Resonanzen (eBook)

Gerd Theißen zum 80. Geburtstag
eBook Download: EPUB
2023
280 Seiten
Gütersloher Verlagshaus
978-3-641-30206-1 (ISBN)

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Resonanzen -
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Gerd Theißen zum 80. Geburtstag
'Resonanz' ist eine für den Theologen Gerd Theißen zentrale Metapher. Mit ihrer Hilfe entwickelte er im Laufe seines Lebens eine 'Resonanztheologie', nach der der Mensch nicht nur nach Resonanz sucht, sondern selbst bewegt wird und sodann spürt, dass es wichtiger ist, 'selbst Resonanz zu geben als diese zu erfahren'. Deshalb bestimmt die 'Resonanz' auch dieses Buch zu seinem 80. Geburtstag: Vielstimmig und multithematisch wird in Wort, Bild und Musik aufgenommenen oder auch durch diese ausgelösten Schwingungen nachgegangen, resoniert, räsoniert, weiterdenkend, antwortend - nicht nur auf den anregenden Jubilar, sondern dabei vielleicht auch auf das, was er gern die 'Gesamtwirklichkeit' nennt.
  • Vielfältige Resonanzen auf ein großes Forscherleben
  • Die große Würdigung für einen der wirkmächtigsten Exegeten der Gegenwart
  • Exegetische Impulse für alle Felder theologischen Denkens und Forschens

1 »Lobt den Herrn, all seine Werke« (Ps 103,22)

Die Schöpfung als gottesdienstlicher Resonanzraum

Samuel Vollenweider

Mit dem ihm eigenen Instinkt für den Kairos hat Gerd Theißen in seinen jüngeren Publikationen zunehmend die Resonanz in den Mittelpunkt seines Verständnisses von Religion und Theologie gestellt.1 Seine Überlegungen helfen, mit der so anziehenden wie irrlichternden Metapher »Resonanz« hermeneutisch produktiv zu arbeiten.

Mit diesen Zeilen möchte ich einen Aspekt von Resonanz thematisieren, der Impulse aus dem weithin erwachten Interesse an der Schöpfungstheologie mit religiösen Perspektiven der antiken Mittelmeerwelt zusammenführt. Es geht um die »kosmische Liturgie« – der hymnische Lobpreis des Schöpfers durch alle Geschöpfe und Elemente des Universums.2 Wenn ich recht sehe, hat der Jubilar die für mein Thema zentralen biblischen Texte nicht eigens ausgelegt, was mir einen lockenden Freiraum beschert. Eine Festschrift ist ein ausgezeichneter Ort, sich von Resonanzen bewegt in neue Räume tragen zu lassen. Als Ausgangspunkt bietet sich eine Resonanzerfahrung an, die der Verfasser der »Glaubenssätze« mit sehr vielen Christenmenschen teilt:3

Das Geheimnis, dass etwas existiert,

kann wie Musik alle Dinge durchziehen

und lässt auch uns erklingen.

Einer der Orte, an denen sich ein solches »Erklingen« besonders dicht erleben lässt, ist der Gottesdienst. Im Loben und Beten schließt Gottes Präsenz die Einzelnen zu einer Gemeinschaft zusammen – eine Gemeinschaft, die über die versammelte Gruppe hinaus die Christenmenschen aller Welt umgreift. Im Blick auf unsere globalisierte Welt mögen sich den Christenmenschen auch Menschen anderer Religionen hinzugesellen. Mehr noch: Da sind Visionen, dass die in der Anbetung vereinigte Gemeinschaft über Menschen hinaus auch die Natur selber einschließt,4 ihre zahllosen Lebensformen so gut wie die Elemente und Bausteine des Universums. Man denkt an ostkirchliche Liturgien, aber auch an den Sonnengesang des Franziskus von Assisi – Bruder Sonne und Schwester Mond, Bruder Wind und Schwester Wasser, durch und für sie alle lobt der Mensch den Schöpfer.5 In Franzens Laudes de creaturis hallen bedeutsame Bibeltexte wider: Psalm 148 und der Lobgesang der drei Männer im Feuerofen.

