Was heisst und zu welchem Ende studiert man romanische Literaturwissenschaft? -  Ottmar Ette

Was heisst und zu welchem Ende studiert man romanische Literaturwissenschaft? (eBook)

Potsdamer Vorlesungen zur Romanistik

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
733 Seiten
Walter de Gruyter GmbH & Co.KG (Verlag)
978-3-11-078852-5 (ISBN)
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Am 26. Mai des Revolutionsjahres 1789 hielt Friedrich Schiller seine berühmte programmatische Antrittsvorlesung 'Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?' an der Universität Jena. Dabei situierte sich der Schriftsteller nicht nur als Historiker in den zeitgenössischen Diskussionen um die Universal History und dem Gegensatz zwischen dem 'Brotgelehrten' und dem 'philosophischen Kopf', sondern vermittelte seinen Zuhörern auch eine mutige Vision des je eigenen Tuns und der Herausforderungen im Kontext zunehmend weltumspannender Lebenszusammenhänge.

Auch im vorliegenden Band wird es weniger um eine kritische Bestandsaufnahme vergangener und gegenwärtiger Romanistik als um eine Vision der möglichen Zukünfte gehen, denen sich das Fach gegenüber öffnen sollte, will es seinen Anspruch auf eine zentrale Rolle im Fächerkanon der Geistes- und Kulturwissenschaften bewahren und ausbauen. Weltumspannende Entwicklungen, so machte schon Schiller deutlich, bestimmen unser Leben. Die Romanistik als weltumspannendes Fach muss sich dieser Aufgabe stellen.

Diese Potsdamer Vorlesung unternimmt den Versuch, den Gegenstand 'Romanische Literaturwissenschaft' im Kontext der Literaturen der Welt näher zu bestimmen, die herausragende, ja überlebenswichtige Bedeutung dieses Studienobjekts zu präzisieren und prospektiv nach den künftigen Möglichkeiten für Forschung, Studium und Leben im Bereich der Romanischen Literaturwissenschaft zu fragen. Zu den programmatischen Herausforderungen der Vorlesung zählen Fragen wie: Welches Wissen vermittelt die Literatur und warum ist die Romanistik eine Archipelwissenschaft? Wie könnte eine (romanische) Philologie der Zukunft aussehen? Wie läßt sich das Verhältnis zwischen den Romanischen Literaturen und den Literaturen der Welt begreifen?



Ottmar Ette, Universität Potsdam.

Zur Einführung: Warum Romanistik weltweit?


Am 26. Mai des Revolutionsjahres 1789 hielt Friedrich Schiller seine berühmte programmatische Antrittsvorlesung Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (Abb. 2) an der Universität Jena. In diesem Zusammenhang situierte sich der deutsche Schriftsteller nicht nur als Historiker in den zeitgenössischen Diskussionen um die Universal History und im Spannungsfeld zwischen dem ‚Brotgelehrten‘ und dem ‚philosophischen Kopf‘, sondern vermittelte seinen Zuhörerinnen und Zuhörern auch eine mutige Vision des je eigenen Tuns und der Herausforderungen im Kontext zunehmend weltumspannender Lebenszusammenhänge. Viele seiner Argumente und Vorstellungen waren bereits zum damaligen Zeitpunkt diskutierbar, nichts davon war indiskutabel; aber bis heute blieben viele seiner programmatischen und vor allem prospektiven Überlegungen diskussionswürdig.

Abb. 1: Ludovike Simanowitz: Portrait Friedrich Schillers, um 1793/94.

Abb. 2: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? Titelblatt des separaten Erstdrucks von Friedrich Schillers Antrittsrede, 1789.

In diesem Band wird es weniger um eine kritische Bestandsaufnahme vergangener und gegenwärtiger Romanistik als um eine Vision der möglichen Zukünfte gehen, denen sich das Fach gegenüber öffnen sollte, will es seinen Anspruch auf eine zentrale Rolle im Fächerkanon der Geistes- und Kulturwissenschaften nicht endgültig verlieren, sondern bewahren und ausbauen. Weltumspannende Entwicklungen, so machte schon Schiller deutlich, bestimmen unser Leben, unabhängig davon, ob wir wie der Dichter in einer Phase beschleunigter Globalisierung oder – wie wir heute – nach einer solchen leben.

