Die Sache der Logik (eBook)
287 Seiten
Felix Meiner Verlag
978-3-7873-4377-5 (ISBN)
Andreas Arndt (* 1949 in Wilhelmshaven) ist ein deutscher Philosoph und gilt als Experte in der Hegel- und Schleiermacher-Forschung. Arndt ist seit 1992 Vorstandsvorsitzender der Internationalen Hegel-Gesellschaft. Er ist Professor für Philosophie an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und Leiter der Schleiermacherforschungsstelle an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Weitere Informationen unter:: www.arndt-andreas.de
VORREDE
(1) In seinen Aufzeichnungen »Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie« (1843) schrieb Karl Marx: »Nicht die Rechtsphilosophie, sondern die Logik ist das wahre Interesse. Nicht daß das Denken sich in politischen Bestimmungen verkörpert, sondern daß die vorhandenen politischen Bestimmungen in abstrakte Gedanken verflüchtigt werden, ist die philosophische Arbeit. Nicht die Logik der Sache, sondern die Sache der Logik ist das philosophische Moment. Die Logik dient nicht zum Beweis des Staats, sondern der Staat dient zum Beweis der Logik.«1 Dass Hegel die Sache der Logik über die Logik der Sache gestellt und Tatsachen ignoriert oder entstellt habe, um sie unter die Bestimmungen seiner Logik zu zwingen, ist ein gängiges Vorurteil, das nicht nur von Seiten der Marxschen Theorie immer wieder vorgebracht wird, sondern auch von ausgesprochenen Gegnern des Marxismus wie etwa Karl Popper geteilt wird. Popper greift dabei auf das gängige (wenngleich frei erfundene2) Bonmot zurück, Hegel habe, darauf angesprochen, dass Theoreme seiner Philosophie mit den Tatsachen nicht übereinstimmten, erwidert: »Um so schlimmer für die Tatsachen«. Hierin sieht Popper »das normative Moment der dogmatischen Setzung« ausgedrückt und damit ein zentrales Motiv seiner Philosophie.3
Was aber ist eigentlich »die Sache der Logik«? Ist Hegel – wie es zuerst Johann Eduard Erdmann 1853 behauptet hatte – von einem »Panlogismus« angetrieben, d. h. von dem Bestreben, die Realität (abgesehen von dem zufällig Existierenden) auf logische Kategorien herunterzubrechen?4 Dies scheint Marx’ Auffassung zu sein, wenn er sagt, das Begreifen bestehe nicht, »wie Hegel meint, darin, die Bestimmungen des logischen Begriffes überall wieder zu erkennen, sondern die eigenthümliche Logik des eigenthümlichen Gegenstandes zu fassen«.5 Die »Sache der Logik« wäre dann – die Logik selbst; ihr Interesse ginge nur darauf, überall sich selbst, die logischen Bestimmungen, wiederzufinden – im Zweifel auf Kosten der Tatsachen. Nun scheint diese Auffassung von Hegel insofern nahegelegt geworden zu sein, als die Wissenschaft der Logik in der Tat selbstbezüglich ist; es geht um die Selbsterfassung des Begriffs, die sich in der absoluten Idee vollendet. Und diese ist dann wiederum »Trieb«, »durch sich selbst in Allem sich selbst zu finden und zu erkennen«. (GW 12, 238)
Dennoch handelt es sich um ein fundamentales Missverständnis, wenn dies so verstanden wird, als opfere Hegel das Begreifen der Realität der Selbstaffirmation der Logik auf. Vielmehr hat Hegel in der Wissenschaft der Logik ausdrücklich begründet, weshalb die logischen Bestimmungen in der Realität nur gebrochen erscheinen und diese Realität daher auch nicht aus der Logik ableitbar oder unter sie subsumierbar ist. Hierfür sind vor allem zwei Gründe zu nennen. Zum einen entwickelt Hegel in der »Lehre vom Wesen« eine »Metaphysik absoluter Relationalität«,6 die gegenüber der philosophischen Tradition auch eine neue Auffassung der Wirklichkeit begründet, in der die Zufälligkeit als notwendig bestimmt und die »reale Wirklichkeit« von der Wirklichkeit im emphatischen Sinne unterschieden wird, welche »der Begriff, das Reich der Subjectivität oder der Freyheit« sei (GW 11, 409). Dieses Reich des Begriffs ist ebenso von dem des bloßen Daseins oder der Existenz – dies sind seinslogische Kategorien – unterschieden, so dass sich insgesamt ein differenziertes Gefüge von nicht aufeinander reduzierbaren ontologischen Kategorien ergibt. Schon hieraus geht hervor, dass das Zufällige (im Unterschied zur Kategorie der Zufälligkeit) und die bloße Existenz nicht einfach mit dem Begriff gleichgesetzt werden können. Das hat bei Hegel zweitens zur Konsequenz, dass der Begriff in der Realität (der Natur und des endlichen Geistes als subjektiver und objektiver Geist) nur in einer von der Wissenschaft der Logik unterschiedenen Grundkonstellation aufzufinden ist. In der Logik ist der Begriff selbstbezüglich, während er sich in der Realität äußerlich und daher vermittelt durch Anderes ist. Die Natur wird zum Schluss der Begriffslogik gegenüber der absoluten Idee geradezu als Äußerlichkeit bestimmt (GW 12, 253) und der Geist hat im weiteren Verlauf des Systems diese Äußerlichkeit geschichtlich hinwegzuarbeiten, um zur Selbstbezüglichkeit des Begriffs kommen zu können. Das bedeutet, dass die Selbstentwicklung des Begriffs, die sich in der Wissenschaft der Logik im Medium des reinen Denkens vollzieht, sich nicht bruchlos im Verhältnis eins zu eins auf die Realität übertragen und letztere dadurch begreifen lässt. Vielmehr wird in der Logik selbst begründet, dass das Verhältnis von Logik einerseits und Realphilosophie andererseits, von Begriff und Realität durch eine konstitutive Differenz geprägt ist.
