Lutherische Identität (eBook)

Kulturelle Prägung und reformatorisches Erbe
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
176 Seiten
Gütersloher Verlagshaus
978-3-641-30769-1 (ISBN)

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Lutherische Identität -
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Luthertum zwischen kultureller Prägung und reformatorischem Erbe
Das Luthertum hat sich auf verschiedenen Wegen in der Welt verbreitet. Dadurch ist es in ganz unterschiedlichen kulturellen Kontexten heimisch geworden. Kann es dann aber eine »lutherische Identität« geben? Oder gibt es - je nach Prägung - nicht eher »lutherische Identitäten«? Und was verbindet diese, wie lebt es sich also in einer Communio, die zahlreiche Ausdrucksformen der »lutherischen Identität« ermöglicht, und wo sind die Herausforderungen dieses Miteinanders?

In seinem Ringen um Communio, die eine lebendige Kirchengemeinschaft sein soll, steht der Lutherische Weltbund vor eben diesen Fragen. Grund genug, nach Identitätsmarkern, nach Pfeilern einer gemeinsamen lutherischen Identität zu suchen, die für Geschichte, Gegenwart und unterschiedliche kulturelle Kontexte Relevanz besitzen und dabei Theologie und Geschichte miteinander verbinden.

Was ist Identität?

Antworten aus sozialwissenschaftlicher Sicht

Hilke Rebenstorf

Der Diskurs um und über Identität(en) ist aktuell wie lange nicht mehr. Zwar wird in manchen der aktuellen Debatten nicht zwingend der Ausdruck »Identität« erwähnt, schwingt aber häufig implizit mit. Er steckt in der Ratgeberliteratur zu Achtsamkeit und Authentizität – man soll »man selbst sein«, seinem Selbst Ausdruck verleihen, sich um sein Selbst kümmern. Identität spielt eine Rolle in der vor einigen Jahren wieder neu entfachten Debatte um Heimat, verstanden als Ort des Aufgehobenseins, mit dem man sich identifiziert, von dem die Identität geprägt ist.

Ist in diesen Fällen Identität als für den Menschen wie auch für ganze Gesellschaften wichtig erkanntes Moment positiv konnotiert, ist sie auf der anderen Seite regelrecht in Verruf geraten. Aus den Cultural Studies, die in England als Emanzipationsbewegung bereits in den 1950er Jahren entstanden, folgte der Cultural Turn in den Sozialwissenschaften.1 In dessen Gefolge ist eine Zunahme der Identitätspolitiken zu verzeichnen, die mit dem Einklagen einer diskriminierungsfreien Umwelt einhergehen. Am bekanntesten sind sicherlich die Stimmen ethnischer und religiöser Minderheiten, von Queeren, Frauen, »Verteidiger:innen« des Abendlandes. Was für die Einen unabdingbar für eine gleichberechtigte demokratische Gesellschaft ist, erscheint den Anderen als Gefahr, die zu einer Spaltung der Gesellschaft führt, weil Identitätspolitiken ihrer Ansicht nach die Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Fremden eher hochzuziehen scheinen als einzuebnen. Am Beispiel der Identitätspolitiken, die sich schier unendlich weiter auffächern lassen, wird unmittelbar einsichtig, dass sich manche dieser so formulierten Identitäten überschneiden, nicht singulär sind, ja nicht singulär sein können. Es gilt, was bereits vor 40 Jahren mehrfach anschaulich formuliert wurde:

»Identitäten sind hochkomplexe, spannungsgeladene, widersprüchliche symbolische Gebilde – und nur der, der behauptet, er habe eine einfache, eindeutige, klare Identität – der hat ein Identitätsproblem.«2

»In conclusion, the concept of self is a chimera […]. Or perhaps it is constructed by social experience and maintained by social role requirements […], or by the use of shared systems of meaning […], or by social reinforcements […]. Or the self is the cognitive structure which gives meaning and organization to one’s experience. Or the self is the person’s own construction, the core of one’s responsibility and one’s moral being […].«3

