Die Verwirklichung des schöpferischen Selbst nach C. G. Jung -  Annette Kuptz-Klimpel

Die Verwirklichung des schöpferischen Selbst nach C. G. Jung (eBook)

Selbstregulation in der psychodynamischen Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
196 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-036597-1 (ISBN)
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C. G. Jung geht vom schöpferischen Potenzial des Selbst, der Einheit und Ganzheit der Persönlichkeit aus. Auf der Basis einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung können aus diesem Selbst hilfreiche Impulse, Bilder und Symbole hervorgehen. Diese zeigen sich in Fantasien, Träumen und Spielen, fördern den Heilungsprozess und die Entwicklung der Persönlichkeit. Ein Kind kann jedoch sein Selbst nur in einem fördernden Umfeld und im feinfühligen Austausch mit seinen Bezugspersonen entfalten. Im Buch werden die traditionellen Sichtweisen von C. G. Jung und Erich Neumann vorgestellt und durch Erkenntnisse aus anderen Therapierichtungen sowie den Neurowissenschaften ergänzt und erweitert, so dass sich daraus ein modernes, zeitgemäßes Therapiemodell ergibt.

Annette Kuptz-Klimpel, Soz.-Päd., ist Analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in eigener Praxis in Nürtingen sowie Dozentin und Supervisorin am C. G. Jung-Institut in Stuttgart.

Annette Kuptz-Klimpel, Soz.-Päd., ist Analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in eigener Praxis in Nürtingen sowie Dozentin und Supervisorin am C. G. Jung-Institut in Stuttgart.

2 Selbst und Ich aus der Perspektive C. G. Jungs und Erich Neumanns


2.1 Das Selbst – unsere Gesamtpersönlichkeit


C. G. beginnt seine Autobiographie mit den Worten : »Mein Leben ist die Geschichte einer Selbstverwirklichung. Alles, was im Unbewussten liegt, will Ereignis werden und auch die Persönlichkeit will sich aus ihren unbewussten Bedingungen entfalten und sich als Ganzheit erleben.« (C. G. Jung in Jaffé, ETG, 1997, S. 10). Das Selbst ist in der Analytischen Psychologie C. G. Jungs der zentrale Begriff für die Einheit und Ganzheit unserer Gesamtpersönlichkeit (GW 6, § 814). Jung bezeichnet es auch als den zentralen Archetyp und den Gesamtumfang aller psychischen Phänomene im Menschen.

2.1.1 Jungs Vorstellung von der Ganzheit Mensch und dem Unbewussten


Der Mensch ist aus Sicht C. G. Jungs eine Ganzheit aus Körper, Geist und Psyche, die er zugleich als Gesamtpersönlichkeit, als das Selbst versteht. Das Selbst wird als der Mittelpunkt der Persönlichkeit verstanden, das sowohl das Bewusstsein als auch das Unbewusste einschließt (GW 12, § 44). Jung versteht das Selbst auch als »Grund und Ursprung der individuellen Persönlichkeit« (GW 14/2, § 414), das diese in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umfasst. Das Selbst wird nicht als unser Ich-Bewusstsein oder als Selbstrepräsentanz (Vorstellungen, die man von sich selbst hat ▸ Kap. 1.2.1) verstanden, sondern es bezeichnet »jene steuernde Intelligenz und Weisheit unseres Organismus, die das Potential an Funktionen und Fähigkeiten so arrangiert, dass sie sich in unserem Lebensprozess verwirklichen können« (Müller & Knoll, 1998, S. 96). Durch den Ich-Komplex, als nur ein kleiner Teil unserer Gesamtpersönlichkeit, bekommen wir Zugang zu unserem unbewussten Selbst. Jung unterscheidet zwei Aspekte des Unbewussten: das persönliche Unbewusste und das kollektive Unbewusste. Die Beschäftigung mit eigenen Träumen und Fantasien und mit denen seiner Patienten führten Jung zu der Annahme, dass es ein persönliches Unbewusstes gibt, in das Erfahrungen aus der frühen Kindheit, Vergessenes oder Verdrängtes einfließen. In vielen Träumen seiner Patienten tauchten immer wieder ähnliche Grundmuster oder Motive auf, die nicht aus deren unmittelbarer Erfahrung oder Vergangenheit entstammten. Aus diesem Grund nahm Jung an, dass es ein gemeinsames kollektives Unbewusstes der Spezies Mensch gibt, in dem sich menschliche Erfahrungen und Verhaltensweisen über Generationen niedergeschlagen haben. Die Strukturelemente des kollektiven Unbewussten bezeichnete er als Archetypen, die menschliches Verhalten und Erleben anordnen und regulieren (▸ Kap. 3.2). Die Inhalte des kollektiven Unbewussten drücken sich mittels der Bildersprache der Psyche aus: in symbolischen Bildern, im freien Spiel, in Träumen, Fantasien, Märchen und Mythen und in der Imagination. Das kollektive Unbewusste hat für Jung eine schöpferische Qualität. Es ist für ihn »eine ewig lebendige und schöpferische Keimschicht« (GW 4, § 760).

