Die Suchtlüge (eBook)

Der Mythos von der fehlenden Willenskraft: Wie Sucht im Hirn entsteht und wie wir sie besiegen

(Autor)

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2023
224 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-30881-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Suchtlüge - Gaby Guzek
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»Es wäre besser, die heutige Suchtbehandlung mit einem Bulldozer platt zu machen. Dynamit täte es natürlich auch.«, analysiert Dr. Mark Willenbring, ehemaliger Forschungsdirektor der obersten US-Behörde zum Thema Alkohol und Sucht (NIAAA).

Gaby Guzek bringt mit wissenschaftlicher Genauigkeit und leichter Feder die neuesten Erkenntnisse der Suchtforschung auf den Punkt: Suchtkranke haben keinen schwachen Willen oder einen schlechten Charakter, sondern eine gestörte Hirn-Biochemie. Denn Stoffwechselprozesse im Gehirn sind die Wurzel aller Abhängigkeiten wie etwa Nikotin, Alkohol, THC, Koffein, Kokain, u. v. m., aber auch Verhaltensweisen wie Sex, Shoppen; Medienabhängigkeiten wie Smartphone, Internet und Gaming. Sucht zieht sich quer durch unsere Gesellschaft und betrifft Millionen. Trotzdem hinkt die gängige Behandlung der aktuellen Forschung noch immer ein knappes halbes Jahrhundert hinterher. Endlich lernen wir, uns nachhaltig von unseren Süchten zu befreien!

Gaby Guzek, geboren 1967, arbeitete nach ihrem Studium unter anderem bei der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« und der Fachzeitschrift »Die Neue Ärztliche«. Seit mehr als 30 Jahren ist sie Fachjournalistin für Wissenschaft und Medizin. Jahrelang selbst von schwerer Alkoholsucht betroffen und mit den Therapiemöglichkeiten unzufrieden, begann sie, sich zusammen mit ihrem Mann, Dr. med. Bernd Guzek, intensiv mit dem Phänomen Sucht auseinanderzusetzen. 2020 veröffentlichte sie im Eigenverlag ihr Buch »Alkohol adé«. Heute steht Gaby Guzek als Coach Alkoholsüchtigen zur Seite und hilft ihnen dabei, ihre Sucht nachhaltig zu besiegen. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann und ihren Kindern in Kärnten.

Baggern wir uns frei


Wahrscheinlich haben Sie dieses Buch nicht erworben, weil Krimis gerade ausverkauft waren. Das Thema Sucht spricht Sie an. Vielleicht aus allgemeinem Interesse an dieser Volkskrankheit. Vielleicht, weil das Thema jemanden betrifft, der Ihnen nahesteht. Möglicherweise sind Sie selbst betroffen. So oder so: ein herzliches Willkommen!

Vielleicht gehören Sie aber auch zu den vielen mit einem unguten Bauchgefühl. Sie wissen, irgendwas läuft hier schief, Sie hadern noch, schleichen gedanklich um den heißen Brei herum. Dazu kann ich Ihnen aus meiner zwanzigjährigen Trinkerkarriere sagen: Unzählige Online-Tests habe ich absolviert, die mir verraten sollten: »Habe ich ein Alkoholproblem?« Gott sei Dank waren auch immer Fragen dabei, die ich verneinen konnte, notfalls mit Gewalt. Beispiel: »Trinken Sie allein?« Antwort: »Nein.« Der Hund war ja immer da.

Allen Süchten ist eines gemein: Man will sie einfach nicht wahrhaben. Einzige Ausnahme sind Raucher. Mir ging es mit dem Alkohol nicht anders. Dabei war es am Ende nicht einmal mehr das Stigma, das ich fürchtete. Mir lagen zwei riesengroße Steine im Weg, und mir fehlte der Bagger, um sie wegzuschieben. Ich konnte mit der offiziellen Lesart zum Thema Sucht nichts anfangen, ich fand mich darin einfach nicht wieder. Ergo sprachen mich auch die gängigen Hilfsangebote nicht an. Die Behandlungserfolge für Suchtkranke seien ohnehin mehr als überschaubar, liest man immer wieder.

Ich hätte eine plausible Erklärung gebraucht für das, was wirklich mit mir los war, und warum ich vom Alkohol nicht mehr loskam. Angeblich steckten dahinter irgendwelche Probleme. Mir kam meine Sucht aber eher körperlich vor. Ich sehnte mich nach Alkohol wie meine zuckerkranke Schwiegermutter nach Schokolade. Spoiler: Ich lag gar nicht so falsch. Für den Ausstieg hätte ich Strategien gebraucht, die für mich Sinn ergeben. Ich tue Dinge, wenn ich den Grund dafür verstehe, und nicht, weil mir jemand es so vorkaut. Also machte ich mich auf die Suche. Immerhin bin ich Wissenschaftsjournalistin.

