WEGmarken -  Walter E. Gammenthaler

WEGmarken (eBook)

Aufsätze - Essays - Vorlesungen
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
182 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7562-8384-2 (ISBN)
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WEGmarken ist eine Sammlung fachlich, meist soziologisch oder philosophisch, fundierter Beiträge, Überlegungen und kritischer Reflexionen, welche unterschiedlichsten Themenbereichen entstammen: Sozialpädagogik und sozialpädagogische Berufsidentität, welche bspw. aus einer Auseinandersetzung mit der aristotelischen Unterscheidung von Theorie & Praxis abgeleitet wird oder aus dem Faktum, dass sozialpädagogische Arbeit in Organisationen stattfindet; Alltags- und Lebensweltorientierung: Es wird gezeigt, wie sie für konkrete Analysen der Lebenswelt von Klienten genutzt werden kann und wie auch sozialisationstheoretische Aspekte eingebaut werden können; die soziologische Rollentheorie führt zudem zu aktuellen Themen wie Geschlechtsidentität und Identitätspolitik; verschiedene erkenntnistheoretische Beiträge fragen nach Möglichkeit und Grenzen von Erkenntnis und Wahrnehmung, so auch die Ausführungen zu Kant und dem Konstruktivismus, in welchem u.a. gezeigt wird, dass Kant nicht als sog. Vorläufer des Konstruktivismus anzusehen ist; aus der polit-aktivistischen Zeit des Autors liest sich etwas über Ökologie und Frieden - erstaunlich wie aktuell die Thesen von 1982 immer noch sind - sowie über die Anti-Atom-Bewegung, welche heute etwas eingeschlafen zu sein scheint; eher anthropologisch ausgerichtet sind die Überlegungen zur Doppelnatur des Menschen; Liebe zur Weisheit und Grüsse vom Todtnauerberg verweisen auf philosophisch orientierte Gedanken; Ausführungen zum zyklischen Universum, Quantenmystik und dem Sinn von Weihnachten weisen weit über die oben genannten Thematiken hinaus.

Der Autor hat als 68-er «Das Prinzip Hoffnung» (E. Bloch) auf eine radikale Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse immer noch nicht verloren. Seine Tendenz Ereignisse und Gegebenheiten stets in grössere, vor allem auch geschichtlich gewordene, Zusammenhänge zu stellen, verdankt er der gymnasialen Bildung (inkl. Griechisch und Latein) in einem katholischen Internat sowie seines Studiums in Soziologie, Philosophie und Psychologie. Seine fast 30-jährige Tätigkeit als Dozent und Kursleiter an einer Höheren Fachschule für Sozialpädagogik verhalfen ihm seine theoretischen Höhenflüge zu erden und sie mit einer bodennahen Praxisnähe zu verbinden. Dass er an provozierenden Äusserungen und Gedanken immer wie-der Gefallen findet, kommt auch in einzelnen dieser Beiträge zum Ausdruck.

Theorie und Praxis – oder:
Was heißt sozialpädagogische Berufsidentität7


Auf einer japanischen Insel lebte in relativer Abgeschiedenheit ein alter Zen-Meister, zu dem sehr viele Schüler kamen. Einer dieser jungen Schüler überragte alle anderen und hatte bald den Ruf eines Wunderkindes. Gelehrte von überallher suchten so seinen Rat und bestaunten sein Wissen. Als der Minister einen Ratgeber suchte, kam er zum alten Zen-Meister und fragte ihn. «Sagt mir, stimmt es, dass der junge Mann so viel kann, wie allgemein behauptet wird?» Trocken erwiderte der alte Zen-Meister, «Ehrlich gesagt, der Bursche liest so viel, dass ich mir nicht vorstellen kann, woher er die Zeit nimmt, irgendetwas zu können.»

