Psychotherapie und Beratung bei Menschen mit Asperger-Syndrom -  Christine Preißmann

Psychotherapie und Beratung bei Menschen mit Asperger-Syndrom (eBook)

Konzepte für eine erfolgreiche Behandlung aus Betroffenen- und Therapeutensicht
eBook Download: EPUB
2023 | 5. Auflage
180 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-044065-4 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
31,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Die Behandlung autistischer Menschen stellt für alle Beteiligten immer wieder eine Herausforderung dar. In diesem Buch werden viele wichtige Aspekte der Therapie beschrieben und an Beispielen aus der eigenen Erfahrung der Autorin verdeutlicht, die als Ärztin und niedergelassene Psychotherapeutin sowie als Autistin von beiden Seiten berichten kann. Das Werk schließt somit die Lücke zwischen der Fachliteratur einerseits und den Erfahrungsberichten von Betroffenen andererseits. Es beschreibt allgemeine therapeutische Aspekte, wobei bewährte, aber auch neuere Ansätze vorgestellt werden, und bietet Unterstützung in verschiedenen Lebensbereichen wie Schule, Arbeit, Freizeit, Freundschaft etc. Die Autorin verfolgt das Ziel, durch Aufklärung und Information ein Anderssein nicht mehr verstecken zu müssen, sondern es als Bereicherung in die Gesellschaft einzubringen.

Dr. med. Christine Preißmann ist Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie sowie Asperger-Autistin. Sie hält Vorträge zum Thema und publiziert für Fachleute und Betroffene.

Dr. med. Christine Preißmann ist Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie sowie Asperger-Autistin. Sie hält Vorträge zum Thema und publiziert für Fachleute und Betroffene.

Die psychotherapeutische Behandlung und Beratung


Die therapeutische Beziehung


Schätzungen des Gewichtes einzelner Wirkfaktoren im Hinblick auf den Behandlungserfolg ergeben, dass der Einfluss von Beziehungsfaktoren den einzelner Techniken überwiegt: »Tatsächlich hat sich ein störungsangepasstes, systemisch geprägtes Vorgehen mit einem tiefenpsychologisch geprägten Verständnis von Entwicklung und Erleben und einem jeweils bedarfsgerechten Angebot verhaltenstherapeutischer Interventionen sowie auch vielfältiger anderer psychotherapeutischer Methoden bewährt. Der Klientenzentrierung kommt dabei (...) eine besondere Bedeutung zu« (Wilczek 2015, 128 – 129). Erfolgreichen Therapeuten scheint es insgesamt besser zu gelingen, auf ihre Patienten warm, verständnisvoll, empathisch und echt zu wirken (Stucki & Grawe 2007).

Die therapeutische Beziehung soll wie bei der Behandlung anderer Patienten auch geprägt sein von Wärme, Akzeptanz undWertschätzung. Auch der Mensch mit Autismus kann einschätzen, ob man es gut mit ihm meint und ihn respektiert. Wie bei anderen zwischenmenschlichen Beziehungen ist auch bei einer psychotherapeutischen Behandlung von autistischen Menschen der erste Moment der Begegnung von großer Bedeutung für den weiteren Verlauf. Er kann sowohl beim Patienten als auch beim Therapeuten über Sympathie oder Antipathie entscheiden und somit eine erfolgreiche Behandlung erleichtern oder auch nahezu unmöglich machen. Daher sollte der Gestaltung des Erstkontaktes doch einige Aufmerksamkeit gewidmet werden. Entsprechend dieser Bedeutung wird der Behandlungsbeginn hier in einem eigenen Kapitel besprochen.

Die Forderung, dem Patienten Respekt und Akzeptanz entgegenzubringen, bedeutet jedoch keineswegs, respektloses und grenzüberschreitendes Verhalten stillschweigend zu tolerieren und auszuhalten. Auch dem autistischen Menschen darf trotz seiner Behinderung kein Freibrief eingeräumt werden für ein Verhalten, das bei anderen Patienten niemals toleriert würde. Es muss ihm in solchen Fällen freundlich, aber entschieden vermittelt werden, was genau an seinem Verhalten nicht in Ordnung ist und wie dies verändert werden müsste, um akzeptiert werden zu können. Auch im Hinblick auf Beziehungen außerhalb derTherapie wird der Mensch mit Autismus für wohlwollende Hinweise dankbar sein.

