Mit der Heiligen Nacht fing alles an (eBook)
254 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-6907-6 (ISBN)
Michael Siedentop wurde 1956 in Wolfenbüttel im südöstlichen Niedersachsen geboren. Nach dem Abitur an einem humanistischen Gymnasium und dem Studium der Elektrotechnik promovierte er an der Technischen Universität Braunschweig. Dr. Siedentop ist verheiratet und stolzer Vater von drei Söhnen. Seine beruflichen Tätigkeiten im Management internationaler Konzerne führten ihn und seine Frau für jeweils mehrere Jahre nach Frankreich, China, Polen und wieder zurück nach Deutschland. Seine zahlreichen Veröffentlichungen beschränkten sich auf den technisch-wissenschaftlichen Bereich, bis er nach Beendigung seiner beruflichen Laufbahn die langersehnte Zeit fand, seine Gedanken zu Glauben und Christentum niederzuschreiben.
Teil I: Einleitung
Kernschmelze
Zweimal im Jahr erscheint in meiner christlichen Gemeinde einer süddeutschen Kleinstadt der „Kirchen-Bote“. Darin wird berichtet, was für die Kirchengemeinde bedeutsam erscheint – von Gottesdienst-Terminen und gemeinnützigen Hilfsprojekten über Taufen und Todesfälle bis hin zu Ansprechpartnern und Bankverbindungen. Zu Beginn des Jahres 2021 lese ich einen Rückblick auf das vergangene Jahr. Es wird von erfreulichen 16 Kindestaufen berichtet und auch 7 Neueintritte von Erwachsenen waren zu verzeichnen. Aber was ist auf der Minus-Seite zu lesen: 58 Todesfälle und 62 Austritte in einem Jahr! Es treten also mehr Gemeindemitglieder aus der Kirche aus als in einer ohnehin überalterten Gruppe versterben. Und die Kindtaufen gleichen die Todesfälle bei weitem nicht aus! Summarisch steht es 23 zu 120 gegen die Kirchengemeinde. Die Verluste sind mehr als fünfmal so hoch wie die Gewinne! Das ist mit Sicherheit keine zufällige Streuung, sondern ein klarer Trend. Ich frage mich: ist das auch in anderen Regionen so?
In den vergangenen drei Jahrzehnten haben die Kirchenaustritte aus den großen christlichen Kirchen hierzulande, den Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und den Bistümern der römisch-katholischen Kirche in Deutschland, bei rund einem halben bis einem Prozent pro Jahr gelegen. Im Jahr 2019 erreichte dieser Wert mit 1,19 % bei der römisch-katholischen Kirche und sogar 1,28 % bei der EKD eine Rekordhöhe2. Von 1990 bis 2019 ist die Zahl der Mitglieder der katholischen Kirche in Deutschland von 28,3 auf 22,6 Millionen und die der EKD von 29,4 auf 20,7 Millionen gesunken. Gerade die römischkatholische Kirche wurde in den vergangenen Jahren durch einige Krisen erschüttert. Hier sind der Missbrauch schutzbefohlener Kinder durch kirchliche Würdenträger, der Umgang mit diesen Skandalen, Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Ehelosigkeit von Priestern (Zölibat) sowie das Streben katholischer Frauen nach mehr Gleichberechtigung („Maria 2.0“) zu nennen. Ohne Frage ist die katholische Kirche in einer ethischen Krise, die ihre Glaubwürdigkeit erschüttert. Beispielhaft sei hier der katholische Theologe und Kirchenrechtler Thomas Schüller zitiert: „"Die katholische Kirche erlebt hier gerade so etwas, wie eine Kernschmelze. Das ist der größte Exodus von Katholiken aller Zeiten. Gläubige erteilen der Kirche gerade eine Rote Karte, aber die realisiert das immer noch nicht."3
