Das Temeswarer Banat -

Das Temeswarer Banat (eBook)

Eine europäische Regionalgeschichte

Victor Neumann (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
609 Seiten
De Gruyter Oldenbourg (Verlag)
978-3-11-101216-2 (ISBN)
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Als Region weist das Banat zahlreiche Eigenheiten auf, die auf seine spezifische geografische Lage, der multi- und interkulturellen Prägung seiner Struktur und der kulturellen Vielfalt seiner Menschen zurückzuführen sind.

Der Band lädt ein, sich mit den Eigenheiten der lokalen und regionalen Verwaltung im Banat vertraut zu machen. Er legt den Fokus auf die Entwicklung der spezifischen Kultur, thematisiert das Einwirken von Ideologien, stellt einzelne Persönlichkeiten heraus und analysiert wichtige Gemeinschaftsinstitutionen. Das wichtigste Ziel der Beiträger/-innen und des Herausgebers ist es, die Bewohner/-innen des Banats selbst sichtbar werden zu lassen, ihre historischen Erfahrungen zu reflektieren, ihre Mentalitäten zu beschreiben und den Wandel ihrer Einstellungsmuster im Zeitverlauf darzustellen.

Im vorliegenden Band geht es um weit mehr als um die Abfolge von geschichtlichen Ereignissen oder eine Aufzählung von Fakten. Durch seine interdisziplinäre Herangehensweise werden Grenzen der traditionellen Geschichtsschreibung überschritten. Victor Neumann ersetzt den üblichen politisch motivierten Schreibstil durch eine liberale und offene Erzählweise, die nicht nur grenzüberschreitend ist, sondern auch viele Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet.



Victor Neumann, West-Universität Temeswar, Rumänien.

Vorwort 1 Von den methodischen Herausforderungen einer europäischen Regionalgeschichte des Banats – eine geschichtswissenschaftliche Reflexion


Armin Heinen

Geschichtswissenschaft handelt von Menschen, ihrem Agieren und Leiden, ihren Hoffnungen und Enttäuschungen, ihren Idealen und Abgründen, auch von den Weltwahrnehmungen zu einem bestimmten Zeitpunkt. Die Perzeption und Gestaltung der natürlichen Umwelt durch die Menschen sind Thema von Geschichtswissenschaft, ebenso die Formen des menschlichen Zusammenlebens. Geschichte – darauf ist zu bestehen – wird von Menschen gemacht und täglich kommunikativ und praktisch hergestellt, mal explizit, zumeist jedoch implizit. Handlungstheoretisch entsteht daraus Kultur oder Gesellschaft, Politik oder Religion. Viele Geschichtsdarstellungen stellen diese und andere Aggregatgrößen in den Mittelpunkt, berichten von Nationen oder Gesellschaften, Religionsgemeinschaften oder politischen Gruppen, so, als ob der einzelne Mensch nur Glied eines Größeren sei und die Aggregatgrößen das eigentlich Wichtige darstellten. Tatsächlich sind die Aggregatgrößen ja im Unterschied zum vergänglichen Menschen tendenziell „unsterblich“ oder doch zumindest langlebig.

Der vorliegende Band geht freilich exakt den umgekehrten Weg, stellt die Menschen und deren Vielfalt in den Mittelpunkt, fragt nach den Grundlagen fruchtbaren Zusammenlebens, trotz sprachlicher, religiöser, sozialer Differenzen – und handelt sich hierdurch eine Reihe methodischer Herausforderungen ein. Denn durch die Option für die konkrete Vielfalt interessiert nicht mehr das tendenziell Gleichartige, sondern die Diversität der Menschen, das historische Gewordensein und damit die Andersartigkeit im Zeitverlauf. Geschichtswissenschaft, so konzipiert, steht für Komplexität statt für Vereinfachung, für Widersprüchlichkeit statt für Stringenz. Geschichtswissenschaft­liche Narrationen dieser Art berichten von vielfachen Anfängen, Scheitern und Brüchen. Menschen sind keine Helden, sondern handeln in der Zeit, wandeln ihre Identität, verändern ihre Weltsicht. Identität ist nichts Vorgegebenes, sondern momentanes Ergebnis komplexer äußerer Gegebenheiten und beharrlicher Eigenanstrengungen.

