Videotherapie -  Ursula Rasch

Videotherapie (eBook)

Praktische Einblicke in die psychodynamische Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
196 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-041858-5 (ISBN)
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Eine chronische Erkrankung, eine schlechte Anbindung zur Praxis oder die Weiterführung der Therapie vom Studienort aus - auch abseits der Corona-Pandemie gibt es viele Gründe, die das Setting der videobasierten Therapie attraktiv machen. Mit dem Erfahrungsschatz aus mehreren Jahren praktischer Arbeit beschreibt die Autorin, wie Videotherapie auf der Basis der wichtigsten Wirkfaktoren psychodynamischer Psychotherapie gestaltet werden kann und veranschaulicht ihre Umsetzung anhand zahlreicher Fallbeispiele. Das Buch bietet damit einen Einblick in die konkrete, praktische Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen via Video und zeigt, dass auf diesem Weg tatsächlich intensive Psychotherapie stattfinden kann.

Ursula Rasch ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und analytisch/systemische Paar- und Familientherapeutin. Sie arbeitet in eigener Praxis in Thannhausen.

Ursula Rasch ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und analytisch/systemische Paar- und Familientherapeutin. Sie arbeitet in eigener Praxis in Thannhausen.

5 Psychodynamische Grundannahmen


Die Würde, die in der Bewegung eines Eisbergs liegt, beruht darauf, dass nur ein Achtel von ihm über dem Wasser ist.
Ernest Hemingway

5.1 Annahme des Unbewussten


Seit Sigmund Freud wird die Psychoanalyse als die »Wissenschaft des Unbewussten« bezeichnet, (Lorenzer, 2002), für Freud selbst ist die Existenz eines Unbewussten notwendig, legitim und beweisbar (Freud, 2016). Die moderne Hirnforschung bestätigt bereits seit einiger Zeit die Annahmen Sigmund Freuds (Gekle, 2014, S. 122 – 129), so dass die Existenz und die Bedeutung unbewusster Prozesse in analytischen Fachkreisen nicht mehr angezweifelt werden dürften.

Erkenntnisgegenstand einer jeden Psychotherapie ist das Unbewusste (Rohde-Dachser, 1998), und jeder Psychotherapeutin ist bekannt, dass unbewusste Träume, Wünsche, Phantasien, Vorstellungen, Konflikte sich in der Regel bereits in der frühen Kindheit ausbilden, in »einer Zeit der kindlichen Entwicklung, in der die Welt noch überwiegend bildhaft ausgestattet war und die Entwicklung der Sprache erst in den Anfängen steckte.« (Rohde-Dachser, 1998, S. 7).

Unbewusste Prozesse prägen menschliches Denken, Sprechen und Handeln, vermitteln und oszillieren zwischen den einzelnen Strukturelementen der Psyche (Werner, Langenmayr, 2005) und schon Lorenzer postulierte in den 1970er Jahren, »dass sich Interaktionserfahrungen während der Embryonalzeit und der ersten Lebensmonate ›verleiblichen‹, d. h. in sensomotorische Erfahrungen des Körpers einprägen und unbewusst spätere Informationsverarbeitungsprozesse in adäquater oder inadäquater (neurotischer) Weise determinieren.« (Lorenzer, 2002, S. 24), Von einer großen Bedeutung frühester – auch vorsprachlich verarbeiteter – Beziehungserfahrungen für die psychische Entwicklung ist heute auszugehen (Bauriedl, 1997; Dornes, 2004, 2008, 2012; Stern, 2005). Menschliches Denken, Fühlen und Handeln ist also von unbewussten Vorgängen geprägt, basiert auf einer inneren Dynamik und subsumiert die emotionalen, die inneren Motivationen (Mentzos, 2011). Diese innere Dynamik ist Grundlage für innerpsychische Konfliktverarbeitung, die – je nach Entwicklung – zuweilen neurotisch erfolgt, zu inneren Entwicklungsfixierungen führt und altersadäquate Entwicklung verhindert.

