Machtmissbrauch im pastoralen Dienst (eBook)

Erfahrungen von Gemeinde- und Pastoralreferent:innen
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
224 Seiten
Verlag Herder GmbH
978-3-451-83854-5 (ISBN)

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Machtmissbrauch im pastoralen Dienst -
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Gemeinde- und Pastoralreferent:innen sind als pastorale Profis in der klerikal-hierarchischen Männerkirche strukturell zweitrangig. Viele erleben eine Missachtung ihrer Arbeitnehmer:innenrechte, manche erzählen von sexuellen Übergriffen, andere von spirituellem Missbrauch - so die alarmierenden Ergebnisse einer bundesweiten Umfrage des Gemeindereferent:innen-Bundesverbandes von 2022, die in diesem Buch vorgestellt werden. In einem weiteren Teil kommen Betroffene von Machtmissbrauch im pastoralen Dienst ausführlich zu Wort. Sie sprechen öffentlich aus, was sonst nur im kollegial-vertrauten Kreis erzählt wird. Vertiefende Reflexionen von Fachpersonen aus Personalführung, Organisationsentwicklung, Psychiatrie, Kirchenrecht und Theologie runden den Band ab.

Regina Nagel, geb. 1961, Gemeindereferentin und Wirtschaftspsychologin B.A., ist Vorsitzende des Gemeindereferent*innen-Bundesverbands. Seit fast 20 Jahren ist sie im Vorstand und seit ca. 10 Jahren verantwortliche Redakteurin der Verbandszeitschrift 'das magazin'. Als Gemeindereferentin in der Diözese Rottenburg-Stuttgart war sie seit 1998 in verschiedenen Ämtern im Bereich Mitarbeitervertretung (MAV) und Kirchliche Arbeitsvertragsordnung (KODA) engagiert, u.a. als Vorsitzende der MAV für Gemeinde- und Pastoralreferent*innen. Sie hat Zusatzqualifikationen in u.a. Mediation und Organisationsentwicklung und ist Mitglied des Synodalen Wegs. Hubertus Lürbke, geb. 1961, Gemeindereferent, ist seit 11 Jahren im Vorstand des Gemeindereferent*innen-Bundesverbands; seit 9 Jahren als Vorsitzender. Er ist seit 27 Jahren als Gemeindereferent im Erzbistum Hamburg tätig; dort war er zunächst einige Jahre Vorsitzender des diözesanen Berufsverbandes; 2008 wurde er erstmals in die Mitarbeitervertretung (MAV) für pastorale Dienste im Erzbistum Hamburg gewählt. Er lebt in Eutin und ist seit über 20 Jahren als Notfallseelsorger in der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) im Kreis Ostholstein aktiv. Als Mitglied des Synodalen Wegs engagiert er sich für die Kirchenreform.

Regina Nagel, geb. 1961, Gemeindereferentin und Wirtschaftspsychologin B.A., ist Vorsitzende des Gemeindereferent*innen-Bundesverbands. Seit fast 20 Jahren ist sie im Vorstand und seit ca. 10 Jahren verantwortliche Redakteurin der Verbandszeitschrift "das magazin". Als Gemeindereferentin in der Diözese Rottenburg-Stuttgart war sie seit 1998 in verschiedenen Ämtern im Bereich Mitarbeitervertretung (MAV) und Kirchliche Arbeitsvertragsordnung (KODA) engagiert, u.a. als Vorsitzende der MAV für Gemeinde- und Pastoralreferent*innen. Sie hat Zusatzqualifikationen in u.a. Mediation und Organisationsentwicklung und ist Mitglied des Synodalen Wegs. Hubertus Lürbke, geb. 1961, Gemeindereferent, ist seit 11 Jahren im Vorstand des Gemeindereferent*innen-Bundesverbands; seit 9 Jahren als Vorsitzender. Er ist seit 27 Jahren als Gemeindereferent im Erzbistum Hamburg tätig; dort war er zunächst einige Jahre Vorsitzender des diözesanen Berufsverbandes; 2008 wurde er erstmals in die Mitarbeitervertretung (MAV) für pastorale Dienste im Erzbistum Hamburg gewählt. Er lebt in Eutin und ist seit über 20 Jahren als Notfallseelsorger in der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) im Kreis Ostholstein aktiv. Als Mitglied des Synodalen Wegs engagiert er sich für die Kirchenreform.