»Der Himmel erzählt die Herrlichkeit Gottes, und das Firmament verkündet das Werk seiner Hände« (Ps 119,2)

Das Alte Testament enthält zahlreiche Texte, in denen nicht nur Menschen, sondern auch andere Lebewesen und überhaupt Dinge bzw. Phänomene so in Resonanz versetzt werden, dass sie den Schöpfer und seine Wohlordnung preisen oder dass sie dazu aufgefordert werden.6 Dazu lassen sich leicht Bilder von einem vielstimmigen Chor und von einer universalen Symphonie assoziieren. Israel, das seinen Gott im Jerusalemer Tempel verherrlicht, reiht sich hier in eine umfassende liturgische Gemeinschaft ein. Das Gegenstück zum hymnischen Lob ist die Klage. Auch sie ertönt nicht nur von Seiten der Menschen, sondern von Geschöpfen und Dingen aller Art. Den Propheten zufolge nehmen Pflanzen und Tiere sogar stellvertretend den Ort ein, an dem das Gottesvolk stehen sollte, trauernd und klagend angesichts der Verheerungen durch menschliches Fehlverhalten.

»Vom Himmel her«, »von der Erde her«

Psalm 148 ruft die gesamte Schöpfung zum Gotteslob auf, von ihren Höhen bis in ihre Tiefen: Der Himmel mit seinen Engeln und Gestirnen, die Erde samt ihren atmosphärischen Phänomenen, mit Pflanzen, Tieren und sogar mit den Ungeheuern der Abgründe. Auch alle Menschen sind in diese kosmische Symphonie mit einbegriffen. Dabei kommt der Psalm über seine zehn- bzw. zwölffache Lobaufforderung nicht hinaus. Das ist auch gar nicht nötig, da sein literarischer Kontext, die das Psalmenbuch beschließende Sammlung des kleinen Hallel (Ps 146-150), umfassend das universale Gotteslob am Zion zelebriert. Dabei fällt auf, dass die Totalität an Schöpfungswerken, die Ps 148 vor Augen stellt, Wissensbestände auffächert, die der Alte Orient in Listen katalogisiert hat. In der Antike konvergieren Wissenschaft und Hymnus; die Philosophie soll ja vom Staunen ihren Anfang genommen haben.

Die umfassende Schöpfungsperspektive von Ps 148 wird im Lobgesang der drei Männer im Feuerofen, einer deuterokanonischen Fortschreibung des Danielbuchs (3,51-90), noch einmal ausgeweitet. Wie in einer Litanei wechseln sich die Aufrufe zum Lobpreis an die einzelnen Gotteswerke ab mit dem Refrain »Preist, alle Werke des Herrn, den Herrn, singt Loblieder und erhöht ihn über alle Maßen bis in die Ewigkeiten!« Wieder begegnet uns ein Katalog, der Geistwesen, Gestirne, Klima- und Atmosphärenphänomene, Elemente, Landschaften, Pflanzen, Tiere, alle Menschen, schließlich Israel mit seinen Repräsentanten umfasst. Im Kontext gelesen gibt es zu denken, dass der Hymnus der drei Männer auf deren Errettung aus dem Feuerofen Nebukadnezzars respondiert (v. 88) – ein besonders für die Psalmen charakteristisches Resonanzphänomen. In zahlreiche kirchliche Liturgien hat das Feuerofenlied Eingang gefunden.

Traditionen und Vorstellungen des kosmischen Lobpreises sind auch im antiken Judentum und im Frühchristentum greifbar. Die Qumrantexte dokumentieren nicht nur die Sabbatliturgie der Engel, sondern reden auch von »allen Geschöpfen des Fleisches« – Vieh und Vögel und Kriechgetier und Meeresfische –: »sie preisen den Namen deiner Herrlichkeit« (4Q287). Die mystischen Strömungen im Judentum haben Impulse dieser Art aufgenommen und weiterentwickelt; der Bogen spannt sich von der liturgischen Gemeinschaft mit den Engeln in den Hekalot-Texten über die Kabbala, die ihrerseits neuplatonische Traditionen rezipiert, bis zu den osteuropäischen Chassidim.

