Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wichtig uns der Ernst des Lebens sein sollte (eBook)

Spiegel-Bestseller

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
224 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-8321-6070-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wichtig uns der Ernst des Lebens sein sollte -  Axel Hacke
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Ein Plädoyer gegen das Verzagen und für die Heiterkeit »Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst«, schrieb Friedrich Schiller. Doch was ist Heiterkeit eigentlich? Und wie bekommen wir sie in unser ernstes Leben zurück? In Zeiten, in denen uns im Angesicht globaler Krisen intuitiv erst einmal anders zumute ist, macht sich Axel Hacke auf die Suche nach einem fast vergessenen Gemütszustand, nach einer Haltung dem Leben gegenüber, in der wir seltsam ungeübt geworden sind. Unterhaltsam, klug und persönlich erforscht er die Ursprünge des Begriffs, erklärt, was die Heiterkeit vom Witz und von der Fröhlichkeit unterscheidet und warum sie ohne den Ernst des Lebens nicht zu haben ist. »Ein heiterer Mensch zu sein, bedeutet nicht, das Schwere zu ignorieren, sondern es in etwas Leichtes zu verwandeln.«

AXEL HACKE lebt als Schriftsteller und Kolumnist des Süddeutsche Zeitung Magazins in München. Er gehört zu den bekanntesten Autoren Deutschlands, seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Für seine Arbeit wurde er u. a. mit dem Joseph-Roth-Preis, zwei Egon-Erwin-Kisch-Preisen, dem Theodor-Wolff-Preis und zuletzt dem Ben-Witter-Preis 2019 ausgezeichnet. Weitere Lebensläufe unter: www.axelhacke.de
Spiegel-Bestseller

1

Es ist damals etwas Seltsames passiert.

Ich ging morgens die vier Treppen in mein Büro hinauf, wo ich einen Artikel beginnen wollte, nahm also die erste Treppe, bog ein in die Kurve zur zweiten – da fiel mir plötzlich auf, dass mir etwas nicht mehr einfiel.

Worum es in diesem Artikel gehen sollte nämlich.

Das ist ja Wahnsinn, dachte ich, was ist mit mir los? Schlaganfall, Spontandemenz oder … Dings … Alzheimer? Ich murmelte meinen Namen vor mich hin, mein Geburtsdatum, die Lieblingsspeise meines Vaters, den Kilometerstand meines Autos, den Tabellenstand meines Fußballvereins. Alles da.

Nur …

Nein.

Ein alter Freund und Kollege hatte einige Wochen zuvor angerufen, mit sehr vertrauter Stimme, in der ich sofort das Freundliche und das Bittende erkannte, das gut Vorbereitete und das Anregende, weiterhin das Nervöse, aber auch das subtil Drängende und deshalb schwer Abzulehnende dessen, der mich gleich nach einem längeren, von mir noch zu verfassenden Text fragen würde, also: ob ich den schreiben könne.

Wahrscheinlich hätte ich wieder keine Zeit, sagte der Freund, der für eine sehr gute Zeitschrift arbeitet. Vermutlich würde ich es nicht machen. Er kenne mich lange und gut genug, um zu wissen, was in mir jetzt vorgehe: die Angst, mir zusätzliche, kaum zu schaffende Arbeit aufzuhalsen; die Furcht, dem Thema nicht gewachsen zu sein; meine Unfähigkeit, Nein zu sagen. Mit der er natürlich, ehrlich gesagt, ein bisschen kalkuliere, als Redakteur. Aber nicht als Freund.

Jedenfalls: Das Thema wolle er mir doch kurz erläutern.

Das tat er.

Und ich hatte zugesagt, schnell und aus einem plötzlichen Gefühl heraus, jenem nämlich, dass dieses Thema mehr mit mir zu tun hatte, als mir im Moment klar war. Und dass ich mich damit unbedingt beschäftigen sollte.

Es war ein Begriff, dachte ich, weiter die Treppe emporsteigend, ein bestimmtes Wort. Aber da, wo sich dieses Wort in meinem Bewusstsein befinden sollte, war einfach ein Loch. Und je länger und angestrengter ich versuchte, dieses Loch zu füllen, je mehr an Anstrengung und Energie ich hineinschaufelte, desto größer wurde es. Es nahm kraterhafte Ausmaße an, und in mir machte sich die Angst breit, nicht nur dieses Wort sei im Krater verschwunden, sondern nach und nach könnte mein ganzes Leben in diesen Schlund rutschen.