Wenn Geschichtswissenschaft so konzipiert wird, verzichtet sie notwendigerweise auf Meistererzählungen und erzählt stattdessen einerseits vom Ringen der Menschen mit ihrer eigenen Welt, jener Welt, welche von Menschen hergestellt wird, andererseits erzählt sie von der äußeren, der natürlichen Welt, welche die Menschen nur begrenzt beeinflussen können.

Geschichtswissenschaft, das meint zuallererst methodisch gehärtete Annäherung an die Vergangenheit durch kritische Quellenanalyse, steht für perspektivisch ausgerichtete Rekonstruktion vergangener „Realität“ und ist Wissenschaft dadurch, dass sie über ihr Tun Rechenschaft führt, sich immer des Vorläufigen und Schrittweisen bewusst ist. Jörn Rüsen hat in diesem Zusammenhang von einer sich im Zeitverlauf erhärtenden Begründungsobjektivität gesprochen, von Konstruktionsobjektivität und Konsensobjektivität.1 Eine solche Geschichtswissenschaft wird die Komplexität und Widersprüchlichkeit menschlichen Daseins akzeptieren und widerspiegeln. Alles andere endet in Ideologie.

Die Notwendigkeit einer solchermaßen offenen Forschungshaltung erweist sich gerade mit Blick auf die Geschichte des Banats. Denn das Gebiet im Osten Mitteleuropas, im Westen Osteuropas und im Norden des Balkans war seit dem Mittelalter ein europäischer Raum zwischen den Kulturen. Als Neusiedlungszone spiegelte das Banat die ganze Vielfalt europäischer Sprachen, Kulturen, Religionen, Lebensweisen wider. Für die Historikerin oder den Historiker meint dies methodische Herausforderung, denn ohne Kenntnis vieler Sprachen lässt sich die Geschichte des Banats kaum angemessen erfassen. Dasselbe gilt für die Religionen oder besser die institutionalisierten Glaubensgemeinschaften, weil es davon im Banat viele gab und sie die Lebenswirk­lichkeit der Menschen stark prägten. Und während die klassische Nationalgeschichtsschreibung nur die internationalen Beziehungen auf der einen Seite und die Nationen auf der anderen Seite kennt, erfordert die Regionalgeschichte ein Spielen auf allen Tasten des Klaviers: die große Globalgeschichte und die internationalen Beziehungen sind ebenso einzubeziehen wie die europäische Geschichte, die „Nationalgeschichten“, die Regionalgeschichten der benachbarten Räume, die Geschichte des Banats selbst, aber eben auch die einzelner Städte, Gruppen und Personen. Regionalgeschichte in diesem Sinne thematisiert soziales Handeln in unterschiedlichen Raumbezügen. Für den Historiker oder die Historikerin meint dies, sich auf die vielfältigen Handlungsbezüge einlassen zu müssen: auf europäische Geschichte, aber ebenso auf deutsche Geschichte, auf österreichische, ungarische, serbische und rumänische, auf die Geschichte Temeswars und die Arads, aber auch auf die Geschichte von Lugoj oder Caransebeș. Klassische Epochengrenzen, für die es ja methodisch gute Gründe gibt (Frühe Neuzeit, Neuere Geschichte, Neueste Geschichte, Gegenwartsgeschichte), sind in der Regionalgeschichte zugunsten eines gesamtheitlichen Blickes aufgebrochen. Für den Regionalhistoriker ist es daher selbstverständlich, sowohl handschriftliche Quellen auszuwerten als auch Tageszeitungen oder die Lyriken moderner Rockgruppen.

Hinzu tritt die Notwendigkeit, die klassischen Schranken zwischen Politikgeschichte, Kulturgeschichte, Kunstgeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Religionsgeschichte und Sozialgeschichte aufzugeben, sie niederzureißen, denn das soziale Handeln im Raum interessiert ja, nicht das Agieren in gesellschaftlichen Teilfeldern. Regionalgeschichte in diesem Sinne ist von Beginn an interdisziplinär angelegt. Gerade weil sie den Totalitätsanspruch des Nationalstaates bestreitet, richtet sie ihren Blick auf die Totalität menschlichen Zusammenlebens und setzt der Idee der beruhigenden nationalen Einheit die Idee der aufregenden regionalen Vielheit entgegen.