2.1.2 Das Selbst – Ursprung und Ziel der psychischen Entwicklung


Zu unserer Gesamtpersönlichkeit, dem Selbst, gehören unser Körper, unser Geist und unsere Psyche. Unter Ich, von Jung als Ich-Komplex bezeichnet, versteht er das Zentrum des Bewusstseinsfeldes. Der größte Teil des Selbst ist unbewusst. Vom Selbst geht eine antreibende Kraft für den Selbst-Werdungsprozess aus, den Jung als Individuationsprozess bezeichnet hat (▸ Kap. 3). Dass psychische Prozesse die Ganzheit anstreben, hat Jung mit Finalität bezeichnet (Daniel, 2003, S. 128). Unsere Gesamtpersönlichkeit ist ein lebendiges System, das unsere Selbstregulation ermöglicht. Vom Selbst gehen in der Vorstellung von Erich Neumann, einem Schüler Jungs, die Impulse zur Ich-Entwicklung des Kindes aus (▸ Kap. 2.3). Jung bezeichnet das Selbst als Hypothese, denn es kann nur aus den Manifestationen des Unbewussten erahnt und erschlossen werden. Im Unterschied zu den psychoanalytischen Auffassungen hat das Selbst im Jungschen Sinne nicht nur personale Aspekte, sondern auch kollektive und transpersonale (Müller, 2003a, S. 376 f.). Der Begriff des Selbst aus Sicht der Analytischen Psychologie wird häufig nur auf die psychischen Aspekte des Menschen bezogen. Seit der Antike wird im abendländischen Denken der Frage nachgegangen, welche Beziehung zwischen dem Körper und der Seele besteht. Aus heutiger philosophischer und neurowissenschaftlicher Sicht hat sich eine Entwicklung vollzogen von einem dualistischen hin zu einem integralen Denken (Schüssler, 1999, zitiert nach Hüther 2011, S. 14). Leib und Seele werden nicht mehr als voneinander getrennte Wesenseinheiten angesehen, sondern als zwei Faktoren, die sich gegenseitig beeinflussen und durchdringen und damit eine »komplementäre Identität« (Kirsch & Hyland, 1987, zitiert nach Hüther, ebd., S. 14) bilden. Eine Psyche ohne Körper ist auch nicht vorstellbar. Von daher muss der Begriff des Selbst aus heutiger Sicht ganzheitlicher interpretiert werden, unter Einbezug ökologischer, biologischer, psychischer und sozialer Aspekte (Müller, 2018, S. 31). Ich beziehe mich in meinen folgenden Ausführungen auf das modifizierte Quadrantenmodell nach Ken Wilber (ebd., S. 31): Um den Menschen und sein Eingebundensein in die Welt aus einer umfassenderen Perspektive verstehen zu können, müssen vier verschiedene Aspekte berücksichtigt werden: seine Psyche, sein Körper, die ihn umgebende Umwelt und die Kultur, in der er lebt. Alle vier Faktoren sind dynamisch miteinander verbunden, beeinflussen sich gegenseitig und entwickeln sich im Zuge der Evolution weiter (ebd., S. 31). Mit dem Begriff des Selbst wird deshalb innerhalb der Analytischen Psychologie die ganze Persönlichkeit, das ganze komplexe »System Mensch« verstanden, die unbewusst-bewusste, polar-paradoxe und psycho-somatische Einheit und Ganzheit des Menschen in seiner wechselseitigen Verflochtenheit mit seiner Um- und Mitwelt (ebd. S. 32). Wie schwer fassbar das Selbst mit seinem polar-paradoxen Charakter ist, aber welche zentrale Bedeutung C. G. Jung dem Selbst zumisst, wird in folgendem Zitat deutlich:

