Postmoderner Horror Narzissmus im Werk Stephen Kings -  Insa Lang

Postmoderner Horror Narzissmus im Werk Stephen Kings (eBook)

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2023 | 1. Auflage
216 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-1175-5 (ISBN)
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Mit dieser kritischen Würdigung des Werks Stephen Kings wird ein neuer Blick auf dessen schriftstellerisches Schaffen geworfen. Es wird gezeigt, wie in Kings Schreiben die Merkmale der Genres Horror und Gothic zusammenspielen mit der im nordamerikanischen Diskurs hochpräsenten Konzeption Narzissmus, die sich, so die These, ebenfalls in den Texten spiegelt. Kings persönlicher Bezug zu seiner Arbeit und deren Inhalten wird nachvollzogen und in die amerikanische Kulturgeschichte eingebettet, der reale Horror destruktiven Narzissmus in diesem Kontext herausgearbeitet. In einem so kompakten wie umfassenden Draufblick wird im Wechselspiel von Literaturwissenschaft, Kulturgeschichte und psychologischen Aspekten durch diesen Ansatz zuletzt das Ineinandergreifen gesellschaftlicher Vorgänge und Popkultur veranschaulicht.

Insa Lang (Jg. 1980) hat in Bremen Kulturgeschichte Osteuropas, Neuere Geschichte und Hispanistik studiert. Seitdem lebt sie, nahe der alten Heimat, in Hildesheim und arbeitet dort freiberuflich im Bereich Korrekturlesen/Lektorat. Das private Interesse für Literatur, Popkultur und die Abgründe der Psyche hat sich parallel zu einem Sachbuch zu Stephen King verdichtet.

2 GENERISCHE FREIHEIT


Ein Beiname Kings ist ‚The Master of Horror‘; die Schockmomente der Geschichten bestimmen sein Image.

Sharon Russell jedoch und mit ihr Heidi Strengell zeigen, dass Stephen King nicht Autor reiner Horrorfiktion ist. Vielmehr verbindet er verschiedene Genres miteinander; seine Texte, die Elemente etwa auch von Märchen, Science-Fiction, Western, Romance, Crime oder Suspense Fiction enthalten, sind einer bestimmten Kategorie kaum zuzuordnen.

Die Annäherung an das Werk über das Horrorgenre liegt nichtsdestoweniger nahe – auch wenn er an dieser Stelle ebenfalls nicht als Genreautor gesehen wird, interessieren im Folgenden dennoch Horror und Gothic, da beide Formen aufgrund ihrer jeweiligen Eigenschaften für sein Schreiben grundlegend sind.

Zuletzt wird ein weiteres konzeptionelles Element mit diesen Genres in Zusammenhang gesetzt – das der Figur.

GOTHIC


Für die Auseinandersetzung mit den Texten Stephen Kings ist die Einbeziehung von Gothic ebenso elementar wie die des Horrorgenres. Beide sind eng miteinander verbunden aufgrund des Ausgangs fiktionalen Horrors aus der klassischen Gothic-Literatur und zugleich prägend für die amerikanische Prosa, in deren Tradition King schreibt. Bedingt durch die ihnen eigenen Merkmale liegt es nahe, dass sie einander zuspielen1.

Gothic als Kategorie entzieht sich einer klaren Definition. Das Genre ist wandlungsfähig und findet über die Zeit zahlreiche jeweils aktuelle Ausdrucksformen. So sind auch erfolgreiche Serien wie DESPERATE HOUSEWIVES (2004–2012) oder AMERICAN HORROR STORY (aktuell elf Staffeln seit 2011), selbstverständliche Errungenschaften zeitgenössischer Unterhaltungskultur, mehr oder minder offensichtlich Nachfolger traditioneller Gothic-Fiktion.