5.2 Innerpsychisches Konfliktgeschehen


Von Beginn des Lebens entstehen in Menschen Bipolaritäten, die tiefe unbewusste Konflikte zur Folge haben können, was Melanie Klein zum Beispiel in dem Bild der »guten und bösen Brust« (Klein, 2019, S. 189) ausdrückt. Diese Bipolaritäten finden in der Regel im Objektbezug statt, der für die gesunde Entwicklung eines Kindes sehr bedeutsam ist (Volk, 2013, S. 54 – 57), jedoch häufig von heftigen Verlust- und Zerstörungsängsten begleitet wird.

Nach Bion kommen Menschen mit angeborenen inneren Erwartungen zur Welt. Kontakte mit der Welt und den primären Objekten hinterlassen in den Säuglingen Sinneseindrücke in einem für die jungen Menschenkinder noch nicht deutbaren »Rohzustand« (Lüders, 2013, S. 87), die von Bion als »Beta Elemente« (Bion, 2016, S. 21) bezeichnet werden. Beta Elemente bedeuten für ein Kind existentielles Erleben, das auf der Körperebene verspürt und häufig katastrophenähnlich empfunden wird, nicht wirklich verdaut werden kann, und das sich im Erleben des Säuglings nur mit Hilfe eines Transformationsprozesses, den Bion in seinem Container-Contained-Modell beschreibt, umwandeln lässt in verdauliche, später auch benennbare Erfahrungen, von Bion als »Alpha Elemente« bezeichnet (Bion, 2016, S. 20; Lüders, 2013).

Im Leben eines Kindes könnte dieser Vorgang so aussehen: Nehmen wir einen kleinen Jungen an, den ich hier Paul nennen möchte. Paul ist zwei Jahre alt und hat seit kurzem einen kleinen Bruder, Jan. Als die Mutter noch schwanger war, hat Paul sich auf Jan gefreut. Wenn seine Mutter ihm von Jan erzählte, klang dies spannend und nach etwas aufregend Schönem. Die Wirklichkeit für Paul sieht anders aus. Jan ist klein und runzlig, brüllt oft wie am Spieß und seitdem er da ist, muss Paul immer nur warten. Doch die Eltern bekommen zärtliche Gesichter, wenn der kleine Bruder brüllt. Sie nehmen ihn vorsichtig aus seinem Bettchen, sprechen liebevoll mit ihm, die Eltern scheint es sogar nicht zu stören, dass Jan so klein, runzlig und hässlich ist.

In Pauls Innerem grummelt es. Etwas wächst heran wie eine Explosion. Gleichzeitig steigen immer wieder Tränen in seine Augen, er fühlt sich schrecklich, alles tut weh.

Er kann noch nicht denken, dass die Eltern ihn vielleicht nicht mehr liebhaben, dass sie sich vielleicht – weil er oft so wütend geworden ist und Dinge nicht tun wollte, die er sollte – einen anderen Jungen angeschafft haben. Er spürt nur diesen entsetzlichen, immer größer werdenden Vulkan (Beta Elemente). Eines Tages, als Jan bei der Mutter an der Brust trinkt, möchte Paul auch etwas trinken, er möchte einen Saft haben. Als die Mutter ihn bittet, etwas zu warten, explodiert der Vulkan; Paul wirft die Saftkanne auf den Boden und die Flasche gleich hinterher. Die Kanne rutscht über den Boden, der Saft ist überall in der Küche. Paul geht in das Kinderzimmer und verkriecht sich unter der Decke.