Das Sich-selbst-Finden und Sich-selbst-Erkennen der logischen Idee in allem hat daher nicht die Bedeutung, die Realität aus der Idee abzuleiten oder sie unter die Idee zu subsumieren, sondern meint nicht mehr und nicht weniger, als dass ein Begreifen der Realität – soweit sie dem Begriff zugänglich ist – nicht mit anderen Kategorien erfolgen kann als mit denen, welche in der Wissenschaft der Logik begründet und abgeleitet wurden. Der Einsatz und die Folge der logischen Kategorien ist dann jedoch dadurch bestimmt, wie sie in der Realität einander äußerlich angeordnet und aufeinander bezogen sind. Dies macht genau das aus, was Marx als eigentümliche Logik eines eigentümlichen Gegenstandes gegen Hegel reklamieren zu müssen meinte. Ohne ein Sich-Einlassen auf solche Eigentümlichkeiten und die Rekonstruktion der bestimmten Verhältnisse in der Realität könnte Hegel keine Realphilosophie betreiben. Tatsächlich zeigt sich in seiner Realphilosophie auch, dass er hier, um die Realität auf den Begriff zu bringen, spezifische Formen der Vermittlung aufzeigt, die aus seiner Logik nicht unmittelbar zu folgern sind.
Das Sich-selbst-Finden und Sich-selbst-Erkennen der logischen Idee hat aber noch eine weitere Dimension, die in der erwähnten Polemik Poppers auch anklingt. Da in der Wissenschaft der Logik selbst zwischen der Realität, in der sich der Begriff wiederfinden lässt, einerseits und der Realität, sofern sie ein Zufälliges und bloß Existierendes ist, andererseits unterschieden wird, ist die Beziehung des Begriffs auf die Realität zugleich auch immer deren Auseinanderlegen oder Unterscheiden in das, was begrifflicher Natur ist, und in das, was den Begriff nichts angeht. Mit anderen Worten: Es ist Scheiden im Sinne von κρίνειν, bezeichnet also die Grundform von Kritik und ist mithin Kritik der Realität. Hierbei geht es um mehr als darum, dass das Zufällige, bloß Existierende als das Nichtbegriffliche nicht theoretisierbar ist,7 sondern darum (und insoweit hat Popper recht), dass der Begriff eine normative Funktion auch in praktischer Absicht erfüllt.8 Kritisiert wird diejenige Realität, die aufgrund der jeweiligen Bildungsstufe des Geistes weitergehend vom Begriff bestimmt sein könnte, aber dem Begriff nicht entspricht. Anders gesagt: Die Kritik zielt darauf, Verhältnisse zu identifizieren, bei denen die reale Möglichkeit besteht, sie vernünftig, d. h. im Sinne einer weitergehenden Realisierung entsprechend dem normativen Begriff zu gestalten. »Identifizieren« besagt, dass die philosophische Aufgabe für Hegel im Begreifen dessen besteht, was ist, während die praktische Veränderung nicht Sache und Aufgabe der Philosophie ist. In praktischer Absicht aber bedeutet dies, ungeachtet der beständigen Kritik Hegels am »Sollen«, sei es moralisch oder utopisch motiviert, dass im Begriff in praktischer Absicht ein Sollen begründet wird: »Das Vernünftige soll gelten« (GW 26,2, 764), während das, was »von seinem Begriffe verschieden ist«, keine Wirklichkeit hat und »ein Nichtiges«, d. h. in der Konsequenz: ein Nicht-Seinsollendes ist (GW 11, 22).
In diesem Zusammenhang ist kurz auf eine bis heute vielfach anstößige Formulierung Hegels einzugehen, die immer wieder als Beweis für den unkritischen Geist seiner Philosophie angeführt wird. In der Vorrede zu den Grundlinien der Philosophie des Rechts heißt es: »Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.« (GW 14, 1, 14). Die Legende von Hegel als dem preußischen Staatsphilosophen, der unkritisch die Wirklichkeit der Reaktion für vernünftig erklärte, machte sich vor allem hieran fest. Die wohl größte Wirkung erhielt dieser Mythos durch ein zehn Jahre nach der gescheiterten Märzrevolution von 1848 publiziertes Buch eines...
Erscheint lt. Verlag | 14.6.2023 |
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Reihe/Serie | Blaue Reihe | Blaue Reihe |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Geschichte der Philosophie |
Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Philosophie der Neuzeit | |
ISBN-10 | 3-7873-4377-6 / 3787343776 |
ISBN-13 | 978-3-7873-4377-5 / 9783787343775 |
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