Konzentrative Bewegungstherapie (eBook)
200 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-042779-2 (ISBN)
Dr. Maria Stippler-Korp, Klinische und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin (KBT) in eigener Praxis, Dozentin an der Universität Innsbruck, Lehrtherapeutin für Konzentrative Bewegungstherapie Silvia Schüller Galambos, Lehramtsstudium (Geographie, Philosophie, Psychologie, Pädagogik), Psychotherapeutin (KBT) in eigener Praxis, Leiterin der sozialpsychiatrischen Tagesstruktur 'Kräuterfeld' für Menschen mit psychischen Erkrankungen im Rahmen des Psychosozialen Pflegedienstes Tirol.
Dr. Maria Stippler-Korp, Klinische und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin (KBT) in eigener Praxis, Dozentin an der Universität Innsbruck, Lehrtherapeutin für Konzentrative Bewegungstherapie Silvia Schüller Galambos, Lehramtsstudium (Geographie, Philosophie, Psychologie, Pädagogik), Psychotherapeutin (KBT) in eigener Praxis, Leiterin der sozialpsychiatrischen Tagesstruktur "Kräuterfeld" für Menschen mit psychischen Erkrankungen im Rahmen des Psychosozialen Pflegedienstes Tirol.
1 Herkunft und Entwicklung der Konzentrativen Bewegungstherapie
Silvia Schüller Galambos
Die gesamte Geschichte eines Psychotherapieverfahrens auf wenigen Seiten darzustellen, ist ein unmögliches Unterfangen. Deshalb kann an dieser Stelle nur der Versuch unternommen werden, die wichtigsten Kristallisationspunkte zu benennen und die spezifischen Besonderheiten in der Entwicklung der KBT herauszuarbeiten. Sich mit der eigenen Geschichte zu beschäftigen, ist ein wichtiger Teil jedes therapeutischen Prozesses, denn dadurch kann deutlich gemacht werden, woher man kommt und wie man geworden ist, wer man heute ist. Analog dazu ist das Zurückkehren zu den Ausgangspunkten einer Therapiemethode eine essenzielle Bewegungsrichtung, um aus der Kraft der Vergangenheit besser zu verstehen, was sich heute zeigt, und um fruchtbare Wege in die Zukunft zu entwickeln.
Im Gegensatz zu einigen anderen psychotherapeutischen Schulen, steht am Beginn der KBT nicht eine einzelne charismatische Gründungspersönlichkeit. Mehrere Personen und Gruppen haben im dialogischen Miteinandertun eine ganzheitliche Methode entwickelt, wie Menschen mit und ohne psychische Erkrankungen in Wachstums- und Heilungsprozessen begleitet werden können.
1.1 Die körpertherapeutischen Wurzeln
Von Elsa Gindler (1885 – 1961) gibt es nur einen einzigen gedruckten Artikel aus dem Jahr 1926, in dem sie ihre Arbeitsweise darlegt, und doch ist sie die inspirierende Persönlichkeit, die am Beginn vieler heute etablierter körper- und psychotherapeutischer Verfahren steht. Sie selbst lehnte es ausdrücklich ab, eine eigene Schule oder Richtung zu begründen, und sie wollte auch kein therapeutisches Verfahren entwickeln. Ihr Anliegen war es, eine Suchende und eine Forschende zu sein, die sich in Gemeinschaft mit anderen erfahrbereit dem Leben zuwendet. In Berlin richtete sie ein Atelier ein, das sie ihr Laboratorium nannte. Sie arbeitete dort, bis zu dessen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, vor allem in Gruppen. Gemeinsam mit Heinrich Jacoby bot sie auch immer wieder Intensivkurse über zwei und mehr Wochen an (von Arps-Aubert, 2012). Für ihre Art zu Arbeiten stellte Gindler klar: »Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht nicht der menschliche Körper, sondern der Mensch. Der Mensch als Ganzes in all seinen Beziehungsmöglichkeiten zu sich, zu seinem Körper, zu seinem Leben und zu seiner Umwelt« (Ludwig, 2002, S. 125). Es waren vor allem Frauen, Schülerinnen von Gindler, die diese Art mit Menschen zu arbeiten, weiterentwickelten und in alle Welt trugen, so zum Beispiel Laura Perls, Charlotte Selver, Lily Ehrenfried, Ruth Cohn, Clare Fenichl, Gertrud Heller (Geuter, 2006).