Kapitel 1


Einführung


„Missbrauch von Macht steckt in der DNA der Kirche.“ Dieses Zitat von Bischof Heiner Wilmer stammt aus einem Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger im Dezember 2018. Im März 2019 wurde das Zitat zum Leitthema der Bundesversammlung des Gemeindereferent*innen-Bundesverbands (GRBV). An diesem Wochenende im März kam der Bundesvorstand mit den Delegierten der Bistumsverbände über ihre Einstellung zu ihrem Beruf ins Gespräch. Es ging dabei um folgende Themen: „Was ist uns in unserem Beruf wichtig? Was tun wir gerne? Worunter leiden wir?“ Eine Frage auf einer Stellwand lautete: „Warum arbeite ich eigentlich noch in diesem Beruf bzw. in der Kirche?“ Manche der Teilnehmenden schrieben schlicht: „Weil ich damit meinen Lebensunterhalt verdiene.“ Es war ein ehrlicher Austausch darüber, wie schwer es vielen fällt, systemerhaltend in einer Organisation zu arbeiten, die so viel Schaden anrichtet. Der eine oder die andere sagte, dass mit Renteneintritt ein Kirchenaustritt durchaus zu überlegen sei. Was den „Schaden“ anbelangt, war auf das System hin vor allem die männlich-zölibatär-hierarchische Struktur im Blick sowie das Thema „sexueller Missbrauch und sexualisierte Gewalt“ und die damit einhergehende Vertuschung. Darüber hinaus ging es auch darum, was die einzelnen Kolleg*innen selbst an Abwertung, mangelnder Wertschätzung und Übergriffigkeiten im Beruf erleben. Das, was damals im kleinen Kreis beraten wurde, erfuhr in der weiteren Verbandsarbeit eine Vertiefung, führte dann zur bundesweiten Umfrage „Erfahrungen mit Machtmissbrauch im pastoralen Beruf“ und schließlich zu diesem Buch.

1.1 Wozu dieses Buch?


Dieses Buch ist nicht die erste Veröffentlichung zum Thema „Machtmissbrauch in der katholischen Kirche.“1 Kritik an Machtmissbrauch im System Kirche insgesamt oder durch einzelne Gruppierungen oder Personen gibt es schon lange. „Kleriker, Psychogramm eines Ideals“ von Eugen Drewermann war 1990 für 30Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste. Anfang der 1990er-Jahre erschien „Hinter der Schwelle – ein Leben im Opus Dei“ von Maria del Carmen Tapia. Der Journalist Peter Hertel analysierte vor über 20 Jahren in „Glaubenswächter. Katholische Traditionalisten im deutschsprachigen Raum“ vor allem sogenannte „neue geistliche Bewegungen“. Hubertus Czernin beschrieb in „Das Buch Groer“ einen der erschreckendsten Missbrauchs- und Vertuschungsfälle in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Aufgegriffen wurde dieser Fall 2020 von Petra Morsbach in ihrem Buch „Der Elefant im Zimmer – Über Machtmissbrauch und Widerstand“. Sie geht darin der Frage nach, warum Machtmissbrauch vertuscht wird, und ermutigt zum Widerstand. Eine Frau, die durch ihren Mut, ihre Geschichte zu veröffentlichen, sehr viel in Bewegung gebracht hat, ist Doris Reisinger. Ihre ersten Bücher handeln von ihren persönlichen Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt und geistlichem Missbrauch in der katholischen Gemeinschaft „Das Werk“. In weiteren Veröffentlichungen zeigt sie immer schonungsloser das Machtmissbrauchssystem der römisch-katholischen Kirche auf. Wie wichtig „Erzählen als Widerstand“ist, zeigt sich durch das gleichnamige Buch, 2020 herausgegeben von Barbara Haslbeck, Regina Heyder, Ute Leimgruber und Dorothee Sandherr-Klempp. Darin berichten 23 Frauen über ihre Erfahrungen mit Missbrauch im Erwachsenenalter. Ergänzt werden die Berichte durch wissenschaftliche Essays.