Problemstellung


Theorie und Praxis gehören zum Grundbestand der Wissenschaftssprache, scheinen eindeutig definiert und gelten allgemein als Gegenpositionen. Gegenwärtig löst der Begriff Theorie eher Geringschätzung und Abwehr aus, während der Begriff Praxis oft unkritisch überhöht wird. Besonders unter Praktikern und Praktikerinnen besteht Neigung, der Praxis den Vorrang vor der Theorie zu geben und Theorie als realitätsfern abzuwerten. Diese Theorie-Praxis-Gegenüberstellung ist ein Scheinproblem. Denn weder darf Theorie auf introvertierten, wirklichkeitsfernen Selbstzweck reduziert werden, noch Praxis zu blindem Aktionismus verkommen. Beide sind aufeinander angewiesen. Auf dem Hintergrund erworbenem Berufs- und Alltagswissen wird die Frage nach der unmittelbaren Praxisrelevanz des Lernangebots von Studierenden und Praktikerinnen beharrlich gestellt. «Viel zu viel Theorie!» stöhnen die einen, «zu wenig Theorie» monieren andere. Während die einen die Inhalte der einzelnen Studienfächer am liebsten von vornherein auf die zur Anwendung tauglichen Themen reduzieren möchten, wünschen sich andere in den einzelnen Fächern ein breiteres und fundiertes Wissen. Ein Ausflug zurück in die Geistesgeschichte lässt uns eine neue Sicht auf dieses Verhältnis von Theorie und Praxis gewinnen. Dazu müssen wir zurückkehren zu den Anfängen der griechischen Philosophie. Ausgangspunkt soll Aristoteles’ (384-322 v. Chr.) Unterteilung in drei typische Lebensformen sein.

Theorie und Praxis in der griechischen Philosophie


Die drei Lebensformen

Aristoteles geht aus von der Frage nach dem höchsten Gut als Leitziel unseres Handelns. Die Antwort auf diese Frage verweist auf (Eudaimonia = Glück, gutes Leben). Alle Menschen streben danach. Das Glück kann als oberstes Ziel des Menschen angenommen werden. Was ist damit gemeint? Um das zu bestimmen, diskutiert Aristoteles drei Lebensformen oder Lebensweisen, welche dem Menschen Glückseligkeit verschaffen können. Aristoteles betrachtet Glück als eine Lebensweise, die im besten Fall einen dauerhaften Zustand darstellt. Diese Lebensweise steht in Zusammenhang mit der Einteilung in unterschiedliche Arten von Gütern. Aristoteles unterscheidet Güter des Leibes, äußere Güter und Güter der Seele, was zur Unterscheidung in drei Lebensformen führt. Alle diese Lebensformen waren an die Freiheit des Berufs gebunden. Berufen, die anstrengende körperliche Arbeit erforderten und lediglich der Lebenserhaltung dienten, waren diese verschlossen.8

Die apolaustische Lebensform (Güter des Leibes)

Die Güter des Leibes werden als Mittel zur Befriedigung körperlicher Bedürfnisse wie Durst, Hunger, Wunsch nach körperlicher Zuwendung usw. verstanden. Lust und momentane, persönliche Interessen und Bedürfnisse werden zur Handlungsmaxime erhoben. Es ist dies die Lebensform des Genusses, des reinen Genusslebens, des hedonistischen Lebens. In diesem Sinn ist Glück bestimmt als ein Leben in körperlicher Lust. Diese von Aristoteles als apolaustisch bezeichnete Lebensform widmet sich dem leidenschaftlichen Leben, dem Sinnesgenuss heißt genießen). Ziel dieser Lebensform ist die Lust Aristoteles ordnet diese Lebensform der animalischen Seinssphäre zu. Wohl gehört diese Art Lust zum Menschen mit seinen Begierden und seinen Gelüsten, doch wird sie allein den menschlichen Möglichkeiten nicht gerecht. Es findet ein Glückserleben von Moment zu Moment statt, das keine Langfristigkeit verspricht, sondern aus einer Aneinanderreihung von Kurzweil besteht. Apolaustische Lebensgestaltung kann so langfristig nicht zum Glück führen. Der Mensch hat höhere Bedürfnisse, als nur allein seinen Körper zu befriedigen. Ein solches höheres Bedürfnis ist beispielsweise ein Leben nach moralischen Grundsätzen oder geistigen Prinzipien.

Die praktische Lebensform (äußere Güter)

Es ist dies die politische Lebensform in den Diensten des Staates, das politische Leben als Bürger der Polis. In der Praxis des politischen Lebens ereignet sich Glückseligkeit, weil diese Tätigkeiten um ihrer selbst willen durchgeführt werden. Es ist ein Handeln und Tun im Sinne einer verantwortlichen Teilnahme am politischen Leben. Es geht um das Hervorbringen schöner, letztlich doch vergänglicher Taten. Die praktische Art und Weise der Lebensführung wird vor allem vom Politiker bzw. Staatbürger verwirklicht. Glückseligkeit wird dabei verstanden als sittliche Tätigkeit, als tugendgemäßes Handeln, als Praxis. Diese Lebensweise gehört der menschlichen Seinssphäre an.

