Medienkompetenz Blended Counseling (eBook)
128 Seiten
Dgvt Verlag
978-3-87159-419-9 (ISBN)
Gina Camenzind, MSc., war bis 2022 Wissenschaftliche Mitarbeiterin mit Arbeitsschwerpunkt Blended Counseling/Digitale Beratung an der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz (HSA FHNW). Prof. Dr. Martina Hörmann, lehrt und forscht zu Beratung an der HSA FHNW. Sie leitet den Arbeitsbereich Blended Counseling/Digitale Beratung. Minnie Silfverberg, MSc, MAS, ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin mit Arbeitsschwerpunkt Blended Counseling/Digitale Beratung an der HSA FHNW.
3 | Modelle zur Medienkompetenz und zu digitalen Kompetenzen |
In diesem Kapitel werden die Kompetenzmodelle vorgestellt, die grundlegend für die Entwicklung des hier vorgestellten Medienkompetenzmodells Blended Counseling waren: die Dimensionen der Medienkompetenz nach Groeben (2002), die Kompetenzbereiche für Menschen in digitalen Gesellschaften nach Hartmann und Hundertpfund (2015) sowie der europäische „Digitale Kompetenzrahmen für Bürger*innen“ DigComp (Vuorikari, Kluzer & Punie, 2022). Abschließend werden die Qualitätsstandards Onlineinterventionen der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP, 2017) betrachtet.
Der Begriff der Medienkompetenz wird in unterschiedlichen Disziplinen verwendet und daher als theoretisches Konstrukt auch in verschiedener Weise verstanden. Aus entwicklungspsychologischer Sicht gilt der Erwerb von Medienkompetenz mittlerweile als universelle Entwicklungsaufgabe (vgl. Süss, 2008, S. 367). Der Begriff wurde ursprünglich von Baacke bereits 1973 eingeführt, der unter Medienkompetenz die Fähigkeit zur Medienkritik, -kunde, -nutzung und -gestaltung verstand (vgl. Süss, 2008, S. 362). Medienkompetenz kann zudem die Fähigkeit bedeuten, „Medien bewusst auszuwählen, kritisch zu hinterfragen und kreativ zu nutzen“ (Süss, 2012, S. 220) oder auch „Medien kritisch, selbstbestimmt und verantwortlich zu nutzen, verstehen, bewerten und gestalten zu können“ (Trepte & Reinecke, 2013, S. 205).
Zwischenzeitlich taucht im Diskurs zu Mediatisierung und Digitalisierung der Begriff der Digitalen Kompetenz fast häufiger auf als der der Medienkompetenz. Exemplarisch sei hier die Definition der Europäischen Kommission angeführt: „Digitale Kompetenz umfasst die sichere, kritische und verantwortungsvolle Nutzung von und Auseinandersetzung mit digitalen Technologien für die allgemeine und berufliche Bildung, die Arbeit und die Teilhabe an der Gesellschaft“ (Europäische Kommission, 2018, S. 4).
Wenngleich es zwischenzeitlich weitere Modelle gibt (vgl. z. B. DQ Institute, 2022; Genner, 2019; Schmeling & Bruns, 2020), fokussiert dieses Kapitel auf die Modelle, die 2020/2021 im Rahmen der Modellentwicklung im Projekt Medienkompetenz als Basisvariable für Blended Counseling (Projekt MKBC) herangezogen wurden, da diese aus Sicht der Autorinnen alle relevanten Aspekte enthalten.
3.1 Das Medienkompetenzmodell von Groeben
Ein fundiertes theoretisches Konzept zur Medienkompetenz stammt von Groeben (2002). Es wird häufig rezipiert, da sein Konstrukt von mittlerer Reichweite ist und es explizit vorgesehen ist, dieses für verschiedene Anwendungsbereiche zu konkretisieren.
Nach Groeben sollen unter Medien „vor allem technologische Kommunikationsmittel bzw. -instrumente verstanden werden, ohne zu vernachlässigen, dass damit auch Sozialisationsinstanzen vorliegen, die das Selbst- und Weltbild der Individuen beeinflussen“ (ebd., S. 160). Der Begriff „Medien“ kann sich also sowohl auf Informations- und Unterhaltungsmedien, wie z. B. Filme, Bücher oder Blogeinträge, beziehen als auch Kommunikationsmedien meinen, wie z. B. E-Mail-, Messenger- und Telefondienste. Groeben weist darauf hin, dass der Kompetenzbegriff „normative Zielimplikationen“ habe (ebd., S. 179), somit gehe es bei Medienkompetenzen auch immer „um Fertigkeiten und Fähigkeiten im Umgang mit Medien“, die von Personen „entwickelt und damit erreicht werden sollen“ (ebd.).
Groeben siedelt sein Modell der Medienkompetenz als theoretisches Konstrukt auf einem „mittleren Abstraktionsniveau“ an (ebd., S. 160) und verweist darauf, dass es als Modell mittlerer Reichweite erlaubt, Medienkompetenz unabhängig von einzelnen Medien (z. B. Büchern, Filmen, Telefon, E-Mail etc.) theoretisch beschreibbar zu machen. Die Ansiedelung von Medienkompetenz auf einem mittleren Abstraktionsniveau vermeidet zu abstrakte Generalisierungen und zu starke Konkretisierungen von Teilaspekten. Damit bleiben die Dimensionen des Modells von Groeben flexibel gegenüber der fortlaufenden, zunehmenden Mediatisierung der Gesellschaft. Das Konzept verbindet bereits zuvor in der Literatur bestehende Subkonzepte von Medienkompetenz (wie z. B. auf einem bestimmten Niveau Lesen und Schreiben zu können, Medieninhalte einordnen zu können etc.) zu einer „systematischen Binnenstruktur“ (ebd., S.161). Neben den qualitativen Teilbereichen (wie z. B. Kognition/ Wahr nehmung, Emotion/Motivation, technische und soziale Handlungskomponenten) wird eine Prozessperspektive integriert, und zwar „von der Rezeption bis zur Kommunikation“ (ebd., S.163). Insofern bauen die beschriebenen Dimensionen auch zu einem gewissen Grad – jeweils abhängig vom Anwendungsbereich des Modells – aufeinander auf. Durch die mittlere Reichweite und den prozessualen Aufbau eignet sich das Medienkompetenzmodell von Groeben als Grundlage für eine Konkretisierung der Kompetenzen für mediengestützte Kommunikation sowie für mediengestützte Beratung.