Gemessen an der Gesamtbevölkerung in Deutschland ist noch gut die Hälfte (2019: 52,1 %) Mitglied einer der Amtskirchen (römisch-katholisch oder evangelisch). Ein nahezu gleich großer Teil ist entweder Mitglied einer anderen Glaubensgemeinschaft oder konfessionslos. Davon waren im Jahr 2015 rund 5,5 % muslimischen und nur rund 0,1 % jüdischen Glaubens4. Trotz der ethischen Probleme der katholischen Kirche in Deutschland ist die Zahl der evangelischen Kirchenmitglieder im direkten Vergleich sogar noch etwas stärker zurückgegangen. Da die EKD aber nicht in gleichem Maße von ethischen Themen erschüttert wurde, drängt sich die Vermutung auf, dass wir es an erster Stelle nicht mit einer Reaktion auf moralisches Fehlverhalten, sondern mit einer Krise des Glaubens zu tun haben. Der Vorsitzende der deutschen (katholischen) Bischofskonferenz Georg Bätzing sagte hierzu: „Die Kirchenaustrittszahl zeigt, dass die Entfremdung zwischen Kirchenmitgliedern und einem Glaubensleben in der kirchlichen Gemeinschaft noch stärker geworden ist."5 Der Bezug auf die „kirchliche Gemeinschaft“ ließe eher auf eine zunehmende Ablehnung der Kirche als Organisation schließen. Das mag zu einem Teil stimmen und insbesondere aus der Sicht eines katholischen Würdenträgers so erscheinen, der in Deutschland für ein römisches Papsttum einzutreten hat. Der gleichlaufende Niedergang der römisch-katholischen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland deutet allerdings darauf hin, dass die Hauptursache hierfür nicht organisatorischer Natur ist. Das wichtigere Wort im Zitat von Georg Bätzing scheint eher „Glaubensleben“ zu sein. Genau hier passiert derzeit die Entfremdung zwischen (ehemaligen) Kirchenmitgliedern und der Kirche. Nicht in christlichem Sinne zu glauben, ist in unserer Gesellschaft mittlerweile kein Makel mehr. Keiner wird dafür von Mitmenschen gemieden oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Eher scheint Gläubigkeit etwas Altmodisches anzuhaften. Kaum jemand liest wie zu früheren Zeiten in der Bibel, die Kirchen bleiben sonntags leer, ein Buddha auf der Anrichte ist schicker als ein gekreuzigter Jesus Christus in der Küchenecke. Arbeitskollegen, die aus der Türkei, Albanien oder dem Kosovo stammen, pflegen ihren angestammten muslimischen Glauben. Viele unserer Nachbarn aus den Neuen Bundesländern im Osten der Republik sind nicht getauft, sondern haben die „Jugendweihe“ des kommunistischen Staates erhalten - ohne in irgendeiner Weise darunter zu leiden. Werfen wir einen Blick in die Zukunft, so stellt sich daher die offensichtlich nicht ganz unberechtigte Frage: Ist das Christentum noch zu retten?
Ein Weihnachtsgottesdienst
Beim Besuch des Weihnachtsgottesdienstes 2019 (im Folgejahr 2020 blieb ich wegen der grassierenden Corona-Epidemie daheim) fiel mir etwas Ungewöhnliches auf. Normalerweise musste man am Heiligen Abend zeitig, das heißt rund 20 Minuten, vor Beginn des Gottesdienstes eintreffen, um noch einen schönen Sitzplatz nicht zu fern von Altar und Kanzel zu ergattern. Ich kann mich auch daran erinnern, vor vielen Jahren nur einen Stehplatz bekommen zu haben, da alle Sitzplätze restlos belegt waren. Im Jahr 2019 war es diesbezüglich völlig entspannt. Bis zum Beginn des Gottesdienstes waren noch hinreichend Sitzplätze frei – und das in der Heiligen Nacht! Ganz offensichtlich nimmt die Bedeutung, die Attraktivität, Mitglied in einer christlichen Gemeinde zu sein, zumindest in Deutschland massiv ab. Warum ist das so? Das ist eine Frage, der ich gern aus meiner eigenen, ganz persönlichen Situation heraus nachgehen möchte.
