Diktatur im Wandel (eBook)

Eine Geschichte der DDR in Quellen
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
448 Seiten
Verlag Herder GmbH
978-3-451-83191-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Diktatur im Wandel -  Markus Mirschel,  Samuel Kunze
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Dieses Buch erzählt die Geschichte der DDR anhand ihrer sich wandelnden repressiven Mechanismen. Von der Staatsgründung im Jahr 1949 bis zu ihrem für viele Zeitzeugen überraschenden Zusammenbruch 1989/90 durchlief die DDR stetig Neuorientierungen sowie von oben nach unten weitergereichte Reglementierungen. Im Spannungsfeld zwischen Herrschaftsdurchsetzung, -etablierung und -sicherung bewies die DDR dabei eine erstaunliche Langlebigkeit. Aus Quellen gearbeitet erzählen Dr. Markus Mirschel und Samuel Kunze von persönlichen Schicksalen, normativen Vorgaben durch die Staats- und Parteiführung sowie von Anpassungsprozessen innerhalb der Sicherheitsorgane der DDR während der 40-jährigen Geschichte der zweiten Diktatur auf deutschem Boden.

Markus Mirschel, Dr. phil., studierte Geschichts- und Politikwissenschaften an der Universität Potsdam. Seine Dissertation zur strategischen Bildnutzung während der Zeit des sowjetisch-afghanischen Krieges fertigte er an der Universität Zürich - sie erschien 2019. Nach einer Zwischenstation an der Ludwig-Maximilians-Universität München ist er Mitarbeiter im vom BMBF geförderten Forschungsverbund 'Landschaften der Verfolgung' an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Markus Mirschel, Dr. phil., studierte Geschichts- und Politikwissenschaften an der Universität Potsdam. Seine Dissertation zur strategischen Bildnutzung während der Zeit des sowjetisch-afghanischen Krieges fertigte er an der Universität Zürich – sie erschien 2019. Nach einer Zwischenstation an der Ludwig-Maximilians-Universität München ist er Mitarbeiter im vom BMBF geförderten Forschungsverbund "Landschaften der Verfolgung" an der Humboldt-Universität zu Berlin. Samuel Kunze studierte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Geschichte und Politikwissenschaft und schloss das Studium in Jena 2018 mit einem Master of Arts in Neuerer Geschichte ab. Von 2015–2016 absolvierte er einen Masterstudiengang in Holocaust Studies an der University of Haifa, Israel. Seit Januar 2019 ist er Mitarbeiter im vom BMBF geförderten Forschungsverbund "Landschaften der Verfolgung" an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Einleitung


In den frühen 1950er Jahren wurden vom SED-Regime definierte „Feinde des Sozialismus“ nach inszenierten Schauprozessen noch zu drakonischen Strafen verurteilt und teils in sowjetische Lager nach Sibirien verbracht. Nur wenige Jahre später ging es für die vermeintlichen Delinquenten zur „Bewährung in der Produktion“. In der Lausitz förderten sie unter schwierigsten Bedingungen Braunkohle für die Energieversorgung der Republik und im thüringischen Unterwellenborn arbeiteten sie im Dreischichtsystem in der Stahlproduktion am „Aufbau des Sozialismus“. Wo die Deutsche Volkspolizei (VP) und das nach sowjetischem Vorbild am 8. Februar 1950 gegründete Ministerium für Staatssicherheit (MfS) anfangs verbreitet zu körperlicher und sichtbarer Gewalt griffen, entwickelten sie in den folgenden Jahrzehnten ein differenziertes Instrumentarium an verdeckt repressiven Mitteln und Methoden des Vorgehens gegen den „Klassenfeind“. In unterschiedlicher Art und Weise wurden so die repressiven Mittel zur Durchsetzung der SED-Politik eingesetzt. Sie verweisen (wie zu zeigen sein wird) auf die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Durch Willkür oder systematisch gesteuerte (Des-)Informationen, durch die offene Kontrolle oder die verdeckte Beobachtung aller Lebensbereiche sorgte die Geheimpolizei im Auftrag der Staatspartei für Beklommenheit und Unsicherheit in Bezug auf ihre nächsten Schritte. Die bewusst herbeigeführte Unkalkulierbarkeit nachfolgender repressiver Maßnahmen sowie das Unwissen der Betroffenen gegenüber den von der Geheimpolizei eingesetzten Mitteln bildeten dabei wirkmächtige Ressourcen der staatlichen Repression. Vorbeugend sollte ein „Einwirken konterrevolutionärer Kräfte“ aus dem Ausland verhindert und das Aufkommen und die Äußerung kritischer Gedanken in der DDR unterbunden werden. Nonkonforme Menschen sollten so in die Konformität gepresst werden, wurden in die innere Immigration gezwungen oder versuchten, ihre Heimat zu verlassen.