Entsprechend dieser Komplexität des zur Diskussion stehenden Phänomens kann auch die Antwort auf die Frage nach dem, was Identität ist, nur einigermaßen komplex ausfallen, zumal die sozialwissenschaftliche Literatur zu dem Thema kaum mehr überschaubar ist. Um den vorgegebenen, notwendigerweise begrenzten, Rahmen nicht zu sprengen und dennoch einige der Komplexität angemessene grundlegende Antworten zu geben, gliedert sich der Beitrag in folgende Schritte: in einem ersten kurzen Abschnitt wird der Frage nachgegangen, ob von Identität in der Einzahl oder in der Mehrzahl gesprochen werden sollte (1.) Danach folgt ein Kapitel zur Identitätsentwicklung – in ihren Stufen (2.1), als Prozess (2.2) und durch Interaktion (2.3), das auf grundlegende Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie, der Sozialisationsforschung und des symbolischen Interaktionismus aufbaut. Im darauffolgenden Kapitel wird die Frage nach der Ein- oder Mehrzahl von Identitäten mit Ausführungen zu deren Vielschichtigkeit wiederaufgegriffen, aus dem ersichtlich wird, dass Identität nicht nur etwas ganz Eigenes ist, sondern gesellschaftlich geprägt und verankert (3.). Daraus entsteht eine doppelte Herausforderung für die Stabilität der Identität(sentwicklung): Zum einen als das Eigene, das man ist oder meint zu sein und das man darstellen will, zum anderen das gesellschaftlich Verankerte, dass einen in der eigenen Identität stabilisiert, mit gesellschaftlichen Veränderungen aber auch aus dem Lot bringen kann (4.) Schlussfolgerungen über die Ausführungen werden in dieses letzte Kapitel integriert.

1. Identität und bzw. oder Identitäten

Identität ist zunächst einmal die Antwort auf die ganz einfach erscheinende Frage: »Wer bin ich?« Eine Frage, die überhaupt erst mit der Moderne aufkam. Das, was wir auf diese Frage antworten, bezeichnet man als persönliche Identität. Das ist aber nicht die einzige Frage, die sich im Hinblick auf Identität stellt. Wir leben zwar in der Gesellschaft der Individuen4, diese sind aber in vielfältige Beziehungsnetzwerke eingebunden. Auch diese wirken prägend auf Persönlichkeit und Verhalten, so dass die Frage nach der Identität ergänzt werden muss um die Frage: »In welcher Beziehung stehe ich zu anderen? Was erwarten andere von mir?« – das ist dann die soziale Identität. Daran schließt geradezu nahtlos eine weitere Frage an: »Wie sehen andere mich?« Wenn deren Bild mit meinem eigenen übereinstimmt, habe ich Glück gehabt oder bin einfach gut im Identitätsmanagement. Häufig gibt es jedoch Abweichungen, etwa während der Pubertät und des jungen Erwachsenenalters zwischen den Wahrnehmungen der Eltern und denen der Kinder. Besonders treten sie jedoch in Vorurteilsdiskursen zutage. Was als Antwort auf diese Frage zutage tritt, ist die zugeschriebene Identität. Bleibt noch eine zentrale Frage, die in Zeiten zunehmender Individualisierung und räumlicher wie sozialer Mobilität an Bedeutung gewinnt: »Wo gehöre ich hin?« bzw. »Wozu gehöre ich, womit identifiziere ich mich?« – Dies sind in der Regel soziale Gruppen: sprachlicher, beruflicher, ethnischer, politischer Art oder auch von Sportdisziplinen, Freizeitbeschäftigungen usw. Hier liegt wieder eine Variante der sozialen Identität vor oder auch von Gruppenidentität.

Es dürfte deutlich geworden sein: Identität hat viele Facetten, die in den Sozialwissenschaften behandelt werden und deren knappe Darstellung nur in Form eines Parforceritts möglich ist, bei dem die verschiedenen Aspekte angesprochen, aber nicht vertieft werden können. Beginnen wir mit dem Anfang, der Identitätsentwicklung beim Individuum.