Es war Tradition in meiner Familie, an Weihnachten in die Kirche zu gehen, am Gottesdienst teilzuhaben und den christlichen Segen zu empfangen. Der Kirchensaal füllte sich in dieser Zeit stets mit beeindruckender Geschwindigkeit. Für mich, der zugegebenermaßen immer zu Weihnachten, ansonsten nach meiner Konfirmandenzeit aber nur zu besonderen Anlässen wie Hochzeiten, Taufen und Trauerfeierlichkeiten in der Kirche auftauchte, war es immer wieder beeindruckend, welchen Zustrom die Kirche in der Heiligen Nacht erfuhr.
In der stillen und dunklen Jahreszeit war es stets ein sehr emotionales, anrührendes Ereignis. Solange ich nicht verheiratet war, hatte ich mit meinen Eltern und meinem Bruder am weihnachtlichen Gottesdienst teilgenommen. Nachdem ich geheiratet hatte und mich aus beruflichen Gründen fern meiner Heimat aufhielt, begleitete mich meine Frau. Später waren dann auch die Kinder dabei. Bis zu deren Konfirmation, der formalen und feierlichen Bestätigung ihres christlichen Glaubens im Alter von rund vierzehn Jahren, begleiteten sie meine Frau und mich regelmäßig. Danach schien ihre Begeisterung nachzulassen - irgendwann waren meine Frau und ich zu Weihnachten allein im Gottesdienst. Dennoch bereiteten sie uns Eltern die Freude, an den Weihnachtstagen zusammen zu sein und aus diesen Tagen ein besinnliches Fest zu gestalten.
Der Ablauf des weihnachtlichen Gottesdienstes wiederholte sich jedes Jahr mit vorhersagbarer Präzision. Das Kircheninnere war geschmückt mit weihnachtlichen Symbolen: dem Weihnachtsbaum, einer beeindruckend großen Fichte oder Tanne, geschmückt mit Kerzen, Strohsternen und sonstigem Beiwerk, sowie einer Darstellung des Stalles, in dem Jesus Christus geboren wurde, mit der Krippe, in der das Christuskind gebettet war. Irgendwo an einer Wand hing ein Spendenaufruf für "Brot für die Welt". Wenn auch die Texte der Predigt in jedem Jahr voneinander abwichen, so drehte sich regelmäßig alles um die Weihnachtsgeschichte, also die Geburt Jesu Christi, wie sie im Neuen Testament der Bibel erzählt wird. Das Evangelium nach Lukas ist das dritte Buch des Neuen Testaments in der christlichen Bibel und behandelt das Leben Jesu von dessen Geburt bis zur Himmelfahrt. Die Weihnachtsgeschichte findet sich in dem Kapitel 2, Vers 1 bis 20. In jeder Weihnachtsnacht wurde die Geschichte der Geburt Jesu aus der Bibel in einzelnen Versen verlesen, die durch Lieder verbunden wurden, welche auf die jeweilige Szene Bezug nahmen und die Begebenheit in poetischen Bildern illustrierten. Begleitet wurden die Gesänge vom Kirchenchor, einem Blasmusik-Orchester oder einer für mich immer wieder beeindruckend klingenden Orgel.
Gegen Ende des rund fünfundvierzigminütigen Weihnachtsgottesdienstes wurde gemeinsam das Glaubensbekenntnis gesprochen. Ein Bekenntnis für alle und für jeden einzelnen. Die übliche Form war das "Apostolische Glaubensbekenntnis", benannt nach den zwölf Jüngern Jesu, den Boten der Verkündigung des Glaubens, abgeleitet aus dem altgriechischen Wort apóstolos für Gesandter oder Sendbote.
Ich glaube an Gott,...
Erscheint lt. Verlag | 26.4.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie ► Christentum |
ISBN-10 | 3-7578-6907-9 / 3757869079 |
ISBN-13 | 978-3-7578-6907-6 / 9783757869076 |
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Größe: 286 KB
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