Platon von Athen (eBook)
300 Seiten
FinanzBuch Verlag
978-3-98609-415-7 (ISBN)
Robin Anthony Herschel Waterfield ist ein britischer Altertumswissenschaftler, Übersetzer, Herausgeber und Autor von Kinderbüchern. Er forschte bis 1978 am King's College in Cambridge über antike griechische Philosophie und war anschließend Dozent an der Universität Newcastle und später an der Universität St. Andrews. Heute ist er selbständiger Schriftsteller.
Robin Anthony Herschel Waterfield ist ein britischer Altertumswissenschaftler, Übersetzer, Herausgeber und Autor von Kinderbüchern. Er forschte bis 1978 am King's College in Cambridge über antike griechische Philosophie und war anschließend Dozent an der Universität Newcastle und später an der Universität St. Andrews. Heute ist er selbständiger Schriftsteller.
2
Das intellektuelle Umfeld
Platons Ausbildung verlief zunächst, wie wir gesehen haben, wenig zielgerichtet und war eher von grundlegender Natur. In Politeia und in Nomoi schlägt Platon zahlreiche Veränderungen vor.1 Als er begann, sich für Philosophie zu interessieren, muss er sich sein Wissen größtenteils selbst beigebracht haben. Wahrscheinlich sprach er mit seinen Brüdern und anderen, las die Bücher verstorbener oder abwesender Denker und besuchte die Vorträge und Seminare der lebenden. Er konnte sich glücklich schätzen, denn Athen hatte bereits die kulturelle Führung für ganz Griechenland übernommen – Thukydides bezeichnete die Stadt zur Zeit von Platons Jugend sogar als »Schule Griechenlands«2. Künstler und Intellektuelle aller Art kamen auf Besuch oder ließen sich dort nieder. Es gab einen florierenden Tauschmarkt für Bücher, obwohl nach wie vor nur die wohlhabenderen Schichten in Athen und einige Sklaven gut lesen konnten. Gerade fand ein folgenschwerer Wandel statt, die Bürger begannen nun, selbst zu lesen, anstatt sich von Sklaven vorlesen zu lassen.
Die anekdotische Tradition betrachtet Platon eindeutig als umfassend belesen, man muss sich nur anschauen, wie viele Schriftsteller er plagiiert haben soll. Dieser Tradition zufolge stammt fast die gesamte Politeia von Protagoras von Abdera und der Timaios von Philolaos von Kroton; Platon soll außerdem vieles vom pythagoreischen Dramatiker Epicharmos von Kos entlehnt haben. Angeblich schlossen pythagoreische Gruppen Platon von Treffen aus, damit er keine Ideen stehlen konnte. Die Idee, seine Werke in Dialogform zu schreiben, habe er von Sophron, der Mimen schrieb (derbe, komödiantische Einzelszenen, eine frühe Form der griechischen Komödie), und dessen Talent für Charakterdarstellungen soll er ebenfalls nachgeahmt haben. Darüber hinaus kopierte er die Werke seiner sokratischen Kollegen Anthistenes und Aristippos von Kyrene und, warum auch immer, das Werk des Mathematikers Bryson von Herakleia. Platons Einfälle waren so grundlegend neu, dass die Mitglieder der negativen Tradition seine Originalität unbedingt anfechten wollten. Natürlich sind diese Anschuldigungen nicht vollkommen falsch, denn wie jeder andere Schriftsteller griff Platon auf viele Quellen zurück. Die Kritiker wendeten dies nur ins Negative und übertrieben, aus »von X gelernt« wurde »von X plagiiert«. Platon übernahm selten einfach eine Idee seiner Lehrer, darunter auch Sokrates. In der Regel veränderte er die Gedanken anderer und nutzte sie auf seine Art, sodass sie im Kontext seiner eigenen philosophischen Prinzipien funktionierten.