Ich nahm die dritte Treppe und die vierte, schloss mein Büro auf, ging zum Schreibtisch, klappte mein großes Notizbuch auf, in dem ich während der vergangenen Tage meine Gedanken zu dem Thema, das mir nicht mehr einfiel, notiert hatte.

Da lachte mir mein Begriff entgegen. Das Wort. Und wie schön es war!

Heiterkeit.

Ich dachte darüber nach, was mit mir los war. Ich hatte zwei mühsame Jahre hinter mir, Krankheiten und Unglücksfälle in der Familie, zwei Angehörige waren gestorben, ein Familienmitglied bei einem Unfall schwer verletzt worden. Die Pandemie und alle damit verbundenen Probleme. In kürzester Zeit hatte ich zwei Bücher und jede Woche eine Kolumne geschrieben, ein Dreivierteljahr ohne Urlaub und freie Wochenenden gearbeitet. Dann wieder viel unterwegs gewesen. Sorgen gemacht.

Mir schwirrte der Kopf.

Und jetzt sollte dieser Aufsatz kommen, dessen Thema nur oberflächlich betrachtet leicht und schwebend anmutete, in Wahrheit aber ein Grundthema meines Lebens und meiner Arbeit umfasste, die Lektüre einer Menge philosophischer Werke erforderte – und …

Der Stress blockiert dein Hirn, dachte ich. Die Angst.

Du solltest es nicht so wichtig nehmen, dachte ich weiter, schraub die Sache nach unten. Es ist nur ein Artikel, und wenn es nicht dein bester wird, auch egal. Das Leben besteht nicht aus den besten Artikeln.

Ich schloss mein Büro ab und machte einen Spaziergang auf dem Alten Südlichen Friedhof. Betrachtete die efeuumrankten, nur selten gut gepflegten, manchmal stark verwitterten, teilweise stark beschädigten Grabsteine all der Professoren und Brauereibesitzerwitwen, der Kolonialwarenhändlertöchter und Kunstmaler, der Kurzschrifterfinder und Oberbergräte, alles Menschen, die ihr Leben im 19. Jahrhundert geführt hatten, als dies der Zentralfriedhof meiner Stadt war.

Ich freute mich, dass es einmal einen bayerischen Regimentskommandeur der Infanterie gab, der tatsächlich Angstwurm hieß, Theodor Ritter von Angstwurm.

Ich setzte mich auf eine Bank und sagte mir, dass alles nicht so wichtig sei, nicht so wichtig, nicht so wichtig. Insbesondere der zu schreibende Text, sagte ich mir, sei nicht so wichtig.

Ich werde mich froh an die Spitze der mir zur Verfügung stehenden Wörter und Gedanken setzen, dachte ich weiter, und sie ins Feld führen wie einst Angstwurm seine Soldaten ins Gefecht …

Nein, nein, eben nicht!

Ich werde einfach schreiben.

Also ging ich wieder in mein Büro und arbeitete. Es ging plötzlich wieder. Ich schrieb den Artikel. Als er fertig war, arbeitete ich weiter und weiter, denn, wie gesagt, das Thema schien mir wichtig, für mein ganzes eigenes Leben, vielleicht sogar für das Leben vieler anderer und auch für die Zeit, die wir gerade alle zusammen hier verbringen.

Wenn ich das Wort heiter höre, denke ich immer zuerst daran, wie gerne ich ein heiterer Mensch wäre, gelassen, entspannt, leicht durch die Tage schwebend. Ich denke an den Neid, den ich empfinde, wenn ich Menschen begegne, die sich so im Leben bewegen.

Zweitens aber fällt mir stets eine Fernsehsendung ein, die in meiner Kindheit überaus beliebt war. Sie hieß Was bin ich? Ein heiteres Beruferaten.

Es handelte sich um ein Quiz. Vor einem Rateteam aus vier Leuten erschienen nacheinander drei Menschen, deren Berufe es herauszufinden galt. Die Gäste wurden von Robert Lembke, dem Moderator, begrüßt. Sie schrieben jeweils ihren Namen auf eine Tafel, kreuzten an, ob sie selbstständig oder angestellt waren, setzten sich. Lembke schlug einen Gong, woraufhin kurz der Beruf des jeweiligen Besuchers (sichtbar aber nur fürs Fernsehpublikum) eingeblendet wurde. Das ging von Friseur über Hausfrau bis zu einer seltsamen Tätigkeit, die, wenn ich mich recht entsinne, Bananenschnüffler hieß – ein Mann, der am Geruch den Reifegrad von Bananen erkennen konnte und auch musste, denn von seinem Wissen hingen große Bananenlieferungen ab. Es folgte eine für den Beruf typische, aber nicht wirklich verräterische Handbewegung.