Mehr als vier Jahre fräste ich mich durch internationale Wissenschaftsliteratur und Fachbücher. Ich war baff. Die Medizin weiß heute sehr wohl, wie Sucht in unserem Hirn entsteht. Egal ob Alkohol, Zigaretten, Koks oder Internetabhängigkeit: Die Mechanismen sind immer die gleichen, sie unterscheiden sich nur in Nuancen. Mit einer schwer greifbaren Psyche hat das alles wenig bis nichts zu tun. Wer das einmal verstanden hat, betrachtet sein Suchtverlangen mit ganz anderen Augen und kann damit besser umgehen. Vor allem kann man sich seinen Werkzeugkoffer packen und damit in ein abstinentes Leben marschieren. Ich hatte meinen Bagger gefunden. Die Stolpersteine waren weg, und mein Weg raus aus dem Alkohol war frei.

Auf diesem Ansatz beruht auch mein Buch Alkohol adé, das bereits sehr viele Menschen aus der Abhängigkeit begleitet hat. Immer wieder stellte man mir die Frage nach anderen Süchten. Deshalb bin ich erneut tief in das Thema eingestiegen, das Ergebnis halten Sie in den Händen. Eingeflossen ist auch meine jetzt mehrjährige Erfahrung als Coach. Ich wünsche mir, dass Die Suchtlüge vielen Betroffenen hilft, die nach einem neuen Weg aus der Abhängigkeit suchen. Also vielleicht auch Ihnen. Baggern wir los.

Was ist Sucht und wer ist süchtig?


Vielleicht geht es Ihnen ja wie mir früher: Ich habe unendlich oft danach gesucht, ob ich denn nun wirklich süchtig bin. Es gibt so viele Kriterien, und sie sind teilweise so schwammig, dass ich immer eine geistige Hintertür fand, warum mich das ja doch nicht betraf.

Da gibt es nicht nur den Begriff Sucht. Es gibt auch noch den »Missbrauch«, den »riskanten Konsum« und viele weitere Gummibegriffe. Sollten auch Sie innerlich immer noch diskutieren, kommen hier ein paar knackige Anhaltspunkte.

  1. Wenn Sie darüber nachdenken, ob Sie ein Suchtproblem haben, dann haben Sie höchstwahrscheinlich auch eines

Das mag platt klingen, ist es aber nicht. Der Grund ist unser hart trainierter Selbstbetrug. Jeder Abhängige redet sich ein: »Alles ganz normal.« Oder: »Ich kann jederzeit aufhören.« Dieses Bullshit-Bingo spielen Süchtige in der Meisterklasse. Die Zweifel schleichen sich erst dann ein, wenn der Elefant im Raum nicht mehr zu übersehen ist.

  1. Sie können den Konsum nicht kontrollieren

»Heute trinke ich bestimmt nur ein Glas«, oder: »Nur mal schnell online was checken«, enden wie immer: in einer leeren Flasche oder einer verzockten Nacht. Das ist ein ganz hartes Kriterium. Wer seinen Konsum trotz besserer Vorsätze nicht kontrollieren kann, ist abhängig.

  1. Sie nutzen das Suchtmittel zu einem Zweck

Konsumieren Sie, um sich zu entspannen, fröhlich zu sein oder Ihre Sorgen zu vergessen, schrillen die Alarmglocken. Dieses »um zu« ist ein K.-o.-Kriterium.

  1. Sie organisieren Ihren Tag um den Konsum herum

Diktiert Ihr Suchtmittel Ihre Tagesorganisation, ist spätestens alles klar. Haben Sie Ihre Vorräte fest im Blick? Werden Sie nervös, sollte das nicht so sein? Planen Sie bereits, wie Sie eventuelle Hinterlassenschaften wie zum Beispiel leere Flaschen möglichst unauffällig entsorgen? Schaffen Sie sich Freiräume, um ungestört konsumieren zu können? Habe Sie dafür sogar schon Verabredungen abgesagt? Der soziale Rückzug für ungestörten Konsum ist ein Killerkriterium.

  1. Sie verheimlichen Ihren Konsum oder die Konsummenge

Das Versteckspiel vor anderen ist ebenso typisch und ein klares Signal. Fragt Sie jemand, wie viel Sie konsumieren, und Sie sagen nicht die Wahrheit, wachen Sie auf. Legen Sie vielleicht sogar Geheimvorräte an? Dazu kann ich nur sagen: Ich hielt meine praktischen Zweitflaschen hinter den Gewürzen und im Keller für eine absolut geniale und einzigartige Idee. Bis ich feststellte: Die stehen auch in Millionen anderen Schränken.

