Formbarkeit von Globalisierung -  Bastian Linneweh-Kaçmaz

Formbarkeit von Globalisierung (eBook)

Kautschuk, Warenketten und Marktinterventionen (1900-1965)
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
568 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45415-3 (ISBN)
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Der Handel mit Kautschuk nahm in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts globale Dimensionen an. Zu Gummiprodukten weiterverarbeitet, hat dieser exotische Rohstoff eine enorme Bedeutung für moderne Gesellschaften und besitzt damit einen hohen strategischen Wert. Diese Studie befasst sich erstmals intensiv mit dem Wandel globaler Rohstoffmärkte in der Zwischenkriegszeit und stellt gängige Vorstellungen von De-Globalisierungsprozessen zur Diskussion: Langfristig führte im Wettstreit um die Versorgungssicherheit nicht autarkes Gedankengut zur Lösung, sondern die internationale Kooperation und Zusammenarbeit.

Bastian Linneweh-Kacmaz, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Göttingen.

Bastian Linneweh-Kacmaz, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Göttingen.

Einleitung


Das Konzept der Globalisierung schien wie kaum ein anderes Paradigma die Entwicklung der Welt im beginnenden 21. Jahrhundert erklären zu können. Doch der Glaube an die ständig zunehmende Integration globaler Märkte, an die kulturelle Homogenisierung und allgegenwärtige Kommunikation bekam bereits mit der Finanzkrise von 2008 erste Risse. Seitdem sind Experten unsicher, ob sich die Globalisierung weiter fortsetzen werde oder sich bereits ein Zeitalter der »De-Globalisierung« am Horizont abzeichne.1 Mit der weltweiten Covid-Pandemie und den Sanktionen gegenüber Russland nach der Invasion der Ukraine hat sich diese Sichtweise verhärtet, und in immer mehr Artikeln wird von einem »Ende der Globalisierung« gesprochen.2

Die Abhängigkeit und Verwundbarkeit von globalen Lieferketten, die Verbraucher anhand der steigenden Inflation und an den Energiepreisen spüren, führen aber auch in der Politik zu einer neuen Bewertung von Globalisierung. Schnell verstärkten sich daher die Debatten um die Renationalisierung wichtiger Produktionszweige.3 Daten spiegeln diese Entwicklung ebenfalls wider. Der Handel zwischen den Kontinenten, der in den 2010er Jahren bereits zunehmend stagnierte, ging nun massiv zurück.4 Dennoch bleibt die Frage offen, ob und wie sich die Globalität der Welt in den folgenden Jahren verändern wird.

In der gesamten Diskussion bleibt dabei der Begriff der »De-Globalisierung« überaus schwammig. Obwohl besonders ökonomische Faktoren als Indikatoren für das Ende der Globalisierung genutzt werden, kommt politischen Maßnahmen mittlerweile eine ebenso große Bedeutung zu. Diese zielen und zielten aber nicht unbedingt auf ein Ende globaler Verflechtungen ab. Stattdessen kämpften viele Politiker5 um Kontrolle in der globalisierten Welt.6 Ein zentrales Ziel politischer Maßnahmen lag in der Steuerung von Wertschöpfungsketten. Ein zuvor unbekanntes Maß an globalem Wettbewerb beschleunigte die Globalisierung seit den 1980er Jahren und revolutionierte die Strukturen in zahlreichen Branchen. Unternehmen nutzten Standortvorteile in der ganzen Welt, um Kosten zu sparen. Politische Eingriffe in Wertschöpfungsketten, wie sie beispielsweise der US-Präsident Donald Trump in seiner Amtszeit mit der Verhängung von Strafzöllen umsetzte, sollten diesen Wettbewerb aufhalten und inländische Akteure stärken.7 In der EU dagegen suchen die Mitgliedsländer gegenwärtig nach Möglichkeiten, sich vom russischen Gas zu lösen, und versuchen dafür ebenfalls die Wertschöpfungsketten umzulenken.8

Politische Entscheidungen bestimmen damit über die Zukunft der Globalisierung. Eingriffe in die globale Wirtschaft sind aber keine grundsätzlich neue Erscheinung des 21. Jahrhunderts. In der Zwischenkriegszeit waren Diskussionen gerade über Abhängigkeiten zentraler Rohstoffe ebenso präsent. Einer dieser Rohstoffe war Kautschuk. Ursprünglich aus wildwachsenden Pflanzen und Bäumen in Lateinamerika und dem tropischen Afrika gewonnen, hatte sich Südostasien mit einer von britischem Kapital dominierten Plantagenindustrie zum Produktionszentrum entwickelt. Schnell bemerkten viele industrialisierte Nationen ihre Abhängigkeit von dem Stoff, allen voran die USA mit ihrer expandierenden Automobilindustrie. Forderungen nach einem rubber nationalism unter dem Motto »America should grow its own rubber« infolge britischer Marktrestriktionen setzten sich jedoch nicht durch, da die Unternehmen weiterhin auf die Wohlfahrtsgewinne aus der globalen Arbeitsteilung setzten.9 Im Zweiten Weltkrieg musste US-Präsident Franklin D. Roosevelt nach der japanischen Besetzung Südostasien einsehen, dass »[…] modern wars cannot be won without rubber«.10 Öffentlich rief er seine Landleute dazu auf, Kautschuk einzusparen und den Verbrauch zu senken. Den staatlichen Planern in Deutschland war die Abhängigkeit von Kautschuk bereits im Ersten Weltkrieg aufgefallen, und so stellte der Rohstoff im NS-Staat einen zentralen Faktor für die propagierte Autarkie dar. Das Deutsche Reich zählte zu einem Vorreiter in der Entwicklung des synthetischen Kautschuks und subventionierte eine neue Wertschöpfungskette, um sich vom globalen Markt zu lösen.11