Zur Entwicklung der Repressionsgeschichte gehört aber auch, dass die betroffenen DDR-Bürger zunehmend Erfahrungen im Umgang mit staatlichen und geheimdienstlichen Behörden sammelten. In Prag oder Budapest traf man sich mit der Verwandtschaft oder geflüchteten Freunden aus der Bundesrepublik. Kritische Geister fanden unter dem Dach der Kirche oder in der Anonymität der Kleingärten Freiräume zur Diskussion. Oppositionelle, die auf den Beobachtungslisten des MfS standen, entwickelten Strategien, der Observation durch Finten oder Ablenkungen zu entgehen. Eine Repressionsgeschichte ist stets auch eine Geschichte des Widerstandes bzw. der Opposition.

Vor dem Hintergrund gegenwärtiger Entwicklungen erscheint dieser Umstand ermutigend. Politische Repression ist auch im 21. Jahrhundert kein Auslaufmodell; kommt sie zur Anwendung, dann stützt sie sich auf Methoden der Vergangenheit und erweitert die Mittel um die aktuellen Möglichkeiten. In der Konsequenz einer politischen und gesellschaftlichen Transformation nach 1991 sind es paradoxerweise gerade auch die Staaten des ehemaligen „Ostblocks“, in welchen der Wert der einst erstrittenen Freiheit erneut infrage gestellt wird – und im Falle der Russischen Föderation zugunsten der Repression und eines geführten Angriffskrieges beantwortet wurde. Doch verweist die historische Erfahrung darauf, dass liberale Impulse zur Veränderung weiterhin stärker aus der Zivilgesellschaft selbst erwachsen, als von Regierungen initiiert werden.

Diese Entwicklungen bringen die Geschichte, die in diesem Buch erzählt wird, auf den Punkt: Die Abhandlung beleuchtet die Entstehung, die Entfaltung und den sich wandelnden Charakter des Repressionsregimes in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR zwischen 1945 und 1989. Als eine „Erzählung in Quellen“ verfolgt es einen zeitlich und thematisch übergreifenden Ansatz und bildet die Repressionslandschaft im SED-Staat und die Erfahrungen ihrer Bürger in verschiedenen Facetten paradigmatisch ab. Das Buch stellt keine wissenschaftliche Untersuchung im engeren Sinne dar, sondern zielt auf eine grundlegende Wissensvermittlung sowie auf eine Förderung des Verständnisses zeitgenössischer Zusammenhänge ab. Im Zentrum stehen Fragen danach, wie sich die staatlichen Zwangs-, Straf- und Disziplinierungsmaßnahmen über die Jahre in ihren Zielen und Ausprägungen veränderten und wie sie von den Betroffenen wahrgenommen und eingeordnet wurden. Welche das Regime stabilisierende Kontinuitäten sicherten das Fortbestehen der DDR über Jahrzehnte hinweg ab? Welche Prioritäten setzten die Machthaber etwa bei der Durchsetzung ihrer Ziele, die anfänglich noch stark durch die Vorgaben aus Moskau geprägt waren? Wer waren die entscheidenden Protagonisten und welche Institutionen oder Entwicklungen waren grundlegend in der Vorgabe und der Durchsetzung repressiver Strategien? Welche Möglichkeiten wiederum standen den Repressierten zur Verfügung, ihren Unmut kundzutun und somit ihren individuellen Vorstellungen Raum zu geben?

Eine Geschichte der Repression kann nicht ohne die Erfahrungen und Bemühungen der Betroffenen geschrieben werden. Tausende gerieten in den jeweiligen Phasen der SED-Herrschaftsausübung in den Fokus der Geheimpolizei und Justiz. Politische Aktivisten der frühen Jahre, Ausreisewillige, Zeugen Jehovas oder Punks lehnten mit ihren Lebensentwürfen die gesellschaftliche Umgestaltung unter Federführung der SED sowie den Alltag in der DDR teils kategorisch ab. Andere, wie der Dissident Robert Havemann, forderten verhältnismäßig früh eine umfassende Reform der DDR, ohne das sozialistische Modell abschaffen zu wollen. Die Ausgrenzung aus der Mehrheitsgesellschaft war der Preis, den diese Menschen für ihre Individualität sowie ihr dissidentisches Engagement zahlten. Unabhängiges und nonkonformes Verhalten gegenüber einem zentralistisch durchgesetzten und stark von ideologischen Dogmen geprägten Herrschaftsstil des SED-Regimes – sei es als persönliche Verweigerung, als politischer Dissens oder in Form zunehmender Oppositionstätigkeit eines Teils der ostdeutschen Gesellschaft – ist somit ebenso ein prägendes Merkmal der DDR-Geschichte wie die Absicherung des „sozialistischen Weges“ durch den Einsatz repressiver Mittel.

