Hermann Dörries (eBook)

Ein Kirchenhistoriker im Wandel der Zeiten
eBook Download: EPUB
2023
244 Seiten
De Gruyter (Verlag)
978-3-11-069017-0 (ISBN)

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Hermann Dörries -
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Hermann Dörries (1895-1977) lehrte und forschte als Kirchenhistoriker in verschiedenen politischen Kontexten, vom wilhelminischen Kaiserreich über die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus bis zur Bundesrepublik Deutschland. Bis heute vor allem als Experte für das spätantike Mönchtum bekannt, widmete er sich auch der Erforschung des Frühmittelalters und der Theologie Luthers. Wie schlugen sich die politischen, gesellschaftlichen und akademischen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts in seinem Werk nieder, wie kam Dörries zu seinen Themen, und wie deutete er mittels historischer Forschung das Zeitgeschehen? Der vorliegende Band nimmt Leben und Werk von Hermann Dörries in Form von biographischen und thematischen Einzelstudien in den Blick; er fragt auch nach akademischen Netzwerken über konfessionelle, nationale und politische Grenzen hinweg und dem sich im 20. Jahrhundert fundamental wandelnden Verhältnis von Kirche und Universität. Die Beiträge zeichnen insgesamt ein differenziertes und detailliertes Bild dieses einflussreichen Wissenschaftlers vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert.



Aneke Dornbusch, Kirchengeschichte, Universität Bonn; Peter Gemeinhardt, Kirchengeschichte, Universität Göttingen.

Einleitung


Dr. Aneke Dornbusch

An der Schloßkirche 2-4 53113 Bonn Deutschland

Prof. Dr. Peter Gemeinhardt

Georg-August-Universität Göttingen Theologische Fakultät Platz der Göttinger Sieben 2 37073 Göttingen Deutschland

Am 15. Juli 2020 jährte sich zum 125. Mal der Geburtstag des evangelischen Kirchenhistorikers Hermann Dörries, der bei seinem Tod als „Nestor der deutschen protestantischen Kirchengeschichtswissenschaft“ bezeichnet wurde. 1 Ob dieses Epithet in einem Nachruf im Göttinger Tageblatt die Realität widerspiegelte oder sich der althergebrachten Göttinger Begeisterung für die einheimische Professorenschaft verdankte, ist eine berechtigte Frage. Denn schon im Vergleich zu Dörries’ Heidelberger Kollegen und langjährigem Briefpartner Hans Freiherr von Campenhausen ist die Frage nach dem einflussreichsten Kirchengeschichtler jener Generation nicht eindeutig zu beantworten. Sich selbst hätte der als „sachlich, bescheiden, sehr unterrichtet“ und „ein Niedersachse, wie er im Buche steht“ 2 beschriebene Dörries wohl kaum so benannt.

Es liegt dennoch auf der Hand, dass ein Wissenschaftler wie Dörries, der noch vor dem Ersten Weltkrieg mit dem Studium der Theologie begonnen hatte und die Umwälzungen in der deutschen Politik, Gesellschaft und Universität über Jahrzehnte hinweg erlebte und kommentierte, als Zeuge seiner Zeit und als Akteur in Universität und Kirche von Interesse sein könnte, und zwar für das Schreiben der Zeitgeschichte ebenso wie für die Fachgeschichte der Theologie und für die Institutionengeschichte der Universität. Sich diesen Problemzusammenhängen aus der Perspektive einer einzelnen Biografie anzunähern, ist das Ziel dieses Bandes.