Ein wichtiges Therapieziel besteht daher darin, dass er lernt, durch ein »Beziehungsangebot von hoher Qualität, Verlässlichkeit und Vorhersehbarkeit« (Feuser 2001) in einer geschützten, für ihn übersichtlichen und angenehmen Atmosphäre eine Beziehung aufzubauen und ein Gespür für den Umgang mit anderen Menschen zu entwickeln. Die Entwicklung eines Vertrauensverhältnisses zwischen dem Betroffenen und dem Therapeuten mit wechselseitiger Akzeptanz und der Bereitschaft zur vertrauensvollen Zusammenarbeit ist eine wichtige Voraussetzung für eine effektive therapeutische Förderung.

Frau S. ist für mich vielleicht so etwas wie eine Brücke ins Leben draußen in der Welt. Bevor ich mit ihr zu arbeiten begann, war ich sehr viel stärker zurückgezogen, weil ich gar nicht wusste, wie ich mich in verschiedenen für mich schwierigen Situationen verhalten sollte. Es hilft mir immer wieder sehr, solche Erfahrungen mit ihr zu besprechen. Es ist sehr wichtig für mich, die für mich sichere und überschaubare therapeutische Beziehung als »Übungsfeld« für reale Beziehungen nutzen zu können. Und es ist eine große Hilfe, dass ich mit meiner Therapeutin auch über unangenehme und schwierige Themen sprechen kann.

Die Betonung der Beziehungsdimension ist gerade bei der Arbeit mit autistischen Menschen von Bedeutung, weil der Aufbau und die Gestaltung von Beziehungs- und Kommunikationsstrukturen im Zentrum ihrer Schwierigkeiten stehen. Die Beziehung zu seinem Therapeuten ist dabei für den Menschen mit Autismus nicht immer ganz einfach. Häufig besitzt er nur wenige sonstige zwischenmenschliche Beziehungen, daher erhält der Therapeut oft einen besonderen Stellenwert. Falls dieser dem anderen Geschlecht angehört, kann durchaus auch ein Wunsch nach körperlicher Nähe oder einer Partnerschaft möglich sein. Dies sollte von Seiten des Therapeuten bedacht werden. Es wird dann nötig sein, den Patienten immer wieder einmal darauf hinzuweisen, dass eine therapeutische Beziehung, so eng und persönlich sie im Laufe der Zeit auch werden mag, kein Ersatz für befriedigende zwischenmenschliche Beziehungen im realen Leben sein kann.

Die therapeutische Beziehung ist keine richtige Beziehung, da sie völlig einseitig ist, und natürlich weiß ich, dass das nicht anders sein kann. Aber auch wenn ich um die therapeutische Distanz weiß, ist es doch so, dass ich mir immer wieder einmal wünschte, Frau S. und ich könnten Freundinnen werden. Ich schäme mich für diese Gedanken, weil ich ja weiß, dass das nicht geht. Frau S. meint, der Grund für diese meine Überlegungen sei, dass ich mich jetzt deutlich mehr für meine Umgebung interessiere als früher. Das stimmt wahrscheinlich.

Ich schreibe meiner Therapeutin immer eine Karte aus meinem Urlaub, zu Weihnachten und zu ihrem Geburtstag, den ich durch einen Zufall herausgefunden habe, was mich sehr gefreut hat. Oft denke ich an sie, und ich habe Angst, wenn ich im Vorfeld ihres Urlaubs nicht weiß, wohin genau sie unterwegs ist, gerade in dieser Zeit, wenn in den Nachrichten immer wieder von Terroranschlägen oder sonstigen Bedrohungen berichtet wird. Vor einigen Jahren hatte sie mich daraufhin erstmals gefragt, ob es mir helfen könnte, wenn sie mir eine Postkarte schriebe. Ich war sehr überrascht über dieses Angebot und habe mich sehr darüber gefreut. Sie erzählte mir auch, wohin sie fahren würde. Das half mir sehr, ich musste dann wenigstens in dieser Hinsicht keine Angst mehr haben. Und ich war sehr aufgeregt, weil ich zum ersten Mal eine Karte von ihr bekommen würde, was dann doch gar nicht so leicht für mich war.