In diesem Buch soll darüber hinaus aufgezeigt werden, wie die von den Herrschenden ins Werk gesetzte Politik an der verweigerten Unterordnung einzelner Menschen scheiterte. Besonders die letzten beiden Jahrzehnte waren durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Modernisierungsdefizite vonseiten der Partei- und Staatsorgane geprägt. Diese beförderten subkulturelle Milieus, die von den DDR-Bürgern als Rückzugsorte, aber auch als Orte des Austausches genutzt werden konnten. Somit lautet eine der in diesem Buch verhandelten Thesen, dass sich die Lebenspraxis der Menschen und ihre Erfahrung mit der Anwendung repressiver Mittel zur Herrschaftsdurchsetzung, -etablierung und -sicherung zu einem erlernten Umgang damit weiterentwickelten. Aber woraus speiste sich das Wissen der Bürger um die Repressionsmechanismen des Regimes? Wie vermochten es Gegner und Kritiker des SED-Staates, eine Routine der Vorsicht zu entwickeln, und wo waren ihnen Grenzen gesetzt?

Ferner soll verdeutlicht werden, dass auch die Mittel der Diktatur in der DDR aufgrund wirtschaftlicher Faktoren, ihrer Lage als „Frontstaat“ im Kalten Krieg, der historisch bedingt starken Position der Kirche (besonders der evangelischen) sowie des autonomen Engagements Einzelner oder kleiner Gruppen zunehmend limitiert waren.

Eine Repressionsgeschichte der DDR mit Fokus auf zentrale Ereignisse zu erzählen, birgt die Gefahr, das Geschehene alleinig anhand einiger Zäsuren einzuordnen. Erzählungen dieser Art können nur unvollständig sein: Wo der Moment dominiert, drohen die oft langen Vor- und Folgegeschichten aus dem Blick zu geraten. So wichtig „(symbolträchtige) Schlüsseldaten“1 auch gerade für die Erinnerungskultur sind, reduzieren sie doch Geschichte in ihrer Komplexität. Ereignisse wie der Aufstand vom 17. Juni 1953, der Mauerbau 1961 oder der 9. November 1989 finden hier zwar ihren Platz, werden aber zu Bestandteilen einer übergreifenden Darstellung. Entlang von vier zentralen Themenfeldern wird die politische Verfolgung im SED-Regime eingeordnet. Die Voraussetzungen und Grundgedanken zu sogenannten Zersetzungsmaßnahmen – wie sie prägend in der MfS-Richtlinie 1/76 von 1976 als Werkzeug der Geheimpolizei umfassend dargelegt wurden – hatten ihren Ursprung schon in den 1960er Jahren. Die geheimpolizeilich abgeleitete „Notwendigkeit“, auf Zersetzung als Methode zurückzugreifen, basierte wiederum auf dem Wunsch nach internationaler Anerkennung der DDR-Staatlichkeit, einem die Phasen und Zäsuren übergreifenden Anliegen des SED-Regimes. Die Entwicklungen sind demnach nicht separat zu betrachten – vielmehr laufen sie ineinander und bedingen sich gegenseitig. So ist es das Ziel dieses Buches, nach Ursachen und Konsequenzen von politischen Entscheidungen zu fragen. Im Fokus steht die Repression als Werkzeug zur Errichtung, Konsolidierung und Stabilisierung des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden.

Der sich verändernde Herrschaftsstil der DDR-Machthaber bildet hierbei einen roten Faden und bindet das Erzählte in einen chronologischen und thematischen Rahmen ein. Dem stark willkürlich sowie gewaltsamen Auftreten der Staats- und Parteiorgane zum Zweck des Umbaus der Gesellschaft in den 1950er Jahren folgte ein euphorischer Stil des Anpackens. Auch wenn die 1960er Jahre durch einen...

Erscheint lt. Verlag 6.11.2023
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte Zeitgeschichte
Schlagworte DDR • Diktatur • Justiz • Staatssicherheit • Stasi • Totalitarismus • Überwachung • Unterdrückung • Widerstand
ISBN-10 3-451-83191-0 / 3451831910
ISBN-13 978-3-451-83191-1 / 9783451831911
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