Das Haus der Schreiberin -  Charlotte Zweynert

Das Haus der Schreiberin (eBook)

Geschlechterökonomien und Vermögen um 1800
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
314 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45448-1 (ISBN)
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Wie bewältigten Zeitgenoss:innen Krisen und Herausforderungen in der von Umbrüchen geprägten Zeit um 1800? Anhand der Untersuchung von Gebrauchsweisen verschiedener Formen von »Vermögen« in der Familie der Schriftstellerinnen Anna Louisa Karsch (1722-1791), Caroline Luise von Klencke (um 1750-1802) und Helmina von Chézy (1783-1856) erarbeitet Charlotte Zweynert »Vermögen« als Analysekonzept. So eröffnen sich, ausgehend vom Haus und über die Schreib- und Lebenspraktiken der Frauen, ökonomisch rückgebundene geschlechtergeschichtliche Perspektiven auf die »Sattelzeit« zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert.

Charlotte Zweynert, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg am Lehrstuhl für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte.

Charlotte Zweynert, Dr. phil., ist Historikerin; sie ist Mitglied im DFG-Netzwerk »Erbfälle und Eigentumsübertragungen – Erbpraktiken im Spannungsfeld von Staat und Familie seit dem 19. Jahrhundert«.

1.Einleitung


1.1Das Haus als Forschungskontext: Perspektiven und Paradigmenwechsel


Das Haus als ein maßgebliches Forschungskonzept zum Verständnis frühneuzeitlicher Gesellschaften beschäftigt die Geschichtswissenschaften seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert. Dabei dominierte lange die als Verlustgeschichte konzipierte Erzählung eines wirtschaftlich autarken, sozial geschlossenen frühneuzeitlichen Hauses mit dem Hausvater als Vorsteher einer Großfamilie, das um 1800 mit dem Übergang von der ständischen zur modernen Gesellschaft und der zunehmenden Auslagerung von Erwerbsarbeit zugunsten einer fortschreitenden Individualisierung, Säkularisierung und Modernisierung an Bedeutung verloren habe.8

In den letzten Jahrzehnten wurde dieses Narrativ aus Richtung der Historischen Anthropologie, der Familien- und Verwandtschaftsforschung sowie der Mikro- und Geschlechtergeschichte umfassend kritisiert. Statt die normative frühneuzeitliche Hausväterliteratur mit sozialer Praxis gleichzusetzen, wurden in mikrohistorischen Studien soziale Praktiken untersucht.9 So zeigte sich, dass sich das frühneuzeitliche Haus nicht durch einen verengten Blick auf eine vermeintlich geschlossene Kernfamilie erfassen lässt.10 Vielmehr gerieten soziale Verflechtungen zwischen Haushalten, Nachbarn und Verwandten sowie außerhäusliches Wirtschaften in den Blick. Zunehmend wurde das Haus in verschiedener Hinsicht als »offenes« Konzept verstanden.11 Durch die geschlechtergeschichtliche Kritik an Otto Brunners Konzept des »ganzen Hauses« konnte die vermeintlich uneingeschränkte Autorität des Hausvaters als moderne Projektionsfläche entlarvt und hinterfragt werden.12 Zugleich rückten Frauen als Akteurinnen in den Fokus13 und es wurde untersucht, wie im Haus binnen- und zwischengeschlechtlich Hierarchie, Differenz und Verpflichtungen hergestellt wurden.14 Gegenwärtig werden zudem kulturwissenschaftlich ausgerichtete (historische) Forschungen verstärkt mit ökonomischen Fragen verknüpft und zusammengedacht.15 Innovative Ansätze untersuchen die häusliche Sphäre »as a field of social practice and interaction«16 und das Haus als Vermögen17 und Ressource18. Sie zeigen durch die Analyse von »Erben und Vererben als Vermögenshandeln«19 Zugänge zum Haus jenseits der Dichotomie von privat und öffentlich auf,20 sie hinterfragen die »Verortung des Hauses allein in der Vormoderne«21 und plädieren stattdessen dafür, Bedeutungsverschiebungen des Konzepts in der Sattelzeit22 zu untersuchen.23

1.1.1Verortung der Arbeit


Die vorliegende Arbeit knüpft an den Ansatz an, das Haus nicht allein in der Vormoderne zu verorten und stattdessen dessen Bedeutungsverschiebungen um 1800 zu untersuchen. Sie bettet sich dabei in die Frauen- und Geschlechtergeschichte zur Sattelzeit ein. Die Folie hierfür bildet die These zur Veränderung der Geschlechterrollen um 1800.24 Die einflussreiche Annahme, dass in dieser Zeit mit der Entstehung der Vorstellung »polarer Geschlechtscharaktere«25 geschlechtlich markierte, voneinander getrennte öffentliche männliche und private weibliche Sphären entstanden seien, wurde in den letzten Jahren relativiert. Mikrogeschichtliche Studien zeigten, dass eine umfassende Durchsetzung dieser Idee in der sozialen Praxis um 1800 nicht festzustellen ist.26