Über viele Jahre hinweg wollte ich Frau S. auch einmal privat treffen, sie zu mir nach Hause einladen oder mit ihr einen Kaffee trinken gehen. Schließlich war es dann endlich so weit. Die Möglichkeit hierzu ergab sich im Rahmen eines Vortrags, zu dem ich sie eingeladen hatte, und da sie an diesem Abend Zeit hatte, kam sie tatsächlich, was mich sehr freute. Danach lud sie mich ein, mit ihr noch in ein Restaurant zu gehen, sie habe das schon lange mit mir tun wollen, und nun sei die Gelegenheit dazu vorhanden. Heute noch werde ich aufgeregt, wenn ich an diesen Abend zurückdenke, weil es so schön und so ungewohnt war. Ich weiß nicht, wann ich vorher zuletzt mit jemandem ausgegangen war, auf jeden Fall lag es Jahre zurück. Und es war vor allem auch deshalb so schön, weil Frau S. sehr lieb zu mir war und sich sehr um mein Wohlergehen gesorgt hat. Ich kenne sie ja nur als eine sehr liebe Frau, aber privat scheint sie noch netter zu sein, und das hat mich sehr gefreut. Wir haben einen sehr schönen Abend miteinander verbracht. Aber zugleich war es so, dass ich irgendwie überwältigt war, es war alles so ungeplant und so plötzlich, und das war gar nicht leicht für mich.

Ich hatte mir ja schon sehr oft Gedanken darüber gemacht, wie es wohl werden würde, wenn wir uns einmal privat träfen. Ich dachte mir, wir sollten uns am besten direkt vor Ort verabreden, weil ich mir nicht vorstellen konnte, in einem Auto mit Frau S. zu sitzen. Außerdem hatte ich mir überlegt, dass ich nichts Privates ansprechen dürfte, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen. Nach einiger Überlegung war ich zu dem Schluss gekommen, dass vielleicht Reiseziele ein ganz gutesGesprächsthema für ein solches Treffen sein könnten. Vor allem aber dachte ich, wir würden zuvor alles genau besprechen, unter anderem also klären, wie lange wir bleiben und wann wir wieder aufbrechen wollten.

Aber ich hatte die Rechnung offensichtlich ohne Frau S. gemacht. Sie warf sämtliche meiner Planungen über den Haufen, legte gleich mit privaten Dingen los und lud mich in ihr Auto ein, um mit mir ein nettes Restaurant zu suchen. Das irritierte mich ziemlich, weil ich es so nicht vorgesehen hatte, aber ich glaube, es half mir am Ende doch, in diesem privaten Kontakt ein bisschen lockerer zu werden, vielleicht nach dem Motto »Jetzt ist ja sowieso alles egal«. Vor lauter Aufregung schüttete ich beim ersten Schluck meine Cola light fast über mich. Aber Frau S. war gerade ebenfalls mit ihren Getränken beschäftigt, ich glaube daher, sie hat es nicht gemerkt.

Auch Frau S. schien der Abend zumindest einigermaßen gefallen zu haben, was mich sehr gefreut hat. Sie fand das Treffen »unverkrampft«, wie sie mir danach sagte, und darin waren wir uns einig.

Der autistische Mensch ist sich meist darüber im Klaren, was er an seinem Therapeuten hat. Auch wenn er dies häufig nicht zeigen kann, wird er dankbar sein für die Zuwendung und für die Hilfe, die ihm zuteil wird.

Ich weiß natürlich, dass ich ohne die Hilfe meiner Therapeutin vieles nicht hätte...

Erscheint lt. Verlag 26.7.2023
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
Medizin / Pharmazie
Schlagworte Angehörige • Asperger-Syndrom • Autismus • Betroffener • Bildung • Psychiatrie • Psychotherapie
ISBN-10 3-17-044065-9 / 3170440659
ISBN-13 978-3-17-044065-4 / 9783170440654
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,1 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Mit Online-Material

von Wolfgang Schneider; Ulman Lindenberger

eBook Download (2018)
Beltz (Verlag)
58,99