2. Identitätsentwicklung

2.1 Stufen der Identitätsentwicklung

Erik H. Erikson begann nach seiner Immigration in die USA unter dem Eindruck der dort bereits deutlich erkennbaren räumlichen und sozialen Mobilität, insbesondere unter den Einwander:innen sich mit Fragen der Identität und Identitätsentwicklung zu beschäftigen.5 Sein Stufenmodell der Entwicklung6 ist seit langem Standard in der Entwicklungspsychologie und Sozialisationstheorie. In permanenter Auseinandersetzung mit der Umwelt und je nach »Erfahrungshorizont« entstehen entwicklungsspezifische Krisen, die jeweils spezifische Identitätsmerkmale hervorbringen. So ist das Kleinkindalter dadurch geprägt, etwas haben zu wollen oder zu brauchen, das man sich selbst noch nicht besorgen kann: Nahrung, Zuwendung, Wärme usw. Aus den Erfahrungen von »Haben wollen und bekommen« entwickeln sich Urvertrauen oder Urmisstrauen. So geht es weiter über die frühe Kindheit, das Spielalter und das Schulalter, während derer es um das Verhältnis von Autonomie zu Scham und Zweifel, von Initiative (ergreifen) zu Schuldgefühlen (was habe ich mit einer Initiative angestellt) geht sowie um Entwicklung von »Werksinn« oder auch der Erfahrung von Selbstwirksamkeit gegenüber Gefühlen der Minderwertigkeit oder auch des Versagens.7

Die entscheidende Phase der Identitätsentwicklung liegt in der Adoleszenz, die geprägt ist durch eine Wendung nach innen und der immer dringlicher werdenden Antwort auf die Frage »Wer bin ich?« In dieser Zeit stabilisiert sich die Ich-Identität, ein Wissen über das Selbst, eine Übereinstimmung mit sich selbst wird angestrebt und im Idealfall erreicht, es kann aber auch Identitätsdiffusion am Ende dieses Prozesses stehen.8 Auf Basis dieser während der Adoleszenzphase erlangten Identität bauen dann weitere Entwicklungsaufgaben des Menschen auf, die dann in die in der Jugendphase erlangte Identität integriert werden. Dies sind: im frühen Erwachsenenalter das Eingehen intimer Beziehungen, später dann Familiengründung oder andere Arten des Kreativseins. Im Alter wird dann geprüft, inwiefern die angestrebten Aspekte von Kontinuität, Konsistenz und Kohärenz erreicht wurden, persönliche Integrität vorliegt.

2.2 Identitätsentwicklung als aktiver Prozess

Je nach Erfahrungsraum stellen sich also den Heranwachsenden andere und doch aufeinander aufbauende Entwicklungsaufgaben. Welche das im Konkreten sind und wie diese bewältigt werden, ist im Wesentlichen davon abhängig, wie stark sich zunächst ein Kind, später dann Jugendliche und Erwachsene daran machen, ihre Umgebung zu erkunden. Das Maß an Exploration und die dabei eingenommene Haltung gegenüber der (Um)Welt haben eine spezifische Form der Identitätsentwicklung zur Folge. Schaubild 1 zeigt das formale Modell der Identitätsentwicklung, wie es James Marcia auf Basis klinischer Studien beschrieben hat.9 Die Achsen werden aufgespannt durch das Ausmaß an Exploration, also Erkundung der Umwelt, Ausprobieren von Rollen10, »aktive Suche nach neuen...

Erscheint lt. Verlag 26.7.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte 2023 • Christliche Identität • Deutsche Identität • deutsches nationalkomitee • eBooks • Lutherische Mission • Lutherischer Weltbund • Neuerscheinung • Postkolonialismus • Priestertum aller Glaubenden • reformation und mission
ISBN-10 3-641-30769-4 / 3641307694
ISBN-13 978-3-641-30769-1 / 9783641307691
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