus dem [42]zurückkommenden Echo ein Lied macht. Anfangs ist es ein leises, flüsterndes Lied, aus dem er das Meer und den Wind singt; die Töne werden zu den Fischen, die das Meer beleben. Durch Variationen seines Liedes singt er alle weiteren Komponenten in die Existenz. Als er sieht, dass die Welt vollendet ist, singt er die Menschen aus sich selbst heraus und sich selbst in sie hinein. So wurden die Menschen erfüllt von dem Lied der Welt – also von Gott.

Zum Schluss sei noch ein indischer Schöpfungsmythos angeführt (Brihatkatha Upanischad). Diese Genesis beginnt ohne Zeit und Ort, ohne gestern und heute. Es gibt nur ›das Eine‹, das die tiefen Gedanken der Ewigkeit denkt. Die Gedanken werden zu den Worten: »Ich bin! Es gibt nichts anderes.« Das Eine, der Ur-Gott, denkt sich selbst, denn etwas anderes gibt es nicht. Daraus entstehen Bewusstsein und das Gefühl der Einsamkeit. Das Eine gerät deshalb in unerträgliche Trauer und teilt sich in zwei Teile, aus denen jeweils Dunkelheit und Licht, Meer und Himmel, Berg und Tal sowie die ersten Menschen (Mann und Frau) entstehen. Als sie sich sehen, fühlen sie anstelle der Einsamkeit die Gemeinsamkeit der Liebe, aus der Kinder entstehen, von denen alle Menschen der Welt abstammen. Auf diese Weise wird erklärt, wie die Schöpfung des Vielen aus dem Einen motiviert ist.

Die alten Schöpfungsmythen weisen bemerkenswerte Ähnlichkeiten auf:

9.13 Schöpfungsmythen

(1) Ausgangspunkt ist eine Ureinheit, die noch keine internen Differenzierungen, wohl aber ein aktives, energetisches Element enthält.

(2) Die Energie des aktiven Elements führt zu einer ersten Binnendifferenzierung und dann zu einer Kette [43]weiterer Gegenstände und Kräfte, die nacheinander entstehen.

(3) Das aktive Element wird unterschiedlich beschrieben (von der kleinen Spinne bis hin zum Denken), erfüllt aber stets die Funktion, aus der Ureinheit den konstruktiven Prozess der Weltentstehung in Gang zu setzen.

(4) Dabei werden meist zuerst Naturkräfte und physische Gegenstände, dann Tiere und schließlich Menschen geschaffen.

(5) Die Elemente, die in Mythen beschrieben werden, kennzeichnet eine Doppelgesichtigkeit: Sie sind einerseits Naturkräfte und andererseits göttliche Personen oder Tiere.

(6) Die Personalisierung der grundlegenden Weltelemente ermöglicht es, den Mechanismus der Generierung der Welt in Begriffen von erotischen Zeugungen, oder allgemeiner: von Handlungen der göttlichen Akteure zu beschreiben.

(7) Die mythische Schöpfung ist nicht ein Erschaffen der Welt aus dem reinen Nichts, sondern aus einer Ureinheit mit einem energetischen Potential.

Im Folgenden soll es um die systematischen Positionen der rationalen Theologie gehen, die allerdings, wie bereits angemerkt, zum Teil von älteren Autoren besonders prägnant formuliert und begründet worden...

Erscheint lt. Verlag 17.11.2023
Reihe/Serie Reclams Universal-Bibliothek
Reclams Universal-Bibliothek
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Allgemeines / Lexika
Schlagworte Frankreich • Frieden • Frieden von Hubertusburg • Frieden von Paris • Friedrich der Große • Globale Konflikte • Globale Kriege • Großbritannien • Joseph von Daun • Kolonialkriege • Militärgeschichte • Mythos Leuthen • Österreich • Pariser Friede • Politikgeschichte • Preußen • Rendezvous des Ruhms • Sachsen • Schlacht bei Kolin • Separatfrieden • Sieben Jahre Krieg • Soldatenalltag
ISBN-10 3-15-962205-3 / 3159622053
ISBN-13 978-3-15-962205-7 / 9783159622057
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