Im Neuen Testament lässt die Johannesapokalypse (5,11-14) das Gotteslob aus dem Mund seiner Geschöpfe ergehen, eingebettet in die Schilderung des himmlischen Gottesdiensts:

Und jedes Geschöpf im Himmel und auf der Erde und unter der Erde und auf dem Meer, und allem, was darin ist, hörte ich rufen: Ihm, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm seien Lob, Ehre und Preis und die Herrschaft, von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Götteradvente

Ein Universum, das als Ganzes und in seinen vielen Teilen das Gotteslob vollzieht, stellt einen umfassenden Resonanzraum für das Wirken des Schöpfers vor Augen. Biblische und parabiblische Texte stehen hier nicht allein. Bei der Figur des kosmischen Lobpreises stoßen wir vielmehr auf Ideen, die ganz verschiedene Kulturen der antiken Mittelmeerwelt verbinden. Ägyptischen Hymnen und Bildern zufolge begrüßen laut schreiende Paviane und flügelschlagende Vögel den aufgehenden Sonnengott. Wenn die Griechen Apollon mit einem Hymnus anrufen, geraten auch Pflanzen, Tiere und Quellen in Bewegung; sie alle respondieren dem epiphan werdenden Gott. Vergils ‚Weihnachtsgedicht‘, das vierte Hirtenlied, lässt das Weltganze freudig die Geburt des göttlichen Kindes erwarten. Hellenistische Hymnen und Gebete korrelieren den kosmischen Lobpreis mit Motiven des Chors, des Tanzens und, für die astrale Welt, mit dem Modell der Sphärenharmonie. Die kosmische Liturgie wird vollends in der Philosophie der späten Antike, namentlich im Neuplatonismus, zu einer bedeutsamen Gedankenfigur, die religiöse Kosmologie und elaborierte Gebetstheorien in Wechselwirkung bringt. Die entsprechenden Vorstellungen setzen sich in Theologie und Liturgie der Ostkirchen fort, gewinnen aber auch im Westen ein Eigenleben, deren Resonanzspuren sich vom Hermetismus der Renaissance über Keplers Harmonices mundi bis zu Teilhard de Chardins kosmischer Spiritualität beobachten lassen.

Im Bann menschlicher Projektionen?

Schon ein rascher Blick in die altorientalischen und biblischen Texte macht deutlich, dass diese mit den Mitteln der Personifikation arbeiten, einem Stilmittel, das sich gut mit den Werkzeugen der Rhetoriktheorie beschreiben lässt. Fragt man über die poetische Dimension hinaus nach den Sachaussagen unserer Texte, hat man es mit dem Problem anthropomorphen Sprechens zu tun: Lobpreisende Kreaturen und Elemente verhalten sich wie menschliche Akteure. Himmel, die »die Herrlichkeit Gottes« erzählen, weisen auf ein subjektivisches Schema zurück,7 mit dem vormoderne Menschen die Welt, in der sie leben, interpretieren und bewältigen. Wir hätten es dann mit massiven Projektionen zu tun, gefangen im anthropozentrischen Bannkreis. Die Entwicklung der Wissenschaften lässt sich zu guten Teilen als deren Abbau schreiben – etwa im Verzicht auf Personifikationen, die im Umgang der Menschen mit Tieren viel Unheil angerichtet haben. Bei Imaginationen eines universalen Lobpreises hätten wir es also bestenfalls mit romantischen, wenn nicht gar animistischen, jedenfalls ganz und gar unsachlichen Redeformen zu tun.

Vieles an diesen vom Geist der Moderne provozierten Einlassungen hat festen Boden unter den Füßen. Wir fragen umgekehrt mit dem Jubilar: Was hält der Religionskritik stand? Zwei Andeutung mögen genügen. Zum einen: Unsere Texte und Figuren markieren eine Antithese zum neuzeitlichen Projekt, das die Natur als verstummtes Objekt für den Zugriff des machtvoll manipulierenden Subjekts präpariert. Im »Reden« der nichtmenschlichen Lebewesen und Dinge bringt sich gerade das Andere des Menschen zu Gehör. Es ginge um einen...

Erscheint lt. Verlag 3.5.2023
Zusatzinfo Mit 8-seitigem vierfarbigen Bildteil
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte 2023 • Abendmahl • Barmherziger Samariter • Bibel • Bibelexegese • Dialog der Religionen • Die Bibel • eBooks • Gerd Theißen • Gleichnisse • Neuerscheinung • Neues Testament • Schöpfungstheologie • schreiter-fenster
ISBN-10 3-641-30206-4 / 3641302064
ISBN-13 978-3-641-30206-1 / 9783641302061
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