»Dieses Etwas ist uns fremd und doch so nah, ganz uns selber und uns doch unerkennbar, ein virtueller Mittelpunkt von solch geheimnisvoller Konstitution, dass es alles fordern kann, Verwandtschaft mit Tieren und mit Göttern, mit Kristallen und Sternen. [...] Ich habe diesen Mittelpunkt als das Selbst bezeichnet. Intellektuell ist das Selbst nichts als ein psychologischer Begriff, eine Konstruktion, welche eine uns unerkennbare Wesenheit ausdrücken soll, die wir als solche nicht erfassen können, denn sie übersteigt unser Fassungsvermögen, wie schon aus ihrer Definition hervorgeht. Sie könnte eben sowohl als »der Gott in uns« bezeichnet werden. Die Anfänge unseres ganzen seelischen Lebens scheinen unentwirrbar aus diesem Punkt zu entspringen, und alle höchsten und letzten Ziele scheinen auf ihn zuzulaufen. Dieses Paradoxon ist unausweichlich, wie immer, wenn wir etwas zu kennzeichnen versuchen, was jenseits des Vermögens unseres Verstandes liegt« (GW 7, § 398).

Eine weitere Stufe des Selbst im Sinne einer Utopie beschreibt Jung in Anlehnung an den Alchemisten Dorneus: die Vorstellung, dass der ganzheitliche Mensch sich mit dem Kosmos verbinden kann (GW 14/2, § 414). In vielen östlichen Religionen und der abendländischen Philosophie gibt es Ganzheitsvorstellungen, die dem Selbst im Kontext der Analytischen Psychologie sehr nah kommen. In der religiösen und mystischen Erfahrung einer solchen Einheitswirklichkeit wird das Zentrale des Menschen, sein »wahres inneres Selbst« als identisch erlebt mit dieser tragenden und schöpferischen Essenz des Universums. »Alles ist eins, eins ist alles« oder »Tat tvam asi« – »Das bist Du« heißt es in der indischen Philosophie (Müller, 1994, S. 31). Damit verbunden ist die Überzeugung, dass der Mensch mit seiner Um- und Mitwelt in einer engen Verbundenheit existiert und jeder einzelne Mensch ein Ausdruck des Gesamten der Schöpfung ist (Müller, 2018, S. 34). Wir leben also in Beziehung und Wechselwirkung mit allem anderen. Die Vorstellung, dass wir im Innersten eins mit der Erde und dem Universum sind, wurde auch in sehr alten Texten gefunden. Die ersten Zeilen einer uralten Tafel, der »Tabula Smaragdina«, die der Legende nach in der Cheops-Pyramide gefunden wurde und vom Ahnvater der geheimen Wissenschaften »Hermes Trismegistos« stammen soll, lautet: »Es ist wahr, ohne Lüge und ganz gewiss: Was unten ist, ist wie das, was oben ist, und das, was oben ist, ist wie das, was unten ist, um die Wunder des Einen zu offenbaren« (Ruska, 1929).

Unsere Existenz kann als eine alle Polaritäten umfassende Einheit verstanden werden, wie oben und unten,...

Erscheint lt. Verlag 13.9.2023
Mitarbeit Herausgeber (Serie): Arne Burchartz, Hans Hopf, Christiane Lutz
Zusatzinfo 1 Abb.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Schlagworte C. G. Jung • Kinderanalyse • Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie • Psychoanalytische Behandlung • Selbstentwicklung • Selbstregulation • Symbolik
ISBN-10 3-17-036597-5 / 3170365975
ISBN-13 978-3-17-036597-1 / 9783170365971
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