Sokrates und die Vorsokratiker
Unter dem Begriff »Vorsokratiker« vereint man viele verschiedene Denker - frühe Naturwissenschaftler, Philosophen, sogar der ein oder andere mystische Prophet - die, wie der Name schon sagt, vor Sokrates lebten und arbeiteten. Sie verband der Versuch, eine systematische Beschreibung des gesamten bekannten Universums und aller seiner wichtigen Merkmale anzufertigen, von den Sternen am Himmel bis zur regelmäßig auftretenden Nilschwemme. Unabhängig von ihrem Namen setzte sich die wissenschaftliche Arbeit der Vorsokratiker auch während und nach Sokrates’ Leben weiter fort. Platon nennt folgende Vorsokratiker beim Namen: Thales von Milet, Heraklit von Ephesos, Parmenides und Zenon von Elea, Empedokles von Agrigent, Pythagoras von Samos (und die Pythagoreer) und Anaxagoras von Klazomenai. Damit hat er die wichtigsten Denker der damaligen Zeit genannt. An anderen Stellen verweist und bezieht sich Platon auf vorsokratische Doktrinen, ohne Namen zu erwähnen. Weshalb er allerdings Demokrit von Abdera, einen bedeutenden Denker und produktiven Schriftsteller zu Platons Lebzeiten, nicht namentlich aufführt, wird für immer ein Rätsel bleiben (auf das zuerst Diogenes Laertios hinwies). Offensichtlich las Platon viele Arbeiten der Vorsokratiker, und wir dürfen annehmen, dass er auch mit den Sammlungen von Hippias von Elis über die vorsokratischen und weitere Theorien vertraut war, die der Universalgelehrte Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. anlegte.
Von den Vorsokratikern übernahm Platon in erster Linie das Grundprinzip, wonach die Welt nicht der Spielplatz launenhafter Götter ist, sondern vielmehr ein geordnetes System, das ein menschlicher Geist zu verstehen vermag und das er deswegen mithilfe von Vernunft und Argumentation durchdringen kann, weniger mittels seiner Sinne und seines Glaubens. Gegenüber ihrer wissenschaftlichen Arbeit zeigt sich Platon eher kritisch. Einige Vorsokratiker waren Materialisten und glaubten, alle Gegenstände in der Welt bestünden aus der gleichen Substanz oder aus einigen wenigen Substraten. So meinte Anaximenes von Milet, dass Luft der Urstoff ist, aus dem alles andere durch Verdichtung und Verdünnung gebildet werde. Platon nennt solche Gedanken kindisch und sogar atheistisch;3 seiner Meinung nach ist die Annahme falsch, dass nur Körper und deren Eigenschaften in der Welt existieren. In Phaidon legt Platon Sokrates eine Art intellektuelle Autobiografie in den Mund, die genauso gut seine eigene sein könnte. Ihm zufolge begeisterte Sokrates sich für die Arbeiten des Anaxagoras, der behauptete, dass der Geist die kreative und treibende Kraft des Kosmos sei. Allerdings wirft er Anaxagoras vor, er ginge dieser Erkenntnis - genau wie Anaximenes und andere - nicht konsequent nach, sondern bleibe bei den materiellen und mechanischen Vorgängen stehen.4 In Timaios, dem vorsokratischsten seiner Dialoge, gab Platon dieser sozusagen vorwissenschaftlichen Idee wohlwollend mehr Raum.5 Im Großen und Ganzen konnte er einer solchen Überlegung aber nicht viel abgewinnen, sondern fand, dass die Vorsokratiker in Gebiete vordrangen, in denen man die Wahrheit schlichtweg nicht herausfinden konnte.
Die beiden Vorsokratiker, die Platon am meisten beeinflussten, waren: Parmenides (Platon nennt ihn »ehrenwert mir und zugleich furchtbar«6) und Heraklit. Er präsentiert die beiden als grundsätzlich verschieden – Parmenides und die Eleaten (wie man sie nennt) als Vertreter der Stabilität und des unveränderlichen Seins und Heraklit als Prophet des universalen Wandels und Werdens. Von den Eleaten lernte Platon außerdem, wie überzeugend eine gute Argumentation sein kann und wie wichtig es ist, sich die versteckten Annahmen bewusst zu machen, auf denen ein Argument aufbauen kann. Wichtige Abschnitte in Sophistes widmen sich allein dem Aufklären solcher Fehlannahmen – ironischerweise solcher, welche die Eleaten erschaffen und verbreitet haben.