Wenn Sie sich wiederfinden, ist es gut, dass Sie dieses Buch in den Händen halten. Das Ganze ist auch kein Wettbewerb nach dem Motto: »Ich habe nur zweimal genickt, also ist es bei mir noch nicht so schlimm.« Wir sitzen alle im selben Boot. Sucht hat viele Graustufen, verläuft aber immer nur in eine Richtung. Ob es »Missbrauch« ist, »bedenklicher Konsum« oder »Sucht«, ist zweitrangig. Ich würde mich jetzt gerne mit Ihnen auf eine Sache einigen: Wenn jemand die Finger nicht mehr von einem Suchtmittel lassen kann oder nur sehr schwer, nennen wir das im Folgenden Sucht und Abhängigkeit. Rumeiern bringt niemanden weiter.

Wir sind Millionen


Eines steht fest: Niemand ist allein mit seiner Sucht. Im Gegenteil. Die Zahlen gehen in die Millionen. Rund 17 Millionen Menschen hadern in Deutschland mit dem Alkohol, wahrscheinlich sind es sogar noch viel mehr. Bei über 64-Jährigen hört die Statistik auf, warum auch immer. Grob jeder Fünfte raucht, geschätzt knapp drei Millionen sind süchtig nach Medikamenten wie Schmerz- und Beruhigungsmitteln. Auch bei den illegalen Drogen gibt es nur Schätzungen. Knapp 18 Millionen Erwachsene im Alter von 18 bis 64 und eine halbe Million Jugendliche haben mindestens einmal in ihrem Leben eine illegale Droge zu sich genommen. 4,5 Millionen Erwachsene in Deutschland konsumieren Cannabis.

Von Amphetaminen kommen 103 000 Menschen nicht mehr los, von Kokain 41 000. Knapp zwei Millionen haben ein Glücksspielproblem. Rund 410 000 hängen ganz tief drin, sagt das Jahrbuch der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. Wie viele Menschen Tage und Nächte online verzocken oder vor Pornos verbringen, ist ein großes Fragezeichen. Genauso wenig weiß man, wie viele Menschen ihren letzten Cent für Einkäufe ausgeben, die sie eigentlich gar nicht brauchen. Sie sind shoppingsüchtig.

Diese Zahlen einfach zusammenzuzählen, wäre nicht korrekt. Viele Alkoholabhängige beispielsweise rauchen, Online-Junkies konsumieren offenbar auch häufig Cannabis. Das sind die sogenannten Mehrfachsüchtigen. Trotzdem ist Fakt: Sucht betrifft Millionen. Wir sind die Regel, nicht die Ausnahme. Die Zahlenkolonnen zum Thema Abhängigkeit sind schier unendlich. Zigtausende Studien untersuchten das Persönlichkeitsprofil von Süchtigen. Man scheint alles über Sucht und Süchtige zu wissen. Nur stimmt das gar nicht.

Am Anfang steht ein Denkfehler


Das angeblich gesicherte Wissen zum Thema Sucht beruht auf einem riesigen Denkfehler. Man sammelt es an Abhängigen, die eine Therapie absolviert haben, denn die sind greifbar. Das tut aber nur ein Bruchteil. Über die Millionen anderen weiß man quasi nichts.

Das bemängelt auch Dr. Mark Willenbring, ehemaliger Forschungsdirektor des National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism (NIAAA), der obersten US-Behörde zum Thema Alkoholsucht. Das heutige Suchthilfesystem konzentriere sich auf schwer Abhängige. Über mehr als drei Viertel der Betroffenen wisse man wenig bis nichts und könne ihnen deshalb auch keine Behandlungsalternativen anbieten.

Was Willenbring meint: In Therapie begeben sich die meisten erst dann, wenn gar nichts mehr geht. Wer dort aufschlägt, ist überproportional oft gesundheitlich, sozial oder finanziell kurz vor dem Aus. Diese Patienten hat man unter die Lupe genommen und ihre psychische Verfassung oder ihre sozialen Umstände erfasst. Auf diesen Erkenntnissen fußen die allgemeingültigen Therapieempfehlungen, und an diesen Patienten misst man auch, wie gut sie funktionieren. Es braucht keinen Doktortitel in Statistik, um zu erkennen: Da ist gewaltig der Wurm drin....

Erscheint lt. Verlag 15.11.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Schlagworte 2023 • Abhängigkeit • Alkohol • Alkoholsucht • aufhören zu rauchen • Disziplin • Drogen • Drogenabhängigkeit • eBooks • Gesundheit • Internetsucht • Neuerscheinung • Nikotin • Psychologie • Ratgeber • Rauchen • Selbstdisziplin • Sexsucht • Spielsucht • Sucht überwinden • Veränderung • Videospiele
ISBN-10 3-641-30881-X / 364130881X
ISBN-13 978-3-641-30881-0 / 9783641308810
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