Revolte und Revolution in der Frühen Neuzeit (eBook)

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2023 | 1. Auflage
400 Seiten
UTB (Verlag)
978-3-8463-6138-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Revolte und Revolution in der Frühen Neuzeit -  Ulrich Niggemann
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Das Buch untersucht das Phänomen 'Revolution' in seiner ganzen Vielfalt. Dabei behandelt es unterschiedliche Ereignisse wie etwa den Bauernkrieg, die Täuferherrschaft in Münster oder die Englischen Revolutionen des 17. Jahrhunderts. Es vermittelt aber nicht nur Überblickswissen, sondern es demonstriert wie historisches Denken funktioniert und wie Fragen und Thesen entwickelt werden.

Prof. Dr. Ulrich Niggemann ist Direktor und Geschäftsführender Wissenschaftlicher Sekretär am Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg.

Prof. Dr. Ulrich Niggemann ist Direktor und Geschäftsführender Wissenschaftlicher Sekretär am Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg.

Vorwort zur Reihe 9
I. Revolution in der Vormoderne? Zur Einführung 11
II. Konzepte, Theorien, Kontroversen: Revolutionsforschung im Überblick 23
1. Entwicklungen und Konjunkturen 23
2. Definitionen und Abgrenzungen 26
3. Liberale Revolutionsanalyse: Tocqueville und die Französische Revolution 30
4. Revolution und Klassenkampf: Marxistische Revolutionstheorie 35
5. Naturalistische und sozialpsychologische Deutungen: Crane Brinton und James C. Davies 40
6. Strukturalistische Deutungen: Charles Tilly und Theda Skocpol 44
7. Revisionismus und Postrevisionismus: Auf dem Weg zu einer Kulturgeschichte der Revolution 48
III. Themen und Probleme 55
8. Sprechen über Revolution – Kommunikation und Medialität, Diskurs und Erinnerung 55
8.1 England, Schottland und Irland 1688/89 55
8.2 Mediale Kommunikation und Revolution 60
8.2.1 Medien, Diskurse und politische Ideen 62
8.2.2 Gedruckte Kommunikation: Die Rolle der 'Massenmedien' 70
8.2.3 Die Entwicklung des Revolutionsbegriffs seit dem 14. Jahrhundert 89
8.3 Oralität und Performanz 100
8.4 Rezeption, Tradition und Erinnerung 109
8.5 Fazit 116
9. Krisen und Verteilungskämpfe – Revolten und Revolutionen als sozioökonomische Konflikte 117
9.1 Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 1524–1526 117
9.2 Neapel 1647–1648 120
9.3 Ökonomische und soziale Konfliktlagen 123
9.3.1 Vor dem Bauernkrieg: Eine Krise des 14./15. Jahrhunderts? 126
9.3.2 Der Bauernkrieg im Kontext: Die "Preisrevolution" des 16. Jahrhunderts 128
9.3.3 Der Aufstand von Neapel und die "Krise des 17. Jahrhunderts 135
9.3.4 Eine Krise des 18. Jahrhunderts 144
9.4 Kulturelle Dimensionen sozio-ökonomischer Konfliktlagen 150
9.5 Fazit 155
10. Zentrum und Peripherie – Ständische Revolten und dynastische Agglomeration 157
10.1 Niederlande 1566–1609 157
10.2 Frankreich 1648–1653 161
10.3 Herrschaft, Partizipation und Revolte 167
10.3.1 Zentrum und Peripherie in großräumigen Herrschaften 168
10.3.2 Krieg und dynastische Agglomeration 173
10.3.3 Die Mitregierung zentraler Gremien 179
10.3.4 Konflikte um Partizipation in der kolonialen Welt: Ein Sonderfall 190
10.4 Eine Krise des 'Absolutismus'? 193
10.5 Fazit 198
11. Seelenheil und Apokalypse – Religion und Revolution 199
11.1 England 1642–1660 199
11.2 Religion als Faktor revolutionärer Situationen 204
11.2.1 Reformation als Revolution? 205
11.2.2 Konfessionskonflikt und Revolte 214
11.2.3 Erwählung, Endzeiterwartung und Utopie 225
11.3 Fazit 239
12. Radikalisierung und Gewalt – Dynamiken und Verläufe revolutionärer Prozesse 240
12.1 Frankreich 1789–1799 240
12.2 Revolutionäre Situationen und revolutionäre Entwicklungen 245
12.2.1 Radikalisierung und Gewalt 247
12.2.2 Konterrevolution und Restauration 265
12.2.3 Terminer la Révolution: Wie beendet man eine Revolution? 275
12.3 Fazit 279
13. Erfolg und Scheitern – Revolutionäre Ergebnisse 280
13.1 Ungarn, 1703–1711 280
13.2 Nordamerika, 1765–1783 283
13.3 Erfolgreiche und gescheiterte Revolutionen? 288
13.3.1 Neue Staatswesen 290
13.3.2 Neue Regime 292
13.3.3 Soziale und religiöse Veränderungen 298
13.3.4 Ambivalenzen des Scheiterns 303
13.3.5 Verlierer 306
13.4 Fazit 310
IV. Das Revolutionäre in Vormoderne und Moderne: Ein Fazit 311
Anhang 319
Abbildungsverzeichnis 319
Quellen-und Literaturverzeichnis 320
Quellen 320
Einführungs-und Handbuchliteratur 323
Zitierte Literatur 326
Personenregister 381
Ortsregister 389
Sachregister 394