Eher kann von sich verändernden Handlungsspielräumen ausgegangen werden, die ebenso neue Chancen wie Beschränkungen implizierten. In diesem Kontext wurden durch die Ereignisse in und nach der Französischen Revolution Lebensläufe von Frauen möglich, denen es gelang, sich abseits der gesellschaftlich gestellten Rahmen zu bewegen, die Neues probierten und dabei nicht selten scheiterten. Lange wurden diese Frauen nur als Freundinnen oder Musen noch heute bekannter männlicher Zeitgenossen betrachtet; ihre ökonomischen Verbindungen und Bedingungen gerieten hingegen erst in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus von Forschungen. Immer wieder wurden jene – oftmals schreibend oder künstlerisch tätigen – Frauen27 zudem in wissenschaftlichen Arbeiten explizit oder implizit als Ausnahmen behandelt, die ihre Handlungsspielräume zumeist ihren Vätern oder Ehemännern verdankten. In der vorliegenden Arbeit werden nun jenseits der Vorstellung von »insulated Heroines«28 in einer Fallstudie die Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie Vermögenspraktiken von professionell schreibenden Frauen untersucht. Das Haus ist das hierfür gewählte Medium.29 In ihm kreuzen sich soziale, kulturelle, emotionale30 sowie ökonomische Aspekte und vermengen sich im Kontext von Ehe, Familie und Verwandtschaft zu dem, was hier als Geschlechterökonomie konzeptualisiert werden soll.31

Indem gefragt wird, inwieweit Frauen unter den Bedingungen der Umbruchszeit ihnen zugewiesene Geschlechtscharaktere und -räume überschritten haben und wie sie dabei immer wieder auf Grenzen ihres Geschlechts verwiesen und zurückgeworfen wurden, sollen changierende Settings zwischen Potenzial und Scheitern in Verbindung mit der Frage untersucht werden, wie das Haus mit seinen mehrschichtigen Bedeutungsebenen in diesem Gefüge zu positionieren ist. Damit leistet das Buch einen Beitrag zu der Debatte um Epochengrenzen aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive32 sowie der Frage nach Gestaltungs- und Handlungsmöglichkeiten von Frauen in der politisch und wirtschaftlich unruhigen Sattelzeit, in der Geschlechterverhältnisse destabilisiert, herausgefordert und neu zur Debatte gestellt wurden.

1.2Ausgangspunkt: Die Schriftsteller*innenfamilie Karsch/von Klencke/von Chézy und ›ihr Haus‹


Der Gegenstand der Studie ist der Kasus der Schriftsteller*innenfamilie Karsch/von Klencke/von Chézy, der mikroanalytisch untersucht werden soll. Die Konzeptualisierung als Kasus bedeutet, dass es hier nicht darum geht, die genannte Familienkonstellation als Beispiel für etwas zu analysieren bzw. nach ihrer zeitgenössischen Repräsentativität zu fragen. Vielmehr ist es der Ansatz, diese Konstellation in ihrer Eigenlogik und Spezifizität zu untersuchen und daraus Fragen und Zugänge zu zeitgenössischen Themen, Verschiebungen, Grenzziehungen und Ressourcen abzuleiten.33

Im Zentrum der Studie stehen die Literatin und Librettistin Wilhelmine Christiane, genannt Helmina, von Chézy (geb. von Klencke, geschiedene von Hastfer, 1783–1856), deren Mutter, die Schriftstellerin Caroline Luise von Klencke (geb. Karsch, geschiedene Hempel, um 1750–1802), sowie deren Mutter, die Dichterin Anna Louisa Karsch (geb. Dürbach, geschiedene Hiersekorn, 1722–1791). Wichtige Bedeutung kommt dabei einem Haus in Berlin zu, das die Großmutter Karsch 1787 wenige Jahre vor ihrem Tod vom preußischen König Friedrich Wilhelm II. als Geschenk erhielt und das die Familie 1801 wieder verlor.

Insbesondere Helmina von Chézy stand lange nicht im Zentrum wissenschaftlicher Forschungen,34 sei es wegen des teilweise schon zu Lebzeiten erhobenen Vorwurfs mangelnder literarischer Qualität ihrer Texte oder weil sie sich mit Werk und Vita eindeutigen Kategorisierungen entzieht. Selma Jahnke, die Chézys Texte aus verschiedenen Perspektiven und mit innovativen Ergebnissen erforscht hat, hebt hervor: »In die Kritik an Chézys Werken – wie bei vielen ihrer Geschlechtsgenossinnen – spielt häufig eine mehr oder weniger subtile Diffamierung der Autorin als Person mit hinein, sei es über Verhalten, Aussehen, Lebenswandel oder Charakter.«35 In den letzten Jahren hat nun aber eine produktive Beschäftigung mit Chézy eingesetzt, mit der auch – entsprechend der Vielfalt ihres Œuvres – eine interdisziplinäre Würdigung der Autorin...

Erscheint lt. Verlag 17.7.2024
Reihe/Serie Geschichte und Geschlechter
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte Neuzeit (bis 1918)
Schlagworte 18. Jahrhundert • 19. Jahrhundert • Anna Louisa Karsch • Berlin • Biographie • Caroline Luise von Klencke • Chézy • Epochenwende um 1800 • Frauen • Geschlecht • Geschlechtergeschichte • geschlechtergeschichtliches Analysekonzept • Haus • Helmina von Chézy • karsch • Klencke • Kulturwissenschaft • Literaturwissenschaft • Männer • Preußen • Romantik • Sattelzeit • Schriftstellerin
ISBN-10 3-593-45448-3 / 3593454483
ISBN-13 978-3-593-45448-1 / 9783593454481
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