Nach einer Weile kommt die Mutter. Sie ist eine einfühlsame Mutter, die sich gut vorstellen kann, was Paul gerade durchmacht. Mit Hilfe projektiver Identifizierung als früheste Kommunikationsform von Paul und mit mütterlicher reverie gesegnet (Bion, 2016), spürt sie dessen Not. Sie nimmt ihren kleinen Jungen in die Arme und sagt zu ihm, dass sie weiß, dass es schwer ist, plötzlich einen Bruder zu haben. Sie sagt ihm, dass sie und Papa Paul sehr liebhaben, dass Paul ihr helfen kann, wenn sie den kleinen Bruder wickelt oder füttert. Paul wird verstanden in seiner Not, sein inneres Beta wird übersetzt, bekommt Worte und Umarmungen, Gratifikationen (Tähkä, 1986). Paul spürt, dieses Schreckliche in ihm hat eine Sprache, die die Mutter kennt. Dieses Schreckliche in ihm zerstört weder die Mutter noch den kleinen Bruder. Dies hilft ihm, aufzutauchen aus dem inneren Vulkan. Es hilft ihm, den angerichteten Schaden wieder gut zu machen (zusammen mit der Mutter wischt er den Saft in der Küche auf) und sich innerlich mit der Zeit dem kleinen Bruder in anderer Weise zuzuwenden, Paul entwickelt sich weiter.

Gerade die in der Bipolarität »bösen« Dinge zu spüren, ist für ein Kind schlimm und angstvoll, erzeugt innere Spannungen, die ausagiert werden will (Saftkanne hinunterwerfen), erzeugt projektive Identifikation (die Mutter erlebt die innere Not von Paul und kann sie in Sprache verwandeln, oder: wäre die Mutter nicht in der Lage, den Kommunikationscharakter der Handlung zu verstehen, würde sie die angstvollen Emotionen von Paul im Schimpfen und Bestrafen ausagieren) und ist gleichzusetzen mit dem, was Bion als Beta Elemente bezeichnet.

Kleine Kinder benötigen – um dieses Schlimme aushalten und eine Integration der in gut und böse aufgespaltenen Teilobjekte zu erreichen – Eltern, die »gut genug« sind (Winnicott, 1986, 1987, 2006). Eltern, die in der Lage sind, Alpha Funktion einzunehmen. Eltern, die es vermögen, das, was Kinder als schlimm empfinden, in sich aufzunehmen, innerlich zu spüren, zu verstehen und zu übersetzen, um schließlich entsprechend zu handeln (Bion, 2016). Bion bezeichnet diesen Vorgang: Beta Elemente in Alpha Elemente umwandeln (Kennel, Reerink, 2013, S. 44). Das kleine Kind spürt zunächst atmosphärisch, dass das Schreckliche in seinem Innern eine Sprache hat, und es erfährt die reale Gegenwart von Menschen, die dafür sorgen, dass dies sich verändert. Später wird das Kind selbst Worte dafür finden und Symbolisierungs- und Mentalisierungsfähigkeit entwickeln.

5.3 Symptomentwicklung


Hätte Paul eine Mutter, die seine Not innerlich nicht hören kann, die ihm weder Worte noch Umarmungen zur Verfügung stellt, sondern ihn einfach nur schimpfen würde wegen der Kanne auf dem Boden und des Saftes, wäre Paul in seiner inneren Not alleine. Er würde sich nicht von der spaltenden Position (»die Mutter ist böse, der Bruder blöd«) in die »depressive Position« entwickeln können (Klein, 2019, S. 34), es würde ihm nicht einfallen, den Schaden wieder gut machen zu wollen, er würde seine Eifersucht nicht verstehen können und wäre auch nicht in der Lage, sie zu verändern.

»Das Wachstum der Persönlichkeit ist also verbunden mit der Art der Objektbeziehung des Kindes« (Tähkä, 1968, S. 268), denn: »Die Persönlichkeitsstruktur eines Menschen bildet sich durch eine zunehmende Internalisierung der Objektbeziehungen« (ebd., S. 268)....

Erscheint lt. Verlag 16.8.2023
Mitarbeit Herausgeber (Serie): Arne Burchartz, Hans Hopf, Christiane Lutz
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Schlagworte Kinderpsychotherapie • Psychodynamische Psychotherapie • Psychotherapie
ISBN-10 3-17-041858-0 / 3170418580
ISBN-13 978-3-17-041858-5 / 9783170418585
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