1.2 Die tiefenpsychologischen Wurzeln
Die Psychoanalyse war nach der Ära der nationalsozialistischen Herrschaft auch in Europa wieder salonfähig geworden und erlebte einen beeindruckenden Aufschwung. Viele leitende Ärzt*innen in Psychiatrischen, Neurologischen oder Psychosomatischen Kliniken verfügten über eine Ausbildung oder zumindest Erfahrungen mit dieser Methode. Die Psychoanalyse war zu dieser Zeit schon lange keine einheitliche Lehre mehr, verschiedene Zugänge und Methoden hatten zur Bildung zahlreicher Schulen geführt, die ein sehr unterschiedliches Verständnis vom Menschen und den therapeutischen Interventionen hatten.
Ursula Kost, Ärztin, Psychoanalytikerin und KBT-Therapeutin der ersten Stunde meinte dazu:
[...] ich möchte [...] anschließen, dass wir uns seit vielen Jahren nicht als analytisch fundiert, sondern als tiefenpsychologisch fundiert bezeichnen [...] Denn das Menschenbild in der Analyse ist doch sehr anders als unser Menschenbild. Dort wird das Kranke im Menschen in den Mittelpunkt gestellt, während wir von den Stärken und noch unentdeckten Ressourcen des Menschen sprechen. (Achatz-Petz, 2008, S. 79)
Hans Becker, Psychiater und Psychoanalytiker, verband die Erfahrungen aus der KBT-Praxis mit einem tiefenpsychologischen Grundkonzept. Er bezog sich dabei vor allem auf die entwicklungspsychologischen Modelle von Erik Erikson und Margret Mahler, auf deren Grundlage er sowohl die Entstehung als auch die Behandlung von psychischen Erkrankungen beschrieb (Becker, 1981).
1.3 Übergänge und Verbindungen
Gertrud Heller (1892 – 1984) war eine Schülerin Gindlers, die in der nationalsozialistischen Zeit nach Schottland geflohen war. Am Crichton Royal Hospital for Nervous and Mental Disorders arbeitete sie mit Menschen mit schwerwiegenden psychischen Erkrankungen und fand Wege, wie sie die Gindlerarbeit gerade auch für diese Personengruppe adaptieren konnte. In Ermangelung einer besseren Bezeichnung bot sie sogenannte Entspannungsklassen an. Durch die Wahrnehmungs- und Spürarbeit konnte bei zahlreichen Patient*innen eine Verbesserung des Gesamtzustandes erreicht werden. Dazu schrieb sie:
Spontanität des Ausdrucks und der Bewegung ist gegeben, wenn inneres Wahrnehmen und nervale Reaktion wirklich gleichzeitig und zweckmäßig erfolgen; Seele und Körper sind dann eins, sind fähig die Bedeutung ihrer Erfahrung wahrzunehmen und abzuwägen. Diese unmittelbare Verbindung zwischen unserem Bewußtsein und unserer Sinneserfahrung gibt uns ein Gefühl von Sicherheit und körperlich-geistigem Wohlbefinden. (Heller, 1984, S. 244)
Somit war es Heller gelungen die wahrnehmende, spürende Erfahrungsarbeit in das Behandlungskonzept von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu integrieren. Helmuth Stolze begegnete ihr 1953 zum ersten Mal und war fasziniert von ihrer Arbeit (Achatz-Petz, 2008), denn als junger Facharzt für Neurologie war er auf der Suche nach neuen Behandlungsmethoden. Bei Heller lernte Stolze in Selbsterfahrung die neue Behandlungsmethode kennen und führte sie als Gruppentherapie in der Psychiatrischen Klinik in München ein. Er sprach zunächst, in Ermangelung einer geeigneten Bezeichnung für die neue Arbeitsweise, vom »Hellern« (Achatz-Petz, 2008, S. 211).