Wie oft habe ich überlegt, welche die für meinen Beruf typische Handbewegung sein könnte! Ich bin zum Ergebnis gekommen, dass es jener hoffnungsvolle Move sein müsste, mit dem ich beide Hände hinter dem Kopf verschränke, um dann an die Decke zu starren.

Wo sich gelegentlich, wie durch ein Wunder, Gedanken offenbaren.

Oft aber auch nicht.

Lembke fragte die Gäste: Welches Schweinderl hätten S’ denn gern? Sie suchten sich eines der verfügbaren Sparschweine aus. Und es begann die Fragerunde, meistens mit Sätzen wie: Sind Sie mit der Herstellung oder Verteilung einer Ware beschäftigt? Könnte auch ich zu Ihnen kommen? Könnten Sie diesen Dienst an mir vollbringen?

Lautete die Antwort Ja, durfte der Fragende weitermachen, kam ein Nein, ging das Fragerecht an den Nächsten weiter. Lembke warf dann klappernd ein Fünf-Mark-Stück ins Schweinderl und klappte ein Nummernschild um, auf dem die Zahl der Neins verzeichnet war. Nach zehn Neins war Schluss – oder eben vorher, wenn der Beruf erraten war. Dies alles in großer Ruhe und ohne jedes künstliche Drama.

So ging das. Am Schluss setzten die Ratenden Masken auf, die ihre Augen verbanden. Ein Prominenter erschien, es ging beim Raten nun um seinen Namen. Er durfte kein Wort sprechen, denn mancher hätte ihn ja schon an der Stimme erkannt. Er nickte also nur dem Moderator zu. Oder schüttelte eben den Kopf.

In den besten Jahren lag die Einschaltquote bei 75 Prozent.

Es war heiter. Ich komme darauf zurück. Es ist ja dieser Begriff, um den es mir geht und der mich so interessiert.

Ich möchte ein heiterer Mensch sein. Manchmal gelingt mir das. Oft nicht. Es gibt Tage, an denen mir die Dinge leichtfallen und das Leben etwas Schwebendes hat. Es gibt andere Tage. Mit Sicherheit ist ihre Zahl größer. Und sind es nicht in den vergangenen Jahren mehr geworden?

Schade. Ich hätte es gern anders.

Das ist banal. Es geht vermutlich jedem so. Man möchte das Leben nicht als Last empfinden, natürlich nicht. Es ist aber nun mal oft schwer: Freunde werden krank, Angehörige sterben, man hat Geldsorgen und fürchtet sich. Die Pandemie und ihre Begleiterscheinungen haben bei vielen von uns ihre Spuren hinterlassen. Die zunehmende Hitze und Dürre der Sommer unserer vergangenen Jahre, dann wieder die Starkregenfälle waren furchterregend. Der Krieg.

Was soll nur werden?

Trotzdem möchte ich ein heiterer Mensch sein. Deswegen ja.

Was heißt das genau: ein heiterer Mensch? Was bedeutet es für uns alle? Und was für mich? Wie wird man so? Kann man überhaupt etwas dafür tun? Und wenn ja, was? Warum schreibe ich überhaupt man?

Was kann ich tun?

Wo sind die Hindernisse?

Und was habe ich vielleicht schon längst getan?

Heiterkeit ist mir ja nicht fremd. Ich kenne sie, in vielen Momenten, auch übrigens, was – nebenbei erwähnt – lustig ist, aus meinen eigenen Texten und meiner eigenen Arbeit.

Apropos.

Das Ehepaar K. schreibt mir, es habe 1995 im Standesamt etwas warten müssen, als das Aufgebot bestellt werden sollte....

Erscheint lt. Verlag 1.9.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Geisteswissenschaften
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Achtsamkeit • buch zum verschenken • Der kleine König Dezember • Die Tage, die ich mit Gott verbrachte • Ein Haus für viele Sommer • fröhlich • Fußballgefühle • Geschenk • Gesellschaft • Glück • Humor • Lebensfreude • Lebensphilosophie • Oberst von Huhn bittet zu Tisch • Selbstfürsorge • Sinnfindung • Süddeutsche Magazin • Süddeutsche Zeitung • Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen • witzig • Wozu wir da sind. Walter Wemuts Handreichungen für ein gelungenes Leben • Wumbaba • Zusammenleben
ISBN-10 3-8321-6070-1 / 3832160701
ISBN-13 978-3-8321-6070-8 / 9783832160708
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