Genie und Gendarm (eBook)

Wenn eine Theologie amtlich wird am Beispiel von Benedikt XVI.
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2023 | 1. Auflage
136 Seiten
Echter Verlag
978-3-429-06624-6 (ISBN)

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Die Beurteilung des Synodalen Wegs durch die römische Kurie ist nur zu verstehen, wenn man die Theologie von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. in den Blick nimmt. Die deutsche Kirche - so sein Vorwurf - versucht ein Lehramt der Theologen zu installieren. Sie verunsichert damit die einfachen Gläubigen und macht Kirchenreform zu einem elitären akademischen Projekt. Es erstaunt, dass Benedikt XVI., der zu den Reformern auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil gehörte, zu dieser negativen Sicht kommt. Für Erich Garhammer, der bei Ratzinger studierte, steckt dahinter auch eine biographische Erfahrung, nach welcher der Begriff 'Reform' für den jüngst verstorbenen Benedikt XVI. etwas Bedrohliches und sogar Zerstörerisches wurde.

Prof. em. Dr. Erich Garhammer, Lehrstuhlinhaber für Pastoraltheologie an der Universität Würzburg von 2000 bis 2017, Schriftleiter der Zeitschrift 'Lebendige Seelsorge' (2004 bis 2021) und Mitherausgeber der Reihe 'Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge'.

Prof. em. Dr. Erich Garhammer, Lehrstuhlinhaber für Pastoraltheologie an der Universität Würzburg von 2000 bis 2017, Schriftleiter der Zeitschrift "Lebendige Seelsorge" (2004 bis 2021) und Mitherausgeber der Reihe "Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge".

JOSEPH RATZINGER UND DAS KONZIL


Ein Theologe mit göttlicher Berufung


Zwei Schwierigkeiten stellten sich dem jungen Theologen Joseph Ratzinger in den Weg: zum einen sein Habilitationsverfahren, das wegen des Einspruchs des Dogmatikers Michael Schmaus fast gescheitert wäre. Ratzinger galt als zu „progressiv“. Er konnte allerdings im Habilitationsverfahren den beanstandeten Teil herausnehmen und so die Hürde nehmen. Relativ rasch kam dann der Ruf an die Universität Bonn. Doch Kardinal Wendel hatte etwas anderes mit ihm vor: er sollte an die Pädagogische Hochschule nach Pasing gehen und weiterhin auch die Professur in Freising vertreten. Ratzinger lehnte rundweg ab und nannte in einem ausführlichen Schreiben am 14. Oktober 1958 seinem Kardinal, der gerade beim Konklave in Rom weilte, seine Gründe. Seine Berufung sei ein Dienst an der wissenschaftlich-theologischen Forschung und der wissenschaftlichen Ausbildung des Klerus. Seine Zielgruppe waren von Anfang an die Priester. Für Pasing müsste er ein eigenes Lehrprogramm ausarbeiten, das theologischen Laien einen Umriss der ganzen Welt des Glaubens entwerfen sollte. Diese Aufgabe würde ihn von seiner wissenschaftlichen Arbeit abhalten. Deshalb werde er am Ruf nach Bonn festhalten. Diese Berufung fordere eine vollständige Freigabe für sein Fach. Zudem sei sie auch eine Ehre für die Freisinger Hochschule. Er hoffe in dieser wirren Zeit durch intensive Arbeit gerade in diesem Fach einen wichtigen Dienst für die Kirche zu leisten. Dieser Dienst würde ihm am meisten entsprechen. Und dann fuhr er gegen seinen Kardinal ein Argument auf, dem dieser nicht widersprechen könne: dieser Dienst ist gottgewollt.

Der junge Theologe berief sich gegen den Wunsch des Kardinals auf Gottes unmittelbaren Willen und legitimierte damit seine Entscheidung. Er steigerte am 27. Oktober 1958 seine „Eigenmächtigkeit“: sollte er auf sein Schreiben keine Antwort bekommen, würde er das als „tacita consensio“ werten. Daraufhin traf ein Brief des Sekretärs des Kardinals ein: der Kardinal fühle sich verletzt und vor den Kopf gestoßen. Wenigstens die übergangsweise Vertretung in Pasing und Freising hätte er annehmen können, das hätte einer großen Not abgeholfen. Ratzinger solle also noch nicht handeln, der Kardinal wolle sich noch einmal mit seinem Generalvikar besprechen. Daraufhin schuf Joseph Ratzinger in einem weiteren Schreiben am 6. November 1958 Fakten. Er nannte dafür auch Gründe. Eine Kombination von Pasing und Freising sei rechtlich gar nicht möglich. Dafür bräuchte es einen Landtagsbeschluss. Zudem habe er nicht die lehrmäßigen Voraussetzungen für Pasing. Er habe keinerlei Vorbildung in Religionspädagogik. Er sei für das Fach Dogmatik habilitiert, nicht für Religionspädagogik. Er lehne daher aus Gewissensgründen (!) jegliche weitere Diskussion über das Projekt in Pasing ab. Würde er in Freising bleiben, würde er der Berufung von Dr. Josef Finkenzeller im Wege stehen. Außerdem habe das Erzbischöfliche Ordinariat gegen den Ruf des Staatsministers an die Universität Bonn keinen Einwand erhoben. Der Ruf sei also nicht zurückzunehmen und schließe seinen Verbleib in Freising definitiv aus. Würde er den Ruf nicht annehmen, würde er seine Zukunft gefährden. Er sehe in der Zustimmung des Ordinariats auch das Ja des Bischofs involviert. Das bedeute für ihn eine eindeutige Freigabe für Bonn. Ratzinger nahm also gegen den Willen des Kardinals den Ruf nach Bonn an und interpretierte die Nichtantwort des Kardinals als Zustimmung. Am 1. April 1959 wurde er nach Bonn berufen und am selben Tag wurde Dr. Josef Finkenzeller zu seinem Nachfolger in Freising ernannt (Erzbisch. Archiv München, Bestand Joseph Kardinal Wendel, Sign. 56).

Als Peter Seewald den späteren Papst Benedikt auf diesen Vorgang ansprach, gestand dieser zu, dass es diesbezüglich einen „komplizierten Briefwechsel“ gegeben habe. Auf die weitere Frage, ob er sich damit gegen die Weisung seines Bischofs gestellt habe, gab er lapidar zur Antwort: „Das nicht. Ich habe einfach nicht gleich seinen ersten Wunsch angenommen“ (Seewald 121). Dieses Argument sollte sich jeder Priester merken, wenn sein Bischof etwas mit ihm vorhat.

Schnell wurde Joseph Ratzinger zum Star unter den Theologen und wurde für das Zweite Vatikanische Konzil zum wichtigen Stichwortgeber.

Speerspitze der Innovation auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil


Am 25. Dezember 1961 kündigte Papst Johannes XXIII. in der Apostolischen Konstitution „Humanae salutis“ das Zweite Vatikanische Konzil für das kommende Jahr an und am 2. Februar 1962 legte er in dem Motu proprio „Consilium“ den Beginn auf den 11. Oktober fest. Inhaltlich plädierte der Papst vor dem Hintergrund epochaler Transformationsprozesse in der Gesellschaft dafür, die „Zeichen der Zeit“ zu erkennen. Er glaubte, „in all der großen Finsternis nicht wenige Anzeichen zu sehen, die eine bessere Zukunft der Kirche und der menschlichen Gesellschaft erhoffen lassen“. Der Papst zeigte sich überzeugt von der Lebenskraft der Kirche und nannte drei Gründe für die Einberufung des Konzils: die innerkirchliche Erneuerung, die Förderung der Wiederherstellung der sichtbaren Einheit der Christen und den Beitrag der Kirche zu den Problemen der Zeit, insbesondere zum Frieden in der Welt. Ihre volle Entfaltung fand die Konzilsidee des Papstes in der Konzilseröffnungsrede vom 11. Oktober 1962. Das Konzil bedeutete trotz seiner formalen Einbindung in die Tradition der Konzilien eine theologische Innovation. Aber darf man den Begriff der Innovation verwenden?

Ist Innovation erlaubt?


Ich habe in meiner Dissertation 1990 versucht mit dem Begriff der Innovation, den ich beim Bochumer Fundamentaltheologen Hermann Josef Pottmeyer entlehnt habe, das Verhältnis von Erstem und Zweitem Vatikanischen Konzil zu beschreiben. Das Erste Vatikanum hat die Kirche beschrieben mit dem Papst an der Spitze. Das Zweite Vatikanum hat ebenfalls die Kirche zum Thema gemacht, aber mit einem neuen Subjekt – dem Volk Gottes. Diesen Schritt kann man als Innovation bezeichnen (Garhammer 1990, 234).

Diese These ist mir beim Nihil-obstat-Verfahren angekreidet worden. „Von einigen Publikationen des Bochumer Fundamentaltheologen Hermann Josef Pottmeyer beeinflusst und dessen Ausführungen zuspitzend, liest Verfasser die Ekklesiologie des Ersten Vatikanischen Konzils nach dem politischen Modell des Absolutismus. Die Ausdrücke hierarchisch und Hierarchie werden zu bevorzugten Begriffen, um den päpstlichen Primat zu attackieren.“ Damit würden die Begriffe Hierarchie und hierarchisch jegliche gnadenhafte Konnotation verlieren.

In diesem Gutachten zeigte sich, dass eine ganz bestimmte Konzilsinterpretation und -rezeption nicht mehr erwünscht war. Vor allem aber, dass bestimmte Autoren in der Zwischenzeit als nicht mehr linientreu galten. So habe ich mich auch auf den niederländischen Theologen Edward Schillebeeckx und dessen Buch „Christliche Identität und kirchliches Amt. Plädoyer für den Menschen in der Kirche“ bezogen. In dem Gutachten der Glaubenskongregation wurde darauf hingewiesen, dass dieses Buch zwar nicht verurteilt worden sei, aber dass gegen den Theologen schwere Bedenken vorlägen. Dabei war es lediglich meine Absicht, Vatikanum I und Vatikanum II in die Traditionsgeschichte der Kirche einzubinden, indem ich ihren Unterschied und zugleich ihre Bezogenheit markierte. Präfekt der Glaubenskongregation war Joseph Ratzinger. Ich war immer noch der Meinung, dass er sich als Reformer in der Spur des Zweiten Vatikanischen Konzils bewegen würde, hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass es bei ihm eine biographische Wende gegeben hat, die ihn zu einer Neueinschätzung des Konzils geführt hat. Bevor ich diese Wende beschreibe, stelle ich die Bedeutung und positive Anregung Ratzingers für das Zweite Vatikanum dar.

Joseph Ratzinger und der Kölner Kardinal Frings


Joseph Ratzinger wurde vom Kölner Erzbischof Josef Frings zur Mitarbeit an der Konzilsvorbereitung eingeladen. Frings schildert die Hintergründe. Im Jahre 1961 habe sich Pater Arpa an ihn gewandt, ein Jesuit, der in Genua ein Institut gegründet hatte, das sich vor allem mit Entwicklungsfragen in den südamerikanischen Ländern befasste. Er fragte Frings an, ob er bereit sei, über das Konzil auf dem Hintergrund der aktuellen Zeitumstände im Unterschied zum Ersten Vatikanischen Konzil zu sprechen. Frings sagte zu. „Aber ich sah, dass ich allein nicht im Stande sein würde, dieses Thema grundlegend zu besprechen. In einem Gürzenich-Konzert traf ich Professor Ratzinger, der kurz zuvor als Fundamentaltheologe nach Bonn gekommen war und der sich bereits eines großen und guten Rufes erfreute. Ich bat ihn, ob er mir bei der Bearbeitung dieses Themas behilflich sein wolle, und auch ihn schien diese Themenstellung zu reizen. Er lieferte mir bald einen Entwurf, den ich so gut fand, dass ich nur an einer Stelle eine kleine Retuschierung vornahm“ (Frings Konzilserinnerungen 248).

Der Vortrag von Ratzinger wurde durch Vermittlung von...

Erscheint lt. Verlag 1.9.2023
Verlagsort Würzburg
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte Joseph Ratzinger • Kirche • Kirchenreform • Papst Benedikt XVI. • Theologie
ISBN-10 3-429-06624-7 / 3429066247
ISBN-13 978-3-429-06624-6 / 9783429066246
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