Der Fokus „Frauen in der Kirche“, zu dem dieses Buch ebenfalls einen Beitrag leisten will, ist in den letzten Jahren wieder stärker in der Diskussion. Einen wichtigen Anstoß dazu hat das Buch „Weiberaufstand“ von Christiane Florin gegeben (2017), und in Ergänzung zur bisherigen Arbeit der Frauenverbände gelingt es der Bewegung Maria 2.0 seit Mai 2019, öffentlichkeitswirksam Kritik zu äußern und Forderungen zu stellen. 2022 sind weitere Bücher mit unterschiedlichen Ansätzen erschienen: Z. B. erzählt Johanna Beck in „Mach neu, was dich kaputt macht“ von ihren Missbrauchserfahrungen als Kind und Jugendliche in der Katholischen Pfadfinderschaft Europas (KPE). Mit Wolfgang F. Rothe ist ein Priester mit seinen Missbrauchserfahrungen an die Öffentlichkeit gegangen (Missbrauchte Kirche, 2021). In „Heillose Macht“ erzählen 50 Betroffene aus einem weiten Spektrum von zum Teil beruflich oder auch ehrenamtlich tätigen Katholik*innen über Erfahrungen, die sie als Machtmissbrauch erlebt haben. Herausgegeben wurde dieses Buch von Thomas Hanstein, Hiltrud Schönheit und Peter Schönheit. In „Die Betroffenen“ (2022) zeigt der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Martin Flesch, ein Spektrum von Leidensräumen auf und nimmt Täterpersönlichkeiten und Betroffene analytisch in den Blick. Herbert Haslinger beginnt sein Buch „Macht in der Kirche“ mit persönlichen Erfahrungen und erläutert dann sehr detailliert die Zusammenhänge der Machtstrukturen in der Kirche.

Ist nicht längst alles gesagt? Angesichts der Vielzahl der Veröffentlichungen drängt sich die Frage auf, was das Besondere an diesem Buchprojekt ist. Der Unterschied zu den genannten Veröffentlichungen liegt darin, dass die Initiative zu diesem Buch von einem Berufsverband von Beschäftigten ausgeht, die im Kernbereich der katholischen Kirche, in der pastoralen Arbeit, tätig sind. Hinter der Umfrage und dem damit verbundenen Buchprojekt steht der einstimmige Beschluss der Bundesversammlung der Delegierten der Diözesanverbände, in denen Gemeindereferent*innen organisiert sind. Die Realisierung dieses Beschlusses wurde vor allem ermöglicht durch die Beteiligung von über 900 Gemeinde- und Pastoralreferent*innen, die sich auf diese Umfrage eingelassen haben.

Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Kolleg*innen, die zu Wort kommen, bis heute im pastoralen Beruf tätig. Befragt wurden ganz gezielt Hauptberufliche im pastoralen Dienst ohne Weiheamt. Der größte Anteil der Antworten stammt von Gemeinde- und Pastoralreferent*innen. Es gab Anfragen, ob sich auch Diakone beteiligen dürften, da viele von ihnen ebenfalls unter Machtmissbrauch leiden. Der Vorstand des Bundesverbandes ist bei der Entscheidung geblieben, nur Nichtgeweihte zu befragen, obwohl bekannt ist, dass sowohl Diakone als auch Priester sehr belastet sind – persönlich und /oder dadurch, dass sie in besonderer Weise als Vertreter des Systems Kirche wahrgenommen werden.