II.Konzepte, Theorien, Kontroversen: Revolutionsforschung im Überblick

1.Entwicklungen und Konjunkturen

Im Prinzip ist es nicht unproblematisch, einen Überblick über Modelle und Konzepte der Revolutionsforschung einer Betrachtung der frühneuzeitlichen Revolutionen voranzustellen und damit zu suggerieren, dass sich Theorien und Konzepte losgelöst von Ereignissen und ihren zeitgenössischen Deutungen und Legitimationen erörtern ließen. Es werden zudem zwangsläufig Zäsuren gesetzt, indem eine systematische Revolutionsforschung erst der Moderne seit etwa 1800 zugeordnet wird. Damit wird aber letztlich nur jene Zäsur 1789 fortgeschrieben, die jeder teleologischen Fortschrittsgeschichte der Moderne zugrunde liegt und die es eben deshalb kritisch zu hinterfragen gilt, die also gerade nicht a priori gesetzt werden sollte.

Im Folgenden wird trotz dieser Problematik ein solcher Weg eingeschlagen, der sich einerseits aus pragmatischen Gründen anbietet, aber auch analytische Vorteile bereithält. Denn erstens erleichtert uns diese Vorgehensweise die Trennung zwischen Betrachtungszeitraum und dem Zeitraum wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit Phänomenen der Frühen Neuzeit. Das heißt, alles, was vor 1850 liegt, kann grob als Gegenstand dieses Buchs betrachtet werden, alles danach als wissenschaftliche Analyse. Das fällt zudem zusammen mit der Herausbildung moderner akademischer Disziplinen. Zweitens lässt sich nur auf diese Weise der Anspruch der Reihe einlösen, wissenschaftliche Modelle und Konzepte vorab zu behandeln und als „Werkzeugkasten“ für die weitere Beschäftigung mit der Thematik bereitzustellen, während sich die jeweils zeitgenössischen Wahrnehmungs- und Rezeptionsmuster nur im Kontext der je aktuellen Debatten und Konfliktkonstellationen beschreiben lassen.