Allerdings handelt sich der Regionalhistoriker eine Reihe von Nachteilen ein, wenn er den Blick auf den engeren Raum menschlichen Zusammenlebens in seiner Vielfalt richtet. Der homogenisierende Nationalstaat erleichtert die Arbeit des Historikers, indem er ihm eine ganze Reihe höchst nützlicher Hilfsmittel zur Verfügung stellt: Biblio­grafien und Handbücher, Enzyklopädien und Lexika, nicht zuletzt Quellensammlungen. Der Regionalhistoriker ist dagegen ein einsamer Bettler ohne festen Wohnsitz, dem vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit zukommt und der sich seine Nahrung selbst zusammensuchen muss. Im Fall des Banats meint dies: Archiv- und Bibliotheksstudien in Wien, in Budapest, in Novi Sad, Temeswar oder Arad, aber natürlich auch in Bukarest.

Zudem kann europäische Regionalgeschichte nicht durch einen einzelnen Historiker oder eine einzelne Historikerin geschrieben werden, erfordert sie doch unterschiedliche Perspektiven auf den Gegenstand, die Gegenüberstellung unterschiedlicher Sichtweisen, das dialogische Eingehen auf differierende Forschungspositionen. Deshalb finden wir im vorliegenden Band Beiträge von rumänischen, ungarischen und serbischen Autoren, von Historiker*innen und Kunstgeschichtlern, von Stadtplanern und von Kirchenhistorikern. Der Band vermittelt kein klassisches Handbuchwissen, bietet nicht die konsensuelle Summe gefestigten Forschungswissens und strittiger Forschungsfragen, wie dies für Handbücher üblich ist. Vielmehr lädt er ein zu einer historischen Erkundung des Raumes, organisiert von unterschiedlichen Reiseführern, die jeweils ihre eigene Sicht auf den Raum reflektieren. Wissenschaftlich ist gerade diese Herangehensweise, weil dort, wo es Neues zu erkunden gibt, der methodisch reflektierte Zugriff wichtiger ist als die pure Aufbereitung des vorhandenen Wissens. In diesem Sinne ist das vorliegende Werk nicht wissenschaftliches Handbuch, das der eigentlichen Forschung entweder nachgelagert oder vorgelagert ist, sondern selbst innovative, monografische Erhellung des Forschungsgegenstandes durch Kooperation von Spezialisten. Selbst derjenige, der die Geschichte des Banats kennt, wird immer wieder Neues finden, neue Sichtweisen kennenlernen.

Man könnte meinen, dass die Übersetzung des ursprünglich auf Rumänisch, dann in erweiterter Fassung auf Englisch erschienen Werkes kaum schwerfallen dürfte, umso mehr, da im Banat zeitweise Deutsch weit verbreitet war. Aber das Gegenteil ist richtig. Seinen Grund hat das sicherlich zum Teil in der unterschiedlichen Sprachstruktur des stark lateinisch-sprachig geprägten Rumänischen und des doch viel kurzatmigeren Deutschen. Die rumänische Wissenschaftssprache der Gegenwart lässt viel mehr Emotionalität zu als die deutsche Gelehrtensprache. Und wo für den rumänischen Leser Andeutungen genügen, bedarf es für den deutsch-sprachigen expliziter Erläuterungen. Wer die rumänische Fassung, die englische Ausgabe und die deutsche Version nebeneinanderlegt, wird den Eindruck gewinnen, zwar weitgehend dieselben Inhalte vorgeführt zu erhalten (die deutsche Publikation enthält zusätzliche Kapitel), aber doch einer ganz unterschiedlichen Tonalität zu begegnen. Wo das rumänische Original den Leser in eleganten langen Sätzen mit zahlreichen Partizipialkonstruktionen zum Mitentdecker der Vergangenheit macht, wirkt die deutsche Übersetzung (die ich verantworte) mit ihrer Deutlichkeit und Plastizität manchmal geradezu überwältigend. Indes, allein der Kenner kann...

Erscheint lt. Verlag 31.12.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
ISBN-10 3-11-101216-6 / 3111012166
ISBN-13 978-3-11-101216-2 / 9783111012162
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