Im Austausch mit Mitarbeiter*innen in anderen Tätigkeiten im Bereich Kirche zeigt sich ebenfalls, dass es auch unter diesen Personen gibt, die sich schwer damit tun, einen katholisch-kirchlichen Arbeitgeber zu haben. Nicht nur der Fachkräftemangel erschwert die Besetzung von Stellen in unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen. Potenzielle Bewerber*innen überlegen durchaus, ob sie sich auf die Arbeitgeberin Kirche und damit verbundenen Loyalitätspflichten einlassen möchten.

Auch wenn manche Ergebnisse, die in Kapitel 2 und 3 dokumentiert werden, sehr viel Kritik vor allem an Priestern in ihrer Dienstvorgesetztenrolle aufzeigen: Es geht in der Umfrage und ihrer Auswertung nicht um Schwarzweißmalerei im Sinn von: böse Priester – gute Lai*innen. Auch Männer und Frauen ohne Weiheamt können zu Täter*innen werden. Und es gibt Priester, die selbst betroffen sind von Machtmissbrauch und/oder die sich fragen, ob und wie lange sie noch Priester sein können und wollen. Manche davon unterstützen Reformideen, manche glauben nicht mehr an Reformen innerhalb der katholischen Kirche. Völlig unabhängig von Beruf und „Stand“ möchte der Bundesverband der Gemeindereferent*innen solidarisch sein mit allen, die unter Machtmissbrauch leiden und mit denen, die sich dem entgegenstellen.

1.2 Entstehung pastoraler Lai*innenberufe in Deutschland2


„Es mag eine Seelsorge geben ohne Seelsorgehilfe, nie aber könnte eine gesunde Seelsorgehilfe bestehen ohne Seelsorge, ohne Unterordnung und Leitung durch die gottgewollten Träger des Lehr-, Priester- und Hirtenamts.“3 So schrieb Pfarrer Wilhelm Wiesen 1926 und zieht damit eine Grenze zwischen Profis in der Seelsorge, die bis heute besteht. Zusammen mit Margarethe Ruckmich spielte er eine entscheidende Rolle bei der Entstehung des Berufs der Gemeindebzw. Seelsorgehelferin. Bereits 1925 erschien im Caritasverlag Freiburg das Buch „Die katholische Gemeindehelferin“, geschrieben von M. Ruckmich unter dem Pseudonym Maura Philippi. Die Notwendigkeit eines caritativ-seelsorglichen Berufs wurde seit Beginn des 20. Jahrhunderts bei Caritastagungen thematisiert. Die ersten Kurse fanden 1919 und 1920 statt und wurden vor allem von Lehrerinnen bzw. arbeitslosen Akademikerinnen absolviert. Eine erste Idee, Männer für diese Tätigkeit zu finden, wurde rasch verworfen. Frauen schienen geeigneter dafür zu sein, in einer Zeit des Umbruchs, beeinflusst von Krieg, Säkularisierung und zunehmendem Großstadtleben, Pfarrer in der Seelsorge zu unterstützen. Die Pionierinnen des Berufs gestalteten die Berufsrolle selbst. Schwerpunkt der Tätigkeit waren Hausbesuche.

Die Frauen lebten meist in einem oft sehr...

Erscheint lt. Verlag 12.6.2023
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte Frauen in der Kirche • Führungskultur • Gemeindereferenten • Katholische Ämter • Kirchliches Arbeitsrecht • Klerikalismus • Laientheologen • Machtmissbrauch • Pastoralreferent • Spiritueller Missbrauch
ISBN-10 3-451-83854-0 / 3451838540
ISBN-13 978-3-451-83854-5 / 9783451838545
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