Es scheint, als ob Platon schon früh in seinem Leben mit den beiden Strömungen im vorsokratischen Denken konfrontiert wurde, schließlich klären uns die antiken Biografien und Anekdoten darüber auf, dass er neben Sokrates noch zwei weitere Philosophielehrer hatte: einen Herakliten namens Kratylos und den Parmeniden Hermippos.7 Aristoteles nennt keinen parmenidischen Lehrer, erwähnt aber Kratylos als Platons frühesten Lehrer.8 Von wem auch immer er stammen mag, der Einfluss von Eleaten und Herakliteern lässt sich in Platons Werk klar nachweisen. In seiner Metaphysik kombiniert er den eleatischen Glauben an die Existenz von ewigen und stabilen Entitäten mit der heraklitischen Überzeugung, dass die Welt der Sinne sich in einem stetigen Wandel befinde. In dieser Welt ändert sich alles mit der Zeit, und nichts ist verlässlich, nicht einmal in seinen dominanten Eigenschaften. Deswegen müssen wir woanders nach Entitäten suchen, die wahrhaftig und ohne Einschränkung wirklich das sind, was sie sind, und die wir daher erfassen und definieren können. Alles, was ich als »schön« bezeichne, mag für jemand anderen nicht schön sein, auch Kontext und Zeitpunkt können das beeinflussen, was wir als schön empfinden. Woher wissen wir also, wie wir dieses Wort verwenden sollen? Platon ging davon aus, dass wir es dennoch verwenden können, weil es eine Entität geben muss, die für uns ein permanentes Paradigma des Schönen darstellt. Von den Eleaten lernte Platon, äußere Wirkung und Realität zu unterscheiden, wovon er seine grundlegende epistemologische Trennung von Meinung und Wissen ableitete.
In Bezug auf den Pythagoreismus liefern uns die antiken Biografien verschiedene Standpunkte. Eine geht so weit zu behaupten, Platons Überlegungen seien eine Synthese aus heraklitischen, pythagoreischen und sokratischen Ideen gewesen: »Denn in seiner philosophischen Lehre wird die sinnliche Erkenntnis nach Heraklit, die gedachte Erkenntnis nach Pythagoras und die praktisch-politische nach Sokrates beurteilt.«9 Andere bezeichnen Platon lediglich als Mitglied der pythagoreischen Schule. Dies ist übertrieben, aber eben auch nicht mehr als das. Die Pythagoreer beeinflussten Platons Metaphysik, im Besonderen übernahm Platon die pythagoreische Vorstellung von Zahlen, deren Immaterialität, Permanenz und Perfektion er ebenfalls seinen metaphysischen Entitäten zuschrieb, die er als Ideen bezeichnete. Außerdem beeinflussten die Pythagoreer, wie er die fundamentalen Prinzipien des Universums beschrieb. Darüber hinaus lernte Platon aber noch viel mehr von ihnen, wie wir in Kapitel 6 sehen werden. Er zollte den Pythagoreern noch auf andere Weise seinen Respekt: Er überlässt es einem fiktiven Pythagoreer, Timaios von Lokroi, das physische Universum zu beschreiben. Damit verdeutlicht er, dass ähnliche pythagoreische Werke seine Überlegungen inspirierten.
Zweifellos beschäftigte sich Platon sein gesamtes Arbeitsleben hindurch mit den Vorsokratikern; wahrscheinlich setzte er sich während seiner Reise nach Süditalien in den 380er-Jahren detailliert mit den pythagoreischen Lehren auseinander, da sich dort...
Erscheint lt. Verlag | 19.11.2023 |
---|---|
Übersetzer | Caroline Weißbach |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Geschichte der Philosophie |
Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Philosophie Altertum / Antike | |
Schlagworte | Akademie • Antike • Biografie • Denker • Dichter • Erkenntnis • Ethik • Griechenland • griechischer Philosoph • Höhlengleichnis • Ideenlehre • Leben Platon • Moral • philosophenschule • Philosophie • Plato • Platonismus • Politeia • Sokrates • Symposion |
ISBN-10 | 3-98609-415-6 / 3986094156 |
ISBN-13 | 978-3-98609-415-7 / 9783986094157 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 1,7 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich