Mit den Augen der Apostel -  E. Randolph Richards,  Brandon J. O'Brien

Mit den Augen der Apostel (eBook)

Wie wir unsere kulturbedingten Sichtweisen ablegen können, um die Bibel besser zu verstehen
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
272 Seiten
SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag
978-3-417-27088-4 (ISBN)
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Was für die Menschen zur Zeit der Bibel noch ganz selbstverständlich mitgedacht wurde, ist für uns heute nicht mehr offensichtlich. Unsere westliche Kultur heute denkt anders über Gesellschaft, Individualismus, Beziehungen, Tugenden und Laster als es in biblischen Zeiten üblich war. Unsere kulturelle Prägung hat große Auswirkungen auf unser Denken, unsere Werte und auch darauf, wie wir die Bibel verstehen. Und so lesen wir manchmal etwas in Texte hinein, was gar nicht so gemeint war. Mit vielfältigen Beispielen schärfen die Autoren den Blick für den biblischen Kontext wie auch für die eigenen Prägungen und eröffnen so eine neue Sicht auf bekannte Texte.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

1. SITTEN UND GEBRÄUCHE


Du sollst nicht rauchen, trinken oder fluchen und dich von Mädchen fernhalten, die das tun.

Dieser Spruch bringt auf den Punkt, welches moralische Verhalten im Süden der USA, wo wir beide aufgewachsen sind, erwartet wurde. Fairerweise muss man hinzufügen, dass die Leute, die so etwas sagten, dabei immer grinsten. Ihnen war klar, dass dieser Satz die christliche Ethik nur unzureichend erklärt. Aber um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Sie meinten diesen Spruch ernst. Und die Bibel schien ihren Standpunkt zu untermauern. Hatte Paulus nicht gesagt, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes in euch ist (1. Korinther 6,19)? Heißt das nicht, dass wir uns gut um unseren Körper kümmern sollen? Hat er nicht gesagt: Kein faules Wort komme aus eurem Mund (Epheser 4,29)? Und stimmt es nicht, wenn er schreibt: Schlechter Umgang verdirbt gute Sitten (1. Korinther 15,33)?

Der lateinische Fachbegriff für Verhaltensweisen wie Rauchen, Trinken und Fluchen ist mores, also Sitten oder Konventionen. Webster’s Dictionary definiert mores als volkstümliche Sitten oder Bräuche von zentraler Bedeutung, die übernommen werden, ohne hinterfragt zu werden, und die fundamentalen moralischen Werte einer Gruppe verkörpern.

Einige Formulierungen in dieser Definition sind bemerkenswert. Erstens: Gepflogenheiten werden übernommen, ohne hinterfragt zu werden. Das heißt, dass eine Gemeinschaft die Diskussion zu diesen Themen als abgeschlossen betrachtet. Aber eigentlich machen sich die Leute schlicht und ergreifend überhaupt keine Gedanken darüber. Sitten werden stillschweigend übernommen. Das liegt daran, dass sie uns schon als Kinder anerzogen werden, bevor wir logisch darüber nachdenken könnten.

Ich (Randy) erinnere mich noch lebhaft an solch eine Situation. Meine Frau und ich fluchen nicht – wir wurden dazu erzogen, nicht zu fluchen – und wir haben unsere Kinder auch dazu erzogen, nicht zu fluchen. Allerdings bestand unsere Erziehung lediglich darin, dass wir solche Wörter nie benutzten. Wir gaben also dieses Verhalten – im buchstäblichen Sinn – stillschweigend weiter. Als wir als Missionare in einer entlegenen Gegend in Indonesien lebten, waren wir Eltern die einzigen Englisch sprechenden Personen, mit denen unsere Kinder zu tun hatten. Hin und wieder kamen andere Missionare zu Besuch. Als unser ältester Sohn fünf war, besuchte uns einmal eine ältere, sehr züchtige Missionarin.

Wir stellten ihr unseren Sohn vor, der sehr höflich sagte: »Guten Tag, es freut mich, Sie kennenzulernen.«

Nachdem die Frau ihn gelobt hatte, was für ein netter Junge er sei, fragte Josh seine Mutter: »Kann ich rausgehen und spielen?«

Die Missionarin fragte ihn: »Wohin willst du denn?«

Unser kleiner Engel lächelte sie an und sagte: »Das geht dich einen Sch… an.«

Uns klappten die Kinnladen herunter. Wir hatten dieses Wort nie zuvor aus seinem Mund gehört (und auch danach nie wieder). Unsere völlig schockierten Mienen verrieten dem Fünfjährigen, dass seine Antwort ziemlich daneben gewesen war. Seine Mutter stammelte: »Josh!« Bevor wir noch etwas sagen konnten, fing er an zu weinen und lief aus dem Zimmer. Wir machten ihm deutlich, dass wir dieses Wort nie wieder hören wollten.

Der Missionarin gegenüber befanden wir uns in einer peinlichen Situation. Wir konnten noch nicht einmal den Kopf schütteln und sagen: »Es ist wirklich schlimm, was er von anderen Kindern lernt!« Schließlich sprachen seine Freunde alle nur Manadonesisch. Die Missionarin musste also davon ausgehen, dass im Hause Richards Schimpfwörter benutzt wurden.

Wir fragten uns wochenlang, wie unser Sohn an dieses Wort gekommen war, das er nie aus unserem Mund gehört hatte. Irgendwann schauten wir uns einen Film an – es gab kein englischsprachiges Fernsehen, aber wir hatten Videos – und hörten mitten in dem Film die Frage: »Wohin willst du denn?«, worauf der Held die inzwischen berüchtigte Antwort gab. Unser Sohn hatte diesen Satz ganz genauso wiedergegeben, wie er ihn gehört hatte. Er hatte einfach eine Formulierung aus einem Film übernommen. Das ist ein Weg, wie Kultur weitergegeben wird. Meine Frau und ich hatten ihm einen kulturellen Wert vermittelt, indem wir ihm daraufhin gesagt hatten, dass seine Antwort nicht in Ordnung gewesen sei – das ist ein anderer Weg, Kultur weiterzugeben.

Die Definition von mores besagt auch, dass sie die fundamentalen moralischen Werte einer Gruppe verkörpern. Die Einhaltung dieser Konventionen gilt als essenziell für das weitere Wohl der Gemeinschaft. Verstieße man dagegen, könnte Chaos ausbrechen. Deshalb werden diese Werte gehütet, als hinge das Bestehen der Gesellschaft davon ab. Manchmal ist das auch so. Wir stimmen sicher darin überein, dass der Schutz der Schwachen und Unschuldigen eine amerikanische Konvention (wenigstens im Prinzip) ist, die wesentlich zum Erhalt der amerikanischen Kultur beiträgt. Aber häufig sind Konventionen nicht so dauerhaft, sie ändern sich von Ort zu Ort und innerhalb derselben Kultur im Laufe der Zeit.

Beispielsweise verändern sich innerhalb der Vereinigten Staaten bestimmte christliche Werte, je nachdem, wo im Land man lebt. Karten zu spielen wurde im Süden noch eine Generation vor uns von vielen als teuflisch verurteilt. Aber je weiter man in den Norden kam, umso akzeptabler wurde es. In Minnesota wurden sogar Bridge-Turniere in christlichen Gemeinden veranstaltet.9

An der Ostküste (wo Tabak angebaut wird) war Rauchen kein Problem, solange man nicht auf der Kanzel rauchte (das ist wirklich nur leicht übertrieben!). Je weiter man in den Westen kam, umso weniger wurde es akzeptiert. In Kalifornien galt Rauchen als vom Teufel. (Ein Pastor von der Westküste scherzte einmal, seine Kirche verurteile Ehebruch deshalb, weil er erfahrungsgemäß zum Rauchen führe.)

Aus Arkansas bekamen wir von einem Freund unserer Familie dieses Jahr eine Fotocollage als Weihnachtskarte. Auf vier von diesen Fotos kniete der Vater oder ein Kind neben einem toten Tier, das sie erlegt hatten. Sie fanden diese Bilder offenbar sehr weihnachtlich, aber Leute in anderen Teilen des Landes hielten das sicher für einen Skandal.

Die Sitten und Gebräuche verändern sich auch im Laufe der Zeit, was zum sogenannten Generationenkonflikt führt. So beobachten wir unter konservativen Christen in den USA, wie sich gerade eine Sitte wandelt. Noch vor einer Generation war der gemäßigte Genuss von Alkohol, etwa ein Glas Wein beim Abendessen oder ein Glas Bier mit Freunden, vielen konservativen Christen ein Gräuel, besonders im Süden, wo wir aufgewachsen sind. Heute stellen immer mehr junge Konservative diese Gepflogenheit infrage. Inzwischen sind viele konservative Glaubensgemeinschaften in diesem Punkt gespalten, wobei die Jüngeren Alkohol trinken und die Älteren abstinent bleiben.10

Wie diese Beispiele nahelegen, diktieren die Konventionen alles, angefangen bei dem, was als unangemessene Sprache gilt oder was man isst oder anzieht, bis dahin, wen man heiraten sollte, und noch einiges mehr. Der Satz »Das war ein guter Hund« kann vieles bedeuten. Aus dem Mund eines amerikanischen Vorstadtbewohners: »ein Hund, der meine Schuhen nicht anknabbert«, aus dem Mund eines australischen Ranchers: »ein Hund, der Schafe hütet« und aus dem Mund eines Minahasa aus Indonesien: »ein Hund, der köstlich schmeckt«. Unsere Sichtweise hängt von unseren sozialen Sitten und Gebräuchen ab, was diese uns als angemessen vorgeben bezüglich Sprache, des menschlichen Körpers oder eines Hundes.

Zwei Herren dienen?


Christen stehen vor der ganz besonderen Herausforderung, zwischen widerstreitenden Konventionen hin- und hergerissen zu sein. Einerseits halten sie oft an einem bestimmten Verhaltenskodex fest, ohne ihn zu hinterfragen, und ihnen sind bestimmte Verhaltensweisen wichtig, damit es der christlichen Gemeinde und der Welt an sich gut geht. Andererseits hat die westliche Kultur ihre eigenen Werte, die genauso wenig hinterfragt werden und die für die menschliche Freiheit und Befriedigung als wesentlich angesehen werden. Somit vertreten die christliche Gemeinde und die Welt oft widersprüchliche Sitten.

Wir haben dann die Wahl, uns entweder hartnäckig dagegen zu wehren, dass sich eine kulturelle Gepflogenheit breitmacht, die aus unserer Sicht einer christlichen Konvention widerspricht, oder Kompromisse einzugehen. Dazu gibt es in der Geschichte viele Beispiele. Um nur eines zu nennen: Im England und Amerika des 18. Jahrhunderts war das Theater als Unterhaltungs- und Bildungsstätte bei kultivierten Bürgern sehr beliebt. Gute Christen setzten jedoch keinen Fuß in ein Theater. Sie hielten es vielmehr für moralisch schädlich, weil es menschliche Verdorbenheit lebhaft zur Schau stelle. Das Theater entfache die Leidenschaften und bedrohe die gesellschaftliche Ordnung. Für Gläubige war deshalb das Theater damals tabu.

Doch im Laufe der Zeit begannen die Gemeinden, sich an die Theaterkultur anzupassen. Der dynamische englische Evangelist George Whitefield predigte während der Erweckungsbewegungen, durch die Tausende ein neues Leben mit Jesus Christus begannen, in einem noch nie da gewesenen dramaturgischen Stil.11 Das führte dazu, dass auch andere Prediger, die traditionell ihre Predigten von Manuskripten ablasen, sich an dem eher lebhafteren, spontaneren und unterhaltenderen Kommunikationsstil eines Theaterschauspielers orientierten. Auch die alte Sitzordnung im Versammlungshaus veränderte sich und es sah mehr wie im Theater aus: vorne in der Mitte...

Erscheint lt. Verlag 4.7.2023
Übersetzer Silvia Lutz
Verlagsort Witten
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte arabisch - christlich • Auslegung • Bibel • Bibelarbeit • Bibelauslegung • Bibel verstehen • Ehre • Einblicke • Gesellschaft • Horizont erweitern • Kultur • Kulturelle Prägung • kulturelles Umfeld • Kulturen • Laster • Naher Osten • neue Perspektive • Orient • Prägung • Prägung überdenken • Sichtweise • Sitten und Moral • Sprache • Texte • Tugenden • Verständnis • Verstehen • Voreingenommenheit ablegen • Zurück zum Ursprung
ISBN-10 3-417-27088-X / 341727088X
ISBN-13 978-3-417-27088-4 / 9783417270884
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