Mit Hermann Dörries wird damit ein Vertreter der Generation von Hochschullehrern in den Blick genommen, deren akademische Anfänge in der Zwischenkriegszeit lagen, deren Breitenwirksamkeit sich aber nach 1945 erst wirklich entfaltete und die in der Zeit vor den Umwälzungen um 1968 den Ton im Fach – und vielfach auch darüber hinaus – angaben. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien aus der Generation der um 1900 geborenen, kurz vor oder nach 1930 erstmals auf Professuren berufenen deutschen Kirchenhistoriker neben Dörries und von Campenhausen 3 noch Hanns Rückert (1901–1974), Heinrich Bornkamm (1901–1977) oder Ernst Wolf (1902–1971) genannt – nicht zu vergessen Hanna Jursch (1902–1972), die allerdings erst 1956 den Lehrstuhl ihres Lehrers Karl Heussi in Jena übernehmen konnte. Diese Generation erlebte einen rasanten Wandel der Zeiten und der politischen Systeme und gestaltete ihn aktiv mit, in unterschiedlichen Konstellationen von Nähe und Distanz zu Demokratie und Diktatur. Dabei hat die Zeit des Nationalsozialismus im Blick auf die Institution Universität insgesamt, aber auch hinsichtlich ihrer einzelnen Teile (Fakultäten) und individueller Akteurinnen und Akteure in den vergangenen Jahrzehnten berechtigterweise große Aufmerksamkeit erfahren. Das gilt jedoch nicht in gleichem Maße für die Nachkriegszeit, und auch die Weimarer Republik hat lange zugunsten des Einschnitts von 1933 zurückgestanden. Die Auseinandersetzung mit Dörries und seinen Zeitgenossen führt also streckenweise auf Neuland und eröffnet zugleich auch auf die Zeit des „Dritten Reiches“ neue Perspektiven.

Beides ist gerade für die Theologische Fakultät der Universität Göttingen von Bedeutung. Die Erforschung der Geschichte dieser Fakultät war über lange Zeit von der kritischen Auseinandersetzung mit dem Decanus perpetuus der 1930er Jahre, Emanuel Hirsch (1888–1972), geprägt, ja anfangs fast völlig darauf beschränkt. 4 In Einzelbeiträgen im Aufsatzformat wurden seit den 1980er Jahren wichtige Schneisen geschlagen, die bereits die Vielfalt der politischen (und kirchenpolitischen) Haltungen der Akteure ins Licht rückten, sich allerdings überwiegend auf die Phase des Nationalsozialismus konzentrierten. 5 Erst 2021 erschien, ermöglicht durch ein von der Fakultät ausgeschriebenes Forschungsstipendium und verfasst von Hansjörg Buss, eine monografische Untersuchung zur Göttinger Theologischen Fakultät, die die Zeit vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland einbezog. 6 Damit ist ein Fundament gelegt, auf dem weitere Untersuchungen, insbesondere zur Zeit nach 1945 bzw. 1949, aufbauen können.

Warum sollte unter den damaligen Protagonisten nun gerade Hermann Dörries besonderes Interesse genießen? Ein Grund liegt zunächst schlicht in seiner – selbst für Göttinger Verhältnisse – überdurchschnittlich langen Verweildauer an der Fakultät, 7 woraus sich der Umstand ergibt, dass sich deren Geschicke und Konflikte zu einem guten Teil in den über ihn erhaltenen Quellenbeständen spiegeln. Hinzu kommt, dass er sich bewusst als „hannoversches Landeskind“ empfand und seiner eigenen Aussage nach 1946 sogar vor allem deshalb der Fakultät treu blieb, damit sie nicht völlig von „landeseigenen“ Mitgliedern entblößt würde. 1895 als Pfarrerskind in Hannover geboren, lehrte Dörries nach Stationen in Marburg und Tübingen seit 1929 an der Universität Göttingen und blieb auch nach seiner Emeritierung 1963 bis zu seinem Tod 1977 an der Fakultät präsent. Sein Wirken ist demnach aufgrund der zeitgeschichtlichen Umstände, unter denen er lehrte und forschte, und der in dieser Zeit eingetretenen politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Wandlungsprozesse von großem Interesse. Dörries war nicht nur Beobachter, sondern auch Akteur: Der konservative Nationalist trat 1933 in die NSDAP ein, engagierte sich aber in den nächsten Jahren für die Ziele der Bekennenden Kirche, was ihn unter anderem in Konflikt mit dem Dekan und Fachkollegen Hirsch brachte, mit dem er zuvor zum „Fall Dehn“ übereinstimmend Stellung genommen hatte. Nach Kriegsende trat Dörries zwar nicht durch parteipolitisches Engagement, wohl aber durch sein Bemühen um internationale Netzwerkbildung hervor, was für einen deutschen Theologen jener Zeit durchaus nicht selbstverständlich war.