Das heißt freilich nicht, dass nicht auch die moderne Revolutionsforschung in ihren jeweiligen zeitgenössischen Kontexten zu verorten wäre. Schaut man sich die Konjunkturen der Revolutionsforschung an, so wird deutlich, dass das Interesse der jeweiligen Gegenwart immer mitschwingt. Zeithistorische Darstellungen einzelner revolutionärer Ereignisse gab es schon früh. Sie waren eingebettet in die Aushandlungsprozesse über die Geschehnisse selbst und damit Teil einer unmittelbar einsetzenden Erinnerungskultur. Alexis de Tocquevilles „L’Ancien Régime et la Révolution“ von 1856 ist Teil einer solchen Erinnerungskultur und einer anhaltenden gesellschaftlichen Debatte über die Französische Revolution, gilt aber zugleich als eine der ersten umfassenden und systematischen Abhandlungen über das Thema. In diesem Sinne markiert der Text vielfach den Beginn der modernen Revolutionsforschung.1 Auch die Arbeiten von Karl Marx und Friedrich Engels stellen Analysen vergangener Revolutionen dar und sind zugleich Überlegungen zu der prognostizierten kommenden Revolution und somit Teil einer laufenden gesellschaftlich-politischen Debatte. Die Russische Revolution, die Erfahrungen mit dem NS-Regime in Deutschland, mit dem Stalinismus und dem beginnenden Kalten Krieg hielten das Thema im Bewusstsein und waren ein wesentlicher Impetus für die frühe sozialwissenschaftliche Protest- und Revolutionsforschung in den USA in den 1950er Jahren. Forschende der Soziologie, Psychologie, Politikwissenschaft und Medienwissenschaft begannen, sich mit Massenbewegungen zu beschäftigen. Der Eindruck der studentischen Protestbewegungen um 1968 trug in der Folge wesentlich zum Wiederaufleben, aber auch zur Transformation der Protest- und Revolutionsforschung bei. Eine Reihe von bis heute vielzitierten ‚Klassikern‘ der systematischen sozialwissenschaftlichen Revolutionsforschung wurde in dieser Phase erarbeitet. Als Ende der 1980er Jahre, insbesondere mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Regime in Osteuropa die Rede vom „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) die Runde machte und sich die Vorstellung etablierte, dass Revolutionen obsolet geworden seien und der Vergangenheit angehörten, tat dies auch der Revolutionsforschung Abbruch. In denselben Kontext gehört die Diagnose, mit dem Verschwinden der ‚realsozialistischen‘ Systeme sei das Ende der Utopie gekommen.2 Erst die in den 2000er Jahren aufgekommenen neuen Protestbewegungen der Globalisierungskritik sowie seit 2010/11 die Umstürze des sogenannten Arabischen Frühlings, der mit den Maidan-Protesten von 2013/14 assoziierte demokratische Aufbruch in der Ukraine und die Klimaproteste der Gegenwart scheinen zu einem neuen Interesse am Thema Revolution geführt zu haben. Jedenfalls hat in den letzten Jahren die Diskussion über Revolutionen wieder zugenommen und neue Impulse erhalten.

Auch innerhalb der Geschichtswissenschaft spielten die Debatten der jeweiligen Gegenwart stets eine wichtige Rolle. Gleichwohl blieben einzelne Revolutionen im Zentrum des Interesses, und die Konjunkturen waren nicht nur von politischgesellschaftlichen Aktualitäten bestimmt, sondern auch vom Zyklus der Jubiläen. Lange überwogen dabei narrative Darstellungen, die Revolten und Revolutionen geradezu in die Nähe von Naturereignissen rückten. Leopold von Ranke hatte etwa den Bauernkrieg von 1525 in seiner „Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation“ (1839) als „größte[s] Naturereignis des deutschen Staates“ bezeichnet, als „Ungewitter der Tiefe“. Es seien die „elementaren Kräfte“ gewesen, die sich erhoben hätten.3 Der Aufstand der Bauern erschien hier als eine Art Naturkatastrophe, als kontingentes, nicht vorhersagbares und nur schwer aus den allgemeinen Entwicklungen heraus erklärbares Ereignis. Zugleich verband sich eine solche Wahrnehmung aber oft auch mit einer dezidierten Akteursperspektive. Je nach Sichtweise waren Aufstände und Revolten das fehlgeleitete Machwerk einzelner Rädelsführer oder auch das heroische Handeln individueller Akteure. Solche Zuspitzungen auf einzelne Handlungsträger finden sich in Revolutionsdarstellungen immer wieder. Lange galt insbesondere Oliver Cromwell als Prototyp des machtgierigen Verschwörers, der um seiner eigenen Interessen willen ein ganzes Land ins Chaos gestürzt habe. Umgekehrt konnten Akteure wie George Washington als selbstlose Retter und Helden inszeniert werden. Mit Blick auf die Französische Revolution überwogen vielfach die Konspirationsthesen, die insbesondere die Verfechter der Aufklärung für den Ausbruch der Revolution verantwortlich machten. Auch Edmund Burke entfaltete in seiner Kritik an der Französischen Revolution eine solche Perspektive, indem er Irreligiosität, lockeren Moralvorstellungen sowie einer ‚falschen Philosophie‘ und ihren Verfechtern die Schuld für die Revolution gab.4 Zumeist dienten solche Zuschreibungen einer Verurteilung der jeweiligen Ereignisse. Sie waren entweder Katastrophen, die plötzlich über die Menschen hereinbrachen oder das Werk einzelner Verschwörer, die ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl nur ihre eigenen sinistren Interessen verfolgten. Auf der anderen Seite stand die ‚romantische Schule‘ mit Historikern wie Jules Michelet, die die Revolution als heroisches Handeln des ‚Volkes‘ glorifizierte.5

Eine systematische und vergleichende Revolutionsforschung hat sich in den historischen Disziplinen hingegen relativ spät entwickelt. Der Fokus lag hier – entsprechend dem traditionellen Selbstverständnis der Geschichtswissenschaft – zumeist stärker auf der Erforschung einzelner revolutionärer Ereignisse, allen voran der Französischen Revolution. Aber auch die englischen Revolutionen des 17. Jahrhunderts, die Amerikanische Revolution, die 1848er Revolutionen, die Russische Oktober- respektive Novemberrevolution6 sowie die Chinesische Revolution fanden vielfache Aufmerksamkeit der historischen Fachdisziplinen. Dabei lieferte die Geschichtswissenschaft einerseits das empirische Datenmaterial für die generalisierende sozial- und politikwissenschaftliche Forschung, andererseits übernahm sie mehr oder weniger gründlich die theoretischen Modelle aus den sozialwissenschaftlichen Disziplinen, um ihre konkreten Einzelbefunde zu interpretieren. Die Arbeitsteilung schien also klar zu sein: Die Politik- und Sozialwissenschaften waren für die systematische und generalisierende Revolutionsforschung zuständig, die Geschichtswissenschaft konzentrierte sich auf Einzelereignisse oder einzelne Zeitabschnitte. Dagegen gibt es gute Gründe, auch aus einer historischen, insbesondere kulturhistorischen Sicht das Phänomen des Revolutionären übergreifend in den Blick zu nehmen und dabei die spezifischen Kompetenzen der historischen Wissenschaften einzubringen. Zu den großen generalisierenden Entwürfen wird man dabei vielleicht nicht gelangen, und hier ist möglicherweise ohnehin Skepsis angebracht. Aber Theorien mittlerer Reichweite lassen sich durchaus aus einer dezidiert historischen Perspektive gewinnen.

Um dies zu erreichen, ist es jedoch notwendig, sich zunächst einmal die Ansätze, Theorien und Modelle der systematischen Revolutionsforschung wie auch der geschichtswissenschaftlichen Einzelforschung anzuschauen. Erst auf...

Erscheint lt. Verlag 16.10.2023
Reihe/Serie Einführungen in die Geschichtswissenschaft. Frühe Neuzeit
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte Neuzeit (bis 1918)
Schlagworte 30 jährige krieg • Absolutismus • Amerikanische Revolution • Bauernaufstände • Bauernkrieg • Charles Tilly • Danton • Elisabeth I • Englische Revolution • Französische Revolution • Frühe Neuzeit • Geschichte • Geschichte Studieren • Heiliges Römisches Reich Deutscher Nationen • Heinrich der IV • Jacobiner • Klassenkampf • Konfessionelles Zeitalter • Konfessionskonflikt • Lehrbuch • Marxistische Revolution • Neapel • Partizipation • Reformation • Renaissance • Robespierre • Ständische Revolten • Thomas Morus • Tocqueville • Utopia • Verteilungskämpfe • Vormoderne
ISBN-10 3-8463-6138-0 / 3846361380
ISBN-13 978-3-8463-6138-2 / 9783846361382
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