1.4 Inspirierende Anfänge
Einen wichtigen Impuls setzte Helmuth Stolze im Jahr 1958 auf den Lindauer Psychotherapiewochen, als er die Konzentrative Bewegungstherapie als neues Körperpsychotherapeutisches Verfahren einem damals vor allem ärztlichen Publikum vorstellte. Mit Gertrud Heller, Christine Gräff, Lucie Lenz und Miriam Goldberg wurden in den folgenden Jahren Praxis- und Theorieseminare angeboten, die regen Zuspruch erfuhren. Diese erste Zeit war geprägt von Erfahrungen der eigenen Leiblichkeit, spannenden Gruppenprozessen und der ständigen Reflexion des Erlebten. Vor allem der Pionierarbeit von Christine Gräff ist es zu verdanken, dass sich die KBT als Gruppentherapie im klinischen Setting mit psychisch schwer erkrankten Menschen sehr bald etablieren konnte und eine weite Verbreitung erfuhr (Achatz-Petz, 2008).
1.5 Der Weg zur lehr- und lernbaren Psychotherapiemethode
Schon in seiner ersten offiziellen Präsentation der KBT setzte sich Helmuth Stolze dafür ein, dass die vorgestellte Arbeitsweise als vollwertige Psychotherapiemethode betrachtet werden müsse:
Und gleichzeitig möchte ich damit nachdrücklich die Aufmerksamkeit auf eine Form der Therapie lenken, die auch der Arzt, der nicht Fachpsychotherapeut ist, erlernen und verwerten kann, und zwar nicht als ›Hilfsmethode‹ – das möchte ich noch einmal hervorheben –, sondern als ein vollgültiges und anderen Methoden gleichwertiges Verfahren einer modernen Psychotherapie. (Stolze, 1984, S. 26)
Einen weiteren Meilenstein in der Theoriebildung setzte Stolze mit der Einbeziehung und Weiterentwicklung des Gestaltkreises nach Viktor von Weizäcker zum Tetraeder des Begreifens (Stolze, o. J.).
Ein vollgültiges Psychotherapeutisches Verfahren zu sein, erforderte die unabdingbare Notwendigkeit, tragfähige Strukturen und einen institutionellen Rahmen dafür zu schaffen. So gründete Ursula Kost im Jahr 1977 den Deutschen Arbeitskreis für Konzentrative Bewegungstherapie (DAKBT) als Verein und war neun Jahre lang dessen Vorsitzende. Viele KBT-Therapeut*innen der Anfangszeit standen dieser Institutionalisierung durchaus kritisch gegenüber, denn sie fürchteten die Festlegung und Festschreibung, die im Widerspruch zur Experimentierfreudigkeit und Freiheit der ersten Jahre stand (Achatz-Petz, 2008). In der Folge entstanden Ausbildungsrichtlinien und -curricula, die dafür sorgten, dass die notwendige Einheitlichkeit sichergestellt war und auch die geforderten Qualitätsstandards eingehalten wurden.
In Österreich gründete eine Gruppe um Sylvia Cserny im Jahr 1980 den ÖAKBT und es gelang im Jahr 2001 die Anerkennung als eigenständige Psychotherapeutische Methode beim zuständigen Bundesministerium zu erreichen. Heute ist die fachspezifische Ausbildung zur*zum KBT-Therapeut*in ein universitärer Masterlehrgang an der Donau-Universität Krems.
Literatur
Achatz-Petz, G. (2008). Entstehung und Entwicklung der Konzentrativen Bewegungstherapie. 100 Jahre Psychotherapiegeschichte....
Erscheint lt. Verlag | 31.10.2023 |
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Co-Autor | Gudrun Achatz-Petz, Ute Backmann, Mariella Bidovec-Kraytcheva, Angelika Draxler, Alexandra Epner, Ulrike Gritsch, Swantje Grützmacher, Helga Hofinger, Sigrid Kügler, Marina Müller, Elisabeth Oedl-Kletter, Andrea Plank-Matias, Karin Schreiber-Willnow, Christa Sommerer, Klaus-Peter Seidler |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Entwicklungspsychologie • Körper • Psyche • Tiefenpsychologie |
ISBN-10 | 3-17-042779-2 / 3170427792 |
ISBN-13 | 978-3-17-042779-2 / 9783170427792 |
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