Die Dimensionen des Modells sollen
die Zuordnung bestimmter Fähigkeiten und Fertigkeiten ermöglichen
intensional bestimmt sein und zugleich über extensionale Offenheit verfügen und insofern offen sein für Ergänzungen zukünftiger theoretischer Weiterentwicklungen sowie
bisherige theoretische Modellierungen kohärent integrieren (vgl. Groeben, 2002, S. 160–166).
Tabelle 1: Dimensionen des Medienkompetenzmodells von Groeben (2002) |
Dimension 1 | Dimension 2 | Dimension 3 | Dimension 3 | Dimension 4 | Dimension 5 | Dimension 6 |
Medien- wissen und Media- litäts- bewusst- sein | Medien- spezifische Rezeptions- muster | Medien- bezogene Genuss- fähigkeit | Medien- bezogene Kritik- fähigkeit | Selektion/Kombination von Medien- nutzung | (Produktive) Partizi- pations- muster | Anschluss- kommuni- kationen |
Im Folgenden werden die sieben Dimensionen des Medienkompetenzmodells von Groeben zunächst zusammenfassend beschrieben und es wird für die einzelnen Dimensionen von Medienkompetenz eine erste Konkretisierung für den Beratungskontext skizziert.6 Dadurch kann das Abstraktionsniveau verringert und die Basis für die Operationalisierung des Modells im Kontext von mediengestützter Beratung bzw. Beratung im digitalen Setting gelegt werden.
a) Medienwissen und Medialitätsbewusstsein
Die erste Dimension umfasst das „Medialitätsbewusstsein“ und das „Medienwissen“ (Groeben, 2002, S. 166). Medialitätsbewusstsein meint, dass eine Person sich darüber bewusst ist, sich in einem medialen Setting zu bewegen, welches sich von der realen Lebenswelt unterscheidet.
Medienwissen bezieht sich auf Wissen zu
den wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen eines Mediums
den Arbeits- und Operationsweisen eines Mediums
der inhaltlichen Bewertung der Intention eines Mediums und
den Wirkweisen eines Mediums auf die Nutzenden (ebd., S. 166ff.).
Medialitätsbewusstsein einer Beratungsperson wird also aufgefasst als das Verständnis darüber, dass eine Beratung über Distanz sich von der Beratung vor Ort unterscheidet und es demzufolge andere bzw. zusätzliche Kompetenzen für professionelle Beratung im digitalen Setting benötigt. Dieses Bewusstsein ist die Voraussetzung für eine fundierte Auseinandersetzung mit den verfügbaren kommunikativen Settings und für ein professionelles Verständnis von mediengestützter Beratung.
Für das Medienwissen in der Beratung sind insbesondere die rechtlichen Rahmenbedingungen zentral, da sich professionelle Beratung am rechtlichen Rahmen ausrichtet (z. B. Datenschutz). Das Wissen über „spezifische Arbeits- und Operationsweisen von bestimmten Medien“ zählt nach Groeben (ebd., S. 167) ebenfalls zum Medienwissen und beinhaltet im Beratungskontext, dass spezifisches Wissen über die jeweiligen Möglichkeiten und Grenzen eines kommunikativen Settings erforderlich ist. Dies umfasst beispielsweise die Kenntnis der Möglichkeiten zur Interaktion mit Klient*innen sowie der möglichen Herausforderungen von Kommunikation und Beratung mittels Video, Telefon, Mail, Chat oder Messenger.
b) Medienspezifische Rezeptionsmuster
Die zweite Dimension des Medienkompetenzmodells von Groeben umfasst die „medienspezifischen Rezeptionsmuster“ (ebd., S. 168), d. h.
die technologisch-instrumentellen Fertigkeiten (z. B. die Inbetriebnahme eines Geräts oder die Nutzung eines Kommunikationsmediums)
die kognitiven Verarbeitungsmuster und
den Aufbau spezifischer Erwartungen bezüglich der Nutzung eines Mediums (ebd., S. 168ff.).
In einem medienunterstützten Beratungsprozess gehören zu den technologisch-instrumentellen Fertigkeiten z. B. die Inbetriebnahme und Nutzung von Geräten und Software sowie die gezielte Nutzung von kommunikativen Settings wie E-Mail, Chat, Messenger, Telefon und Videokommunikation.
Unter kognitiven Verarbeitungsmustern versteht Groeben z. B. die Art und Weise, wie Inhalte segmentiert und zusammengefasst werden können. Auch der Aufbau von (medien-)angebotsspezifischen Erwartungen wird hier beschrieben. Die Motivation zum Aufbau solcher Erwartungen basiert stark auf der Funktion...
Erscheint lt. Verlag | 1.6.2023 |
---|---|
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
ISBN-10 | 3-87159-419-9 / 3871594199 |
ISBN-13 | 978-3-87159-419-9 / 9783871594199 |
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