Ein weiterer, ebenso wichtiger Grund ist fachgeschichtlicher Natur: Dörries pflegte zunehmend breit gefächerte Forschungsinteressen, die vom frühen Mönchtum über die Germanenmission und die Reformation bis hin zum radikalen Pietismus reichten. Hatte er in seinen Qualifikationsschriften und auch in der Folgezeit zunächst über Themen aus der Patristik gearbeitet, begann er sich in den 1930er Jahren intensiv mit Luther zu beschäftigen und leistete einen wichtigen, auf Entmythologisierung zielenden Beitrag zur Debatte um die germanische Religion und Mission. Die Arbeit an seinem „Lebenswerk“ – die Edition und Erforschung der Makarios-Tradition – wurde durch Diktatur und Krieg verzögert und konnte erst in der Bundesrepublik zum Abschluss kommen; bereits 1941 erschien seine erste, nur noch posthum 1978 seine zweite Makarios-Monografie. Dass Dörries daneben, wie gesagt, eine ganze Reihe von anderen Themen – teils über Jahrzehnte hinweg – bearbeitete und dadurch faktisch mit mehreren Lebenswerken befasst war, dokumentieren die drei Bände mit seinen gesammelten Aufsätzen, die von 1966 bis 1970 unter dem Titel Wort und Stunde erschienen und Beiträge aus vier Jahrzehnten und fast allen Epochen der Kirchengeschichte vereinten. Eine eingehende Würdigung und zeitgeschichtliche Kontextualisierung dieses Oeuvre war bisher ein Desiderat.

Zuletzt bietet sich Hermann Dörries als Forschungsobjekt aufgrund der hervorragenden Quellenlage zu seiner Person an, für die er zum Teil selbst verantwortlich ist. Ein umfangreicher Nachlass, den Dörries zu Lebzeiten zweifellos bereits vorbereitete, wurde nach seinem Tod an das Bundesarchiv in Koblenz übergeben und zahlreiche Personal- und Sachakten lagern in Universitäts- und Kirchenarchiven. Dörries selbst versperrte sich einer Aufarbeitung seines Lebens – auch in der Zeit des Nationalsozialismus – nicht, sondern stand Schülerinnen und Schülern Rede und Antwort 8 und legte Freunden und Kollegen seine Beweggründe in Briefen dar.

Angesichts dieses Befundes entstand an Dörriesʼ „Heimatfakultät“ in Göttingen der Plan, sein Leben und Werk in Form einer Konferenz zu würdigen. Die Tagung sollte dabei an das von der Mitherausgeberin dieses Bandes daselbst durchgeführte Dissertationsprojekt über Hermann Dörries anknüpfen und dieses ergänzen. 9 Die Forschungen in diesem Dissertationsvorhaben verfolgten das Ziel einer Gesamtschau von Dörriesʼ Leben und Werk unter dem besonderen Fokus auf die Wechselwirkungen zwischen seiner wissenschaftlichen Arbeit und den politischen Systemen, die ihn umgaben und seine Weltwahrnehmung, aber auch – wie erwähnt – seine fachlichen Schwerpunktsetzungen beeinflussten. Es erschien daher sinnvoll und angemessen, das lineare, biografisch ausgerichtete Projekt durch eine Tagung zu erweitern, die sich einzelnen Aspekten in Form von Tiefenbohrungen widmen und vor allem die Perspektiven verschiedener Forscherinnen und Forscher aus Theologie und Geschichtswissenschaft auf Dörries vereinen würde. 10

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Erscheint lt. Verlag 27.4.2023
Reihe/Serie Arbeiten zur Kirchengeschichte
Arbeiten zur Kirchengeschichte
ISSN
ISSN
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte Church history • Dörries • Dörries, Hermann • Hermann • Kirchengeschichte • Nachkriegsdeutschland • Nazideutschland • Nazi Germany • postwar Germany
ISBN-10 3-11-069017-9 / 3110690179
ISBN-13 978-3-11-069017-0 / 9783110690170
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