Die Romanistik als weltumspannendes Fach muss sich dieser Aufgabe und Herausforderung mutig stellen. Die Zeit des Ausblendens programmatischer Fragen und des ‚Weiterwurstelns‘ in einem undefinierbaren ‚Weiter-So‘ ist vorbei. Dieser Band unternimmt beherzt und sicherlich angreifbar den Versuch, den Gegenstand ‚Romanische Literaturwissenschaft‘ unter Einschluss kulturwissenschaftlicher Aspekte im Kontext der Literaturen der Welt1 näher zu bestimmen, die herausragende, ja überlebenswichtige Bedeutung dieses Studienobjekts zu präzisieren und prospektiv nach den künftigen Möglichkeiten für Forschung, Studium und Leben im Bereich der Romanischen Literaturwissenschaft zu fragen. Zu den programmatischen Herausforderungen zählen Fragen wie: Welches Wissen vermittelt die Literatur und warum ist die Romanistik eine Archipel-Wissenschaft? Wie könnte eine (romanische) Philologie der Zukunft aussehen? Wie lässt sich das Verhältnis zwischen den Romanischen Literaturen und den Literaturen der Welt begreifen?

Weltumspannende Relationen und Beziehungen prägen selbst unser Alltagsleben – und dies nicht erst seit heute, sondern seit mehr als fünf Jahrhunderten.2 Gerade die Romanischen Literaturen der Welt haben dies eindrucksvoll aufgezeigt. Die Romanistik aber hat die sich ihr auf diesem Feld bietenden Möglichkeiten und Chancen noch längst nicht ausreichend genutzt. Gerade auch an dieser Stelle gilt es daher anzusetzen, um die Romanistik für dieses Jahrhundert fit zu machen. Doch zurück zu Friedrich Schillers historischer Vorlesung in Jena!

Es war eine Antrittsvorlesung, welche nach vielerlei Aussagen den damaligen Saal an der Jenenser Universität zum Kochen brachte – eine Tatsache, die sich freilich in der Folgezeit bei Schillers Vorlesungen weitaus seltener wiederholte. Denn Friedrich Schiller griff polemisch in eine laufende Debatte ein, in der es darum ging, welchen Rang man der Weltgeschichte als Universal History zubilligen solle, wie sie in England entwickelt worden und seit 1744 in einer deutschsprachigen Ausgabe in die Diskussion eingebracht worden war. Dabei ist es keine Überraschung, dass diese Diskussion von England ausging, zählte England doch zusammen mit Frankreich zu den beiden führenden europäischen Mächten, welche diese Weltgeschichte ganz entscheidend mitbestimmten und zugleich den Antriebsmotor für die zweite Phase beschleunigter Globalisierung bildeten.3

Die großen Emotionen und Wallungen, die Friedrich Schillers Antrittsvorlesung auslöste, bezogen sich freilich nicht so sehr auf diese großen Umwälzungen, auf diese großen Revolutionen, die sich mit dieser Frage verknüpften. Seine im Jahr der Französischen Revolution von 1789 gehaltene Antrittsrede konnte sich selbstverständlich noch nicht auf die Mutter aller europäischen Revolutionen beziehen: Der Sturm auf die Bastille sollte erst einige Wochen später das Ancien Régime hinwegfegen. Und doch: Die Konturen jener europäischen Doppelrevolution begannen sich bereits am Horizont abzuzeichnen, jener Doppelrevolution, die von so entscheidender Bedeutung für den weiteren Verlauf der Geschichte war.

Oft ist von dieser Doppelrevolution in der Historiographie die Rede; aber wir sollten uns vor Augen halten, dass es sich um eine europäische Doppelrevolution handelte. Da gab es einerseits die industrielle Revolution, die von England ausging und die längst im Gange war, bevor sie dann im 19. Jahrhundert auch in die deutschen Länder und insbesondere nach Preußen überschwappte. Und es gab andererseits jene politische Revolution, die von Frankreich ausging und die sehr wohl etwa mit Blick auf die Erklärung der Menschenrechte einen weltgeschichtlichen, also einen universalhistorischen (oder wie wir heute sagen würden: globalgeschichtlichen) Stellenwert nicht allein als politische Revolution besaß.