Die theoretische Lebensform (Güter der Seele)

Wenn es um die Güter der Seele geht, wenn geistige Prinzipien im Vordergrund stehen, sind wir bei der betrachtenden Lebensform. Es ist die Lebensform der Hingabe an die Philosophie. Die kontemplative Schau steht höher als die Aktivität, das sittliche Handeln. Die theoretische Art der Lebensgestaltung verkörpert sich im Philosophen. Ihr Ziel ist die geistige Schau Die Bezeichnung theoretisch kommt von (schauen, betrachten). Aristoteles ordnet diese Lebensweise der göttlichen Seinssphäre zu. Die Verwirklichung dieser Lebensweise bedeutet, sich in weiten Teilen vom tätigen Leben, der praktischen Lebensführung abzuwenden. Es handelt sich um eine meditative Form der Glückseligkeit, die im Vollzug der Theoria, des Schauens, stattfindet und den niedereren Gütern, wie der Lust, entsagt.

Abb. 1: Aristoteles − Lebensformen

Der Mensch versucht in dieser Lebensform durch das Denken dem Göttlichen ähnlich zu werden und kann so eine göttlich scheinende Art der Glückseligkeit erreichen. Reflexion und Meditation ist so das tiefste und beständigste Modell für ein Leben in Glückseligkeit.

Nach der damals herrschenden Auffassung blieb den Gebildeten nur die Wahl zwischen der theoretischen und der praktischen Lebensform. Die nur auf Sinnesgenuss ausgerichtete apolaustische Lebensweise kam nicht in Betracht. Deshalb lassen wir im Folgenden die Letztgenannte weg. Sie erfuhr auch bei den Griechen keine weitere Erörterung, Differenzierung und Präzisierung. Jede der Lebensweisen benötigt sowohl Wissen und ist in Handeln, im Tun zu realisieren. Das führt zu den Begriffen von Theorie und Praxis. Was versteht nun Aristoteles darunter?

Die Formen des Wissens

Das Wort Theorie hat eine sakrale Wurzel. Theoros hieß der Vertreter, den griechische Städte zu den öffentlichen Festspielen entsandten. In der Theoria, im teilnehmenden Zuschauen, wohnte man gottesdienstähnlichen Feiern und Orakelbefragungen bei. Im philosophischen Sinne bedeutet Theorie die geistige Anschauung des Kosmos. Ihr Herzstück ist die betrachtende Schau des ewig Unveränderlichen: wer sich dem Seienden unvoreingenommen zuwendet, dem zeigt es sich in seinem Wesen.9

Im Unterschied zur heute üblichen Auffassung meint Denken ein geistiges Anschauen, ein Wahrnehmen und Erkennen der unveränderlichen und ewigen Ideen bzw. Ideenwelt. Es geht um Wesenskenntnis.10 Theorie wurde auch mit Wissen in Verbindung gebracht. Aristoteles unterscheidet dabei drei verschiedene Arten von Wissen:11

• betrachten, schauen theoretisches Wissen
• handeln praktisches Wissen
• hervorbringen, bewirken poietisches Wissen

Theoretisches Wissen

Theoretisches Wissen ist ein zweckfreies, betrachtendes Wissen und bezieht sich auf das schauend-betrachtende Erkennen des Kosmos. Dieser ist geistig zu verstehen als Allumfassendheit. Dieses Betrachten ist eine Art Beiwohnen, denn es geht um ein Wissen, das unabhängig von menschlichem Zutun ist. Ziel dieses Wissen ist reine Erkenntnis. Es ist ein Wissen um des Wissens willen und an der Wahrheit als solcher orientiert. Das Erkenntnisvermögen dazu ist die Weisheit

Praktisches Wissen

Praktisches Wissen ist bezogen auf das menschliche Handeln, gemeint ist damit das tugendhafte, gute Handeln. Bei diesem Wissen geht es um Erkenntnisse, welche den Menschen das Gute − und was stets dasselbe ist − das Schöne, tun lassen. Es ist ein Wissen des guten und richtigen Handelns, ein Wissen darüber, was zu tun ist, ein ‹Know-What›. Praxiswissen beschreibt so die...

Erscheint lt. Verlag 7.6.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Erkenntnistheorie / Wissenschaftstheorie
ISBN-10 3-7562-8384-4 / 3756283844
ISBN-13 978-3-7562-8384-2 / 9783756283842
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