Die literarische Gattung geht zurück bis auf Werke, die in England Mitte des 18. bis Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden. Zu den bekanntesten zählen Matthew Lewis’ MONK (1796) oder Mary Shelleys FRANKENSTEIN (1818); Romane, die mit ihren Spukschlössern an entlegenen Orten bis heute stilbildend sind.

Derzeit bedeutete gothic „veraltet, altmodisch oder ausländisch“2, die Ära der Gotik stand für Barbarei, Aberglauben und Anarchie, ihr sollte ein konzeptioneller Gegenentwurf gesetzt werden.

Als namensgebend für das Genre wurde retrospektiv der 1765 erschienene Roman Horace Walpoles DAS SCHLOSS VON OTRANTO herangezogen wegen des Untertitels der zweiten Auflage EINE GOTHIC-GESCHICHTE – ihm fügte Walpole das Adjektiv ‚gothic‘ hinzu, während er zuvor lediglich EINE GESCHICHTE gelautet hatte.

Zentrale Bedeutung misst die Anglistin E. J. Clery seinem Vorgehen zu, zwei verschiedene Genres miteinander zu verknüpfen: „Walpole wollte die unnatürlichen Begebenheiten, die mit der Romanze assoziiert wurden, und die naturalistische Charakterisierung und den Dialog des Romans miteinander verbinden“3 – die Figuren verhalten sich im Rahmen des Wahrscheinlichen und Möglichen, während zugleich der Vorstellungskraft durch Aufgreifen übernatürlicher Anteile grenzenlose Freiräume eröffnet werden.

Um das weitläufige und kaum greifbare Phänomen Gothic dennoch formal einzugrenzen, benennt Jerrold E. Hogle altertümliche Orte ebenso wie Geheimnisse aus der Vergangenheit, die sich in Form eines Geists oder Monsters aus geheimnisvollem Ort erheben und dabei alte, ungelöste Konflikte oder Verbrechen enthüllen. Bei der darauffolgenden Auseinandersetzung wird jedoch weniger eine endgültige Klärung der entsprechenden Fragen geboten als vielmehr ihre Verhandlung inszeniert.

So zeichne sich Gothic vor allem dadurch aus, widersprüchliche Gefühle und Gedanken, wenn nicht in der Realität aufzulösen, so doch immerhin aufzunehmen und widerzuspiegeln und damit nicht zuletzt sichtbar zu machen. Aushandlungen von Identität auf persönlicher wie gesellschaftlicher Ebene sind strukturelles Merkmal; Erwartungen an Geschlechter-, Rassen- und Klassenrollen finden eine Projektionsfläche.

Entsprechend ist für Hogle das Genre eher ein kommunikativer Verhandlungsort oder -raum, als dass er es als Ausdruck für eine bestimmte Position sehen würde, etwa als ‚konservativ‘ oder als ‚subversiv‘; eine Einordnung, die in der Forschung vielmals vorzunehmen versucht wird4.

Die englische Gothic-Fiktion fand ab Ende des 18. Jahrhunderts ihren Weg nach Nordamerika und war dort bald hochpopulär. Für einige entspricht die aus ihr hervorgegangene Prosa tatsächlich der klassischen nationalen Literatur, die somit auch Stephen Kings Selbstverständnis als amerikanischer Schriftsteller bestimmt.

Der Anglist Allan Lloyd Smith beschreibt sie ebenfalls bereits in ihren Anfängen als zutiefst von Gothic beeinflusst. Als Autor/inn/en der American Gothic Fiction nennt er Edgar Allan Poe und Nathaniel Hawthorne, zudem Herman Melville, Charles Brockden Brown, James Fenimore Cooper oder Harriet Beecher Stowe.