Lange Zeit hat man dank eurozentrischer Scheuklappen eine andere Doppelrevolution übersehen, jene amerikanische Doppelrevolution, die auf der einen Seite mit dem Unabhängigkeitskampf der künftigen Vereinigten Staaten von Amerika begann und sodann in der Haitianischen Revolution ihre nicht mehr nur vom Kolonialstatus, sondern auch von der Sklaverei befreiende Umwälzung heraufführte. Beide Revolutionen erfolgten ebenfalls mit all jenen historischen Widersprüchen, die heutzutage deutlich ins Bewusstsein getreten sind.4 Im deutschsprachigen Raum hat wohl kaum ein anderer Schriftsteller und Denker schärfer gesehen als Heinrich von Kleist, um welch ein Ereignis von welthistorischer Bedeutung es sich bei der so lange Zeit aus jeglichen Revolutionstheorien ausgebürgerten Haitianischen Revolution handelte.5 Auch ein Alexander von Humboldt begriff nach anfänglichem Zögern, dass die Revolution in der einst reichsten französischen Kolonie Saint-Domingue weltweit von enormer Sogwirkung für alle kolonial Unterdrückten war. Sie war ein Fanal, das selbst die Unabhängigkeitsrevolutionen in den spanischen Kolonien Amerikas inspirierte, auch wenn die kreolische Trägerschicht dort keinerlei Interesse an einer Befreiung der Sklaven zeigte.6 Doch vergessen wir nicht, dass selbst der „Libertador“ Simón Bolívar in schwierigen Zeiten Schutz und Hilfe in Haiti suchte.

Es dürfte folglich kein Zufall sein, dass sich Friedrich Schiller just im Jahr der großen Französischen Revolution, die den eigentlichen Ausgangspunkt der Sklavenrevolution auf Haiti bildete, mit dem in Deutschland scheinbar distanteren Thema der Globalität beziehungsweise weltweiter Verflechtungen auseinandersetzte. Doch war der Fokus der Auseinandersetzungen bei ihm noch kleinräumiger gewählt. Denn seine Einlassungen bezogen sich auf jene Debatte um die Universal History, in die sich die bedeutendsten Vertreter der Philosophie, aber natürlich auch der Geschichtswissenschaft wie der Theologie in Deutschland eingemischt hatten. August Wilhelm von Schlözers Aussage, Weltgeschichte sei lediglich ein Aggregat von Bruchstücken, nahm Friedrich Schiller als Ausgangspunkt seiner Ausführungen auf – nicht ohne die ihm eigene Polemik, versteht sich.

Diese Problematik hat sehr viel mit der Themenstellung dieses Bandes zu tun. Gewiss ist die revolutionäre Tiefenwirkung dieser Debatte eine andere: Die Debatten um die Romanistik – so sie denn überhaupt noch stattfinden – haben keinerlei revolutionäre Sprengkraft. Doch will sich auch die vorliegende Vorlesung mit elementaren Grundfragen beschäftigen, die wie bei Schiller weit über die eigentliche Disziplin hinausgehen. Was aber Romanische Literaturwissenschaft ist und zu welchem Ende man sie studiert, bildet das Thema dieses Bandes.

Lassen Sie uns also beginnen auf den Spuren jener berühmten Antrittsvorlesung vom 26. Mai 1789 an der Universität Jena; und dies mit einem ersten Zitat, welches das Incipit der Antrittsvorlesung von Schiller betrifft:

Erfreuend und ehrenvoll ist mir der Auftrag, meine h.H.H., an Ihrer Seite künftig ein Feld zu durchwandern, das dem denkenden Betrachter so viele Gegenstände des Unterrichts, dem thätigen Weltmann so herrliche Muster zur Nachahmung, dem Philosophen so wichtige Aufschlüsse, und jedem ohne Unterschied so reiche Quellen des edelsten Vergnügens eröffnet – das große weite Feld der allgemeinen Geschichte. Der Anblick so vieler vortrefflichen jungen Männer, die eine edle Wißbegierde um mich her versammelt, und in deren Mitte schon manches wirksame Genie für das kommende Zeitalter aufblüht, macht mir meine Pflicht zum Vergnügen, läßt mich aber auch die Strenge und...

Erscheint lt. Verlag 5.12.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Literaturwissenschaft
ISBN-10 3-11-078852-7 / 3110788527
ISBN-13 978-3-11-078852-5 / 9783110788525
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