Anhand dieser kurzen Episode wird bereits deutlich, wie stark die Zwischenkriegszeit von diesen Konflikten um Versorgungssicherheit und Wohlfahrtsgewinne in globalen Märkten gekennzeichnet war. Dennoch bleiben einige Fragen offen: Zu welchen Ergebnissen haben diese Eingriffe in den globalen Markt geführt? Welche Praktiken nutzten Akteure, um Kontrolle in den Wertschöpfungsketten auszuüben, und welchen Einfluss hatte dies wiederum auf die Globalisierung? Folgte auf staatliche Interventionen stets eine Phase nachlassender globaler Kräfte, wie heutige Medien suggerieren, oder stabilisierten die Auseinandersetzungen sogar globale Verflechtungen? Das vorliegende Buch nähert sich diesen Fragen anhand der Veränderungen der Wertschöpfungsketten am konkreten Gegenstand des globalen Markts für Kautschuk.

Ausgehend von den historischen Erklärungsmodellen der Globalisierung werden im folgenden Abschnitt zunächst die bisherigen theoretischen Erkenntnisse über eine Trennung zwischen Globalisierung und »De-Globalisierung« wiedergegeben. Im darauffolgenden Abschnitt wird der methodische Zugriff auf den globalen Markt als Untersuchungsgegenstand über die Analyse von Waren- und Wertschöpfungsketten begründet. Der dritte Abschnitt setzt sich genauer mit dem Fallbeispiel Kautschuk auseinander, bevor abschließend die Gliederung der Studie erläutert wird.

Globalisierung und De-Globalisierung in historischer Perspektive

Globalisierung bleibt selbst nach Jahrzehnten intensiver Debatten in unterschiedlichsten Disziplinen ein höchst umstrittener Begriff. Soziologen begannen in den 1980er Jahren mit diesem Wort, ein neues Zeitalter zu beschreiben.12 Die zunehmenden Verflechtungen mittels Telekommunikation und Containerisierung sowie die steigende Macht multinationaler Konzerne waren Ausdruck dieser neuen Epoche. Dabei prognostizierten viele soziologische Studien das Ende von Nationalstaaten. Diese würden zusehends an Macht verlieren, da sich Konzerne ihrem Zugriff entzögen. Gleichzeitig führe der Einfluss der Unternehmen zu einer kulturellen Vereinheitlichung der Welt. Begleitet werde diese Veränderung von einem technologischen Fortschritt, der die Kompression von Raum und Zeit verstärke und das Leben aller Menschen beeinflusse.13

Nicht ganz so weit gingen Ökonomen, die die Zunahme globaler Verflechtungen seit den 1980er Jahren ebenfalls als neuen Forschungsgegenstand entdeckten. Wirtschaftliche Globalisierung ließ sich vor allem in der Analyse der Interaktion multinationaler Unternehmen nachvollziehen, die ihre Geschäftsmodelle mit dem neuen Grad an Internationalisierung veränderten.14 Volkswirtschaftliche Studien begründeten das immense Wachstum des globalen Handels mit der anhaltenden Welle an Deregulierungs- und Liberalisierungsschritten in den 1980er Jahren.15

Die Geschichtswissenschaft zeigte sich ebenfalls offen für das neue analytische Leitkonzept, positionierte sich aber kritisch. Erste Studien zur Weltwirtschaft bestätigten weder die Einmaligkeit von Globalisierung noch deren Unaufhaltsamkeit. Stattdessen weisen auch andere historische Zeiträume eine Zunahme an globaler Vernetzung auf. Besonders für das Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg sind sich Wirtschaftshistoriker einig, dass zahlreiche Parameter wie der internationale Handel, die Auslandsinvestitionen oder die Migrationsströme ähnliche Wachstumsmuster wie die zeitgenössische Globalisierung aufweisen.16 Der Erste Weltkrieg beendete diese Phase globaler Verflechtungen, sodass Historiker die teilweise behauptete Linearität des Globalisierungsprozesses damit klar entkräften.17 Obwohl auch in der Vormoderne globalisierende Prozesse auftraten, wird die Geschichte der modernen Globalisierung bislang in drei Phasen unterteilt.18 Ein erster Schub schuf zwischen 1860 und 1914 eine Weltwirtschaft, die aber in der anschließenden Periode der »De-Globalisierung« wieder auseinanderdriftete, bevor in den 1980er Jahren ein weiterer Schub die gegenwärtig globalen Strukturen hervorbrachte.

Eine...

Erscheint lt. Verlag 10.4.2024
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte 1918 bis 1945
Schlagworte Amazonas • De-Globalisierung • Deutschland • Erster Weltkrieg • Globale Warenketten • Globalgeschichte • Globalisierung • Großbritannien • Gummi • Gummiprodukte • Kapitalismus • Kautschuk • Markt • Rohstoff • Rubber • Südamerika • Südostasien • Unternehmensgeschichte • USA • Vereinigte Staaten • Warenketten • Wirtschaftsgeschichte • Zeitgeschichte • Zweiter Weltkrieg • Zwischenkriegszeit
ISBN-10 3-593-45415-7 / 3593454157
ISBN-13 978-3-593-45415-3 / 9783593454153
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