Bei den Voraussetzungen, welche die Gesellschaft prägten, die wiederum diese Literatur hervorbrachte, handelte es sich Lloyd Smith zufolge zunächst um politischen Utopismus im Moment der Nationsgründung; zudem war die Erfahrung der Grenze Mythos und ebenso alltägliche Erfahrung der europäischen Siedler. Hinzu kamen deren puritanisches Vermächtnis und der entsprechende die politische und die Alltagskultur bestimmende Verhaltenskodex sowie als fremdartige Begegnung empfundene Treffen auf afrikanische Sklaven und amerikanische Ureinwohner:

Vor wie nach der Unabhängigkeit war der Alltag in den Staaten bestimmt von der Erschließung des Landes und dem Aushandeln neuer Identitätsentwürfe – gesellschaftliche Bedingungen, deren Facettenreichtum und Ambivalenz sich in der flexiblen Form der Gothic-Fiktion mit ihrer Affinität für Grenzaushandlungen vielleicht am ehesten reflektieren lassen – „Gothic geht hervor aus den Bedingungen, die [...] [die Texte] anstreben zu beschreiben“5.

Zentraler Unterschied zwischen dem amerikanischen Gothic-Roman und seinen europäischen Vorbildern ist für Lloyd Smith eine strukturelle Veränderung – Gothic in amerikanischer Ausprägung trete oft eher metaphorisch oder in Gestalt einzelner Details in Erscheinung, als dass sie das Genre als solches kopiere. Die amerikanischen Schriftsteller/innen würden die Voraussetzungen des europäischen Gothic-Romans auf ihre eigene Umgebung übertragen, etwa wenn „die Gefahren der Wildnis [...] ein labyrinthisches Setting bereitstellen, das die europäischen Windungen des Konvents oder Schlosskorridore und Verliese ersetzt“6, „das Verlies zur Höhle wird“7 wie bei Brown oder wenn im 20. Jahrhundert „William Faulkners heimgesuchte Sümpfe, verlorene Plantagen und vernichtete Städte des Südens eine Gothic-Landschaft bieten, vergleichbar mit den Ruinen des Feudalismus in Englischer Gothic8.

Eine weitere Adaption sieht Lloyd Smith in der Übertragung auf psychologische Vorgänge, besonders im häuslichen Kontext, wofür er als Beispiel Charlotte Perkins Gilmans Kurzgeschichte DIE GELBE TAPETE (1892) anführt, in der die weibliche Hauptfigur zur ,Heilung‘ ihrer ,Hysterie‘ in ein Zimmer mit entsprechender Wandverkleidung eingesperrt wird und die, verschiedene Gothic-Elemente aufgreifend (das der Zwangslage, des Doppelgängers, von Wahnsinn), die Behandlung der Protagonistin durch Ehemann und Doktor anprangert9.

Gothic genieße durch „ihren Status als absurde Phantasie“10 eine gewisse Narrenfreiheit, durch die es möglich werde, vielleicht gerade irrationalen Ängsten, aber auch Wünschen Ausdruck zu verleihen und damit bestimmte Verhältnisse womöglich sogar besser einfangen zu können, als realistische Schilderungen es könnten.

So wie die kanonischen Texte der Gothic-Fiktion jener retrospektiv zugeordnet werden, ist auch American Gothic eine Einteilung, die ab den 1980ern rückblickend getroffen wird. Während im Namen des eben so betitelten Gemäldes des Malers Grant Wood von 1930 beide Begriffe noch ironisch, da widersprüchlich assoziiert kombiniert werden, verschmilzt mit Robert Blochs Roman AMERICAN GOTHIC aus dem Jahr 1974 dieser immanente Widerspruch mit gewaltvollen Aspekten der Landesgeschichte11.

Die ambivalente Beziehung von nationaler Erzählung und hintergründigem Trauma spiegelt sich vergleichbar auch 1976 in den Feierlichkeiten zum zweihundertjährigen Bestehen der USA, kurz nach Ende des Vietnamkriegs, auf dessen Schrecken Bloch implizit...

Erscheint lt. Verlag 30.8.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Literaturwissenschaft
ISBN-10 3-7568-1175-1 / 3756811751
ISBN-13 978-3-7568-1175-5 / 9783756811755
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